[rohrpost] Joseph Vogl - Politische Antinomien
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Sun, 6 Feb 2000 12:41:11 +0100
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Cross the border/ Kein Mensch ist illegal
Politische Antinomien
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[Joseph Vogl ist =DCbersetzer der Werke von Gilles Deleuze und Felix
Guattari und lehrt im Moment in Weimar Medientheorie. Im folgenden
Text versucht er, ausgehend von einer Unterscheidung von "Politik" und
dem "Politischen" den aktuellen Stellenwert der Frage des Asyls zu
umrei=DFen: als "Asyl des Politischen".]
Politik ist die Kunst, einen politischen K=F6rper zu erzeugen. Sie ist
ein Wissen der Lage, der Einteilung und der Gliederung; sie ist ein
besonderes Verfahren, den verstreuten K=F6rpern, Reden und Dingen einen
einzigen Zusammenhang, einen identifizierbaren Ort, einen Platz und
eine Stelle zu verschaffen. Politik ist darum Topik und Topologie,
Redeordnung und Raumordnung zugleich: einerseits die Kunst eines
Diskurses, der Topoi, Gemein-Pl=E4tze, Orte des gemeinsamen Sprechens
und des gemeinen Wesens erzeugt; und andererseits das Wissen von einem
Raum, der sich als Ort des Gemeinsamen und als das Gemeinsame der Orte
konstituiert, scheint darum vor allem etwas Sagenhaftes zu sein, in
dem sich die Politik und die politische Prozedur stets wiedererkennen
wollten, eine Sage, die selbst wiederum eine Sage enth=E4lt. Ich denke
dabei an jene ber=FChmte Geschichte, die wie keine andere das Wissen der
Politik begleitet hat, vom heiligen Paulus bis zu Machiavelli, von den
Staatstheoretikern der fr=FChen Neuzeit bis hin zu den Sozialisten des
19. Jahrhunderts, eine Geschichte, die wie keine andere die Frage der
Orte, des gemeinsamen Raums, der topischen Rede und des politischen
K=F6rpers thematisiert und zusammenbringt. Es ist eine Geschichte, in
der ganz und gar erfolgreich ein politisches Gleichnis erz=E4hlt wird
und die darum selbst zu einem erfolgreichen Gleichnis der Politik
geworden ist. Ich meine hier jene legend=E4re Erz=E4hlung, die Sie alle
kennen und die sich auf das Rom des Jahres 494 vor Christus datiert:
Die Stadt Rom hat sich gespalten, die Plebejer sind auf den heiligen
Berg, den aventinischen H=FCgel ausgezogen, und nach leidenschaftlichen
Auseinandersetzungen zwischen den zur=FCckbleibenden Senatoren eilt
Menenius Agrippa auf den Aventin, um die abtr=FCnnige und hingelagerte
Menge durch ein Gleichnis zu =FCberzeugen und zur=FCckzuholen, durch das
ber=FChmte Gleichnis vom Staatswesen als K=F6rper, als effektiver und
effizienter Zusammenhang von Gliedern und Bauch, als Zusammenhang der
Wechselseitigkeit und des gegenseitigen Angewiesenseins. Kein Glied
des K=F6rpers, sagt der listige r=F6mische Senator, kann sich ohne die
stille Arbeit des Magens bewegen, kein Bauch kann ohne die T=E4tigkeit
der Gliedma=DFen den K=F6rper am Leben erhalten.
Ich glaube nun, da=DF es eine Ansammlung und Verdichtung mehrerer
Momente ist, die diese ber=FChmte Legende von einem kritischen und
krisenhaften Augenblick in der Geschichte Roms zu einem so dauerhaften
und krisenfesten Gleichnis der Politik werden lie=DF. Lassen Sie mich
diese Moment kurz erw=E4hnen. Erstens: es geht hier um die Frage des
Orts und der Ortlosigkeit als grundlegendes Problem der Politik - die
Frage der plebejischen Sezession, einer Ortsverschiebung, die einen
riskanten Atops des Staatswesen markiert, oder besser: das Staatswesen
selbst entortet hat; die blo=DFe Menge einerseits und die tagende
Institution andererseits haben sich voneinander entfernt und losen
eine heftige Deliberation, eine heftige Verhandlung aus. Zweitens geht
es um eine Rede, die in zweifacher Weise bestimmend wird, n=E4mlich
durch ein Gleichnis, das einerseits den Tops vom politischen K=F6rper
pr=E4gt und andererseits den politischen K=F6rper wiederherstellt, eine
Rede also, die das Gemeinsame aussagt und erzeugt und damit ein
Sprechen des und ein Sprechen vom Gemeinsamen ist; eine repr=E4sentative
Rede, die dort, wo sie die Stimme erhebt, ein Sprechen f=FCr alle und
mit allen beansprucht. Und drittens schlie=DFlich: es wird hier ein
Augenblick der Krise vorgef=FChrt, der durch ein Auseinandertreten und
durch eine Kluft zwischen Politik und der politischen Sache
gekennzeichnet ist - eine Verschiebung, in der die politische Frage in
der Entortung, Politik aber in der Zusammenf=FCgung, in der
Lokalisierung oder Relokalisierung besteht. Das Heraustreten der Menge
aus der politischen Ordnung ist ein Herausnehmen, eine Ausnahme, die
von der Politik selbst wiederum ein- und hereingenommen wird; und die
Politik w=E4re demnach die konsequente Zur=FCckholung und das konsequente
Verorten dessen, was nicht immer auf dem Platz ist, auf den es geh=F6rt.
Sie haben vielleicht bemerkt, worauf ich hier hinaus will: ich will
eine grundlegende Unterscheidung zwischen dem Politischen und der
Politik festhalten, eine Unterscheidung, die das Politische an
Prozesse der Entortung und Ortsverschiebung kn=FCpft, die Politik aber
als Herstellung und Repr=E4sentation der gemeinen Pl=E4tze und Orte der
Gemeinsamkeit begreifen l=E4=DFt.
Wenn es nun ein politisches Denken und ein Denken des Politischen
gibt, so scheint mir dessen neuere Geschichte auf unterschiedliche
Weise von dieser elementaren Spannung gepr=E4gt, von der Spannung
zwischen dem Verfahren der Politik und der politischen Sache, von der
Spannung zwischen den Prozeduren der Verortung und den Prozessen der
Entortung dessen, worin sich ein soziales Band herstellt. Dabei lassen
sich nicht nur verschiedene Techniken und Methoden zur Lokalisierung
und Festsetzung des Politischen erkennen, es scheint mir vielmehr und
das ist hier meine These - da=DF sich das Politische, von dem sich so
leichthin sprechen l=E4=DFt, im Diskurs der Politik vor allem als schwer
oder nicht Repr=E4sentierbares ausdruckt, da=DF es sich als schwer oder
nicht Verf=FCgbares artikuliert. Oder genauer - und das ist meine
eigentliche These: das Politische hat im Diskurs der Politik immer
wieder auf je unterschiedliche Weise die Form einer politischen
Antinomie angenommen, eine Form also, in der seine Verortung zugleich
zum Ort widerstreitender Gesetze wird und gerade darin ein Insistieren
des Politischen anzeigt. Lassen Sie mich diese eher abstrakt
formulierte These nun an einigen Beispielen genauer erkl=E4ren und
erl=E4utern.
1. Das erste Beispiel und die erste Antinomie dieser Art mochte ich
Antinomie der Gr=FCndung nennen, und ich rekurriere dabei auf allzu
bekannte und geradezu klassische Konzepte und Texte, die Ihnen sicher
gel=E4ufig sind. Es geht hier um eine Frage, die seit dem 17.
Jahrhundert so fundamental geworden ist und eine politische Theorie
regelrecht begr=FCndet hat, um die Frage nach dem Anfang, dem
Entstehungsort und nach dem Usprung eines dauerhaften, geordneten und
funktionierenden Gemeinwesens. Ich will mich hier nicht weiter auf die
notorischen Debatten um das Verh=E4ltnis zwischen Naturzustand und
Gesellschaftszustand einlassen, die das politische Denken des 17. und
18. Jahrhunderts so sehr durchdrungen, geteilt und sortiert haben; es
geht mir vielmehr um den Augenblick der Gr=FCndung selbst, um jenen
Augenblick und Ort, auf den aufgekl=E4rte Sozialvertragslehren den
Beginn und den Zusammenhalt der politischen Ordnung zur=FCckdatiert
haben. Sie erinnern sich vielleicht, wie Thomas Hobbes in seinem
Leviathan diesen herausragenden Moment des Beginns vom Staatswesen
beschreibt. Es hei=DFt dort: "Ich =FCbergebe mein Recht, mich selbst zu
beherrschen, diesem Menschen oder dieser Gesellschaft unter der
Bedingung, da=DF du ebenfalls dein Recht =FCber dich ihm oder ihr
abtrittst." Was hier ausgesprochen ist, betrifft den Abschlu=DF eines
ersten Vertrags, der von nun an die Folie zur Repr=E4sentation aller
politischen Verh=E4ltnisse wird: Wie jedes Individuum notwendig durch
ein anderes vertreten wird, so wird der Dritte, der Staat, "eines
jeden einzelnen Stellvertreter", dessen Handlungen man nun so
betrachten mu=DF, als habe man sie selbst getan. Immer ist in diesem
"als ob" des Vertrags oder Gesetzes der einzelne drei Personen
zugleich. Er wird zum B=FCrger und zum politischen Subjekt nur als
Stellvertreter der beiden anderen, oder umgekehrt: in jenen anderen
erkennt er zuschauend und findet eine Konstellation vor, in der die
Gemeinschaft als latenter Ausnahmezustand nach zwei verschiedenen
Seiten ausschlagen kann: zum Speicher aller Legimit=E4tsfragen, zur
Suspension geltender Macht, zur Figur einer permanenten Revolution und
idealen Form einer direkten Demokratie; und zum Modell einer
plebiszit=E4ren Erm=E4chtigung, die sich im Begriff der "Bewegung"
zusammenzieht und noch etwa Carl Schmitts Option f=FCr einen autorit=E4ren
Staat motiviert. Hier will ich nun zumindest folgendes festhalten:
Eine Politik des Vertrags und der Repr=E4sentation =F6ffnet zugleich eine
Kluft und ein Dazwischen, das in dieser Politik nicht repr=E4sentiert
werden kann, sondern blo=DF als radikale Nicht-ldentit=E4t und
Verschiebung erscheint: als jener Abstand eines Volks, einer
Gemeinschaft, einer Versammlung zu sich selbst, der im Akt der
Gr=FCndung und des Zusammenschlusses getilgt und =FCberbr=FCckt werden soll
und doch immer wieder nur zum Ort oder Nicht-Ort einer Un-Einheit und
Heterogenit=E4t zur=FCckf=FChrt. Wahrend eine Politik des
Gesellschaftsvertrags an der Transparenz der Verh=E4ltnisse und an der
Ortbestimmung der politischen Subjekte arbeitet, macht sich das
Politische dieser Politik im Zerfall jenes ersten Datums und in der
Aufl=F6sung und Verschiebung eines urspr=FCnglichen Orts f=FCr diesen
Zusammenschlu=DF bemerkbar und erinnert daran, da=DF die Gr=FCndung nicht
ein f=FCr allemal abgeschlossen ist; sie erinnert daran, da=DF das
Gemeinsame und die Einheit der Vielen weder urspr=FCnglich noch
gegenw=E4rtig, sondern stets verschoben, aufgeschoben und vertagt ist.
Dies waren nicht nur - soviel sei hier wenigstens angemerkt - die
Ausgangspunkte, von denen aus man die in sich zerfallende Logik von
Gr=FCndungsurkunden analysieren konnte: sei es Derrida am Beispiel der
amerikanischen Unabh=E4ngikeitserklarung; oder sei es Lyotard am
Beispiel der D=E9claracion von 1789. Auch die Debatte zwischen
Liberalismus und Kommunitarismus, die die transatlantischen
Feuilletons in den letzten zehn Jahren in Atem gehalten hat, scheint
mir um diese politische Antinomie herum aufgebaut zu sein, um eine
politische Antinomie, die kurz und schematisch gesagt in folgendem
besteht: Eine Gesellschaft kann gerecht sein nur in der Auflosung
naturw=FCchsiger Bindungen, nur im R=FCckgriff auf erste Einheiten und
Identifikationen aber erkennt sie das Residuum ihres Zusammenhalts.
Und das Politische daran w=E4re eben nichts anderes als das, was in der
Identit=E4t eines ersten Zusammenhalts ebenso wie in der Geschlossenheit
einer transparenten Repr=E4sentation - auf welche Weise auch immer -
insistiert.
2. Eine zweite politische Antinomie, die ebenso ihren historischen Ort
hat und noch wirkungsvoller in unsere Gegenwart hereinreicht, mochte
ich gerne Antinomie der Polizei oder Antinomie des Polizeilichen
nennen. Dabei handelt es sich um folgendes. Es ist n=E4mlich
bemerkenswert, wie sich seit dem 18. Jahrhundert das, was man
politischen K=F6rper nennt, auf eigent=FCmliche Weise verdoppelt hat. Auf
der einen Seite stehen die eben angedeuteten Fragen der politischen
Repr=E4sentation: Wie lassen sich die verstreuten Individuen als
politische Personen und Subjekte zu einer Ganzheit zusammenschlie=DFen?
Wie l=E4=DFt sich eine geregelte und verl=E4=DFliche Form der Gegenseitigke=
it
bilden? Wie l=E4=DFt sich die Legitimit=E4t einer Macht als Garantie,
Sicherheit und Schutz des b=FCrgerlichen Verkehrs begr=FCnden? Im Zentrum
st=FCnde hier also - wie bereits am Beispiel des Gesellschaftvertrags
angesprochen - die Rechtsf=F6rmigkeit souver=E4ner Gewalt, eine Frage, die
aus der Wechselseitigkeit von K=F6nigsmacht und Rechtsentwicklung seit
dem Mittelalter hervorgegangen ist. Es geht dabei um das Verh=E4ltnis
von Einzelwillen und Gemeinwillen, um die Abmessung staatlicher Gewalt
und individueller Freiheiten, um die Kodierung und Repr=E4sentation
dieser Spannungen in einem Rechtssystem. In dieser Hinsicht ist die
Souveranit=E4t zu einer Kernfrage von Recht und Macht in den
abendl=E4ndischen Gesellschaften geworden; gleichzeitig aber maskiert,
reduziert oder verdr=E4ngt dieser Gesetzesdiskurs - im Wechselspiel
zwischen Legalit=E4t und Legitimit=E4t - das Faktum der Herrschaft im
Innern der Macht. So la=DFt sich n=E4mlich auf der anderen Seite
beobachten, wie sich sp=E4testens seit Anfang des 18. Jahrhunderts eine
ganz andere Form zur Organisation und Durchdringung des sozialen und
politischen Felds herausbildet. Hier geht es nicht mehr um politische
Subjekte und Rechtspersonen, sondern um lebende Individuen und
Bev=F6lkerungen; nicht mehr um Rechtsverh=E4ltnisse, sondern um
Leidenschaften, Interessen und Verhaltensweisen; nicht mehr um
politische Repr=E4sentation, sondern um die Steuerung von
Lebensituationen, von biologischen, medizinischen, sozialen,
=F6konomischen oder moralischen Milieus, nicht mehr um die Lokalisierung
einer politischen Gr=FCndung, sondern um das Lokal einer politischen
Steuerung. Es hat sich in fast allen europ=E4ischen Staaten seit Ende
des 17. Jahrhunderts ein neuer Gegenstandsbereich des Politischen
herausgebildet, der ein komplexes Verh=E4ltnis von Territorien,
Bev=F6lkerungen und G=FCtern umfa=DFt und Interventionen unterhalb des
Rechts und der Gesetze einschlie=DFt. Das 'Politische' ist hier nicht
mehr an die Reichweite des Vertraglichen und der rechtsf=F6rmigen
Repr=E4sentation gebunden, es entwirft sich vielmehr als ein Kr=E4ftefeld,
das andere Beschreibungs- und Aktionsformen politischer Macht
provoziert: eine politische =D6konomie, eine Bev=F6lkerungspolitik, eine
Gesundheitspolitik, eine Biopolitik usw. Es wird damit ein besonderes
Regierungswissen erzeugt, das im 18. Jahrhundert den Titel 'Policey'
bekommen hat und sich als Organ einer umfassenden politischen Sorge
auf die Gesamtheit des physischen und moralischen Staatslebens
bezieht. Diese Policey - so lautet es in zeitgen=F6ssischen Definitionen
- ist die Erkenntnis, wie ein gegebener Zustand des Gemeinwesens
erhalten, gehoben und verbessert werden kann; sie verzeichnet die
Mittel zur Bewahrung und Mehrung der "physischen und moralischen
Kr=E4fte" eines Landes; und sie ist schlie=DFlich die Menge der aktuellen
Ma=DFahmen, die ergriffen werden m=FCssen, um das "gesamte Verm=F6gen des
Staates durch gute innerliche Verfassungen zu erhalten und zu
vergr=F6=DFern und der Republik alle innerliche Macht und Starke zu
verleihen, deren sie nach ihrer Beschaffenheit nur immer f=E4hig ist".
Die Policey bezieht sich also - kurz gesagt - auf die Forderung der
individuellen und allgemeinen Wohlfahrt zur St=E4rkung des Staats
=FCberhaupt und nimmt dabei eine minuti=F6se Anordnung und Verteilung von
K=F6rpern, F=E4higkeiten und Qualit=E4ten vor. - Gerade diese Verdoppelung
des politischen K=F6rpers zwischen Vertragstheorie und Policey l=E4=DFt sic=
h
nun ebenfalls als eine spezifische Antinomie des Politischen
begreifen, in der blo=DFe Steuerungsregeln und Rechtss=E4tze miteinander
um die Definitionsmacht politischer Regierung konkurrieren, einander
ausschlie=DFen, =FCberschneiden, verzahnen oder wechselseitig verst=E4rken.
Das Netz =F6konomischer und polizeilicher Regierungstechniken einerseits
und das Gesetz der Souveranit=E4t andererseits sind von nun an die
beiden =E4u=DFeren Grenzen der Macht und begr=FCnden das
"Wohlfahrtsstaat-Problem" moderner Gesellschaften - wie Michel
Foucault das einmal genannt hat -, ein Problem, das eine feine
Abstimmung zwischen der auf Rechtssubjekte ausge=FCbten politischen
Macht und der auf lebendige Individuen bezogenen Disziplinarmacht
verlangt: Die Grenze der polizeilichen Regulierung liegt im Recht,
dessen Geltung selbst wiederum mit dem Appell an feinere
Kontrollmechanismen begrenzt wird. Man konnte also sagen: Die
politische Vernunft und das Politische sind hier in einen Engpa=DF, in
eine Falle zwischen Normen und Disziplinen einerseits und
Gesetzesmacht andererseits geraten; es haben sich unterschiedliche
Formen der Ordnung und Ortung des Politischen ergeben, die sich hier
zu einer Art ausweglosen Zusammenarbeit verbunden haben. So sehr
einander die S=E4tze des Rechts und die Festsetzungen der Polizei
auszuschlie=DFen scheinen, so sehr bestimmen sie eine Politik, die hier
eine wechselseitige Einweisung des Politischen vollzieht. Michel
Foucault - dies sei hier wenigstens angedeutet - hat das nicht zuletzt
als Schwierigkeit beschrieben, das Politische noch in Begriffen der
Emanzipation und Befreiung denken zu k=F6nnen. Etwa am Beispiel der
Sexualit=E4t: diese ist aus einem 'policeylichen' Kontroll- und
Disziplinarwissen vom Anfang des 19. Jahrhunderts hervorgegangen, und
jede Berufung auf die Sexualit=E4t gegen die Schranken des Gesetzes
lauft Gefahr, die Effekte jenes Disziplinarwissens zu starken. Oder
umgekehrt: So mag es etwa, schreibt Foucault, die "politische Ehre der
Psychoanalyse" ausmachen, da=DF sie der Expansion der Bio-Macht, der
allt=E4glichen Verwaltung und Kontrolle der Sexualit=E4t entgegenstand und
sich noch in "theoretischer und praktischer Gegnerschaft zum
Faschismus" befand, und zwar gerade dadurch, da=DF sie Gesetz und
Souver=E4nit=E4t von neuem ins Spiel brachte und die Sexualit=E4t unter die
symbolische Ordnung, den Vater-Souver=E4n, zur=FCckholte. In diesem
Ausgreifen auf Geschichtslosigkeit aber bleibt sie zugleich in ihrer
eigenen Geschichte gefangen, in der Normierungsmacht der Sexualit=E4t,
deren Wahrheit - die Wahrheit der auf ihren Sex verpflichteten
Individuen - sie nur wiederholen kann. Und das fuhrt schlie=DFlich zu
den Fragen: Weist nicht dieses moderne Zusammenspiel zwischen
juridischer Idealit=E4t und Normierungsmacht auf die Unm=F6glichkeit, sich
auf die eine Seite gegen die andere zu berufen? Und mu=DFte man nicht in
Richtung eines Politischen denken, das anti-polizeilich und zugleich
losgel=F6st von den Garantien des Rechts und der Souver=E4nit=E4t w=E4re?
Lassen Sie mich noch einmal wiederholen. Ich bin - am Beispiel der
r=F6mischen Sage vom Auszug der Plebejer und der =DCberzeugungskraft des
Menenius Agrippa, der das ortlos gewordene Volk zur=FCckholt - ich bin
also hier von der Unterscheidung zwischen der Politik und dem
Politischen ausgegangen, w=E4hrend das Politische eine grundlegende
Entortung und einen riskanten Augenblick des staatlichen Wesen
bedeutet, stellt die Politik als Topik und Topologie den politischen
K=F6rper wiederum her: durch Gliederung, Verortung und Platzanweisung.
Diese Differenzierung f=FChrte mich zur These, da=DF seit dem Beginn einer
neuzeitlichen Politik und einer politischen Theorie das sogenannte
Politische stets vom Verschwinden bedroht ist und insbesondere als
Antinomie, als Widerstreit von Gesetzen insistiert. Sei es in der
Gr=FCndungsszene und im Urvertrag als Quelle von Legitimit=E4t, der einen
nicht-repr=E4sentierbaren Abstand des Volks zu sich selbst enth=E4lt; sei
es in der Policey als feinmechanische Regierungstechnik, die einen
kontinuierlichen Wechselverweis zwischen Rechtsordnung und
Kontrollpraxis provoziert - in beiden Fallen vollzieht sich Politik
als best=E4ndiges Vergessen jenes Politischen, das zu jeder Figur des
politischen K=F6rpers den Anspruch seiner Defiguration und zu jeder
politischen Ortung ein Ausstreichen dieses Orts hinzuf=FCgen wurde. Die
Liste der Fragen lie=DFe sich sicher verl=E4ngern: Wie steht es etwa mit
einer Politik, wenn man das Politische im Raum der =D6ffentlichkeit (wie
Habermas) oder in der Dezision der Feindschaft (wie Carl Schmitt)
lokalisiert? Und wie steht es um die vielleicht aktuellste politische
Antinomie, die zwischen den selbstregulierenden Prozessen einer
globalen =D6konomie und der festen F=FCgung der Nationalstaaten zu
bestehen scheint, eine Antinomie, die den gro=DFen Beitrag eben dieser
Nationalstaaten zur weltweiten Zirkulation des Kapitals vergessen
macht?
Ich will diese Fragen allerdings beiseite lassen und nun zum Schlu=DF
das Problem noch einmal etwas anders stellen. Ist es wirklich
gerechtfertigt, heute vom Verschwinden des Politischen zu sprechen?
G=E4be es f=FCr das Verschwinden des Politischen heute einen
exemplarischen und privilegierten Schauplatz? Oder anders herum: Gibt
es einen Schauplatz, der gerade erst durch die Freisetzung des
Politischen, der politischen Frage seine h=F6chste Sichtbarkeit und
Sch=E4rfe erhalten w=FCrde? der die Politik als Annullierung des
Politischen sichtbar machen konnte? Wo also vollzieht die Politik eine
Delegierung, eine Einweisung und Gefangennahme des Politischen, in der
dessen Insistieren noch sp=FCrbar w=E4re? Und wo l=E4=DFt sich in der Polit=
ik
der Gegenwart dieses Asyl des Politischen erkennen?
Ich habe Ihnen hiermit meine Antwort bereits souffliert und nehme sie
vorweg: Ein exemplarischer Ort der Gefangenschaft des Politischen, ein
exemplarisches Asyl des Politischen scheint mir heute vor allem im Ort
des politischen Asyls selbst zu liegen. Lassen sie mich nun, bevor ich
eine Erkl=E4rung dieser Antwort versuche, einige Bemerkungen zum Begriff
des Asyls und zu seiner Geschichte machen. 1. "Asyl" hei=DFt im
Lateinischen "asylum", im Griechischen "asylon" und war dort, im alten
Griechisch, von seinem Gegenbegriff abgeleitet: n=E4mlich "sylon", d.h.
Raub, Beraubung, Pl=FCnderung. "Asylos" bedeutet dementsprechend das
Gegenteil von Beraubtsein, und das hei=DFt: unberaubt, sicher,
unverletzt und unverletzlich zu sein. Und entsprechend ist "Asylon"
eine Freistatt und Zufluchtst=E4tte - ein Ort also, der im heutigen Asyl
nat=FCrlich noch mitklingt, in der Antike aber eine ganz besondere
politische, rechtliche und soziale Pr=E4gung erfahren hatte. Denn Asylon
war in der griechischen Antike nicht nur jedes Heiligtum
einschlie=DFlich seines Zubeh=F6rs an Altaren, G=F6tterbildern und
Kostbarkeiten; es waren dort nicht nur - zum Schutz gegen Feinde -
Staatssch=E4tze und Verm=F6genswerte untergebracht; es konnte darum nicht
nur zum Zufluchtsort f=FCr Verfolgte und Bedr=E4ngte, sogar f=FCr Sklaven
und Verbrecher werden; es war nicht nur ein Ort der prinzipiellen
Unantastbarkeit. Es galt vielmehr umgekehrt, da=DF jeder, der diesen Ort
der Unantastbarkeit verletzte - und sei es, da=DF man einen Verbrecher
zur Bestrafung von dort hervorholte - sich selbst antastbar machte und
einen Frevel beging, den die Gesetze, zumindest aber die G=F6tter hart
bestraften. Man konnte in diesem Asyl also das erkennen, was man heute
einen rechtsfreien Raum nennt; aber es war in Wirklichkeit noch sehr
viel mehr. Es war vor allem ein Ort der Aussetzung und Annullierung
des Rechts; es war darum ein Raum, in dem es prinzipiell keinen
Mi=DFbrauch gab und in dem Gerechte und Ungerechte gleicherma=DFen
Aufenthalt fanden; es war ein Ort, an dem man nicht durch das Gesetz,
sondern bestenfalls per Gesetz vor den Gesetz gesch=FCtzt war; und das
Asyl war demnach ein Aufenthalt, an dem sich nicht einfach
verschiedene Sozialarten, B=FCrger, Unfreie, Kriminelle und Verfolgte
versammelten, es war vielmehr ein Ort, an dem zun=E4chst alle diese
Markierungen aufgehoben waren, ein Ort der Demarkierung und
Demarkation also, ein Ort der Abtrennung, eine Ortschaft, die nichts
mit anderen Orten gemeinsam hat. So konnte man sich in sp=E4terer Zeit
dar=FCber beklagen, da=DF diese Asylst=E4tten zu Sammelpl=E4tzen von
"liederlichem Gesindel", meuternden Sklaven und insolventen Schuldnern
etwa geworden waren - wesentlich aber scheint mir hier vor allem
folgendes zu sein: was sich im Asyl versammelte, war kein Volk, es
waren keine durch Stand oder Gesetz markierte Individuen, sondern eine
Art deterritorialisierter Menge und Masse. Folgende Merkmale dieses
antiken Asyls wurde ich hier also gerne festhalten: Erstens ist es ein
Ort, an dem man nicht belangt werden kann, es ist ein Ort ohne Belang
und in dieser Hinsicht, was seine Lage in der Polis und in der Politik
der Polis betrifft, ein Atopos, ein Nicht-Ort, ein Ort der
Nicht-Zugeh=F6rigkeit: man befindet sich hier, weil man dort, wo man
ist, nicht hingeh=F6rt; es enth=E4lt zweitens nicht eine wie auch immer
geordnete Versammlung von B=FCrgern oder Verbrechern, sondern eine
unmarkierte Ansammlung von Leuten, einen plethos der sich stets
au=DFerhalb des demos d.h. eines zur und f=FCr die Politik zug=E4nglichen
Volks befindet; und das Asyl ist darum drittens nicht zuletzt eine
bedrohliche Grenze der Politik, des Rechts und der Institutionen -
nicht von ungef=E4hr bem=FChte man sich schon bald um rechtliche
Garantien, Definitionen und Beschr=E4nkungen f=FCr die Asylst=E4tten. Dabei
ist es nicht zu =FCbersehen, da=DF es gerade von diesem Nicht-Ort aus
durchaus =DCberg=E4nge - wenn nicht sogar entscheidende =DCberg=E4nge - zum
Gemeinwesen gab. Dies zumindest l=E4=DFt sich wiederum an einer Sage
erkennen, an einer anderen r=F6mischen Sage, die durchaus eine gewisse
N=E4he zur Sage des Menenius Agrippa besitzt. Es handelt sich hier um
die Sage von der Entstehung Roms. Denn nachdem Romulus den Remus
erschlagen hatte und zur Gr=FCndung der Stadt geschritten war, =F6ffnet er
auf dem Kapitol wiederum ein heiliger Berg - ein Asyl f=FCr Vertriebene
und Verfolgte, Heimatlose und Landfl=FCchtige, aus denen dann das
r=F6mische Volk entstehen sollte. Nun erscheint es bemerkenswert, da=DF
man sich nicht nur immer wieder auf das blo=DF Sagenhafte dieser
Geschichte berief, sondern da=DF man in dieser Erz=E4hlung auch einen
signifikanten Widerstreit erkennen wollte: Konnte es m=F6glich sein, da=DF
am Anfang des gro=DFen Roms und am Anfang seines Rechts und seiner
Institutionen ein gesetzloser Ort und Ort der Gesetzlosen bestand?
Konnte es m=F6glich sein, da=DF die r=F6mische Staatsgr=FCndung nicht auf
einen geordneten Verband, sondern auf "zusammengelaufenes Gesindel",
wie es bei Livius hei=DFt, zur=FCckging? Konnte es m=F6glich sein, da=DF mi=
t
allen Unterschieden, die die Gr=FCndung, die Politik, das Recht und der
Staat machen, eine Unterschiedlosigkeit einherging, ein "sine
discrimine", wie es ebenfalls bei Livius hei=DFt? Es scheint jedenfalls,
als ginge es in den verschiedensten Interpretationen dieser
Gr=FCndungsgeschichte immer wieder um das bereits benannte Problem: Wie
verhalt sich eine Politik der Gr=FCndung, der Ortung und Ordnung zu
einem Politischen, das hier ebenso wie in der Erz=E4hlung von Menenius
Agrippa mit der Undiskriminiertheit und Ortlosigkeit einer blo=DFen und
deterritorialisierten Menge verbunden ist? 2. Gerade seit dem 19.
Jahrhundert scheint man das Politische dieses Asyls als einen gewissen
Vorwurf und Skandal begriffen zu haben. So sehr n=E4mlich dieses Asyl
eine Grenze der Politik markiert hat und die Spannung zwischen
ungeordneter Masse und geordnetem Volk, zwischen Verortung und
Entortung umschlie=DFt, so sehr galt es nun als abgemacht, da=DF diese
Gestalt des Asyls als Unort, als Ansammlung von unterschiedslos
Gleichen und als Annullierung des Gesetzes in einer fundamentalen
Feindschaft zum eingerichteten Staatswesen stehen mu=DF. Und sp=E4testens
seit dem 19. Jahrhundert l=E4=DFt sich demnach ein doppeltes Verschwinden
des Asyls konstatieren. Denn einerseits haben nun staatliche Macht und
Rechtsstaat einen Raum erzeugt, der keinen undiskriminierten Ort mehr
kennt und konzediert, Staat und Recht haben gewisserma=DFen die Sache
und den Begriff des Asyls absorbiert und kassiert. Ich zitiere aus
einer Studie zur Geschichte des Asylrechts von 1853: "Der Staat hat
nach Gelangung zur Kraft, durch die er dem Ungl=FCcklichen Schutz, und
dem Verletzer Strafe nach der Ordnung seiner Gesetze angedeihen l=E4=DFt,
die Macht des Asylrechts gebrochen. Er selbst ist jetzt das Asyl, aber
nicht der willk=FCrlich, sondern der, nach feststehenden Gesetzen
gehandhabten, Aus=FCbung des Rechts. In seinem Asyl wird das Recht ge=FCbt
und der Mi=DFbrauch des Rechts geahndet." Das ist die eine Seite: die
Ersetzung des Unorts des Asyls durch den l=FCckenlosen Geltungsraum des
Gesetzes. Die andere Seite - und das ist eine ebenso wesentliche
Ver=E4nderung - betrifft den Begriff des Asyls selbst: Er bedeutet
jetzt, seit sp=E4testens Anfang des 19. Jahrhunderts, nicht mehr allein
Zufluchtsst=E4tte, sondern ist nun =FCberdies zum Namen f=FCr einen Ort der
Einsperrung geworden - das Asyl als Heim, als Unterkunft f=FCr
Bed=FCrftige, als Irrenanstalt und Ort der Disziplinierung. Vom Ort oder
Nicht-Ort der Unterschiedslosigkeit, der einst das Gesetz anhalten
lie=DF, ist also das Asyl hier zu einem exemplarischen Ort der
Diskriminierung geworden, in dem zwar nicht unbedingt das Gesetz, aber
eine polizeiliche Sorge waltet. 3. Diese beiden Seiten geh=F6ren
zusammen und lassen sich als eine Reduktion begr=FCndeter Ortlosigkeit
begreifen: einerseits mit dem =DCberschreiben undiskriminierter
Leestellen durch die diskriminierende Schrift des Rechts; andererseits
durch eine Umwandlung von Zufluchtsst=E4tten und Enklaven, die nun zu
Orten der Einsperrung, Verwaltung und disziplin=E4ren Durchdringung
geworden sind. Es ist also nur konsequent, wenn auch im 20.
Jahrhundert und insbesondere nach 1945 das Asyl und das Asylrecht
nicht nur als prinzipiell rechtsfeindlich angesprochen, sondern zudem
in eine Vorvergangenheit moderner Staaten zur=FCckverlegt werden. "Die
Bedeutung des Asylrechts", hei=DFt es etwa in einer Studie von 1954,
"liegt in einer Zeit unentwickelter Rechtsverhaltnisse." Und in einer
anderen Darstellung: "Der Rechtsstaat kann keine exemten, seinem
Zugriff entzogenen Bereiche dulden." Umso bemerkenswerter mochte die
b=FCndige Formulierung von Artikel 16, Satz 2 aus dem Grundgesetz
erscheinen, die Sie alle kennen und die seit zwanzig Jahren Gegenstand
der Auseinandersetzung ist: "Politisch Verfolgte genie=DFen Asylrecht."
Bemerkenswert ist diese Satz nicht nur, weil er weder in der Weimarer
Verfassung noch in der Verfassung des Kaiserreichs ein Gegenst=FCck
hatte; bemerkenswert ist er nicht nur, weil er den Text des
Grundgesetzes zugleich als Resultat und Ort einer historischen
Erfahrung der Verfolgung kennzeichnet. Es ist vielmehr mit diesem Satz
an eminenter Stelle der Term 'Politisch' eingef=FChrt, der ganz
konsequent einen Unort des Politischen im befriedeten Ort des Gesetzes
ge=F6ffnet hat. Ich will hier nicht weiter auf die umfangreichen
juristischen und politischen Debatten um dieses Grundrecht auf Asyl
eingehen, sondern zumindest folgendes festhalten: Die =C4nderungen, die
mit Geltung vom 1. Juli 1993 in den Artikel 16 des Grundgesetzes
eingef=FChrt wurden, scheinen mir nicht zuletzt von einer Logik gepr=E4gt
zu sein, die eine doppelte Ausl=F6schung dieses 'Politischen' betreibt:
einerseits wird nun, mit der sogenannten Drittstaatenregelung, die.
Entscheidung =FCber das 'Politische' im Begriff der politischen
Verfolgung aus dem Territorium und Geltungsbereich des Grundgesetzes
herausgehoben und gewisserma=DFen aus seinem Inneren weggeschafft; und
das Politische und die politische Verfolgung werden nun einem
Beglaubigungsverfahren unterworfen, dessen Kriterien gesetzlich
definiert und verortet sind: "Durch Gesetz", hei=DFt es hier, "k=F6nnen
Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der
Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verh=E4ltnisse
gew=E4hrleistet erscheint, da=DF dort weder politische Verfolgung noch
unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung
stattfindet." Andererseits und im selben Zug wird damit der
verwaltungstechnische und polizeiliche Weg gest=E4rkt, eine St=E4rkung,
die zu den bekannten Formen der Asylierung gef=FChrt hat:
Gemeinschaftsunterk=FCnfte, Flughafenregelung, Abschiebehaft. Kann man
tats=E4chlich den indefiniten Begriff der 'politischen Verfolgung' im
Artikel 16 der Verfassung als ein Insistieren des Politischen im
Geltungsraum des Gesetzes begreifen, so hat mit der
Verfassungs=E4nderung schlie=DFlich eine Politik gesiegt, die erfolgreich
den Widerstreit des Politischen in einen Konflikt zwischen Gesetz und
Verwaltungspraxis, Gericht und Polizei verwandelt hat.
Lassen Sie mich zum Schlu=DF kommen. Ich habe versucht, eine
grundlegende Unterscheidung zwischen der Politik und dem Politischen
zu benennen: die Politik als Praxis der Aufteilung, Distribution und
Verortung, als Zuweisung von Zust=E4ndigkeiten; das Politische aber als
fundamentale Ortverschiebung und Entortung, als Erzeugung von R=E4umen
der Nicht-Zugeh=F6rigkeit und Nicht-Zust=E4ndigkeit. Aus dieser
Perspektive bin ich schlie=DFlich auf die Frage des Asyls gekommen, auf
ein Asyl, dessen Geschichte auf jenen exempten Ort zur=FCckf=FChrt, der
die Frage nach der Grenze des Gesetzes, des Rechts, der Verwaltung
aufwirft und somit von einem Insistieren der politischen Frage zeugt.
Entsprechend wollte ich mit dem prinzipiellen Verschwinden des Asyls
in modernen Staats- und Rechtssystemen auch ein Verschwinden des
Politischen erkennen. Aus diesem Grund schien mir die Asylgarantie des
Grundgesetzes ein paradoxes und darum nur umso wichtigeres Datum zu
sein: als =D6ffnung eines Atopos im Innern der Topologie des Gesetzes.
Und auch aus diesem Grund schien mir die Politik, die zur
Verfassungs=E4nderung gef=FChrt hat, so ruin=F6s zu sein: als eine Politik,
die die Frage des politischen Asyls zu einem Asyl des Politischen
gewendet hat, zu einer Asylierung, die die offene Frage nach Ort und
Zugeh=F6rigkeit zum Schweigen bringt an das Wechselverh=E4ltnis von Recht
und Polizei delegiert. "Die politische Aktivit=E4t", schrieb der
franz=F6sische Philosoph Jacques Ranci=E9re, "trennt einen K=F6rper von dem
Platz, der ihm zugewiesen war, oder =E4ndert die Bestimmung eines Ortes;
sie l=E4=DFt sehen, was keinen Ort hatte, an dem es gesehen werden konnte,
l=E4=DFt etwas als Rede h=F6ren, was vorher lediglich als Ger=E4usch zu h=
=F6ren
war.'' Jedenfalls m=F6chte man nicht aufh=F6ren zu glauben, da=DF dieses
Politische weiterhin insistiert, und da=DF es gerade mit Berufung auf
den Nicht-Ort des Asyls auch weiterhin irgendeinen Sinn machen konnte,
dort zu sein, wo man nicht hingeh=F6rt, und dort zu reden, wo man nicht
gefragt wird.
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