[rohrpost] kleines s

florian schneider florian schneider <fls@kein.org>
Fri, 18 Feb 2000 22:59:37 +0100


KLEINES S UND GROSSES BUSINESS

guten abend,

das ist die nicht verstuemmelte fassung eines textes, der
morgen in der sueddeutschen zeitung erschienen sein wird.
hab das auch gerade erst mit entsetzen aus dem netz gezogen.
so sind sie eben, die buergerlichen/offline-medien...

/fls

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Das Datum k=F6nnte schon bald als Feiertag in die Kalender des digitalen
Zeitalters eingehen. Am 12. Februar, gab der Registrierungsservice
"Network Solutions" (NSI) den wochenlang umstrittenen Domain-Namen
"etoy.com" seinen Besitzern zur=FCck. Sang- und klanglos mu=DFte das
US-amerikanische Internet-Unternehmen Etoys, spezialisiert auf den
Versand von online bestelltem Spielzeug, seinen Kampf gegen eine kleine,
internationale K=FCnstlergruppe namens "etoy" aufgeben. Der drittgr=F6=DF=
te
Internet-H=E4ndler mit der Webadresse "www.etoys.com" hatte auf
juristischem Wege versucht, die benachbarte Domain-Registrierung
"etoy.com" unter seine Kontrolle zu bringen. Sieben Wochen lang tobte
eine =DCbernahmeschlacht im Netz, deren Ausgang das Lamento von der
v=F6lligen Kommerzialisierung des Cyberspace zumindest ein klein wenig
korrigieren k=F6nnte: Eine beispiellose Kampagne von K=FCnstlern,
Publizisten und Aktivisten zwang den an der Technologieb=F6rse NASDAQ
gelisteten Konzern seine an sich recht absurd anmutende, aber zun=E4chst
erfolgreiche Klage vor einem kalifornischen Gericht schlu=DFendlich falle=
n
zu lassen.=20

Ende gut, alles gut? Nicht zuletzt vor dem Hintergund der vielzitierten
"Hackerangriffe" gegen die Portale kommerzieller Anbieter lohnt sich ein
zweiter Blick; denn bei der bislang heftigsten Auseinandersetzung um das
kommerziell kostbarste Gut im Internet, den unverwechselbaren Eigennamen
angesichts einer leicht verwechselbaren Identit=E4t ging es noch um viel
mehr als nur das kleine "s". Die Kraftprobe der Netzaktivisten mit dem
schier =FCberm=E4chtigen Feind sollte zuerst einmal eines unter Beweis
stellen: Die kommerziellen Anbieter k=F6nnen sich in ihrem
b=F6rsenfinanzierten Goldrausch nicht alles erlauben und parvenuehaft =FC=
ber
eine in Jahren gewachsene Netzkultur hinwegtrampeln, deren Pioniere
wahlweise als romantische Spinner oder gef=E4hrliche Irre abqualifizieren
und kurzerhand zu ihrem Eigentum und Quell des Reichtums erkl=E4ren, was,
wenn =FCberhaupt jemandem, dann allen geh=F6rt.=20

Der Konstanzer Internetforscher Reinhold Grether, einer der Masterminds
der Anti-Etoys-Kampagne geht noch ein St=FCck weiter: "Etoys war so etwas
wie das Brent-Spar des E-Commerce." Wie die =D6lkonzerne nach dem Fiasko
des Shell-Konzerns auf einmal konzernkritischen
Umweltschutzorganisationen Geh=F6r schenken mussten, sei es nun an den
E-Business-Konzernen, sich als Teil eines viel gr=F6=DFeren Ganzen zu
begreifen und
dementsprechende Umgangsformen zu entwickeln. Tats=E4chlich =E4hneln sich
die Motive von Netz-Aktivisten und Umweltsch=FCtzern frappierend: Beiden
geht es darum, die letzten verbliebenen Koh=E4renzen eines bedrohten
Lebensraum vor parasit=E4rer Profitlogik zu bewahren, beide operieren mit
mehr oder weniger apokalyptischen Szenarien. Und beide setzen mit ihren
Aktivit=E4ten taktisch geschickt an solchen Stellen an, die zun=E4chst
einmal gar nicht so dramatisch anmuten, aber aufgrund ihrer
metaphorischen Dichte ein Maximum an Aufmerksamkeit bergen.

F=FCr die optimale Vermittlung der einpr=E4gsamen Inhalte der
Anti-EToys-Kampagne sorgte RTmark, eine Art Elite-Truppe in Sachen
konzernkritischem Online-Aktionismus, die auf dem besten Wege sind, den
Offline-Mythos "Greenpeace" einzuholen. Anfang Dezember hatten sich
unter Federf=FChrung von RTmark Aktivisten, K=FCnstler und Hacker aller
Couleur zu einem historischen B=FCndnis zusammengeschlossen. "Etoy" selbs=
t
er=F6ffnete eine eigene Aktions-Plattform und sorgte f=FCr die
=C4sthetisierung des "TOYWAR", einem gro=DFen interaktiven Spiel, bei dem
alle mitmachen konnten und in dem die Rollen von Gut und B=F6se
umissverst=E4ndlich verteilt waren. Tausende von "Agenten im TOYWAR" ware=
n
gegen die feindliche Stellungen aufmarschiert und traktierten =FCber
Wochen die gegnerischen Server mit Aber-Millionen von gef=E4lschten,
unsinnigen oder protestierenden Anfragen. Dem Einfallsreichtum und der
Kreativit=E4t der Agenten waren keine Grenzen gesetzt, und nur ein Ziel
z=E4hlte: Den Konzern an seiner empfindlichsten Stelle, dem B=F6rsenkurs =
zu
treffen, der bei solchen Unternehmen in einem direkten Verh=E4ltnis zur
nun tedenziell unbrauchbaren Zugriffsstatistik steht. Die Notierung des
einst boomenden Internet-Wert sank in der Tat von rund 80 Dollar pro
Etoys-Aktie aus der Vor-TOYWAR-Zeit unter den einstigen Emmissionswert
von 20 Dollar. Einher ging ein unabsehbarer Imageschaden, der heutzutage
ja noch weitaus bedrohlicher sein soll als die realen finanziellen
Einbu=DFen.

Bewu=DFt verzichteten die TOYWAR-Agenten auf technisch hoch-effiziente
Attacken wie sie im Moment offenbar gegen die anderen
E-Business-Giganten im Einsatz sind. Wenngleich problemlos verf=FCgbar,
lehnten die Aktivisten einhellig den Einsatz eines
"Killer-Bullet"-Skriptes ab, um die sozialen und =E4sthetischen
Dimensionen des Protestes nicht auf dem Altar eines einmaligen,
kurzfristigen Erfolges zu opfern. W=E4hrend der Standortvorteil der
F=FCrsprecher von "etoy" gerade in ihrer spielerischen Selbstbezogenheit,
Glaubw=FCrdigkeit und reiner Netzreferentialit=E4t bestand, waren die
Konzernherren von "EToys" abh=E4ngig von Offline-Realit=E4ten wie dem Abs=
atz
ihres Plastikspielzeugs im Weihnachtsgesch=E4ft oder dem Auf und Ab des
B=F6rsenkurses. Trotzdem glaubt Mark Amerika in seiner aktuellen Kolumne
f=FCr das Online-Magazin "Telepolis" noch eine weitere Dimension des
Konfliktes ausmachen zu k=F6nnen: "RTmark und EToys liefern das Modell
eines =FCber das Netz verbreiteten St=F6rtheaters, das dahingehend
programmiert ist, neu entstehende Schreibpraktiken der Neuen Medien zu
mehr zu machen als nur zu einem Spiel."=20

Doch, was sind das =FCberhaupt f=FCr Praktiken, mit denen jetzt ernst
gemacht wird? Und was passiert eigentlich, wenn sich die spielenden User
ihrer Macht bewu=DFt werden und diese auch benutzen? Eines ist schon seit
l=E4ngerem absehbar: Das Internet wird nicht nur grenzenloser
elektronischer Gesch=E4ftmacherei dienen, es wird gleichzeitig auch als
Austragungsort alter und neuer sozialer Auseinandersetzungen fungieren.
Was bis vor kurzem noch unter dem Schlagwort "Infowar" die Runde machte,
bezog sich auf die rasante Verbreitung von Gegen-, Falsch- und sonstigen
Informationen. Je realistischer sich im Netz aber die Machtverh=E4ltnisse
aus der Offline-Welt abbilden, je mehr Realien den Netzraum funktional
besetzen, desto attraktiver oder anf=E4lliger wird das Netz f=FCr
Interessenskonflikte, die in den kalifornischen Tr=E4umen der
utopistischen Pioniere oder der nachgeborenen Propagandisten von
E-Commerce einfach nicht vorkamen. Bald d=FCrfte sich endg=FCltig
herausstellen, dass die Projektionsfl=E4che Cyberspace nichts anderes ist
als ein neuer =F6ffentlicher Raum, der mitnichten minder umk=E4mpft ist, =
als
es der st=E4dtische der b=FCrgerlichen Gesellschaft einst war.=20

Was sind die ber=FCchtigten Denial-of-Service Attacken gegen die gro=DFen
E-Business Portale anderes als das Einschlagen einer virtuellen
Schaufensterscheibe? Akte einer symbolischen Militanz, die soziale
Auseinandersetzungen allerorten begleiten. Solche Aktionen k=F6nnen von
einzelnen im Schutz der Dunkelheit ausgef=FChrt werden und haben, wenn si=
e
isolierbar sind, vergleichsweise wenig oder leicht manipulierbaren
politischen Out-put. Oder sie k=F6nnen, wie die virtuellen Sit-Ins der
Anti-EToys-Kampagne, =F6ffentlich angek=FCndigt, zeitlich begrenzt, mit d=
er
spontanen Beteiligung von Tausenden von Menschen von statten gehen und
vor allem: sie werden in bestimmten F=E4llen von Erfolg gekr=F6nt sein.=20

Doch die Kontrahenten der Netz-Aktivisten schlafen nicht. L=E4ngst gibt e=
s
in den gro=DFen Konzernen Abteilungen, die sich ausschlie=DFlich mit der
Imageverschmutzung durch ungebetene Kritiker befassen und an
Gegenstrategien wie dem sogenannten "Gr=FCnwaschen" der Konzernpolitik
basteln. Seit "Brent-Spar" besch=E4ftigt Shell externe Mitarbeiter, die
t=E4glich das Internet nach Dokumenten durchforsten, in denen der
Konzernname auftaucht und jede einzelne der Tausende von e-mails pro
Monat innerhalb von wenigstens 48 Stunden beantworten. Obwohl die
meisten Unternehmen die neuen Medien noch als eine Bedrohung begreifen,
auf die sie nicht zu antworten verstehen, gibt es bei einigen der Multis
Spezialabteilungen f=FCr Counter-Aktivismus, deren dezidiertes Ziel die
Diskreditierung der Konzernkritiker mit allen Mitteln und vorzugsweise
deren eigenen Waffen ist.=20

Womit sich jedoch trotz bester Bezahlung manches Unternehmen schwertut,
n=E4mlich kurzfristig Spezialisten aus den verschiedensten Disziplinen
zusammenzubekommen, scheint f=FCr die Online-Aktivisten im Moment ein
Kinderspiel zu sein. Anstelle von totem Datenmaterial verk=F6rpern die
Kampagnen lebendige Netzwerke und ultimative Hipness. Sp=E4testens der
"TOYWAR" hat gezeigt: Der Spielraum f=FCr Aktionismus im Netz, bislang au=
f
Informationsverbreitung, aufkl=E4rerische Praktiken, Imagebildung und
-verschmutzung begrenzt, erweitert sich direkt proportional zu der
Vielzahl an Interaktionen, auf die das digitale Gesch=E4ftsleben nun
einmal angewiesen ist. Zwischen den High-Tech-Attacken der Spezialisten
und der Nadelstichtaktik von massenhaften Sit-Ins, die gegnerische
Webserver ebenso lahmlegen k=F6nnen, tut sich ein weites Spektrum von
unterschiedlichsten Formen des digitalen Ungehorsams auf.=20

Die TOYWAR-Agenten sind aber bis auf weiteres erst mal raus aus dem
Spiel. Die Aktionsplattform (http://www.toywar.com) zeigt ein paar
Hundert von ihnen bestattet in einem Seefriedhof im Indischen Ozean -
aufgebahrt in Lego-S=E4rgen. Dem Rest d=FCrfte erstmal zum Feiern zu Mute
sein, angek=FCndigt ist eine gro=DFe Parade, die in K=FCrze von statten g=
ehen
soll. Der Sieg im "TOYWAR" begossen zur monumentale Plastik der
Netzkunst.

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