[rohrpost] <nettime> Zizek on Haider [in German]
Andreas Broeckmann
Andreas Broeckmann <abroeck@v2.nl>
Thu, 10 Feb 2000 10:34:45 +0200
Die freie Wahl zwischen blauen und roten T=B8tchen
Warum wir es lieben, Haider zu hassen / Von Slavoj Zizek
Die Regierungsbeteiligung von J=96rg Haiders FP=F7 hat im gesamten Spektrum =
des
"legitimen demokratischen" politischen Blocks Entsetzen ausgel=96st: von
sozialdemokratischen Linken bis zu christlich Konservativen, von Chirac bis
Clinton - von Israel mal ganz zu schweigen - haben alle ihre "Besorgnis
ausgedr=B8ckt. Und viele haben angek=B8ndigt, als zumindest symbolische
Ma=FEnahme =F7sterreich unter diplomatische Quarant=94ne zu stellen, bis die=
se
Seuche verschwunden ist oder sich als einigerma=FEen ungef=94hrlich
herausgestellt hat.
Manch ein Kommentator sieht in diesem Entsetzen den Beweis daf=B8r, wie star=
k
der antifaschistisch-demokratische Grundkonsens nach dem Zweiten Weltkrieg
in Europa noch ist. Doch ist das wirklich so eindeutig? Zun=94chst einmal mu=
ss
man sich in Erinnerung rufen, dass die tonangebende demokratische Politik
einen gut versteckten, dabei aber eindeutig erleichterten Seufzer ausstie=FE=
,
als sich vor einem Jahrzehnt die rechtspopulistischen Parteien in Europa
ernsthaft bemerkbar machten. Die Botschaft dieser Erleichterung: Endlich
gibt es einen Feind, den wir gemeinsam so richtig hassen k=96nnen; den wir
opfern, ja exkommunizieren k=96nnen, um unseren demokratischen Konsens zu
demonstrieren! Diese Erleichterung muss vor dem Hintergrund dessen
interpretiert werden, was gew=96hnlich der aufkommende "post-politische
Konsens" genannt wird.
Das Zweiparteiensystem, die vorherrschende politische Ordnung der
post-politischen =9Fra, t=94uscht eine Wahlm=96glichkeit vor, die es im=
Grunde gar
nicht gibt. Beide Seiten n=94hern sich in ihrer Wirtschaftspolitik einander
an - man denke an Clintons und Blairs Aufwertung "straffer Finanzpolitik
zum Leitsatz der modernen Linken: Eine straffe Finanzpolitik f=96rdere das
Wirtschaftswachstum, und dieses Wachstum erlaube es, eine aktivere
Sozialpolitik zu betreiben im Kampf f=B8r eine verbesserte soziale
Absicherung, bessere Ausbildung, ein besseres Gesundheitswesen . . . So
reduziert sich der Unterschied zwischen beiden Parteien letztlich auf ihre
Haltung bei Kulturfragen: multikulturelle, sexuelle und sonstige "Offenheit
steht gegen traditionelle "Familienwerte".
Bezeichnenderweise ist es die rechte Option, die anspricht und zu
mobilisieren versucht, was auch immer =B8brig geblieben ist vom Mainstream d=
er
Arbeiterklasse in den westlichen Gesellschaften - w=94hrend die
multikulturelle Toleranz zum Motto der frisch privilegierten "symbolischen
Klassen" wird (Journalisten, Akademiker, Manager . . .). Politische
Wahlm=96glichkeiten solcher Art - etwa zwischen Sozialdemokraten und
Christdemokraten in Deutschland, zwischen Demokraten und Republikanern in
den USA - m=B8ssen uns ja geradezu an jenes Dilemma erinnern, vor dem wir
stehen, wenn wir im Caf=C8 nach S=B8=FEstoff fragen: =D0berall k=96nnen wir =
zwischen
Natreen und Saccharin w=94hlen, zwischen blauen und roten T=B8tchen, und fas=
t
jeder hat die eine oder andere Vorliebe; und =B8berall betont dieses
l=94cherliche Festhalten an der eigenen Vorliebe nur die v=96llige
Bedeutungslosigkeit der Alternative.
Und gilt nicht dasselbe bei Talkshows, in denen die "Freiheit der Wahl" nur
eine Wahl bedeutet zwischen Beckmann und Biolek? Oder bei Softdrinks: Coke
oder lieber Pepsi? Es ist allgemein bekannt, dass der Knopf "T=B8re schlie=
=FEen
in den meisten Aufz=B8gen ein funktionsloses Placebo ist; dass er uns nur d=
as
Gef=B8hl geben soll, wir k=96nnten irgendwie zur "Beschleunigung" der Fahrt
beitragen. Doch dr=B8cken wir diesen Knopf, schlie=FEt sich die T=B8r ebenso
schnell, als wenn wir nur den Etagenknopf dr=B8cken w=B8rden. Dieser Extremf=
all
einer vorget=94uschten Mitbestimmung ist die passende Metapher f=B8r die
Mitbestimmung des Einzelnen in unserem "postmodernen" politischen Prozess.
Was uns wieder zu Haider bringt: Die einzige politische Kraft von Gewicht,
mit welcher "Wir" antagonistisch auf "Die" erwidern, sind die neue
populistischen Rechten - Haider in =F7sterreich, Le Pen in Frankreich, die
Republikaner in Deutschland, Buchanan in den USA. Doch genau darum spielen
diese Figuren eine Schl=B8sselrolle: Sie sind die Ausgeschlossenen, die gera=
de
durch diesen Ausschluss (n=94mlich ihre Nichtakzeptierbarkeit als
Regierungspartei) die liberale Hegemonie negativ legitimieren, indem sie als
Beweis f=B8r deren "demokratische" Haltung dienen. Und so verdr=94ngt ihre
Existenz den wahren Kern der politischen Auseinandersetzung, der nat=B8rlich
das Ersticken jeder radikal linken Alternative ist; und ersetzt diesen durch
die "Solidarit=94t" des gesamten "demokratischen" Blockes gegen die Gefahr
durch rassistische Neonazis und andere.
Darin letztlich beweist sich heute die liberaldemokratische Vorherrschaft,
welche durch den sozialdemokratischen "Dritten Weg" vollendet wurde. Genau
genommen ist der "Dritte Weg" eine Sozialdemokratie unter der Hegemonie des
liberaldemokratischen Kapitalismus - ihr fehlt der subversive Stachel und
selbst die letzte Referenz auf Antikapitalismus und Klassenkampf.
Entscheidend ist: Die neuen Rechtspopulisten stellen heute die einzige
"ernste" politische Kraft dar, welche die Menschen mit antikapitalistischer
Rhetorik ansprechen, wenn diese auch nationalistisch, rassistisch oder
religi=96s verbr=94mt wird. Auf einem Kongress des Front National stellte Le=
Pen
vor ein paar Jahren einen Algerier, einen Afrikaner und einen Juden auf das
Podium, umarmte sie und sagte zum Publikum: "Sie sind nicht weniger
=46ranzosen als ich - die Repr=94sentanten des multinationalen Gro=FEkapital=
s sind
es, die ihre Pflicht gegen=B8ber Frankreich vergessen, die die wahre Gefahr
f=B8r unsere Identit=94t sind!" So heuchlerisch solche Erkl=94rungen auch si=
nd,
zeigen sie dennoch, wie sich die populistische Rechte auf genau dem Terrain
ausbreitet, das von der "Linken" aufgegeben wurde.
Hier spielt die liberaldemokratische Neue Mitte ein doppeltes Spiel: Sie
setzt uns rechtslastige Populisten als gemeinsamen wahren Feind vor, w=94hre=
nd
sie in Wirklichkeit die Panik gegen=B8ber der Rechten sch=B8rt, um das
"demokratische" Feld zu beherrschen; um ihr Terrain abzustecken und um ihre
radikalen Gegner auf der linken Seite f=B8r sich zu gewinnen und zu
disziplinieren. Aber durch Ereignisse wie die Regierungsbeteiligung der
Haider-Partei (die, das sollten wir nicht vergessen, vor ein paar Jahren
einen Vorl=94ufer hatte: in Italien bildete Berlusconi seine Regierung mit
=46inis neofaschistischer Alleanza Nazionale) - durch solche Ereignisse erh=
=94lt
die neue Mitte ihre eigene Botschaft in umgekehrter - und wahrer - Gestalt
zur=B8ck. Die Regierungsbeteiligung der extremen Rechten ist der Preis, den
die politische Linke zahlt, weil sie ihrem gro=FEen politischen Projekt
abgeschworen hat - weil sie den entfesselten Kapitalismus des Marktes als
"the only game in town" akzeptiert hat.
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