[rohrpost] TELEPOLIS: Hacken zwischen Kriminalisierung und Mai...

Krystian Woznicki krystian@snafu.de
Fri, 28 Dec 2001 14:38:09 +0100


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  Hacken zwischen Kriminalisierung und Mainstream

  Stefan Krempl   28.12.2001

  Der Chaos Computer Club ist endg=FCltig salonf=E4hig geworden

  Hacker - das waren einst die von Sicherheit kleinschreibenden
Unternehmern und die Netzkultur missverstehenden Politiker gef=FCrchteten
Gesellen aus dem digitalen Untergrund. Doch die "b=F6sen Buben" von einst
sind zahm geworden ( [1]Brave B=FCrger mit recht teuren Laptops) und
arbeiten heute auch schon mal in Startups. Dass die den
sch=F6pferisch-kreativen Umgang mit der Technik pflegenden Datenreisenden
trotzdem mit einem Bein im Gef=E4ngnis stehen, muss auf politischen
Missverst=E4ndnissen vor und nach dem 11. September beruhen.

  "Die Zeiten sind verr=FCckt", brachte Emmanuel Goldstein,
Hacker-Koryph=E4e aus New York und einer der wenigen internationalen
G=E4ste auf dem [2]18. Chaos Communication Congress, die schleichende
Angst der Szene vor einer pauschalen Kriminalisierung beim
"Hackerfr=FChschoppen" zu Beginn der noch bis zum Samstag dauernden
Veranstaltung auf den Punkt. Nach dem 11. September w=FCrden weltweit
ohne =F6ffentliche Debatte alle erdenklichen neuen Gesetze verabschiedet,
die tief in die Grundrechte der (Netz-)B=FCrger einschneiden.

  "Die Hacker werden dabei zur Zielscheibe wie nie zuvor", warnte der
Mitgr=FCnder des Szene-Magazins [3]2600 in Berlin. "Als ob wir die
Flugzeuge in die Geb=E4ude gesteuert h=E4tten." Dabei sei die Situation
schon vor den Anschl=E4gen in den USA "schlimm genug" gewesen. Ein Dorn
im Auge ist Goldstein seit langem beispielsweise der Digital Millenium
Copyright Act (DMCA) in den USA, der Hollywood und der Musikindustrie
eine starke Handhabe gegen Forscher und experimentierfreudige
Technikliebhaber gibt. Mit Hilfe der 1998 in Kraft getretenen
Gesetzgebung werden technische Systeme zum "Kopierschutz" auf
rechtlicher Ebene sanktioniert ( [4]Hyperlink-Proze=DF: Freispruch f=FCr
Angela Marquardt).

  Goldstein berichtet aus eigener Erfahrung. 2600 hat gerade einen
Berufungsprozess verloren und darf nun nicht mehr =FCber seine Website
auf das DeCSS-Programm verweisen, mit dem sich DVDs auch unter dem
freien und in Hackerkreisen besonders beliebten Betriebssystem Linux
abspielen lassen. "Wir werden den Fall zwar zum Obersten Gericht
bringen", erkl=E4rte Goldstein. Gleichzeitig f=FCrchtet er aber, dass
Programmierer in den USA in Zukunft =E4hnlich wie der russische
Verschl=FCsselungsexperte Dmitry Sklyarov aufgrund ihrer Arbeit
"reihenweise ins Gef=E4ngnis wandern." ( [5]Russischer Programmierer
frei)

  Dass die Zustimmung weiter Teile der amerikanischen Bev=F6lkerung zu
neuen Sicherheitsgesetzen wie dem neue =DCberwachungsbefugnisse f=FCr die
Ermittler mit sich bringenden PATRIOT-Act gro=DF ist (
[6]Anti-Terror-Paket in den USA auch vom Senat verabschiedet), erkl=E4rt
sich Goldstein mit dem Vertrauen auf Vaterfiguren und den starken Staat
in der Krisenstimmung. "Keiner wei=DF, was da wirklich drin steht und wie
sie das gesellschaftliche Leben beeinflussen", sagt Goldstein, der die
Katastrophe in New York aus unmittelbarer N=E4he im 2600-B=FCro im
Financial District Manhattans miterlebt hat. Den Politikern sei es gut
gelungen den Eindruck zu erwecken, dass staatliche Stellen mithilfe der
verst=E4rkten Kontrolle der B=FCrger nun alles unter Kontrolle h=E4tten.=
 Doch
eine hundertprozentige Sicherheit k=F6nnten sie nie erreichen.

  Die USA aufgrund der versch=E4rften Situation zu verlassen, plant
Goldstein allerdings nicht: "Es ist wie in einem schlechten Film. Da
will man auch sehen, wie schlecht er noch werden kann", scherzt der
Hacker. Ernster f=FCgt er hinzu, dass es am besten sei zu bleiben und die
in die falsche Richtung zeigende Gesetzgebung von innen heraus zu
bek=E4mpfen.

  Spirit lost

  Doch die deutsche Hackerszene blickt nicht nur aus Furcht vor
Kriminalisierung leicht betr=FCbt in die Zukunft. =DCberall greifbar ist in
dem den Freaks wieder als Congresszentrum dienenden Haus am K=F6llnischen
Park auch die Angst, zum Mainstream zu werden und den F=FChrungsanspruch
in der Netzkultur zu verspielen.

  "Wir sehen mit Sorge, dass wir salonf=E4hig geworden sind", erkl=E4rt
einer der Datenreisenden, der sich mit dem Spitznamen "Gott" schm=FCckt.
Das zeige schon die Tatsache, dass die Frauenquote bei den Besuchern
wieder enorm gestiegen sei. Echte H=E4cksen findet man darunter zwar nur
wenige, da die meisten als Begleitung ihrer Freunde kommen und die
eigentlichen Cyberfeministinnen sich noch von ihrem eigenen Symposium
Mitte Dezember in Hamburg erholen. Aber irgendwie f=FCrchten die
m=E4nnlichen Platzhirschen wohl trotzdem, dass "das Hacken" von den
weiblichen Interessierten entzaubert wird.

  Wie bei jeder anderen Untergrund-Bewegung, erg=E4nzt der selbst keine
Erkl=E4rung f=FCr sein K=FCrzel parat habende "ISCS" die Bef=FCrchtungen
"Gottes", l=E4uft sich mit den Jahren auch der urspr=FCngliche Spirit tot.
Anzeichen daf=FCr fanden sich auf dem ersten Congresstag so manche.
Nicht, dass die Schlangen vor der Kasse weniger geworden w=E4ren. Aber so
mancher Vortrag wirkte unvorbereiteter und lustloser als in den
vergangenen Jahren. Pr=E4sentiert wurden abgesehen von kleinen
Schmankerln wie dem K=F6lner Projekt zum verteilten, Hackerfallen
austricksenden Port-Scanning keine auf- oder anregenden
Forschungsergebnisse.

  Gehackt wird im "Hackcenter", der Spiel- und Bastelarena des
Congresses, zudem h=F6chstens der Rechner des Nachbarn.
Web-Administratoren au=DFerhalb des Congressnetzes haben wenig zu
bef=FCrchten, da die Freaks mit dem Saugen von Software unbekannten
Ursprungs von den internen FTP-Servern und dem Brennen von CDs vollauf
besch=E4ftigt sind. Bunte Projekte wie das Testen neuer Linux- und alter
Unix-Versionen oder das Streamen von Polizeifunk ins interne
Hackernetzwerk haben Seltenheitswert.

  Auch das Logo des Treffens =AD ein roter, nur entfernt an die RAF
erinnernder, in seinen Proportionen den Goldenen Schnitt
repr=E4sentierender Druidenfu=DF mit einem die "Windows-Taste" aussparenden
Computer-Keyboard =AD entfaltete bislang keine die bunte Hackerschar
thematisch einende Symbolik.

  Mahnende Stimme fehlt

  Die aufscheinende Einfallslosigkeit der Szene mag viele Gr=FCnde haben.
Neben der allgemeinen Mainstreamisierung haben die Organisationstalente
noch ihre 20-j=E4hrige Geburtstagsfeier im September in den Knochen und
ruhen sich sanft auf dem Erfolg der noch bis Februar weiter den
n=E4chtlichen Alex erhellenden Blinkenlights ( [7]Pong am Alex) aus.
Mehrere K=F6pfe des CCCs waren zudem in den vergangenen Jahren ins
Startup-Lager gewechselt, w=E4hrend sich junge Nachwuchstalente nur
langsam herauskristallisieren. Dazu kommt eine gewisse L=E4hmung
angesichts der F=FClle der erlassenen Anti-Terror-Gesetze und anderer
=DCberwachungsverordnungen.

  Verst=E4rkt zeigt sich aber auch, wie sehr dem deutschen Hackertum sein
im Sommer an den Folgen eines Schlaganfalls verstorbener Alterpr=E4sident
Wau Holland fehlt ( [8]Hacken als Form der Gesellschaftskritik). Der
brummb=E4rige Mitbegr=FCnder des Chaos Computer Clubs, der kurz vor
Weihnachten seinen 50. Geburtstag h=E4tte feiern k=F6nnen, hatte in den
vergangenen Jahren immer als [9]Kristallisationspunkt gedient. Auch
wenn sich die Geister an ihm schieden, verpasste er doch dem CCC seine
=FCber das Technische in die Gesellschaftspolitik hinausweisende Mission
und war es nicht m=FCde geworden, f=FCr die Rechte der Nutzer und der
Datenreisenden einzutreten.

  Um sein gedankliches Erbe zu konservieren und seine Stimme zumindest
mittelbar zu erhalten, wollen Freunde des Graubarts zusammen mit seinem
Vater nun die Wau-Holland-Stiftung ins Leben rufen. Unter der noch von
dem Althacker pers=F6nlich reservierten Domain [10]www.wauland.de soll
dazu sein Nachlass archiviert werden. "Wir sichten dazu gerade die 30
Umzugskisten voller gesammelter Zeitungsartikel und anderer Werke",
sagt die Vorstandsvorsitzende Ursel Reichhardt. Auch zahlreiche
Festplatten gelte es noch zu analysieren.

  Der Bitfeger und die maschinenlesbare Regierung

  In Planung sind au=DFerdem eine Reihe weiterer =FCber die Website zu
koordinierender Projekte. Dazu geh=F6rt eine Art Berufsberatung f=FCr
Hacker oder ein Lexikon der elektronischen Schimpfw=F6rter und
"Holland-Bl=FCten". Erinnert werden k=F6nnte dort etwa an Waus Neologismen
wie den "Bitfeger", hinter dem sich nichts weiter als ein
Web-Administrator verbirgt, oder an seine nur halbernst gemeinte
Forderung nach einer "maschinenlesbaren Regierung", erl=E4utert
Stiftungsvorstand Gerriet Hellwig. "Wir bringen alles, =FCber was Wau gut
gelacht h=E4tte."

  Ausgeschrieben werden k=F6nnten aber auch Forschungsprojekte wie Studien
=FCber die "Sollbruchstellen" beim E-Government. Ganz im Interesse Waus
sei etwa in diesem Bereich zu kl=E4ren, inwieweit der Datenschutz in den
kommerzialisierten virtuellen Rath=E4usern noch gew=E4hrleistet sei.

  Mit einigen ungel=F6sten Kapiteln k=E4mpfen die Stiftungsgr=FCnder
allerdings noch. "Was machen wir mit Waus Liebesbriefen?", fragt die
Vorstandsvorsitzende Ursel Reichhardt, die mit dem Hacker in Marburg zu
studieren begonnen hat. Nur zu gerne w=FCrde die langj=E4hrige Freundin
Waus auch wissen, was in den Kisten verborgen war, die der begeisterte
Latzhosentr=E4ger "in den Siebzigern vor jeder Polizei-Razzia im Bauamt
seines Vaters versteckt hatte."

  Noch fehlt der Truppe zudem die H=E4lfte des Stiftungskapitals in H=F6he
von 100.000 Mark. Hellwig hofft auf "Zustifter" wie den
Elektronikriesen Siemens, der mit Wau einen Honorarvertrag f=FCr Vortr=E4ge
und Beratungsdienste abgeschlossen hatte. Auch kleinere Spenden sind
willkommen auf dem Konto 6483410 unter der Bankleitzahl 520 622 00.

  Links

  [1] http://www.heise.de/newsticker/data/jk-29.12.00-006/
  [2] http://www.ccc.de/congress/2001/
  [3] http://www.2600.org/
  [4] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1236/1.html
  [5] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/11340/1.html
  [6] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/9927/1.html
  [7] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/konf/9519/1.html
  [8] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/9195/1.html
  [9] http://www.heise.de/newsticker/data/jk-28.12.00-011
  [10] http://www.wauland.de/

  Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/11453/1.html

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