[rohrpost] TELEPOLIS: Ein Comic fuer die neue Depression

Krystian Woznicki krystian@snafu.de
Sun, 25 Nov 2001 01:01:11 +0100


Dieser TELEPOLIS Artikel wurde Ihnen
von  <krystian@snafu.de> gesandt.

----------------------------------------------------------------------
  Ein Comic f=FCr die neue Depression

  Richard Pleuger   25.11.2001

  In seinem online-comic "Get Your War On" l=E4=DFt der New Yorker Autor
David Rees die gequ=E4lte Seele des korporativen Amerikas zu Wort kommen

  Der Anschlag vom 11. September hat nicht nur die h=F6chsten B=FCrot=FCrme
und mit ihnen das st=E4rkste Symbol des US-Kapitalismus zerst=F6rt. Die
Terroristen bombten ein Vakuum in die Seele Amerikas, das nur mit der
Endphase des Vietnam Krieges und dem Watergate-Skandals zu vergleichen
ist.

  Das Selbstbewusstsein, ohnehin durch das Platzen der Internet-Blase
und dem daraus erfolgten Crash auf Raten der New Economy schwer
angeschlagen, ist am Boden. Nun hat der 29j=E4hrige Autor David Rees aus
New York einen Comic gestaltet, indem sich der Frust verbal entl=E4dt.
Interessierte Leidensgenossen fand er im nu. Obwohl [1]Get Your War On
"nur" im Internet erscheint, brachte es der zornige Strip durch e-mail
- Propaganda bereits auf mehr als f=FCnf Millionen hits in den ersten
zwei Wochen seines Bestehens.

  "Oh yeah! Operation: Enduring Freedom is in the house" verlautet ein
desillusionierter B=FCroangestellter =FCber Telephon. "Oh yeah! Operation:
Enduring Freedom is in the motherfucking house" erwidert sein Kollege
mit =FCbersch=E4umender Galle. Auf die Frage, was er nun zu Gott sagen
w=FCrde, wenn er es k=F6nnte, meint der Angestellte abschlie=DFend: "Die
monotheistische Religion hat schon immer das beste aus uns Menschen
herausgeholt; vielen Dank f=FCr die Idee eines rachl=FCstigen
=FCbernat=FCrlichen Wesens, das die Leute im Leben nach dem Tod belohnt!
Diese Schei=DFe macht verdammt viel Sinn!"

  Die Unterhaltungen =FCber den Krieg gegen den Terrorismus setzen sich in
einer Serie von Comic Strips fort, die visuell dem extrem banalen
repr=E4sentativen Stil eines Handbuchs f=FCr B=FCroangestellte entnommen
scheint. David Rees hatte vorher zwei Comic Strips entworfen, in denen
er das lyrische Bravado von Freestyle Hip Hop in den seltsame Kontext
von Karate-Amateuren und B=FCroangestellten stellte. Dann entschloss er
sich vor vier Wochen, sich eines ernsthafteren Themas anzunehmen.

  "Ich war sehr entt=E4uscht, wie die Popkultur mit dieser Situation nach
dem 11. September umgeht, insbesondere wie dies Humoristen tun", meint
Rees. "Manches war wirklich lustig oder auch anr=FChrend. Doch nichts kam
der schrecklichen Situation wirklich nahe, so wie ich sie empfinde.
Dasselbe gilt f=FCr die vielen "lustigen" Webseiten, die ich studierte.
Viele Leute haben =FCbereilt die Ironie f=FCr tot erkl=E4rt. Alle wollten=
 auf
einmal furchtbar ernst werden. Ich hatte wirklich den Eindruck, dass
man der Popkultur das Ausdruckspotential f=FCr Schmerz absprach."

       Eines nachts sa=DF ich am I-Mac meiner Freundin und arbeitete an
meiner Webseite und beschloss einfach, ein paar Comics zur aktuellen
Situation zu machen. Keinesfalls wollte ich damit eine bestimmte
politische Agenda unterst=FCtzen. ich denke, was viele Leute momentan
frustet ist die d=FCstere Tatsache, dass man nicht wei=DF, worauf man
hoffen soll. "Get Your War On" sind f=FCr mich sehr pers=F6nliche Comics,
die meine eigene Stimmungslage reflektieren. Und ich habe ganz sch=F6n
gesoffen, als ich sie schuf. An den Abenden floss der Jim Beam in
Str=F6men, weil ich die Tage in einem B=FCro in Midtown Manhattan
gearbeitet hatte, w=E4hrend drau=DFen die Polizeisirenen h=E4ulten und wir
drinnen die News auf CNN.com in uns hineinfra=DFen. Das ist so ziemlich
das schlechteste, was man seiner Seele antun kann.

  Rees sieht die Popularit=E4t des Comic Strips und die darausfolgenden
Jobangebote von alternativen US-Zeitschriften mit gemischten Gef=FChlen:

       Als das Comic das erste Mal von einem riesigen Schub von Leuten
gelesen wurden, war ich schockiert. Was als sehr pers=F6nliches e-mail
Projekt begann, das ich an zehn enge Freunde schickte, ging auf einmal
los wie eine Rakete. Doch dann bekam ich sehr begeisterte e-mails, in
denen mir viele Leute sagten, dass sie mit "Get Your War On" zum ersten
Mal einen Comic gefunden haben, der die kalte verzweifelte Verwirrung
ausdr=FCckt, die sie f=FChlen. Das machte mich sehr gl=FCcklich. Auf der
anderen dachte ich mir: "Das ist toll, trotzdem k=F6nnte ich in einer
Woche tot sein". Und: "Ja gut, aber was mache ich jetzt? Auf die
n=E4chste Gr=E4ueltat warten, damit ich einen Comic daraus machen kann?

  Die Stimmung unter den Angestellten in den urbanen Gro=DFraum-B=FCros,
ohnehin durch das Platzen der Internet-Blase, der Nichtrealisierung von
Aktienoptionen, und der grassierenden Rezession stark angeschlagen, ist
seit dem Terroranschlag vom 11. September unter Null. Die
Durchschlagskraft von "Get Your War On" liegt in der gnadenlosen
Ehrlichkeit seiner Dialoge begr=FCndet. Es sind Dialoge, die dadurch
tr=F6sten, dass ihr Autor sich genauso schlecht f=FChlt wie seine Leser und
auch keinen Ausweg aus der allgemeinen Verunsicherung wei=DF.

  Wie bei jeder guten desperaten Unterhaltung steigern sich die
Gespr=E4chsteilnehmer aus "Get Your War On" in groteske
Verzweiflungsszenarien, die die eigentliche Situation sardonisch
=FCberspitzen und damit eine kurzfristige Entspannung der kollektiven
Verzweiflung erreichen.

  "Ich z=E4hle nur auf die Tage, bis ich das Radio anmache und h=F6re, dass
das nukleare Arsenal von Pakistan in die falschen H=E4nde gefallen ist.
Was f=FCr eine angenehm leichte Zeit wir dann haben!".

       Ich wei=DF", meint sein Kumpel aus der anderen Arbeitszelle. "Ich
f=FChle mich dann wahrscheinlich so angenehm leicht, dass ich mich nur
noch auf's Sofa lege und chille und ein paar nette Pillen einwerfe!
Oder vielleicht lasse ich mir ein sch=F6nes warmes, angenehmes Bad ein,
und mach mir's mit einem Rasiermesser-artigen Gegenstand gem=FCtlich - Du
wei=DFt schon, wie einem Rasiermesser! ICH W=C4RE SO DURCHGEKNALLT, DASS
ICH SELBSTMORD BEGEHEN W=DCRDE?

  "Ich sagte es bereits und ich sage es noch mal - Amerika sollte sich
ergeben!" meint sein Kollege.

     Es w=E4re mir eine Ehre in dem von den Taliban regierten Territorium
des =F6stlichen Missouri zu leben! Gebt mir nur meine Steine zum werfen,
und ich bin zufrieden.

  Wer wei=DF, wie lange Rees den Comic noch weiterf=FChren wird. Das
US-Bombardement scheint zu wirken, die Taliban fliehen aus Kabul in die
Berge.

       Auf keinen Fall will ich von einem Redakteur einer Zeitschrift
abh=E4ngig sein, der mir sagt, dass er einen Comic =FCber die Stimmungslage
nach dem neusten Massaker braucht. Am lustigsten ist es doch, wenn man
selbst nicht anders kann, als die Arbeit zu tun. Der Comic ist f=FCr mich
nur wertvoll, wenn ich darin ausdr=FCcken kann, wie schlecht ich mich
f=FChle.

  Links

  [1] http://www.mnftiu.cc//mnftiu.cc/war.html

  Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/on/11128/1.html

----------------------------------------------------------------------
   Copyright =A9 1996-2001 All Rights Reserved. Alle Rechte vorbehalten
  Verlag Heinz Heise, Hannover   =20