[rohrpost] schlamassel

florian schneider florian schneider <fls@kein.org>
Wed, 23 Feb 2000 23:03:05 +0100


Computerindustrie verlangt ausl=E4ndische Arbeitskr=E4fte
Doch eine Modernisierung der Einwanderungspolitik=20
ist f=FCr die Politik tabu.=20

http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/glosse/5829/1.html

Da haben wir nun den Schlamassel: Mehr als zehn Jahre lang
wurde von allen Seiten behauptet, Deutschland k=F6nnen nun
beim besten Willen keine zus=E4tzlichen Einwanderer mehr
aufnehmen, das Boot sei voll, und die Schmerzgrenze end=FCltig
erreicht. Wer widersprach, war Gutmensch oder zumindest
hoffnungslos realit=E4tsfern. Da platzt auf einmal eine
Meldung von der CEBIT herein, da=DF f=FChrende Repr=E4sentanten
der Computer-Branche ernsthaft vorhaben, mit dem v=F6lkischen
Konsens der 90er Jahre zu brechen: Wenn nicht in den
n=E4chsten beiden Jahren zumindest eine Viertelmillion
Arbeitskr=E4fte aus dem Ausland angeworben werden w=FCrden, sei
es um die Chancen auf den vielbesungenen Zukunftsm=E4rkten
schlecht bestellt. Der Deutschland-Chef von Hewlett-Packard,
J=F6rg Menno Harms, forderte laut Computermagazin c't gar die
Bundesregierung auf, so schnell wie m=F6glich 30.000 Visa
auszustellen.=20

Nein, wir haben uns nicht verh=F6rt: Einem Heer von vier
Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen steht ein
mittlerweile dramatischer und sich wohl weiter
versch=E4rfender Mangel an Fachkr=E4ften f=FCr die Informations-
und Kommunikations-Technologien gegen=FCber. Die Branche boomt
und ausgerechnet dort ist die Zahl der Studienabg=E4nger
gemessen an der Nachfrage l=E4cherlich. Wer einigermassen
Erfahrung in Netzwerkadministration oder Kenntnisse im
Programmieren vorweisen kann, scheint heute praktisch in der
Lage zu sein, sein Gehalt selbst festlegen zu k=F6nnen. Eine
entscheidende Sache aber mu=DF hinzukommen: der deutsche Pa=DF
oder der Besitz einer g=FCltigen Arbeits- und
Aufenthaltserlaubnis.=20

Mit dem Anwerbestopp f=FCr ausl=E4ndische Arbeitnehmer nach der
=D6lkrise der 70er Jahre haben die gesetzlichen Bestimmungen
Neubesch=E4ftigungen von nicht in Deutschland ans=E4ssigen
Arbeitskr=E4ften tendenziell zu einem Ding der Unm=F6glichkeit
gemacht. W=E4hrend sich die Parteienvertreter an Wahlsonntagen
scheinheilig vor der Demagogie der rechtsradikalen Parteien
ekeln oder mit dem Finger auf eine kleine Alpenrepublik
zeigen, haben Gesetzgeber von Schily bis Stoiber die
h=E4=DFliche Parole der Neonazis l=E4ngst wahr gemacht:
"Arbeitspl=E4tze nur f=FCr Deutsche!"=20

So mu=DF auch die Reaktion des Arbeitsministeriums verstanden
werden, das auf die konkreten Forderungen der Industrie mit
dem vagen Hinweis auf das "Inland" kontert. So m=FCssen auch
die Gewerkschaften verstanden werden, die dem Hilferuf der
Arbeitgeber - wohl wissend um die verschobene Mentalit=E4t
eines Gro=DFteils ihrer Mitgliederschaft - ziemlich unterk=FChlt
begegnen. Die Gesetzeslage jedenfalls spricht eine
unmi=DFverst=E4ndliche Sprache: Die
"Anwerbestoppausnahmeverordnung" sieht kaum Ausnahmen vor
und wird derart restriktiv gehandhabt, da=DF Arbeitgeber aller
Wachstumsbranchen bereits seit Jahren still vor sich hin
jammern.=20

F=FCr Arbeitsverh=E4ltnisse mit Ausl=E4ndern, die keine
unbefristete Aufenthaltserlaubnis haben, gilt die
"Arbeitserlaubnispflicht", die einen Vermittlungsauftrag an
das Arbeitsamt voraussetzt und Arbeitgeber wie Arbeitnehmer=20
zur Mitwirkung bei den Bem=FChungen des Arbeitsamtes
verpflichtet, innerhalb von mindestens vier Wochen
vielleicht nicht doch noch einen bevorrechtigten "deutschen"
Arbeitssuchenden ausfindig zu machen. Zuvor aber mu=DF eine
Aufenthaltserlaubnis her, welche wiederum nur in Verbindung
mit einer Arbeitserlaubnis erteilt wird. Ein Teufelskreis
also, zumal es um die Fachkenntnis der meisten
Sachbearbeiter weit weniger gut bestellt als um deren
ideologische Festigkeit, wenn es gilt, das Vaterland vor der
Ausl=E4nderschwemme zu sch=FCtzen. Personalchefs von
international operierenden Gro=DFkonzernen kriegen da schon
mal zu h=F6ren, den fern=F6stlichen Markt f=FCr Mobilfunknetze zu
erobern, k=F6nne im Prinzip auch von deutschen
Sinologie-Studenten erledigt werden, schlie=DFlich bed=FCrfe es
in erster Linie der richtigen Sprachkenntnisse. Oder ein
dunkelh=E4utige Videotechniker, der offiziell als Barkeeper
eingestellt werden muss, weil die Beh=F6rden offenbar nur mit
einschl=E4gigen Klischees keine Probleme haben.

Vorrang hat eben das deutsche Blut, und angesichts solcher,
nennen wir es mal: Provinzialit=E4t ist es nachvollziehbar,
da=DF nun ausgerechnet diejenige Branche nicht l=E4nger mit der
Hand vor dem Mund halten will, welche dem internationalen
Wettbewerb am st=E4rksten ausgesetzt ist und f=FCr die
nationalstaatliche Grenzen nun wirklich keine
ernstzunehmende Rolle mehr spielen, sobald es ums Gesch=E4ft
geht. Man mu=DF nicht viel vom Kapitalismus begriffen haben,
um zu verstehen, da=DF Unternehmer sch=E4rfsten Wert legen auf
gewisse Wahlm=F6glichkeiten bez=FCglich ihrer Mitarbeiterschaft
(mu=DF ja nicht gleich Reservearmee genannt werden) und sich
schon gar nicht gern vorschreiben lassen wollen, wen sie zu
besch=E4ftigen haben und wen nicht. Es sei denn die
inl=E4ndische Arbeitskraft ist an anderen Fronten besch=E4ftigt
und fremdl=E4ndische wird ihnen gratis angeboten - doch so
weit sind wir nun wirklich noch nicht wieder.

Einstweilen d=FCrfen Ideologen und Demagogen aller Couleur
weiterhin jeden Gedanken tabuisieren und mit Denkverbot
belegen, der eine Humanisierung und Modernisierung der
Einwanderungspolitik durch die eigentlich =FCberf=E4llige
Angleichung der Arbeitnehmerrechte an die schrankenlose
Freiz=FCgigkeit des Kapitals auch nur andeutet. Da=DF an derlei
Tr=E4umereien vielleicht mehr dran sein k=F6nnte als am kaum
verhohlenen, rassistischen Populismus, d=FCrfte sp=E4testens mit
der Dingfestmachung der organisierten Kriminalit=E4t zwischen
Bad Homburg und Oggersheim aufgefallen sein. Oder es handelt
es sich beim Klagelied der Computermanager wiederum nur um
einen kleinen Teil der ber=FCchtigten Internet-Verschw=F6rung,
die die =F6sterreichische Regierung zur Zeit so gerne f=FCr den
sie ereilenden Mangel an internationalem Zuspruch
verantwortlich macht? Wundern w=FCrde es nicht mehr.

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