[rohrpost] Mime-Version: 1.0

Tilman Baumgaertel Tilman Baumgaertel <tilman_baumgaertel@csi.com>
Thu, 04 Jan 2001 11:46:56 +0100


Hi!

Wenn man vom Teufel spricht...

Steht heute in der taz, samt Bild von der Anlage.=20

Gruesse,=20
Tilman

-----------SCHNAPP!------------------

Aufstieg und Fall der langen R=F6hren

Vor 30 Jahren wurde das Ende beschlossen, vor einem Vierteljahrhundert
vollzogen: Die letzte Rohrpost Berlins jagte, per Luft getrieben, durch
das gr=F6=DFte Mini-Transportsystem der Welt. Das unterirdische Netz war
zeitweise fast 300 Kilometer lang

                                                 von PHILIPP GESSLER

"Weil die Liebe in der Ferne / und du m=F6chtest doch so gerne / dass sie in
der N=E4he sei / schreib ihr eine Rohrpostkarte / dass sie komme / dass
sie warte / Stephan pustet sie herbei."

Es geht um Liebe. Und davon sp=FCrt ein wenig, wer sich in Berlin in die
"Schatzkammer" des Museums f=FCr Kommunikation in Mitte begibt. Tief im=
 Keller
wird in einem dunklen Raum hinter Panzerglas ausgestellt, was dem
Museumsmachern lieb und teuer ist: die Blaue und die Rote Mauritius, der
"Kosmos-Stempel", der mit Kosmonauten ins All schoss - und zwei
filzgepolsterte Rohrpostb=FCchsen samt einem schmiedeeisernem Rohr, durch da=
s
die
fast unterarmgro=DFen Zylinder per Saug- und Druckluft gejagt worden.

Bis vor 25 Jahren. Anfang Dezember 1976 wurde die letzte =F6ffentliche
Rohrpost in Berlin zugestellt. Und vor genau 30 Jahren begann mit einem
Beschluss
der Landespostdirektion Berlin der Anfang vom Ende des gr=F6=DFten
Rohrpostsystems der Welt. Fast 300 Kilometer lang war es zu seiner
Bl=FCtezeit in der
Vierzigerjahren. Vor genau 125 Jahren, 1876, sauste die erste =F6ffentliche
Rohrpost durch die Metropole. Sie war der Stolz der Stadt. Das Loblied von
diesem zylindrischen Liebesboten, mit dem Leierkasten nach der Melodie von
"Auf der schw=E4bschen Eisenbahne" gen=F6lt, zeugt davon.

Und wer war der Amor des Liebesliedes, der pustende "Stephan"? Das war
Heinrich von Stephan. Der Generalpostmeister der Deutschen Reichspost - so
etwas wie der Postminister des neu entstandenen Kaiserreichs - erkannte
fr=FCh die Bedeutung der neuen Kommunikationstechnik, die 1853 erstmals in
London ausprobiert wurde. Die Berliner Probebetriebe ab 1865 zwischen dem
damaligen Haupttelegrafenamt in der Franz=F6sischen Stra=DFe und dem
B=F6rsengeb=E4ude in der Burgstra=DFe waren erfolgreich. In der boomenden
Metropole, in der sowieso massenweise Wasser-, Abwasser- und Gasleitungen
gelegt wurden, wuchs das Rohrpostsystem rasant. Es gab einen gro=DFen=
 Bedarf.

Gerade zur Gr=FCnderzeit war man auf m=F6glichst schnelle Meldungen von den
M=E4rkten der ganzen Welt angewiesen - doch die kamen nur mit =E4rgerlichen
Verz=F6gerungen: Zwar war die Telegrafie schon l=E4ngst entwickelt und
funktionierte nach Berlin schnell und gut. Aber es gab nur ein zentrales
Fernamt,
weshalb es innerhalb der Metropole dann bis zu vier Stunden dauerte, bis
das geschickte Telegramm per Fu=DF, Rad oder Kutsche auch den Adressaten
erreichte.

Da half das Rohrpostnetz: Es war zun=E4chst ein innerbetriebliches
Verteilsystem der Post. Ihre Beamten steckten die Telegramme in die
Zylinder, die dann
von einem Postamt zum anderen pfiffen - mit bis zu 40 Stundenkilometern.
Die Nachrichtenb=FCchsen, im Volksmund "Rohrpostbombe" genannt, lie=DFen pro
Sekunde zwischen 10 und 15 Meter unterirdisch hinter sich. Bis 1940
verf=FCgte Berlin =FCber 99 Rohrpost=E4mter, von wo die Zustellung der Teleg=
ramme
dann
ganz schnell ging: Innerhalb von h=F6chstens einer Stunde konnte jeder
=FCberall in der weiten Millionenmetropole sein Telegramm in den H=E4nden
halten. In
ihrer Hoch-Zeit Anfang der Vierziger jagten in Berlin pro Jahr etwa 40
Millionen B=FCchsen durch das modernste Zustellsystem der Welt. So popul=E4r=
 wurde
es, dass Erich K=E4stner in "Emil und die Detektive" forderte, man sollte zu=
r
schnelleren Bef=F6rderung ins andere Viertel auch Menschen, verpackt in=
 einer
Kiste, durch den Rohrpostwirrwar jagen.

Etwas von dieser gro=DFen Zeit hat sich im fr=FCheren Haupttelegrafenamt an =
der
Oranienburger Stra=DFe nahe der Goldkuppel der Neuen Synagoge erhalten.
Im Keller m=FCffelt es zwar etwas, aber die Motoren und Luftverdichter, die
aus der Decke sto=DFenden R=F6hren, die Schaltschr=E4nke und Manometer f=FCr=
 die
Anzeige der k=FCnstlich erzeugten "Atmosph=E4ren" vermitteln etwas von der
Pracht alter Technik - und erinnern an die Mystik von Filmen wie Fritz Langs
"Metropolis" oder Terry Gilliams "Brazil".

Dieser Faszination fast erlegen ist Wolfgang Wengel, der Sammlungsleiter
des Museums f=FCr Kommunikation. Der Rohrpost-Fan erkl=E4rt mit kaum
versteckter Begeisterung, wie eine Rohrpost funktionierte: Dazu musste die
damals ru=DFgetr=FCbte Luft der Metropole mit Filtern gereinigt sowie=
 getrocknet
und verdichtet werden, ehe sie die B=FCchsen in den R=F6hren vorw=E4rts sto=
=DFen
oder ansaugen konnte. Etwa alle zw=F6lf Kilometer wurden die=
 Rohrpostzylinder
durch Luftverdichter beschleunigt oder durch Pumpen angezogen. Kabel, die
neben den Rohrleitungen verlegt wurden, gaben, wie Wengel erl=E4utert,
elektromechanische Impulse, durch die die Weichen im Rohrnetz gestellt
wurden. Das Netz =E4hnelte also dem Schienennetz. Die Hauptst=E4dter nannten=
 ihre
Rohrpost auch die "kleine U-Bahn Berlins" - deshalb auch die Melodie des
Leierkastenliedes.

Doch das Ende vom Lied begann in den Zwanzigerjahren mit verbesserten
M=F6glichkeiten, nun auch einzelne Post=E4mter direkt per Fernschreiber zu
erreichen. Die Post reagierte, indem sie ab 1928 eine Rohrpost-Schnelllinie
in Betrieb nahm, die eine raschere Bef=F6rderung der B=FCchsen zwischen weit
auseinander liegenden =C4mtern erm=F6glichte. Wenige Jahre sp=E4ter konnten =
dann
neben Telegrammen auch Rohrpostbriefe in den Sause-Zylindern transport
werden: Der Rohrpostbrief war eine Art Eilbrief. Zwischen den
Reichsministerien an der Wilhelmstra=DFe in Mitte gab es zudem ein geheimes
Rohrpostnetz,
das den schnellen Aktenaustausch erm=F6glichte. Das ist keine =FCberaltete
Idee: Als vor dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin vor kurzem neue
Ministerien entstanden, wurden auch sie per Rohrpost verbunden.

Seine schw=E4rzeste Stunde erlebte die Berliner Mini-U-Bahn zu Kriegszeiten,
als die Angeh=F6rigen von Gefallenen per Rohrpost Meldung bekamen, dass ihr
Sohn, Vater oder Mann f=FCr F=FChrer, Volk und Vaterland auf dem Feld der Eh=
re
geblieben war. Die Bombardierung der Reichshauptstadt zerst=F6rte zudem
das Rohrnetz massiv, auch wenn selbst 1944 noch rund 25 Millionen Sendungen
zugestellt werden konnten. Nach dem Krieg kappten die Sowjets bei der
Blockade 1948 die wesentlichen Leitungen in die Westsektoren der Stadt.
Doch schon 1950 wurde das Rohrpostnetz im Ostteil Berlins wiederhergestellt
und bis 1957 sogar auf 27 =C4mter erweitert. Im Westen arbeitete das
Rohrpostsystem sp=E4ter sogar noch auf 192 Kilometern.

Seit Anfang der Siebzigerjahre war angesichts neuer Kommunikationstechniken
der Niedergang der Rohrpost absehbar. Zuerst im Westen, dann ab 1977
auch im Osten wurde das Netz schrittweise abgebaut, wie Sammlungsleiter
Wengel berichtet. Auch andere Metropolen schlossen in diesen Jahren ihr Netz
- Paris etwa 1984. Nur noch Prag besitzt ein kleines Rohrpostnetz: Heute
sind solche Anlagen in der Regel nur innerhalb von Beh=F6rden zu finden. In
gro=DFen Kinocentern werden Geldb=FCchsen per Rohrpost innerhalb des Hauses
verschickt - im Keller der Spielbank von Berlin sollen solche Rohre schon
einmal anges=E4gt worden sein. In der Charit=E9, dem Klinikum Buch und dem
Herzzentrum Steglitz werden Krankenakten oder Blutkonserven per Rohrpost
transportiert. Und was alles schief gehen kann, ist bei Karstadt am
Hermannplatz zu sehen, wo Zigarettenschachteln ganz schnell wieder
wegged=FCst sind,
wenn man nicht rasch genug danach greift.

Aber es hilft nichts, die D=FCsen-Romantik ist dahin. Zwar hat die Uni Bochu=
m
ein Rohrpost-=E4hnliches System zum Warentransport entwickelt, doch die
Jahre der gro=DFen Liebe f=FCr diese Technik sind vergangen. Verflogen wie d=
ie
Zeiten Franz Kafkas, der viele seiner sehnsuchtsvollen Briefe an die=
 geliebte
Milena per Rohrpost verschickte. Weil so etwas schnell gehen muss.

taz Berlin lokal Nr. 6337 vom 4.1.2001, Seite 28, 252 Zeilen TAZ-Bericht
PHILIPP GESSLER=20

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