[rohrpost] G8-Genua:fwd: Bericht bei 3sat

Julia Lazarus julia@t0.or.at
Sat, 11 Aug 2001 15:14:52 +0200


http://www.3sat.de/kulturzeit.html


Die letzten Tage von Genua
Italienische Filmemacher dokumentieren den G- 8-Gipfel


Gipfel-Tiefpunkte

Separatistisch, nationalistisch, rechtsradikal

Genua im August: Die Stra=DFen sind menschenleer, flirrende Hitze, die Lu=
ft
l=E4sst einen kaum atmen. Eigentlich wie immer. Doch diesmal ist irgendet=
was
schief gelaufen: Die Demonstranten blasen zum Sturm auf den G-8-Gipfel, u=
nd
die Polizei will die Regierungschefs sch=FCtzen - gegen die gef=E4hrlich =
schwarz
gekleideten Anarchisten. In den Augen der Globalisierungsgegner aber sind
die Politiker schon lange keine Entscheidungstr=E4ger mehr. Die wichtigen
Entscheidungen treffen multinationale Industriekonzerne. Ein unglaubliche=
r
Zustand - auch f=FCr Carlo Giuliani.

Wut und Angst auf beiden Seiten. Die Stimmung ist aufgeheizt. Pl=F6tzlich
Panik, zwei Sch=FCsse fallen und treffen Carlo Giuliani ins Gesicht. Die
Sicherheitskr=E4fte, so der italienische Innenminister sp=E4ter, h=E4tten=
 sich mit
beispielhafter W=FCrde verhalten. Doch Genua ist Gegenstand f=FCr die
Untersuchungsrichter geworden. Auch weil die tats=E4chliche Abwesenheit d=
es
Rechtsstaates tausendfach gefilmt und fotografiert worden ist: vom
Fernsehen, von Videofilmern und vom Cinema Italiano; von 36 Regisseuren u=
nd
28 Kamerateams. Einer davon, der Regisseur Citto Maselli, berichtet von
seinen Erfahrungen: "Es war schrecklich. Noch w=E4hrend der ersten, der
friedlichen Demonstration, konnten wir eine Szene drehen, wo Carabinieri =
ein
Maschinengewehr auf das Dach ihres Einsatzwagens montierten - und das bei
einem Fest".

Der erste Auftritt des neuen "Movimento", wie die friedlichen
Globalisierungsgegner seit Seattle in Italien hei=DFen, am 19. Juli: es g=
eht
bunt, vielf=E4ltig und lustig zu, die charmante Premiere einer
ernstzunehmenden Minderheit. Alternative, katholische Pfarrer,
Basisdemokraten geh=F6ren dazu. Der Filmemacher Ettore Scola erz=E4hlt zu=
m
Beispiel von franz=F6sischen Kommunisten oder auch griechischen
Umweltsch=FCtzern, die die "Black Blocks" als "Faschisten" beschimpften. =
Das
alles wollten die Regisseure des Cinema Italiano dokumentieren.

300 Stunden Bildmaterial
"Die Idee, den G-8-Gipfel zu filmen, hatte Citto Maselli", berichtet der
Produzent Mauro Berardi. "Es gelang ihm, alle italienischen Regisseure un=
d
Kameram=E4nner zu begeistern, die an dieser Problematik interessiert sind=
. Sie
waren sofort Feuer und Flamme. Und konnten es gar nicht erwarten, mit den
Dreharbeiten anzufangen. Wir hatten zum Beispiel Probleme mit der
Unterbringung, aber alle passten sich den schwierigen Umst=E4nden an. Kei=
ner
zeigte irgendwelche All=FCren oder war launisch, wie Regisseure das ja
manchmal sind. Im Gegenteil, sie waren fast dankbar, als ob sie auf einma=
l
wieder jung geworden w=E4ren. Sie waren nicht zu bremsen und st=FCrzten s=
ich ins
Get=FCmmel."

Im Herbst soll der kollektive Film in die italienischen Kinos kommen, wen=
n
es bis dahin gelingt, die knapp 300 Stunden Bildmaterial zu schneiden. "E=
in
Fest h=E4tte es werden sollen, ein Fest, das wir mit unserem Film
dokumentieren wollten", erkl=E4rt Regisseur Mario Balsamo die urspr=FCngl=
ichen
Pl=E4ne. Er war sehr beeindruckt von der positiven Stimmung in Genua, die
=FCberhaupt nicht idealistisch oder romantisch gewesen sei, sondern sehr
konkret, mit klaren Ideen und Projekten. Und Vorschl=E4gen, wie jeder im
pers=F6nlichen Bereich an einer weltweiten Kampagne gegen die negativen
Auswirkungen der Globalisierung mitwirken k=F6nne. Darin sieht er sogar e=
in
m=F6gliches Ende von Politikverdrossenheit und Apathie. Doch mit der
Eskalation der Gewalt =E4nderten sich die Pl=E4ne: "Schon am 2. Tag unser=
es
Aufenthaltes mussten wir unsere Filmidee radikal =E4ndern", erinnert sich
Ettore Scola. "Pl=F6tzlich waren wir mit einer ganz anderen Geschichte
konfrontiert. Wir hatten auf einmal zwei Handlungsstr=E4nge. Auf der eine=
n
Seite das 'Movimento', diese wunderbare neue Protest-Bewegung, und auf de=
r
anderen Seite die Gewalt. Eigentlich waren wir nach Genua gekommen, um ei=
ne
Art Liebesfilm zu drehen, aber vor unseren Augen war aus einer
Liebesgeschichte auch eine Geschichte der Gewalt geworden."

Symbol der Repression
"Viva il Duce" oder "Uno due tre, viva Pinochet" lauteten die zynischen
Schlachtrufe der Polizei in den Kasernen. In Genua sollten sie nicht nur =
f=FCr
Ordnung sorgen, sondern Angst und Schrecken verbreiten und vor den laufen=
den
Kameras ihre unerbittliche H=E4rte zur Schau stellen. "Der G-8-Gipfel", s=
o
Ettore Scola, "das war vielleicht der wichtigste Sieg der neuen Rechten. =
Es
ist ihr gelungen, die Distanz zwischen der Polizei, die f=FCr Sicherheit
sorgen sollte, und den jungen, jetzt endlich wieder politisch interessier=
ten
Menschen, in einen tiefen Abgrund zu verwandeln. Der Polizist wurde wiede=
r
zum Symbol der Repression."

Unter den Tausenden der digitalen Kameras filmte eine die Szene, in der e=
in
Zivilagent der italienischen Polizei in voller Aktion zu sehen ist. Den
Ausschnitt speisten Dokumentaristen ins Internet ein. Dort findet man auc=
h
unabh=E4ngige, unzensierte Informationen, auf die zum Beispiel auch die
r=F6mische Tageszeitung "il manifesto" - unabh=E4ngig und links - zugreif=
t. Der
Journalist Valentino Parlato von "il manifesto" ist =FCberzeugt, dass Ita=
lien
ein hei=DFer Herbst bevorsteht. Die italienische Regierung sei zwar stark=
,
aber nur im Parlament. In der Gesellschaft sei sie es nicht. Viele leere
Versprechen der Regierung k=F6nnten leicht Massendemonstrationen ausl=F6s=
en:
"Wenn das Verhalten des Staates in Genua als Modell gelten kann, dann wir=
d
im politischen Handeln ein enormer Rechtsruck stattfinden."

Sommer in Rom, in Mailand, in Florenz, Bologna oder Neapel - =FCberall is=
t
Genua. In den gesellschaftlichen Gegenbewegungen, zum Beispiel dem
"Movimento", den Globalisierungsskeptikern, wird nachgedacht: =FCber die
Exzesse der Polizei, =FCber die Politik der Berlusconi-Regierung und =FCb=
er
Strategien, um sich vor Unterwanderungen und Instrumentalisierungen zu
sch=FCtzen. Italien steht vor einer schwierigen Gratwanderung zwischen
politischen Forderungen und gesellschaftlichen Bed=FCrfnissen.


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