[rohrpost] Christoph Spehr: Sieben Thesen zur Lage

geert geert" <geert@xs4all.nl
Fri, 14 Sep 2001 08:02:17 +1000


From: <Yetipress@aol.com>
Sent: Thursday, September 13, 2001 11:03 PM
Subject: Sieben Thesen zur Lage


Sieben Thesen zur Lage

1. Das ist kein Krieg. -

Auch wenn die Dimension der Terroranschl=E4ge schockierend ist: Das ist k=
ein
Krieg. Bis jetzt noch nicht. Kriege sind bewaffnete Auseinandersetzungen
zwischen Staaten oder B=FCrgerkriegsparteien in einem Land; Krieg erforde=
rt
einen bekannten Gegner, dessen milit=E4rische Struktur angegriffen werden
kann.
Das Etikett "Krieg" lenkt ab von der Fragw=FCrdigkeit von blinden
Vergeltungsschl=E4gen, die vorwiegend aus symbolischen und innenpolitisch=
en
Gr=FCnden forciert werden. Es sei daran erinnert, dass z.B. die "Ziele" i=
m
Sudan, die 1998 von den USA bombardiert wurden, sich nachtr=E4glich als
"Irrtum" herausstellten. Terror wird durch Gegenterror nicht bek=E4mpft, =
und
er
rechtfertigt ihn nicht.

2. Es kommt jetzt alles darauf an, keinen Krieg daraus zu machen. -

Die Rhetorik vom Krieg und die Politik des Gegenschlags spielt in
leichtfertiger Weise mit der Gefahr eines tats=E4chlichen Krieges, vor al=
lem
eines Krieges zwischen dem Westen und arabischen L=E4ndern. Zweifellos ge=
ht
Terror in der Welt auch vom Boden der USA und Europas aus; dass eine
Bombardierung entsprechender "Zentren" nicht verst=E4ndnisvoll hingenomme=
n
werden kann, erleben wir gerade. Dasselbe gilt f=FCr L=E4nder in Asien, A=
frika
oder Nahost aber auch. Aktuell ist es der Westen, der einen Angriffskrieg
gegen arabische Staaten vorbereitet, der bereits als Krieg des Guten gege=
n
das B=F6se abgefeiert wird. Die Geschwindigkeit, mit der angebliche
"Erkenntnisse" produziert werden, ist mehr als fragw=FCrdig. Die
Leichtfertigkeit, mit der das Risiko eines tats=E4chlichen Krieges in Kau=
f
genommen wird, ist ebenso schockierend wie das Desinteresse an den Mensch=
en,
deren Leben direkt und indirekt gef=E4hrdet wird.

3. Das ist kein Anschlag gegen die Freiheit, nicht einmal gegen den
Kapitalismus, und es l=E4=DFt sich auch keiner draus machen. -

Mit den verheerenden Anschl=E4gen ist weder die "freie Welt", sprich der
Westen, noch die "zivilisierte Welt", sprich die Industriestaaten, auch
nicht
die "Demokratie", sprich der Kapitalismus angegriffen worden. Abgesehen
davon, dass man bis jetzt nicht wei=DF, wer die Anschl=E4ge mit welchem Z=
iel
durchgef=FChrt hat, richten sie sich gegen Symbole der USA als weltweiter
Interventionsmacht, =F6konomisch und milit=E4risch. Das ist eine relativ
spezielle Botschaft. Die Rede vom "Angriff auf die Freiheit" b=E4ckt dies=
es
spezifische Gewaltpotenzial mit allem und allen in der Gesellschaft zusam=
men
und verdeckt gezielt, dass eben diese Interventionsmacht und -praxis seit
langem bewusst und kalkuliert Risiken auch f=FCr die eigene Bev=F6lkerung
anzieht
- vor allem indem sie anderswo Gewalt aus=FCbt und Armut schafft, aber au=
ch
indem sie bedenkenlos Gruppen milit=E4risch aufr=FCstet, =FCber die sie d=
ann die
Kontrolle verliert.

4. Das ist kein Anschlag f=FCr die Freiheit, nicht einmal gegen den
Kapitalismus, und es l=E4=DFt sich auch keiner draus machen. -

Man muss keine Sympathie f=FCr das Pentagon oder f=FCr das internationale
Finanzkapital hegen, um festzustellen, dass die Anschl=E4ge eine faschist=
ische
Handschrift tragen. =C4hnlich wie bei den Anschl=E4gen in Bologna, Oklaho=
ma und
anderen sollten mit maximaler Gewalt m=F6glichst viele Menschen get=F6tet
werden,
Chaos und Krieg sind die kalkulierten, erhofften Folgen dabei. Der Tod vo=
n
Zivilisten, die unmittelbare Lebensgefahr die f=FCr Pal=E4stinenser, f=FC=
r
Israelis, f=FCr die Bev=F6lkerung arabischer Staaten und viele andere
hervorgerufen wird, sind den T=E4tern vollst=E4ndig gleichg=FCltig. Egal =
ob die
Verantwortlichen arabische Fundamentalisten, amerikanische Rechtsextreme,
eine Verbindung mehrerer Gruppen oder ganz Andere waren: hier l=E4=DFt si=
ch kein
antikapitalistischer Kontext konstruieren, hier rechnet ein reaktion=E4re=
s,
organisiertes Machtpotential mit einem Gegner ab, der der eigenen Macht i=
m
Weg steht; hier wird geschlachtet, weil man sich von den Folgen eine
Eskalation verspricht, von der das eigene Machtgebilde auf Kosten zahllos=
er
Anderer profitieren soll.

5. Die Anschl=E4ge sind der Bankrott einer milit=E4risch und polizeilich
fixierten Sicherheitspolitik; ein Weitergehen in diese Richtung ist
verantwortungsloser Hasard. -

Die Rede vom Krieg verdeckt auch, dass es vor Terroranschl=E4gen keinen
absoluten Schutz gibt. Die eigene Sicherheit zu erh=F6hen, erfordert Poli=
tik,
nicht milit=E4rische Schlagkraft. Es erfordert eine Politik, die zumindes=
t in
h=F6herem Ma=DFe auf Kooperation, Ausgleich und Kompromiss bedacht ist, w=
enn es
um =F6konomische Politik und internationale Konflikte geht. Auch wenn die
Terroranschl=E4ge nicht beanspruchen k=F6nnen, irgendjemand zu "repr=E4se=
ntieren",
haben sie einen verbreiteten realen Hass auf den Westen und die USA zur
Voraussetzung, um ihre S=F6ldner zu rekrutieren und sich erfolgreich vor
Infiltration abzuschotten. Diesen Hass kann man milit=E4risch nicht
zerschlagen, er ist die Bilanz einer Politik, die weiten Teilen der
Menschheit nichts zu bieten hat - nicht die Ambivalenz eines noch halbweg=
s
ausk=F6mmlichen Lebens im Kapitalismus, sondern buchst=E4blich nichts au=DF=
er
Gewalt, Armut, Vertreibung und Dem=FCtigung. Sicherheitspolitik besteht h=
eute
im Protest gegen die Politik der G8. Wer findet, am wichtigsten sei, dass
die
Bundeswehr jetzt auch m=F6glichst schnell ihre globale Interventionsf=E4h=
igkeit
weiter vorantreibt, ist nicht nur zynisch, er riskiert bereitwillig unser
aller Leben um der Interessen von Eliten und "Systemzw=E4ngen" willen.

6. Es ist notwendig deutlich zu machen, dass wir uns weigern, einen Krieg=
 zu
f=FChren. -

Die an sich bekannte Wahrheit, dass Krieg das Schlimmste ist, was passier=
en
kann, wird derzeit beschleunigt zugedeckt. Wir erleben kriegsvorbereitend=
e
Propaganda. Es ist wichtig, klar zu machen, dass ein Krieg auf Widerstand
st=F6=DFt. Anteilnahme und Solidarit=E4t f=FCr die Get=F6teten in Amerika=
 und ihre
Angeh=F6rigen sind wichtig. F=FCr die innenpolitischen Interessen von Bus=
h und
die strategischen Machtinteressen deutscher Eliten im Nahen Osten den Kop=
f
hinhalten, hat damit nichts zu tun.

7. Es ist notwendig, einer Spirale von Rassismus entgegenzutreten. -

Es gibt bereits Angriffe auf Ausl=E4nder, speziell auf Menschen aus arabi=
schen
L=E4ndern oder aus mehrheitlich moslemischen L=E4ndern, in den USA und au=
ch
hier.
Das Spiel von oben ist dasselbe wie immer: Man will solche =DCbergriffe n=
icht
haben, betreibt aber die Politik, die sie vorbereitet. Es geht eben nicht
darum, dass "nicht alle Araber so sind" oder der Islam auch ganz nett sei=
n
kann. Es geht um aktiven Schutz f=FCr Gef=E4hrdete, es geht um eine
selbstkritische Haltung gegen=FCber der eigenen Politik und Dominanz. Es =
geht
um das Anerkennen der Tatsache, dass es auch Hass gibt und dass er auch
reale
Gr=FCnde hat. Es geht um das Eingest=E4ndnis der Tatsache, dass der Weste=
n jeder
emanzipatorischen oder sozialen Alternative innerhalb des Islam oder
innerhalb der arabischen Gesellschaften mit kompromi=DFloser H=E4rte
entgegengetreten ist, einfach wegen des =D6ls. Und es geht darum, mit der
realen Vielgestaltigkeit von Positionen, politischen =DCberzeugungen und
sozialen Kr=E4ften endlich zu kooperieren, zu kommunizieren und zu verhan=
deln,
anstatt sich die Feindbilder zu schaffen, die das eigene Draufhauen immer
wieder aufs Neue legitimieren sollen.