[rohrpost] TELEPOLIS: WTO-Konferenz: Scharmuetzel im WWW

Krystian Woznicki krystian@snafu.de
Thu, 15 Nov 2001 11:18:52 +0100


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  WTO-Konferenz: Scharm=FCtzel im WWW

  Armin Medosch   15.11.2001

  Virtuelle Blockade-Site und Lobby-Unterst=FCtzung der
Globalisierungsgegner im Web, w=E4hrend die WTO versucht, eine l=E4stige
Parodie-Site loszuwerden

   Zeitgleich zu den Verhandlungen in Doha =FCber eine neue
Verhandlungsrunde zur weiteren Liberalisierung des Welthandels im
Rahmen der World Trade Organisation (WTO) kam es auch im World Wide Web
zu Protestaktionen. Eine nicht n=E4her genannte Organisation rief zu
einem virtuellen Sit-in auf, das jedoch nur geringe Unterst=FCtzung fand.
Die Electrohippies, die 1999 w=E4hrend der gescheiterten
Seattle-Konferenz =F6ffentlichkeitswirksam die Server der WTO
bestreikten, gaben sich ein eher gem=E4=DFigtes Stelldichein mit einer
Informationswebsite und Aufrufen, Lobby-Schreiben an zust=E4ndige
Politiker zu verfassen. Und die WTO ging in die Gegenoffensive, indem
sie versuchte, eine unliebsame Parodie-Site aus dem Web zu verdr=E4ngen.

     Wenn Global Action Days ausgerufen werden, wobei es zeitgleich in
vielen L=E4ndern [1]Protestaktionen gegen die neoliberale Globalisierung
gibt, dann geh=F6rt es schon fast zum guten Ton, dass auch im WWW Action
stattfindet. Doch die Action fiel diesmal vergleichsweise zahm aus, was
m=F6glicherweise den neuen Geist der Zeit wiederspiegelt.

  Eine sich nicht n=E4her deklarierende Initiative rief via einer
[2]Geocities-Website zu einem virtuellen Sit-in gegen die "korporative
Globalisierung" auf. Wie dort erkl=E4rt wird, verursacht das Aufrufen
einer bestimmten Website, dass damit ein Script ausgel=F6st wird, das
HTTP-Requests an den Server wto.org stellt. Abgerufen werden soll eine
Seite namens 'people_before_profit', doch diese existiert auf dem
WTO-Server nicht. Die Anfragen nach der nicht existenten Page erfolgen,
solange die Protestseite ge=F6ffnet bleibt. Wenn sich eine gro=DFe Zahl von
Usern dem Protest anschlie=DFt, k=F6nnten damit die Server der WTO
verlangsamt werden. Doch bereits die Erkl=E4rungen auf der Website geben
sich vorsichtig.

  Das Ziel der Aktion sei nicht destruktiv, sondern symbolisch, hei=DFt es
da. Es ist also nicht die Absicht, WTO.org im Stile einer
Denial-of-Service-Attack g=E4nzlich in die Knie zu zwingen, sondern man
will damit vor allem Pr=E4senz zeigen, begleitend zu den physischen
Protesten der Teilnehmer an den Global Action Days zwischen dem 9. und
13. November. Die Zahl der Teilnehmer am virtuellen Protest wurde brav
aufgelistet: 230 am 10.11., 359 am 11.11. und 231 am 12.11., die
zusammen insgesamt 14,120 Seitenabrufe auf [3]www.wto.org verursachten.
Das wird von den Heavy-duty-servern der WTO nicht einmal als ein laues
L=FCftchen wahrgenommen worden sein.

  =C4hnlich vorsichtig, aber taktisch ganz anders zeigte sich die
Vorgehensweise der Electrohippies im Rahmen der WTO-Proteste. Die
Electrohippies waren vor zwei Jahren kurz vor Seattle auf der
[4]Bildfl=E4che erschienen. Damals hatten sie vom Electronic Disturbance
Theatre entwickelte Software benutzt und weiterentwickelt, um zum
elektronischen Massenprotest gegen die WTO-KOnferenz aufzurufen. Dieses
Mal agierten die Electrohippies entschieden low key. Eigentlich sind
ihre Energien auf eine Protestaktion im Internet gegen den "War Against
Terrorims" gerichtet, die heute, am 15. November, beginnen soll. Nur
auf Grund "starken =F6ffentlichen Interesses" h=E4tten sie sich, eigener
Auskunft zu Folge, an den Doha-Protesten beteiligt.

  Zu diesem Zweck haben sie eine [5]Website aufgesetzt, die in erster
Linie Information und eine Menge Links bietet. Als konkrete
Handlungsm=F6glichkeit offerierten sie die Websites und E-Mails des
zust=E4ndigen [6]US-B=FCros f=FCr Handlesangelegenheiten und des
[7]EU-Kommissars f=FCr Handel , Pascal Lamy, an, verbunden mit der
Aufforderung, ihnen E-Mails zu schicken.

  Diese Vorgehensweise mag im Falle der Electrohippies damit
zusammenh=E4ngen, dass ihr Schwerpunkt bei der heute beginnenden
[8]Aktion gegen den Krieg gegen Terrorismus zu finden ist, die mit
Spannung zu erwarten sein wird. Es mag aber auch damit zu tun haben,
dass die Netzaktivisten vor dem Hintergrund der j=FCngeren Geschichte
ganz bewusst einen anderen Ton anschlagen, weniger konfrontativ,
weniger destruktiv auf das Abw=FCrgen von Servern und mehr auf
Information und Teilnahme ausgerichtet. Man m=F6chte mit diesen Aktionen,
die von ihren Protagonisten selbst als [9]legitimer politischer Protest
im elektronischen Kommunikationsraum verstanden werden, nicht in die
N=E4he terroristischer Handlungen ger=FCckt werden k=F6nnen. Gro=DFbritannie=
n
hat bereits ein Gesetz, dem zu Folge Hacking als Terrorismus
interpretiert werden kann. Eine der an der Online-Demonstration gegen
die Lufthansa beteiligten Gruppen, Libertad, musste k=FCrzlich eine
Razzia und die Beschlagnahmung von Computern und Dokumenten =FCber sich
[10]ergehen lassen. Online-Proteste sehen sich zunehmend der Gefahr
einer pauschalen und unausweichlichen Kriminalisierung ausgesetzt.

  Ebenfalls mitspielen mag die Tatsache, dass Denial-of-Service-Attacks
so eine hohe Medienresonanz erzielt haben, ebenso wie eine scharfe
Gegenreaktion von Strafverfolgern.
Distributed-Denial-of-Service-Attacks k=F6nnen extrem effektiv sein, auch
gegen bestens gesch=FCtzte Server. Doch solche Angriffe werden in der
Regel von anonymen T=E4tern ohne klare politische Zielsetzungen ausge=FCbt
und meist sogenannten Script kiddies zugeschrieben. Solche Handlungen
werden von den Beh=F6rden als klare F=E4lle von Computerkriminalit=E4t
betrachtet. Netzaktivisten wie die Electrohippies hingegen scheuen
nicht davor zur=FCck, sich auch =F6ffentlich als Personen zu exponieren.
Sie verbinden ihre Aktionen mit deklarierten politischen Anliegen (z.B.
[11]DoS-Aktion der Electrohippies gegen Gentechnik) und wollen Formen
virtuellen Protests, wie gesagt, als Ausdruck legitimen politischen
Protests verstanden wissen. Das Recht auf freie Meinungs=E4u=DFerung im
Netz und ein Verst=E4ndnis des Netzes als =F6ffentlicher Raum, in dem es
somit auch eine Form von Versammlungsfreiheit geben muss, werden von
ihnen als Legitimation herangezogen. Verschiedene neue Gesetzgebungen
auf nationaler und multilateraler Ebene hingegen trachten danach, jede
St=F6rung im Informationsverkehr als verbrecherischen Akt einzustufen.
Umso wichtiger wird es f=FCr Netzaktivisten, sich mit ihren Handlungen
auch formal von den Vandalenakten mit DDoS-Attacken um sich werfender
Script kiddies abzusetzen.

  Wenig Skrupel hinsichtlich ihrer =F6ffentlichen Wahrnehmung zeigte
hingegen die WTO selbst, die laut einem [12]Bericht von Indymedia in
der Vorwoche versuchte, eine l=E4stige Parodie-Site abzuschalten. Die
Website [13]Gatt.org - nach dem Vorg=E4nger des WTO-Abkommens, dem
GATT-Abkommen benannt - ist alles andere als eine offizielle
Web-Repr=E4sentation der WTO. Der Domainname gatt.org geh=F6rt einem
amerikanischem Web-Journalisten und Streaming-Media-Spezialisten.
Inhaltlich bespielt wird die Site aber von den
Coroporate-Subversionspraktikern [14]RTmark. F=FCr RTmark typisch, =E4hnelt
gatt.org =E4u=DFerlich fast haargenau der offiziellen WTO-Website.
Inhaltlich bietet die Site jedoch scharfe Anti-Propaganda, bis hin zu
dem Hinweis am Fu=DFende der Homepage, dass es eine Fake-Site gebe, die
der eigenen zum Verwechseln =E4hnlich sehe - und der Link von diesem
Hinweis f=FChrt dann auf die offizielle WTO-Website.

  Mit einer "Cease and desist order" (Aufforderung zur Unterlassung und
Einstellung) an die Registratur Verio Inc versuchte die WTO das
Kommunikationsdienstleistungsunternehmen zu bewegen, die Site aus dem
Verkehr zu ziehen. Als Begr=FCndung dient die Verletzung von Urheber- und
Markenrechten, weil die Parodie-Site Elemente verwendet, die von der
WTO markenrechtlich gesch=FCtzt wurden. Laut dem 1998 verabschiedeten
Digital Millennium Copyright Act liegt in einem solchen Fall, den
Ausf=FChrungen von Indymedia zu Folge, die Beweislage beim Angeklagten.
Wenn eine "Cease and desist order" von einem Gericht ausgeschrieben
wurde, m=FCsste die Website eigentlich abgew=FCrgt werden, und es liegt an
ihren Betreibern zu beweisen, dass keine Verletzung des Urheberrechts
begangen wurde. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels war
gatt.org jedoch noch online. Ob, in welcher Form und durch wen der
Kampf gegen diese Verf=FCgung nun aufgenommen wird, konnte Mangels an
Reaktionen der Betroffenen zum gegenw=E4rtigen Zeitpunkt noch nicht
eruiert werden.

  W=E4hrend sich diese Scharm=FCtzel, die alle kaum Aufmerksamkeit in den
Medien fanden, im und um das WWW abspielten, rangen sich die
Mitgliedsstaaten der WTO in Doha zu einem Kompromiss durch (siehe
[15]www.wtowatch.org/). Das bedeutet, dass es eine neue Runde =FCber eine
zuk=FCnftige Welthandelsordnung geben wird. Nur Indien widersetzte sich
bis zuletzt als hartn=E4ckiger Dissident, entschied sich aber dann daf=FCr,
sich der Stimme zu enthalten und seine Bedenken in einem eigenen
Statement, sozusagen als Anhang zu der Erkl=E4rung von Doha,
hinzuzuf=FCgen. Die geringe mediale Aufmerksamkeit f=FCr die K=E4mpfe im=
 WWW,
aber auch f=FCr die Doha-Konferenz selbst, hat sicherlich damit zu tun,
dass der Krieg in Afghanistan in den letzten Tagen eine dramatische
Wendung erfahren hat. Doch es mag auch im neuen Geist der Zeit liegen,
dass nicht einmal die Businesspresse und die Nachrichtenagenturen so
richtig =FCber den Sieg der weiter fortschreitenden Globalisierung zu
jubeln verm=F6gen. "Millionen an Arbeitnehmern k=F6nnten ihre Jobs
verlieren, Millionen anderer neue Arbeit finden, da ganze Industrien
aufsteigen und untergehen, in Folge von Markt=F6ffnungen, die in Doha auf
den Weg gebracht wurden," [16]schrieb die internationale
Nachrichtenagentur Reuters in London.

  Links

  [1] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/9974/1.html
  [2] http://www.geocities.com/no_wto2001/
  [3] http://www.wto.org
  [4] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/5534/1.html
  [5] http://www.fraw.org.uk/ehippies/lobby.html
  [6] http://www.ustr.gov/wto/index.shtml
  [7] http://www.europa.eu.int/comm/dgs/trade/index_en.htm
  [8] http://www.fraw.org.uk/ehippies/war.html
  [9] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/7881/1.html
  [10] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/9846/1.html
  [11] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/5962/1.html
  [12] http://dc.indymedia.org/front.php3?article_id=3D15296&group=3Dwebcast
  [13] http://www.gatt.org
  [14] http://rtmark.com
  [15] http://www.wtowatch.org/
  [16] http://uk.news.yahoo.com/011114/80/cfiii.html

  Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/11121/1.html

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