Re(2): [rohrpost]Hey,Mr. Taliban!
Marian Bichler
rohrpost@mikrolisten.de
Thu, 27 Sep 2001 20:15:39 +0200
rohrpost@mikrolisten.de schreibt:
>At 16:24 Uhr +0200 27.09.2001, Marian Bichler wrote:
>>(...) in dem an der Peripherie der herrschenden Gesellschaft
>permanenter Krieg propagiert wurde, um die Menschen in
>Opferbereitschaft zu halten.
>
>teilweise d'accord. doch im grunde beschreibt das den status quo.
>(jugoslawien ist im übrigen wahrscheinlich einer der ersten fälle
>gewesen, wo die kapitalistische periferie in geografischer nähe
>zusammenbricht - mit ebendiesen folgen.)
seh ich auch so. Nur hat das jetzt eine andere Qualität. Herr Busch
spricht offen davon, dass W I R uns auf einen jahrelangen Krieg
einstellen müssen. Das "wording" war bisher schamhafter. Interessant
ist immer der Punkt, wenn Quantitäten eine neue Qualität bekommen.
>
>
>
>>Oder ist es der Auftakt zum Weltüberwachungs-Staat,
>
>_der_ auftakt ist schon längst vorbei.
Siehe hier oben. Vielleicht auch eine neue Eskalationsstufe. Mich
interessiert wirklich die o.g. neue amerikanische Marschrichtung.
>
>
>>damit die Globalisierung ungehemmt durchgesetzt werden kann?
>
>was auch mit "ressourcen-kontrolle" übersetzt werden könnte. ach, ja:
>auf welche "globalisierung" deutest du mit dem demonstrativ-pronomen
>denn eigentlich so markant hin?
Auf die Megafusionen der Firmen, wie man sie forciert seit ca. 1995
beobachten konnte. Schon 1997 fragte ich mich, was da geschieht.
Inzwischen spricht selbst Herr Henkel, Ex-BDI-Präsident offen vom
Machtverlust der Politik gegenüber den großen Konzernen. (etc. dazu
gäb es noch viel mehr zu sagen)
>
>
>>Und was hat es für mittelfristige Folgen für die Gesellschaft, sich
>auf einen jahrelangen schleichenden Ausnahmezustand mit erweitertem
>staatlichem
>>Überwachungsapparat einzustellen?
>
>eindämmung emanzipativer strömungen jedweder couleur. m.e. bereits
>seit mehreren jahren zu beobachten.
Richtig. Aber auch hier eine neue Qualität. Daß eine Lehrerin
aufgrund Amerika-kritischer Auesserungen vom Dienst suspendiert wird,
ist eine neue Art von Berufsverbot. Bisher musste der Beamte, soviel
ich weiss, nur dem deutschen Staat Loyalität schwören.
>
>
>
>btw: worin liegt eigentlich die spezifische qualität des
>_amerikanischen_ imperialismus gegenüber den anderen?
Ich habe Amerika als pars pro toto angeführt.
>
>
>>Mich entsetzt, dass die USA die UNO als unabhängige politische
>Instanz zum Narren hält.
Indem die USA ihre lächerlichen Schulden von ein paar hundert
Millionen (im Gegensatz zu 20 Milliarden oder mehr für den
Militäreinsatz) bei der UNO nicht zahlen; und sich ein Privatmann, Ted
Turner, finden muß, der da teilweise beispringt, zeigen sie auf einer
ganz realen Ebene, nämlich der finanziellen, welche Wichtigkeit sie
der UNO beimessen.
>
>
>und was ist im übrigen, wenn die uno sagt: ja, bomben? ist das dann
>'gut'?
Das ist eine andere Frage.
>
>
>>Aber vielleicht ist die sich abzeichnende Albtraum-Wirklichkeit mit
>einem Herrn Schill als Innenminister
>
>innen_senator_ bitte, auch wenn der innen_minister_ recht ähnlich
>heisst ;-) und rein dialektisch betrachtet könnte das ganze durchaus
>sein gutes haben und ein wenig zur entzauberung dieses maulhelden
>beitragen.
Als Ex-Hamburgerin kenne ich sowohl Herrn Schill als auch den
Unterschied zwischen Innensenator und Innnenminister. Ich meinte, in
negativer und zynischer Vorausschau, Innenminister. Wobei Herr Schill
stellvertetend für das steht, was ein populistischer Emporkömmling
transportiert. Ich wollte mit meinem Posting darauf aufmerksam machen,
daß m.E. ein Ton in die Medien eingezogen ist, der es opportun werden
läßt, die üblichen Ressentiments sehr viel hemmungsloser auszuspielen.
Es gibt eine neue Mobilisierung dumpfer Ängste seit dem 11.9. Es wird
über den Einsatz von Bundeswehr für Objektschutz nachgedacht ...
Insgesamt wird massiv ein Bedürfnis nach Recht und Ordnung geschürt,
wie es vor dem 11.9. nicht der Fall war. Das ist eine ideale
Wachstumsumgebung für Positionen von Schillkaliber.
>
>"haider=hitler"-slogans...
nicht meine Ebene
>
>
>und die wirklichkeit ist ein albtraum schon solange es menschen gibt,
>zumindest für einige.
Wohl war. Dennoch gibt es auch hier Unterschiede. Ich erinnere mich
noch sehr gut an die bleierne Stimmung im deutschen Herbst 1977 - da
konnte man Deutschland nur verlassen. Und ich erinnere mich an die
bleierne Stimmung 1985 in Berlin, als alle Häuser der frühen 80-er
geräumt waren. Ich frage mich, welche Folgen die derzeitigen
amerikanischen Kriegsparolen haben und ob wir demnächst in einer
Gesellschaft leben, die sich zwar "Demokratie" nennt, in der es aber
selbstverständlich ist, daß man gewisse Dinge nicht sagen darf. Ich
erinnere nur an die Meinung des konservativen Musikers Karl Heinz
Stockhausen und den Sturm der Entrüstung, der entstand, als er den
Angriff auf das WTC ein Gesamtkunstwerk nannte.
>
>
>>"Walled Garden" als Lebensprinzip?
>
>hat sich m.e. schon längst durchgesetzt. auch nicht erst seit
>gestern. und seien wir mal ehrlich: wir unterhalten uns hier als
>hochgradig privilegierte, jedes bit, das wir über die infrastruktur
>von cisco & co. austauschen ist 'wohlstand, für den andere bluten
>müssen'.
Genauso habe ich es gemeint.
>
>
>>Und: welche Alternativen gibt es?
>
>die revolution im namen (bitte gewünschte utopie oder
>allmachtsfantasie ankreuzen)
nicht mein Ding. Ich frage mich eher, ob es die Möglichkeit gibt, eine
Vorstellung davon, was Utopie jenseits von teleologischem Denken sein
koennte, zu formen. Gibt es eine emotionale Alternative zu Schock und
Zynismus?
>
>
>>Was tun?
>
>obacht geben, weise werden und manchmal "weniger schreiben"
>(sebastian l.)
>
Ich bin über die Ereignisse am 11.9. sehr erschrocken, und ich habe
das Bedürfnis nach Austausch jenseits der Propagandamaschine der
Medien. Zynismus hat immer mit Resignation und dem Bedürfnis zu tun,
irgendwo drüber zu stehen. Das, was im Moment geschieht, erscheint mir
so einschneidend, von so neuer Qualität, daß ich lügen würde, wenn ich
behaupten würde, dass alles schon zu begreifen.
Gruß Marian
>
>