[rohrpost] Berliner Gazette, 03.01.

Anne Schreiber Anne Schreiber <anne.schreiber@student.hu-berlin.de>
Wed, 03 Jan 2001 11:21:06 +0100


Den Jazz schnell machen
oder: >>Er waere nicht der erste Mensch, der zu seiner Zeit sprechen
konnte, weil er die gueltigen Ueberzeugungen der Vergangenheit nicht zum
alten Eisen warf, sondern in die geaenderte Lage hinueberrettete.<<

[  ] Protokoll: Al Weckert, Medienproduzent [1,2]

Ich beschaeftige mich mit Methoden, den >>Jazz schnell zu Machen<<. Die
Notwendigkeit besteht insbesondere fuer Berlin, weil die
Jazz-Infrastruktur nach jahrelanger kuenstlicher Ernaehrung und auf
Grund eines ungeordneten Wachstumsschubs haessliche Zuege angenommen
hat.

Beispiele: In diesem Jahr mussten alle Musiker beim Total Music Meeting
auf Gagen und Unterbringungskosten verzichten [3], waehrend das mit fast
einer Million Mark bezuschusste Jazzfest weitgehend unter Ausschluss
Berliner Musiker stattfand [4]. Das Berliner Jazzradio [5] wird per
Standleitung aus New York programmiert und vor Ort nur noch mit Ansagen
garniert. Der Stundensatz eines Webdesigners liegt ueber der Abendgage
in einem Berliner Jazzclub.

Diese duestere Aufzaehlung liesse sich fortsetzen. Sie steht in krassem
Gegensatz zum schillernden Gehalt der Berliner Underground-Szene, die
Jahr fuer Jahr wilder keimt =AD und die fuer mich und mein Medienprojekt
Jazzfiles den Anlass bietet, experimentell den Aufbau eines Publikums zu
betreiben.

Vor einem Jahr als Webmagazin (E-Zine) zur Umgehung des langen Weges
ueber die Musikredaktionen angedacht, ist Jazzfiles heute ein
Multimedia-Projekt mit offener Perspektive. Nach wie vor gilt das
Internet als die Schluesselstrategie. Zum Aufbau einer Community ist es
in den Punkten Kosten und Reichweite unschlagbar. Eine Reportage mit
Text, Foto und Musik kostet als Druckerzeugnis Unsummen und stellt den
Vertrieb vor schier unloesbare Probleme. Unter Mithilfe von
interessierten Webdesignern, Bands und Fotografen ist diese Vielfalt der
Darstellungsformen im Netz auch mit schmalem Budget zu schaffen. Zudem
sind die Jazzfans per Email quasi zum Nulltarif zu erreichen
(Newsletter).

Weil der Ursprungsgedanke mit der Unterstuetzung von Live-Jazz
zusammenhaengt und Jazzhoerer nicht ueber den Computer, sondern ueber
Konzerte, Schallplatten und Plakate ihre Wahrnehmung von Musik gelernt
haben, arbeite ich ueber das Netz hinaus. Jazzfotografie z.B. hat eine
eigene aesthetische Tradition, weshalb die Reportagefotos nicht nur als
virtuelle Galerie, sondern auch auf Jazzfestivals in grossformatiger
Rahmung ausstellt werden. Eine wichtige Wechselwirkung: Den Event
besucht die Presse! Der Tagesspiegel beispielsweise widmete der
Jazzfiles-Vernissage fast eine komplette Seite inklusive Screenshot der
Homepage. Bingo!

Jazzfiles ist nun genau ein Jahr im Netz. Die gute Resonanz steigert die
Risikobereitschaft. Es laufen Planungen fuer ein Open-Air-Festival im
Sommer. Unter anderem deshalb habe ich in Zusammenarbeit mit dem
Weiterbildungstraeger CIM data ein neues Projekt zur Vernetzung der
gesamten (!) Berliner Jazzszene ausgeheckt. Es nennt sich >>Jazz in
Berlin<< [6] und wird wegen seinem Portalcharakter und seinen fuer
Berlin einzigartigen Features =AD vgl. die Knitting Factory, NY [7] =AD e=
ine
weit hoehere Bindungskraft entwickeln.

Wenn mir auch nach einem Jahr definitiv etwas fehlt, dann ist es eine
zuendende Idee zur Finanzierung des Webmagazins. Ausstellungen und
Konzerte werden von Sponsoren und Eintrittsgeldern gedeckt. Die Homepage
laeuft hingegen nur ueber Aufwandsentschaedigungen und Goodwill, was
manchmal kaum auszuhalten ist. Die Screendesignerin beispielsweise wurde
im letzten Jahr in ihrer Firma [8] unentbehrlich, was den
November-Relaunch zu einem quaelend langsamen Prozess werden liess.
Darueber hinaus fehlt eine eigene Handschrift im Printbereich. Auch hier
wird es nur funktionieren, wenn sich Eigeninitiative auf hohem Niveau
entwickelt.

Gemessen jedoch am Zielkorridor des ersten Flyers, die >>Jazzszene mit
64 Kbit/s zu supporten<<, hat sich Jazzfiles in den zwoelf Monaten seit
dem Start unglaublich entwickelt und ein Hoechstmass an positiven
Erfahrungen =AD menschlich, musikalisch und technisch =AD gebracht. Wenn =
das
zweite Jahr genauso ereignisreich verlaeuft, heisst es schon jetzt: Tief
durchatmen! Genau diese Dynamik verstehe ich unter schnellem Jazz.

1. mailto:berlin@jazzfiles.de
2. http://www.jazzfiles.de/
3. http://www.free-music-production.de/
4. http://www.berlinerfestspiele.de/jazzfest/index.html
5. http://www.jazzradio.de/indexf.html
6. http://www.jazzinberlin.de/
7. http://www.knittingfactory.com/
8. http://www.petra-productions.de/

Fuer die kommenden Tage sind folgende Termine in Deinen Kalender
aufzunehmen:

Mi - 03.01.

V e r n i s s a g e : Sparwasser HQ oeffnet seine diesjaehrige
Ausstellungssaison mit FAI DA TE. Sparwasser HQ ist im Juli 2000 von
einer Daenin und einem Schweden gegruendet worden. Mit ihrem Projekt
wollen sie nicht nur eine einen Ausstausch anregen zwischen den
unterschiedlichen kuenstlerischen Richtungen sondern auch zwischen den
Kulturen. Die Themen, die die Kuenstler behandeln, umkreisen die Pole
Identitaet, Lebensstil, Sprache, urbanes Lebensgefuehl, und subjektive
Erfahrungen. In FAI DA TE arbeiten vier italienische Kuenstler mit den
Medien Video, Fotografie und Zeichentrickfilm. Die Ausstellung wird bis
zum 13.1. zu sehen sein. Ort: Sparwasser HQ
[http://www.sparwasserhq.de], Torstrasse 161, 16 Uhr.

Mo - 08.01.

T V R e p o r t : Der legendaere Berliner TV Produzent Christoph Dreher
hat in seiner neuen Dokumentationsreihe internationale
Musikclip-Regisseure zu Wissenschaft und Pop, Promotion und Kunst
befragt. >>Hier geht es um Kunst und Kultur mit Bedeutung. Zu zeigen,
dass es solches innerhalb des als Promotion-Tool gebrandmarkten Genres
Musikvideo ueberhaupt gibt, ist Christoph Drehers Ansatz.<<
[http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,109350,00.html]=20
Die >Kosmologie des Musikvideos< wird in sieben Folgen jeden Montag auf
3 Sat gezeigt, 23 Uhr.

Di - 09.01.

V e r n i s s a g e : In der Ausstellung mit Sybil Kohl und Till Ansgar
Baumhauer, im Rahmen des Jungen Forum, zeigen wir zwei Kuenstler, die
mit Worten und Texten Orte verbinden und schaffen. Waehrend dieses
>>Orte-Schaffen<< bei Till Ansgar Baumhauer auf psychologischer Ebene ges=
chieht, arbeitet Sybil Kohl abstrakt und architektonisch. Ort: Guardini G=
alerie [http://www.guardini.de], Askanischer Platz 4, 20 Uhr.

Bis naechste Woche,

Anne Schreiber
mailto:anne.schreiber@student.hu-berlin.de

PS: Der Satire, - Content, - und Werbetexter Wilfried Salus Bienek ist
mit seiner textlastigen Homepage am Netz [http://www.texter.net]. Im
Service: Kommerzielles Texten - Button oben, Literatur - Button unten.
So einfach ist das. >>Ein Bild sagt mehr als tausend Wort? Sagen Sie das
mal mit einem Bild!>> Bienek nennt sich Bientexter. In seiner Textfabrik
geht es zwar auch um Kommerz. Seinem Service, der u.a. mit
Feuerwehreinsatz tituliert wird, fehlt jedoch nicht die satirische
Komponente. Im gegenwaertigen Bildersturm ist Bientexter der Sanitaeter
wenn Not am Text herrscht. Lassen Sie sich nicht von dem grauen Mann am
Empfang abschrecken!=20


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