[rohrpost] Re: Kultur-Taler für Projekte anstatt Verwalter
Gerrit Gohlke
gerrit.gohlke@gmx.de
Sat, 13 Apr 2002 13:10:06 +0200
Bernd von den Brincken wrote:
> Aber letztlich: Sie VERWALTEN das Projektbudget - bisher brauchte es 60
> Verwaltungs-Taler für 30 Projekttaler, jetzt sind es 60 zu 10.
> Und das läuft in den 327 Berliner nicht-Kultur-Institutionen, Behörden
> usw. ähnlich.
> Und DAHER kommt die ganze Misere.
Nach längerem Schweigen ("Spar-Klausur") hat der Berliner Kultursenator
nun seine erste öffentliche Erklärung abgegeben. Eine komprimierte und
lesbare Fassung ist (neben dem vollständigen Text) auf
http://www.bethanien.de/falschsparer/ nachzulesen.
Senator Flierl entschuldigt sich in der Rede für seine Politik der
vollendeten Tatsachen ("Wir holen jetzt nach, was zuvor die Lage nicht
erlaubte: mit den Einrichtungen reden."), nimmt die Kürzungen für die
Berliner "Kunstwerke" zurück und verteidigt den Rest seiner
Sparbeschlüsse, die er mit Gesprächsangeboten garniert.
[Rohrpost] ist keine Kultursparer-Mailingliste und auch kein
Berlin-Bulletin. Aber interessant ist für uns alle die in der Rede
angedeutete Fernperspektive der Hauptstadtkulturpolitik: Eine Schwächung
der Institutionen und zugleich eine Politik der "Abschichtung" (Flierl),
die es einzelnen "qualifizierten Kulturinstituten" als Agenturen
überläßt, die öffentlichen Fördermittel frei zu vergeben. Zugleich wird
die personelle Ausstattung der Kulturinstitutionen minimiert.
Wer sich an die Springprozessionen erinnert, in denen die Berliner
Medienkunstförderung verlaufen ist, ahnt, was das bedeutet: Nicht primär
die Verschlankung der Verwaltung, die Bernd von den Brincken in seinem
Zitat oben herbeisehnt, sondern die Umverteilung zugunsten
nicht-institutionalisierter Projekte, deren individualisiertes Schicksal
nicht mehr Gegenstand öffentlicher Verteilungsdebatten ist. Viele
[Rohrpost]-LeserInnen haben sich freiberuflich im
(Medien-/Kunst-)Kulturdschungel eingenischt. Ihre spezialisierte und
damit halböffentliche Arbeit wurde aber von Institutionen
organisatorisch gesichert und gerahmt. In Berlin läßt sich erkennen, wie
sich die Kulturpolitik spaltet: In einen öffentlichkeitswirksamen
Event-Sektor und eine zerspplitterte Off-Szenerie. "Off" ist dabei
inzwischen alles, was nicht den Glanz eines staatlichen Opernhauses oder
die sklerotische Ehrwürdigkeit eines preußischen Großmuseums ausstrahlt.
Was man den herrlich unverwalteten freien Projektmachern abseits dieser
Eventkultur bei der übernächsten Immobilienkrise wieder wegnehmen wird,
nimmt die Öffentlichkeit nicht einmal mehr war. Ein abgelehnter
Projektantrag ist schließlich kein Politikum.
Es ist deshalb wohlfeil, die Verwaltungen der Kulturinstitutionen zu
schmähen. Sie mögen bei jeder Projektabrechnung aufs neue lästig werden.
Sie sichern aber die Kontinuität einer publizistischen,
medientheoretischen, international vernetzten und vielleicht hin und
wieder marktskeptischen Kulturproduktion. Es sind ja
Produktionsinstitutionen, die der Kultursenat zuerst aushungert, nicht
die Kulturschaustellen mit Tourismusförderungsprädikat.
Was sich in der Berliner Sparpolitik abzeichnet, ist also nicht der
Sachzwang der Ökonomie - die am Gesamthaushalt gemessen marginalen
Beträge verdeutlichen das -, sondern ein verändertes
Öffentlichkeitsverständnis der Kulturpolitik, für das die
Grundlagenarbeit unterhalb der Event-Wahrnehmungsschwelle mehr und mehr
zur Privatangelegenheit wird.
Das mündet am Ende in den Trend zur komplexitätsreduzierten Amateurkultur.
http://www.bethanien.de/falschsparer/
http://www.berlin.de/home/Land/SenWissKult/kult/index.html