[rohrpost] TELEPOLIS: Kunst hat etwas mit Kommunikation zu tun

Krystian Woznicki krystian@snafu.de
Sat, 03 Nov 2001 08:43:27 +0100


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  Kunst hat etwas mit Kommunikation zu tun

  Tilman Baumg=E4rtel   03.11.2001

  Vorher/Nachher: bei einem Kunstprojekt in Berlin kann man bei Ebay das
Recht ersteigern, ein Kunstwerk zu ver=E4ndern

  Viel ist in dem Ausstellungsraum nicht zu sehen. Durch das
Schaufenster erkennt man nur einen Computermonitor samt Tastatur, der
auf einem Sockel steht; ansonsten ist der wei=DF gestrichene Galerieraum
v=F6llig ausger=E4umt. Durch seine vollkommene Leere unterstreicht er noch
den Eindruck, hier eine typische Galerie, einen vollkommenen "White
Cube" vor sich zu haben.

  Das hatten sich Karlheinz Jeron und Joachim Blank eigentlich etwas
anders vorgestellt. Urspr=FCnglich sollte bei ihrem Projekt "Public White
Cube" endlich mal wieder richtige Kunst in einem richtigen Raum zu
sehen sein. Nach fast zehn Jahren Arbeit mit dem Internet als
k=FCnstlerischem Medium wollten sie wieder physische Kunstwerke in einer
Galerie zeigen, und nun das: Peter Friedl hat eine Internet-Arbeit
abgeliefert - genau das, was die K=FCnstler, die unter anderem das
Berliner Internetprojekt Internationale Stadt Berlin gegr=FCndet haben
und als Netzk=FCnstler unter dem Namen sero.org bei der letzten documenta
teilgenommen haben, diesmal vermeiden wollten.

  Friedls Arbeit ist eine banale Neuauflage der kollaborativen
Schreibexperimente, die seit Mitte der 90er Jahre in endloser
Neuauflage wieder und wieder im Internet durchgespielt worden sind.
Unter dem Namen verschiedener fiktiver Figuren kann man einen Dialog
f=FChren, der K=FCnstler ist sogar selbst mit von der Partie. Was in der
Zeitrechnung des Internet eine lang =FCberwundene Phase der Netzkunst
ist, kann Friedl, dem die k=FCnstlerischen Aktivit=E4ten im Internet
offenbar nicht einmal ansatzweise bekannt sind, noch einmal
selbstbewusst aufw=E4rmen. Das St=FCck, so wie es jetzt im Internet steht,
ist allerdings noch nicht einmal eine Schreibmaschinenseite lang, und
besteht gegen Ende hin nur noch aus Kurzeintr=E4gen, mit denen offenbar
jemand =FCberpr=FCfen wollte, ob das Ganze =FCberhaupt funktioniert - ein
Schicksal, dass Friedls Arbeit, die zu allem =DCberfluss auch noch
[1]Blow Job hei=DFt, mit vielen partizipativen Online-Schreibexperimenten
gemeinsam hat. Die Interaktion zwischen verschiedenen Kollaborateuren,
f=FCr die das Internet so =FCberaus geeignet ist, funktioniert nicht
automatisch, sondern nur unter bestimmten Umst=E4nden und mit bestimmten
Regeln - eine Erfahrung, die in der Netzszene inzwischen gelernt ist,
von Peter Friedl allerdings noch nicht. Genau diese Art von
Kollaborations-Erfahrungen aus dem Netz wollen Blank und Jeron wieder
in die Galerie zur=FCck=FCbertragen. Denn Friedls Arbeit wird im Rahmen
eines Projektes gezeigt, dass als "Public White Cube" Interaktion mit
Kunstwerken im realen Raum erlauben soll. Im [2]Projektraum in der
Berliner Galerienmeile Auguststrasse wird von Blank und Jeron, die mit
dem Berliner Autor Gerrit Gohlke zusammenarbeiten, seit Oktober Kunst
gezeigt, die die Zuschauer ver=E4ndern d=FCrfen - allerdings gegen
Bezahlung. Wer ein Kunstwerk nach seinen Vorstellungen ummodeln m=F6chte,
muss das Recht dazu bei dem Internet-Auktionshaus [3]Ebay erwerben.
Dort, wo sonst vor allen Dingen alte Gameboys, aufgegebenen
Briefmarkensammlungen und Aschenbecher aus den 70er Jahren im Angebot
sind, kann man nun das "Kunstver=E4nderungsrecht" erwerben. Wer bei einer
Auktion siegt, darf so gut wie alles mit dem Kunstwerk tun. Sogar die
Arbeit zerst=F6ren. Um nicht ihren Projektraum abrei=DFen zu m=FCssen,
behalten sich die K=FCnstler allerdings doch ein Vetorecht bei
Ver=E4nderungen an der Bausubstanz vor. "Wir wollen nicht, dass die T=FCr
zugemauert wird und wir drau=DFen stehen. Auch Gesetzesverst=F6=DFe erlauben
wir nicht", sagt Joachim Blank. Das hat bisher allerdings auch noch
niemand vorgeschlagen, und die K=FCnstler wundern sich schon dar=FCber, wie
zahm die Kunstver=E4nderungen bis jetzt ausgefallen sind. Im Oktober
zeigten sie eine Wandinstallation des Berliner K=FCnstlers Adib Fricke.
Sechsmal konnte man bei Ebay mitsteigern, um als Meistbietender etwas
an der Arbeit zu ver=E4ndern.

  Ein frisch gebackener K=FCnstler stellte einen Blumentopf mit Farn in
einer Ecke vor dem Kunstwerk auf, ein anderer bat darum, den Raum rot
auszuleuchten zu lassen, ein dritter lie=DF das Schaufenster des
Projektraums mit Papier zukleben. Den "Vorher/Nachher"-Effekt kann man
auf der [4]Website des Projekts studieren. F=FCr das Recht, die
Kunstwerke umzubauen, haben die Kunstver=E4nderer zwischen 80 und 150
Mark bezahlt; einer kam sogar aus M=FCnchen angereist, um "sein" Werk zu
besichtigen.

  Dabei offenbarte sich eine verbl=FCffende Parallele zu den vielen
partizipatorischen Arbeiten im Internet: so wie zum Beispiel Douglas
Davis [5]The World's Longest Sentence und Mark Napiers [6]Digital
Landfill von vielen Usern vor allem daf=FCr genutzt wird, sich selbst und
die eigene Homepage zu promoten, so versuchen auch beim "Public White
Cube" andere K=FCnstler auf ihr eigenes Werk hinzuweisen. Die K=FCnstlerin
Carina Randl=F8v verstrickte die Wandinstallation von Adib Fricke in eine
kunstvolle Konstruktion von Gummib=E4ndern, eine Herangehensweise, die
sich direkt aus ihrer k=FCnstlerischen Methode ableitet.

  Das "breite Publikum", das Ebay frequentiert, um gebrauchte
Inline-Skates zu ersteigern, hat die Kunstaktion allerdings noch nicht
entdeckt. Bisher sind die meisten Teilnehmer an den Auktionen aus dem
Kunstumfeld, wenn sie nicht sogar selbst K=FCnstler sind. Eine
weitergehende Partizipation w=E4re dabei durchaus w=FCnschenswert, aber
auch hier reguliert sich der Markt selbst und l=E4sst den Gro=DFteil der
Ebay-Kunden an der Kunst vorbei zu anderen Gesch=E4ftsfeldern weiter
surfen. Ebay selbst hat sogar schon in verschiedenen Foren auf die
Aktion hingewiesen. Nun sehen die Manager des Internet-Flohmarks dem
Experiment gespannt zu: vielleicht entwickelt sich hier ja gerade
etwas, aus dem man ein neues Business-Modell entwickeln k=F6nnte.

  Das ist freilich nicht die Hauptmotivation der K=FCnstler: "F=FCr uns hat
Kunst etwas mit Kommunikation zu tun", sagt Joachim Blank. Statt das
Werk eines einzelnen K=FCnstler-Genies zu zeigen, wollen sie eine
Zusammenarbeit zwischen vielen ausl=F6sen. "In anderen Galerien sieht man
sich die Kunst an und geht wieder", sagt Karlheinz Jeron. "Bei diesem
Projekt kann man selbst an der Gestaltung der Arbeit teilnehmen."

  Die Interaktion, die im Internet leicht m=F6glich und eine definierende
Eigenschaft der Netzkunst ist, soll hier im wirklichen Raum unter
ver=E4nderten Bedingungen durchgespielt werden. Dabei ist die M=F6glichkeit
zu Partizipation bei dieser sozialen Plastik viel weiter gefasst als
bei den meisten Netzarbeiten, bei denen es oft nur Buttons zu klicken
gibt. Jenseits der totalen Zerst=F6rung ist viel m=F6glich, und ab sofort
kann man nun auch wieder mitbieten. Wer das Kunstver=E4nderungsrecht
ersteigert, kann zum Beispiel den Stecker herausziehen lassen. Oder den
Monitor verh=E4ngen. Oder alles so lassen, wie es ist.

  Links

  [1] http://www.projektraum.org/drama/text.html
  [2] http://www.projektraum.org
  [3] http://cgi.ebay.de/aw-cgi/eBayISAPI.dll?ViewItem&item=3D1480981121
  [4] http://www.projektraum.org/ausstellungsarchiv.html
  [5] http://ca80.lehman.cuny.edu/davis/Sentence/sentence1.html
  [6] http://www.potatoland.org/landfill/

  Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/sa/9961/1.html

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