[rohrpost] Kritischer 3C17 Review...
Peter C. Krell
Peter C. Krell" <designs@suct.com
Fri, 05 Jan 2001 20:49:07 +0100
entweder:
http://metronauten.de/media/mediaccc.html
oder ohne Umlaute
In Struktur gegossenes Chaos=20
Der 17. Fachkongress des Chaos Computer Club e.V. (CCC) hat vom
27.-29.12.2000 im Haus Am K=F6llnischen Park stattgefunden. Gekommen ware=
n
rund 2.500 Besucher.=20
Dramaturgisch wunderbar durchkomponiert, vollzog sich vor den Augen und
Ohren der Kongressteilnehmers ein =E4u=DFerst vielschichtiges Programm, d=
as
f=FCr jeden Interessenkreis im Bereich von Tele-Kommunikations-Hightech
eine passende Veranstaltung anbot. Es gab bis auf wenige Ausnahmen kaum
Pannen.=20
Daher stellt sich die Frage, ist n=E4mlich angesichts der zunehmenden
Professionalisierung: was ist am CCC noch chaotisch?
Daten flossen durch das zum Daten-Funk-Netz ausgebaute Intranet des
Kongresses und traten damit pro Daten=FCbertragung im polyfrequenten
Discord ihrer vielen Prozessoren den Beweis daf=FCr an, da=DF jeder
Kopiervorgang von Daten selbst im all-dynamischen HiTech-Netz nie =FCber
Allan Turnings grundlegendes Funktionsparadigma der von ihm konzipierten
Universalmaschine hinauszudringen vermag. Dennoch werden Hacker- und
Anwender-Herzen dank eben dieser funktionierenden Kopieralgorhythmen Bit
f=FCr Bit aufs Innigste erfreut, inniger noch, als durch irgendwelche
Gl=FCckwunschkarten oder Weihnachtsnachtsgeschenke.=20
Der hellsichtige Daten-Flaneur konnte also auch dieses Jahr wieder auf
reichlich Beute im Netzwerk hoffen. Und in der Tat: viele vor Freude
funkelnde Gesichter fanden sich vor und neben zahlreichen flimmernden
Displays. Sogar aus dem Ausland war eine beachtliche Zahl von
TeilnehmerInnen angerei=DFt, die wie ihre in der Mehrzahl und clanweise
anwesenden deutschen MitstreiterInnen es nicht scheuten, in
stundenlangen Sitzungen gemeinsam im Netzwerk Daten zu jazzen. =20
So weit so gut. Was aber ist angesichts des sich global ausbreitenden
Datendschungels Internet heute noch wirklich Chaos?=20
Nun, der Definitionen gibt es viele. Besonders im Internet, dem ersten
Medium, das seine eigene chaotische Struktur per Anfrage erkl=E4ren kann:
Ray Kurzweil, ein in letzter Zeit heftig diskutierter und umstrittener
KI-Aktivist der ersten Stunde, vertritt in seinem Buch "Homo S@piens"
eine sehr sch=F6ne Chaos-These, n=E4mlich die, dass sich der eigene
Zeitbegriff nicht ohne weiteres mit Gordon Moores Gesetz vom
exponentiellen Wachstum der Rechenleistung von Computern in Einklang
bringen l=E4=DFt. Technische Entwicklung und eigene Entwicklung befinden
sich bei vielen Menschen damit in einem Widerspruch. Um diesen
Heideggerischen Gedanken der sprunghaften Zeitentwicklung in das
trockene Gebiet der Computer Science hineinzupflanzen, versucht
Kurzweil, das Choas in drei hypothetischen thesenhaften Gesetzen zu
definieren:=20
Er schreibt erstens, dass die Zeit im Wesentlichen in Relation zum Ma=DF
der Unordnung ablaufe, oder dass die Zeitr=E4ume zwischen herausragenden
Ereignissen mit dem Ma=DF der herrschenden Ordnung oder Unordnung l=E4nge=
r
oder k=FCrzer werden.=20
Zweitens beschreibt sein Gesetz der wachsenden Unordnung, da=DF mit
wachsender Unordnung sich die vergehende Zeit exponentiell verz=F6gere"
(d.h., der Zeitabstand zwischen den herausragenden Ereignissen wird mit
der Zeit immer l=E4nger.)" Demgegen=FCber lautet drittens die umgekehrte
Ableitung dieses Gesetzes: "Mit der exponentiell wachsenden Ordnung
beschleunigt sich die Zeit exponentiell (d.h., die Zeitabschnitte
zwischen den herausragenden Ereignissen verk=FCrzen sich.)" Sprich: je
chaotischer ein System ist, desto langsamer vergeht die Zeit. Daher ist
Chaos, im Grunde genommen, etwas =E4u=DFerst Konservatives, denn es bewah=
rt
den Moment. Je geordneter und zeiteffizienter ein System funktioniert,
desto weniger heftig wird es durch Chaos behindert.
Nun, dieses Beispiel zeigt sehr sch=F6n, wie theoretische als Filter der
Wahrnehmung funktionierende Spitzfindigkeiten auf einem hohem
Abstraktionslevel zu tragischen Mi=DFinterpretationen f=FChren k=F6nnen. =
Das
Leben organischer Lebewesen ist nicht weniger chaotisch als das ihrer
elektrisch betriebenen Kommunikationsprothesen. Das bedeutet in seiner
problematischen Verk=FCrzung dann direkt auf den Kongress bezogen, da=DF
nicht alles von dem, was beim Kongress gesagt und behauptet wurde, war
auch verst=E4ndlich. Die kryptographische Element der Verst=E4ndigung, we=
nn
es um Computer und Netzwerktechnik geht, ist der mathematisch
feldherrische Fachjargon in seinen standardisierten Symbolen. Was so
viel hei=DFt, wie, um es mit Einstein zu sagen: "Alles sollte so einfach
wie m=F6glich gemacht werden, aber nicht einfacher." (Und dennoch oder
gerade deswegen waren nicht wenige Kongre=DFteilnehmerinnen weiblichen
Geschlechts.)=20
Wer Ray Kurzweils Auffassung nicht teilt und auch nicht, da=DF sich das
Chaos im System als Struktur selber denken l=E4=DFt, in all seinen
substrukturellen und m=F6glichen Formen zeitlich verg=E4nglicher
Zusammenw=FCrfelung, f=FCr den verging auch die Zeit w=E4hrend dieser dre=
i
Kongress-Tage nicht wie im Fluge, also schnell, sondern tr=E4ge und
langsam. Dem war aber, wenn man den begeisterten Mienen der kaum noch
schlafenden Data-Junkies glauben darf, keineswegs so. Alles verlief ganz
wunderbar nach Andy M=FCller-Maghuns "Fahrplan". Auch die zu "Engeln"
ernannten freiwilligen HelferInnen des Kongresses fungierten ihrem
Einsatzprogramm gem=E4=DF und lie=DFen zu =FCberf=FCllen Veranstaltungen =
keine
Leute mehr rein.=20
Dies war sicher auch sehr im Sinne der nach Wau Hollands Angaben
(Gr=FCnder des CCC) knapp =FCber zehn Teilnehmer aus der New Economy. Sie
hatten im Gegensatz zu einem Standard-Eintrittszahler statt der 60 DM
ganze 2300 DM berappen m=FCssen und dennoch flei=DFig bei den einzelnen
Panells mitdiskutiert, was teilweise dazu f=FChrte, da=DF sich so manche
Mythen aufkl=E4rten, oder in extremen F=E4llen mit dem Orakelspruch eines
Entwicklers sich eine gesamte Business-Idee sich als technisch unhaltbar
entpuppte.=20
Wie auch immer, mit Andys Ernennung zum ICANN-Presidenten weht allen
Anschein nach ein frischer orestischer Wind beim CCC. Das macht sich
auch =E4u=DFerlich bemerkbar. Ein neues 2001 inspiriertes Design von
T-Shirts, Postern und Website zeugt von neuen sch=F6pferischen Impulsen i=
m
ansonsten recht domestizierten Chaos. Neben dem obligatorischen Kursus
im Knacken von realen Schl=F6ssern konnten die Kongre=DFteilnehmer sich i=
m
Forum f=FCr Kreativit=E4t (organisert von der C-Base), im Hackzenter, in =
der
Kaffeteria oder im feministischen Lager f=FCr "Haecksen" umtun, wenn sie
grademal nichts =FCber XML, das neue Internetprotokoll IPv6, Ad Hoc
Systeme im mobilen Datenverkehr oder Format Strings, etc. lernen
wollten.=20
Da Informationsguerillia im digitalen Datenbereich, wie ein Film
Emmanuell Goldsteins zeigte, in Amerika viel rigoroser behandelt wird,
als hierzulande, m=FCssen die Algorthymen der kryptischen Verschl=FCsselu=
ng
von Daten, wie die Hackerorganisation Teso e.V. souver=E4n demonstrierte,
bei der Vermittlung von Insiderwissen keineswegs so angewandt werden,
wie in Amerika. Denn die Revolution liegt jedem chaotischen Anspruch zum
Trotz im effizienten Vermitteln von Know-How, das hei=DFt dem
Transparent-Machen von komplexen mathematisch codierten Systemen, die es
dann zu unterlaufen gilt. Viele der Mailinglisten kamen so erst im
Anschlu=DF an die Diskussion im Experten-Foren zustande. Dort finden in
der Regel dann die eigentlichen Diskussionen statt, die im Folgenden
dann die weitere Entwicklungen klar mitbestimmen.=20
Nun ist aber nicht jeder der KongressteilnehmerInnen ein Genius. Viele
begn=FCgen sich damit, im Netzwerk Software zu suchen, zu kopieren und zu
verbreiten. Trotz allem tragen sie dennoch damit indirekt dazu bei, dass
auch in Zukunft Menschen im digitalen =DCberwachungstaat von morgen
Freir=E4ume erhalten bleiben.=20
Vorbei ist jedoch das sinnlose, verkappte Terroristentum der 70er Jahre,
bei dem es plump darum ging, seine Triebe auszuleben, Bomben zu legen,
Menschen zu entf=FChren oder =E4hnlich Heftiges als Akt eines stillen
B=FCrgerprotestes auszuweisen. Hacker sind im Gegensatz zu Terroristen
smart, sie tragen in der Regel keine Parlestinenser-T=FCcher und werfen
auch nicht mit Molis. Sie akzeptieren nach Andy=B4s Erkl=E4rung im
FRITZ-Radio Menschen ganz gleich, wie sie aussehen und sind
dar=FCberhinaus alles andere als fucking stupid. Ihre Systemkritik =E4u=DF=
ert
sich im Wesentlichen konstruktiv. Denn auch das Ausfindigmachen von
Sicherheitsl=F6chern, ist und bleibt, wenn es jemand merkt ein Beitrag zu=
r
Optimierung der Systeme. Dadurch ist Hacken eben vielleicht gerade
deswegen im hohen Grade unchaotisch, strukturell =FCbersichtlich, also im
Sinne Kurzweils eben nicht konservativ.
Oder vielleicht auch nicht?
Die Zeichen der Zeit sind in alt-mathematischer Tradition in jeder Zeile
Code und in jeder Prozessorarchitektur klar vorgegeben. Ob sich darin
ein Mystizismus der Zahlen =E4u=DFert oder alle m=F6glichen Formen von
trojanischen Pferden des BND, BKA, Illuminatentum, New Economy oder wem
auch immer, im Wesentlichen tranportieren sie immer wieder eine ihrem
Wesen nach freimaurerische Grundidee. Es geht um die geistige Freiheit
von Rittern und Vruven im Datensturm.
Und dennoch bleibt die helle oder dunkele oder sonst wie geartete
Wahrheit eine Glaubensfrage. Im Brachland der mathematischen Abtraktion
gibt es jedoch Lichtblicke, die =FCber ihren zeitlichen Rahmen im Chaos
apodiktisch hinausweisen. Ob ihre Opfer dann Musik- und Filmindustrie
hei=DFen werden, um dann in ferner Zukunft in globale Computerspiele- ode=
r
nur noch Softwareindustrie umgetauft zu werden, l=E4=DFt sich vor dem
Horizont der Debatte um den Schutz des geisitgen Eigtentum in den
kommenden Jahren noch nicht sicher beantworten. Ausgeschlossen zu
bleiben scheint aber nach wie vor, da=DF man beim CCC jemals, auch wenn
man gerade darauf aus ist, die eigene Unkonventionalit=E4t immer
unkonventioneller auszutricksen, am Ende dann aus lauter
Unkonventionalit=E4t irgendwann mal in Hemd und Kragen herumlaufen wird.=20
Welche New Economy Member jedoch alles im T-Shirt anreisten und was f=FCr
Scouts und Agenten da alles unterwegs waren, l=E4=DFt sich nicht mit
eindeutiger Determiniertheit sagen. N=E4here Auskunft erteilen da sicher
Metafiles zu den einzelnen Personen. Die fallen aber auch beim CCC unter
Datenschutz. Oder? =20
Nun, wer wei=DF. Dazu hat wohl jeder seine eigene Verschw=F6rungstheorie.=
Um
so sicherer scheint jedoch festzustehen, da=DF beim n=E4chsten Kongre=DF =
des
CCC (3C18) wieder ein IT-Abk=FCrzungsquizz stattfinden wird. Einige
f=FChrende Hacker der Szene machten sich n=E4mlich den Spa=DF, das
Fach-Chinesich der Branche in einem mehr oder weniger lustigen Jeopardy
Spiel zu verulken. Ob dann jedoch jeder, um einmal zum richtigen Hacker
werden zu k=F6nnen, erst zum freudig spa=DFenden Quizz-Fetischisten mutie=
ren
mu=DF, bleibt fraglich und nicht g=E4nzlich ausgeschlossen. Vielleicht wi=
rd
aus Europa ja mal irgendwann ein Staatenverbund oder Land der Rechner
und Hacker werden. Aber bevor das passiert, sollte noch dar=FCber
nachgedacht werden, ob sich hier nicht doch vielmehr der Ruf nach einer
neuen Hochsprache Ausdruck verschafft hat, =E4hnlich wie es der Cyberguru
Jaron Lanier mit seiner Virtual Programming Language (VPL) bereits Mitte
der 80er Jahre wiederholt gefordert hatte...=20
Lanier, der Chaot konnte sich jedoch damals nicht durchsetzen. Denn
Strukturen, die das Chaos konservieren (wie die franz=F6sische B=FCrokrat=
ie
eines Gro=DFunternehmens wie Thomson) sind genauso konservativ, wie das
Chaos, das den Fortschritt behindert. Was am Ende das Ergebnis dieser im
Kongre=DF nicht thematisierten Fragestellung sein wird, kann man sich dan=
n
zwar sicher irgendwann einmal interessenlos beschauen. Die Dynamik der
heutigen Entwicklung hat sich jedoch von allen Kants und Nachkantianern
verabschiedet und fordert die Motivierten und Hellsichtigen unter den
Hackern zu besonnenen Taten auf. Die basalen Grundlagen f=FCr die
kommenden Taten sind bei der Konferenz in Andeutungen erkennbar
geworden. Man darf also bis auf weiteres auf zuk=FCnftige Entwicklungen i=
n
der internationalen Hacker-Szene gespannt bleiben.
Peter Krell
contact:
http://www.ccc.de/congress
FRITZ-Chaos-Radio-E-Mail
chaos@orb.de
(n=E4heres zu Lanier in der n=E4chsten Woche...)
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