[rohrpost] kurze Geschichte der Werkleitz Gesellschaft e.V.

Holger Kube_Ventura hkv@werkleitz.de
Mon, 06 Aug 2001 17:03:05 +0200


Asterix im Medienland


Wir befinden uns im Jahre 1996 n.Chr. Ganz Deutschland ist von den
Kosmopoliten besetzt. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen
Medienkunstschaffenden bev=F6lkertes Dorf h=F6rt nicht auf, den Gro=DFst=E4=
dtern
Alternativen aufzuzeigen. Und das Leben ist nicht leicht f=FCr die
sachsen-anhaltinischen Kulturpolitiker, die in den befestigten Lagern
Magdeburgorum, Dessaurium und Halleseisdrum liegen...
Nun ja, genau genommen sind es zwei D=F6rfer (sie heissen Werkleitz und
Tornitz, liegen im Elbe-Saale-Winkel und haben zusammen rund 600
Einwohner) und die unbeugsamen Medienkunstschaffenden sind nur eine
kleine Enklave darin. Vor zehn Jahren machten sich ein paar
Filmstudenten aus Stuttgart auf den Weg, um nach dem Mauerfall in den
neuen Bundesl=E4ndern ein Haus im Gr=FCnen zu suchen. Zuf=E4llig stiessen=
 sie
dabei auf eine alte verfallene Ziegelei in Werkleitz, kauften sie und
waren dann erstmal lange mit der Instandsetzung besch=E4ftigt. Als die
gr=F6bsten Bauarbeiten erledigt waren, begann der Freundeskreis mit
Massnahmen zur Vermeidung der k=FCnstlerischen und sozialen Vereinsamung =
-
man musste (und muss auch heute noch) einiges tun, um Freunde und
Kunstschaffende in diese abgeschiedene Gegend zu locken. Also wurde
unter dem Namen =84Werkleitz Gesellschaft=93 Anfang 1993 ein gemeinn=FCtz=
iger
=84Verein zur F=F6rderung und Realisierung von Film-, Kunst- und
Medienprojekten=93 mit Sitz in der Ziegelei gegr=FCndet. Und unter dem Ti=
tel
Tapetenwechsel wurde dann im Sommer eine erste gro=DFe Ausstellung
realisiert, bei der 41 K=FCnstlerInnen und Gruppen f=FCr einige Tage ihre=

Arbeiten pr=E4sentierten. Die Bandbreite umfasste Filme, Malerei,
Installationen, Performances bis hin zu klassischer und zeitgen=F6ssische=
r
Musik und gab damit die grenz=FCberschreitende Struktur der nachfolgenden=

Gro=DFprojekte vor, die seit 1996 alle zwei Jahre unter der Bezeichnung
Werkleitz Biennale realisiert werden.
Solche Aktivit=E4ten waren damals in Sachsen-Anhalt konkurrenzlos und
wurden vom Kultusministerium auch honoriert: Anfang 1994 erhielt die
Werkleitz Gesellschaft e.V. gro=DFz=FCgige Mittel zum Technikankauf und d=
er
Meilenstein des Jahres 1996 war dann, dass eine institutionelle
F=F6rderung hinzukam, die ein j=E4hrliches Betriebsbudget und die
=DCberf=FChrung der ehrenamtlichen Arbeit in vier feste
Angestelltenverh=E4ltnisse plus diverse Honorarvertr=E4ge erlaubte.
Dar=FCberhinaus stellte die Gemeinde ein ehemaliges Konsumgeb=E4ude in
Tornitz als Zentrale zur Verf=FCgung. Fortan konnte die neu gegr=FCndete
Institution dort zu recht als experimentierfreudigstes und exotischstes
Medienzentrum Deutschlands gelten.
Die Werkleitz Gesellschaft leistet seitdem sowohl die Arbeiten eines
Medienb=FCros, als auch die einer Medienwerkstatt: Medienkunstschaffende
werden bei der Verwirklichung von unkommerziellen Video-, Film-,
Internet-, Multimedia- und Kunstprojekten unterst=FCtzt. Und zwar durch
Beratung, Vermittlung und technische Ausstattung. Weitere Angebote
umfassen eine eigene Stipendienstruktur (European Media Artists in
Residence Exchange, Werkleitz Projektstipendium, Werkleitz
Kunststipendium, Werkleitz Award) sowie regelm=E4=DFige Workshops zu
digitaler Bild- und Videobearbeitung (Avid), zur Kameraf=FChrung (Betacam=
,
DVCam, Super8, 16mm) und manchmal auch zu kulturtheoretischen Themen.
Dar=FCberhinaus betreibt die Werkleitz Gesellschaft die Internet-Datenban=
k
oVid f=FCr Experimentalfilm und Videokunst, eine Pr=E4senz-Videothek sowi=
e
ein Internetcaf=E9 (mit 2MB-Standleitung) und bietet kostenlosen Webspace=

auf ihrem eigenen Server an. Sie ist ausserdem Redaktionssitz des
Kulturservers Sachsen-Anhalt und betreut den produktionstechnischen
Bereich der kulturellen Filmf=F6rderung des Landes. =

Trotz dieser T=E4tigkeitsbandbreite ist das Medienzentrum nur tempor=E4r
voll ausgelastet, denn viele Video- und Kunstschaffenden wissen nichts
von diesen Angeboten oder scheuen die Anreise (mit dem Zug dauert sie
z.B. von Berlin etwa zweieinhalb Stunden). Ein weiterer Grund daf=FCr mag=

die mittlerweile grosse Bekanntheit der Werkleitz Biennale sein, mit der
die Werkleitz Gesellschaft zuweilen gleichgesetzt wird: 1996 fand unter
dem Titel cluster images die zweite Ausgabe statt - ausgew=E4hlte
Einzelprogramme und Teile ihres Ausstellungsbereiches wurden
anschlie=DFend in Magdeburg, Dessau und Halle (den befestigten Lagern)
pr=E4sentiert. Zur 3. Werkleitz Biennale: sub fiction (1998) wurden
erstmals sechs Gastkuratoren berufen, die in den Sektionen Film/Video,
Bildende Kunst, Performance und Internet dann bereits 78 Arbeiten und
Projekte von 71 K=FCnstlerInnen aus 15 L=E4ndern ausw=E4hlten und betreut=
en.
Vier TV-Stationen berichteten damals =FCber dieses viert=E4gige Festival =
und
speziell das t=E4towierte Schwein des belgischen K=FCnstlers Wim Delvoye
wurde zum Medienereignis. Neben den ca. 4.000 Besuchern vor Ort erlangte
die Website rund 100.000 Hits. Mit dieser Ausgabe wurde die Werkleitz
Biennale zum gr=F6=DFten Medienkunstfestival dieser Art in den neuen
Bundesl=E4ndern.
Die vierte Biennale im Sommer 2000 konzentrierte sich st=E4rker als die
vorangegangenen auf die thematische Verbindung zwischen ihren Sektionen.
Unter dem Titel real[work] wurde die regionale und globale Diskussion um
den sich ver=E4ndernden Begriff von Arbeit und seiner gesellschaftlichen
Bewertung aufgenommen - ein Thema, das gerade f=FCr die l=E4ndliche Regio=
n
Sachsen-Anhalts mit einer Arbeitslosenquote von zur Zeit etwa 25% eine
besondere Relevanz hatte. Auch bei dieser Ausgabe wurde das
Kuratorien-Modell nach Sparten aufrechterhalten und die nunmehr
f=FCnft=E4gige Biennale best=E4tigte den regional und international hohen=

Stellenwert dieser Veranstaltung. Die Jubil=E4umsausgabe der Werkleitz
Biennale wird im Sommer 2002 nach Zusammenh=E4ngen zwischen
Staatangeh=F6rigkeit und Kultur fragen und sich dabei auf Rassismen im
Multikulturalismus konzentrieren.
Es geht also weiter in dem kleinen Dorf mit den unbeugsamen
Medienkunstschaffenden - es sei denn, es f=E4llt ihnen doch einmal der
Himmel auf den Kopf. Das ca. 60 Kilometer entfernt liegende befestigte
Lager Halle wird vom Land gerade zum 'Medienstandort Halle' ausgebaut.
Und bei =84Asterix im Morgenland=93 (Band XXVIII) versenken die Helden da=
s
Piratenschiff ausnahmsweise einmal nicht - das besorgt diesmal der
Schwarze. Er verk=FCndet: =84Sie k=B4iegen uns nicht K=E4pt=B4n! Die Eh=B4=
e ist
ge=B4ettet! Ich hab=B4 den =B4umpf du=B4chschlagen!=93 - das Schiff s=E4u=
ft ab. Und
der notorische Piratenopa lateinert mal wieder =84Sic transit gloria
mundi.=93

Werkleitz Gesellschaft e.V.
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