[rohrpost] Kriegsgeil
Ronnie Vuine
wintermute@vuine.de
Mon, 8 Oct 2001 02:24:40 +0000
Am Montag, 8. Oktober 2001 03:01 schrieb ulrike gabriel:
Hallo Rohrpost - hochinteressant, das hier.
Ich versuche mal auszuleuchten.
> ich habe, ach, alles studiert.
> ich sehe keinen anderen weg -
> gibst du dem westlichen denken den kleinen finger, nimmt es gleich
> die ganze hand.
Westliches Denken fordert und verschlingt. Das ist reflektiert.
Ich glaube, das ist das, was bei Kant Faktum der Vernunft heisst. Man
kann es, als Faktum, nicht verurteilen oder begrüssen.
Aber es ist ein menschliches Faktum - kein westliches. Der westliche
- oder sagen wir diesmal: semitisch-christliche - Kulturkreis hat das
in seine denkerischen und politischen Grundlagen aufgenommen. Der
islamische nicht, hier gilt ein Primat des Glaubens - und das ist
rechtens. Alle westliche Kritik geht da ins Leere, weil sie auf der
Vernunft basiert, nicht dem Glauben.
Auch das in sich korrekte Argument: Daß das Primat des Glaubens eine
"primitivere" Denkform ist, die mit einer gewissen historischen
Zwangsläufigkeit abgelöst wird, hat keine Überzeugunskraft gegen die
offenbarte religiöse Sicherheit.
Der zentral-westliche (und vernunftimmanente) Gedanke der Fehlbarkeit
des Menschen, auch und vor allem bei der Deutung einer religiösen
Offenbarung braucht offenbar Geburtshelfer, weil er als vernünftiger
Gedanke in einem gedanklichen System göttlicher Offenbarung keine
Gültigkeit hat.
Erklärtermassen kämpfen die Gotteskrieger nicht, weil sie sich von
Coca Cola in ihrer kulturellen Identität bedroht sehen. Denn eine
solche Rechtfertigung wäre zu nahe am täglichen Leben, zu nahe an der
natürlichen Vernunft, zu nahe an der Lächerlichkeit. (Denn da braucht
es keinen Gotteskrieg - es reicht, keine Cola zu kaufen). Die
Begründung für den heiligen Krieg wird in mystische, also irrationale
Ferne gerückt: "Geheiligtes Land" wird "entweiht durch die
Anwesenheit" von Ungläubigen. Das ist weit genug weg vom
Alltagsverstand, um als offenbarungsbedingt durchzugehen.
> lieber eine revolutionaere phase des mittelalters (die guillotine
> ist out) als eingefroren sein in diesem zustand.
> lieber krieg als frieden
Ein besonders trauriger Krieg, denn die Gegner verstehen sich im
Grunde: Der Westen kämpft gegen sein abgelegtes Selbst, der Islam
gegen seine Verdammtheit zur Vernunft - und die klugen Moslems wissen
das. Und sie wissen wohl auch, daß sie diesen Krieg nicht führen,
weil sie ihn gewinnen könnten. Er ist nur die letzte Möglichkeit,
sich gegen die menschlichen Tatsachen zu wehren.
Heute besonders bedeutungsschwanger,
rv