[rohrpost] FYI: Sieben Thesen zur Lage

Florian Cramer cantsin@zedat.fu-berlin.de
Sun, 16 Sep 2001 18:16:11 +0200


Am Fri, 14.Sep.2001 um 22:53:57 +0200 schrieb Marco Vogts:
 
> Glaubst Du denn wirklich an einen moeglichen "Erfolg" einer solchen
> Politik?  Bin Laden tot, Problem geloest - oder wie? Ist doch nicht
> Dein Niveau.

Das habe ich auch nicht geschrieben! Und ob bin Laden dahintersteckt,
weiß nach wie vor kein Mensch. Eine vernünftige Politik sähe meiner
Meinung nach so aus: Die Urheberschaft des Attentats zweifelsfrei
feststellen und dafür unter Umständen viel Zeit in Kauf nehmen. Wenn die
Urheber nicht mit der Unterstützung eines Staates gehandelt haben, sie
dingfest machen und vor Gericht stellen. Sollte es aber Staaten geben,
die die Attentäter aktiv (d.h. mit direkter logistischer Unterstützung)
oder passiv (indem sie vom Anschlag gewußt und ihn nicht vereitelt haben
wie die DDR beim LaBelle-Anschlag 1986) unterstützt haben, müssen deren
Regierungen vor den internationalen Gerichtshof in den Haag. Sollten
diese Regierungen entweder die Auslieferung der Attentäter oder, falls
angezeigt, ihrer beteiligten Mitglieder verweigern, wär aus meiner Sicht
ein militärischer Angriff auf diese Regierungen legitim.

Leider mache ich mir immer weniger Hoffnungen, daß die
Bush-Administration so oder ähnlich handelt, wie oben beschrieben.

 
> Das sind nicht mal Aepfel und Birnen. Das von dir angefuehrte
> Gegenbeispiel weist in seiner Unwahrscheinlichkeit gerade auf die dem
> Terror zugrundeliegenden strukturellen Probleme hin. Es gibt keinen
> (nennenswerten) "moslemisch-arabischen" Tourismus nach Europa, und das

Durchaus. Man denke an Rafsandjani (der zwar ein Perser ist und kein
Araber) und seine Weimar-Reise zu Ehren von Goethes West-östlichem
Divan. Oder an arabischen Tourismus nach Andalusien, in dem wieder eine
aufgeklärte islamische Minderheitenkultur gibt - und ebenso auch
rassistische, vornehmlich gegen Marokanner gerichtete Anschläge.

> Sonne schiene. Ausserdem, und das ist auch voellig unmoeglich an
> Deinem Vergleich, wuerden also die Touristen in Deutschland aus
> rassistischen Motiven umgebracht. Also etwas, das man den Urhebern der
> Anschlaege vom Dienstag noch nicht nachtraeglich in ihre kranken Hirne
> zu montieren vermocht hat. Hat auch m.W. noch keiner versucht. Selbst
> die eifrigsten Bauchredner der "freien westlichen Zivilisation"
> wuerden unter vier Augen kaum ernsthaft bestreiten, dass hier
> politischer Terrorismus gegen "feindliche" Symbole das Thema ist.

...und dabei über 5000 Leichen geht. Im Gegensatz z.B. zu den Attentaten
der RAF ist diese Wahllosigkeit faschistoid, wie ja auch in Spehrs
Thesen festgestellt wurde. Jemand anderes hatte den Vergleich zum
Neonazi-Anschlag auf das Münchener Oktoberfest gezogen, der Vergleich
mit dem ebenfalls rechtsextremistisch motivierten Oklohama-Attentat
drängt sich ebenfalls auf.

Florian

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