[rohrpost] Rettet die Privatkopie
Dietmar Kammerer
dietmar.kammerer@berlin.de
Sat, 3 Aug 2002 15:00:17 +0200
Eine kürzere (und für den 31.07. aktualisierte) Version dieses Artikels
erscheint heute in der Jungen Welt, ihr kriegt die längere (schönere).
gruss, Dietmar
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Rettet die Privatkopie
Adobe im Wunderland
Kinder sollten endlich lernen, von den Lippen ihrer Mütter zu lesen. So oder
so ähnlich müssen sich das die Rechtsexperten des amerikanischen
Softwareherstellers Adobe gedacht haben, als dieser seine Version des
Kinderbuches "Alice im Wunderland" zum kostenlosen Download ins Internet
stellte. Wer sich die Mühe machte, die angehängte Lizenz durchzuackern,
durfte dort unter "Erlaubnisse" lesen: "Es ist nicht erlaubt, aus diesem
Buch laut vorzulesen." Weiterhin war per Lizenzbestimmung geregelt, dass es
nicht erlaubt sei, Ausschnitte aus dem Text in die Zwischenablage zu
kopieren, den Text auszuleihen, weiterzugeben oder gar auszudrucken. Was
eigentlich nur noch gestattet, den Text alleine am Rechner still und für
sich durchzulesen. Und am besten noch die Tür abzuschließen, damit keine
weitere Person unbefugt über die Schulter guckt. Keine Chance für Papa oder
Mama, ihren Sprößlingen die Abenteuer von "Alice" als Gutenachtgeschichte
vorzutragen.
Eigentlich macht Adobe gar keine Bücher, sondern Software, ziemlich gute
sogar. Ihr Bildbearbeitungsprogramm "Photoshop" ist legendär, und ihr
"Acrobat Reader", der das bequeme Lesen von digitalen Dokumenten und
Zeitschriften ermöglicht, wird kostenlos verteilt und ist auf den meisten
Rechnern zu finden. Als weiteren Geschäftszweig haben sie nun auch den
E-Book-Commerce entdeckt. Chancen und Risiken der neuen Technik: sind die
Texte erst einmal in Nullen und Einsen übersetzt, können sie nicht nur
bequem vermarktet, sondern ebenso beliebig oft kopiert und, wieder mal übers
Internet, kostenlos weitergegeben werden. Diese viel gefürchtete
"Geschenkökonomie" unter Internetnutzern ließ ja schon die Musikindustrie
Sturm laufen und Webseiten wie Napster erfolgreich mit millionenschweren
Klagen überziehen. Um die Interessen der Rechteindustrie zu schützen,
entwickeln Softwarefirmen Schutzmechanismen, die ein Kopieren oder
Weitergeben verhindern sollen. Was durch Technik allein – noch – nicht
geregelt werden kann (laut vorlesen), wird durch Lizenzbestimmungen
abgesichert. Der spezielle Witz bei "Alice" liegt natürlich darin, dass sein
Autor Lawrence Carrol bereits seit über hundert Jahren tot und damit das
Copyright verfallen ist. Es gibt hunderte von Internetseiten, die "Alice"
komplett und ohne jegliche Einschränkungen anbieten.
Das Ende des Gleichgewichtes?
Lawrence Lessig, Professor der Rechte an der Stanford Law School, hat die
absurde Geschichte um "Alice" publik gemacht [1]. Inzwischen hat Adobe die
Lizenzbestimmungen für dieses Werk geändert. Die Version, die Lessig
vorliegt, erlaubt es ihm nun gnädig, alle zehn Tage "zehn Textausschnitte zu
kopieren", sowie "zehn Seiten auszudrucken". Lautes Vorlesen ist nun auch
ausdrücklich gestattet. Ein lobenswerter Fortschritt, wie Rechtsexperte
Lessig anmerkt. Denn eine einfache Lösung, wie im Cyberspace die Rechte der
Nutzer mit denen der Autoren und der Kulturindustrie in Einklang gebracht
werden soll, ist noch nicht in Sicht. Klar scheint nur, dass das
jahrhunderte alte und gut eingespielte System des Urheberrechts bzw.
Copyrights sich nicht ohne weiteres auf die digitalen Kulturkonserven
übertragen lässt.
Lange genug hat es immerhin gedauert, bis in der analogen Welt des
Buchdrucks und der Kassettenrekorder ein allgemein anerkannter Ausgleich
gefunden werden konnte. Gut zweihundert Jahre war das Copyright nicht mehr
als ein obrigkeitsstaatlich verordnetes Privileg für die neu entstandenen
Druckerpressen. In England etwa verlieh die Krone gegen eine Gebühr der
Druckergilde das Patent für das Drucken von Büchern. Ein einträgliches
Geschäft für beide Seiten: die Drucker erhielten das verbriefte Recht,
"ihre" Werke exklusiv zu verwerten, die Krone erhielt Einnahmen. Nur die
Autoren blieben außen vor. Das Copyright begann als Kopierrecht der Verlage,
nicht als Eigentumsrecht der Autoren [2]. Das änderte sich erst mit dem
"Statute of Anne" von 1710: auf einmal entdeckte man als Staatsziel die
"Ermunterung zum Lernen", und suchte nach Möglichkeiten, die Autoren und
damit den den Austausch von Ideen zu fördern. Nun konnten auch Autoren
Eigentumsrechte an ihren Werken erwerben, zudem wurde erstmals eine
Schutzdauer von 28 Jahren festgelegt, nach deren Ablauf die Werke zur
"public domain", zum Allgemeingut wurden. Die Drucker, die ihre
Monopolstellung gefährdet sahen, wehrten sich vergeblich. In anderen
europäischen Ländern entwickelten sich ähnliche Regelungen. 1886 wurde die
internationale "Berner Übereinkunft" von zuerst 14 Staaten unterzeichnet,
die sich darin verpflichteten, die Urheberrechte ihrer jeweiligen
Staatsbürger gegenseitig anzuerkennen. Seit 1974 kümmert sich die Genfer
"World Intellectual Property Organization" (WIPO) weltweit um den Schutz der
Urheberrechte.
In Fragen des geistigen Eigentums gilt es also, zwei schützenswerte
Interessen: die der Urheber bzw. Rechteinhaber und die der Öffentlichkeit,
miteinander ins Gleichgewicht zu bringen. Dahinter steht auch die Einsicht,
dass Kultur und die kulturellen Güter, ob in Wissenschaft, Kunst, Literatur,
niemals das Produkt einsamer Genies sind, sondern durch Aneignung, Umformung
und Austausch der Ideen aller entstehen. Weder in der Kunst noch in den
Wissenschaften könnte es irgendeinen Fortschritt geben, würde jeder seine
Arbeite eifersüchtig für sich behalten. Auch für geistiges Eigentum gilt:
"Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." (Art. 14,
Abs. 2 GG)
Aufgrund der "Interessen der Allgemeinheit an einem ungehinderten Zugang zu
den Kulturgütern" hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass
Einschränkungen der Urhebereigentumsrechte zulässig sind. Diese
Schrankenbestimmungen betreffen u.a. die Nutzung von geschützten Werken in
der Rechtspflege, für Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch oder für die
Berichterstattung. Erlaubt ist, im "gebotenen Umfang" zu zitieren, sowie die
öffentliche Wiedergabe, die keinem Erwerbszweck dient. Die
"Vervielfältigungen zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch" ist
ebenfalls gestattet, etwa zum wissenschaftlichen Gebrauch, zur Archivierung
oder auch wenn es sich um ein seit mindestens zwei Jahren vergriffenes Werk
handelt [3]. Ohne diese Schrankenbestimmungen könnte aus Büchern nicht
kopiert werden, wäre Schulunterricht kaum möglich, gäbe es keine
Bibliotheken, keine Informationsfreiheit und wissenschaftliches Arbeiten
wäre nur äußerst eingeschränkt erlaubt. Zum Zwecke der Archivierung sind
private Vervielfältigungen demnach erlaubt, und so kann sich jeder die Kopie
eines Albums auf Kassette ziehen fürs Autoradio.
Aus die Maus?
In den USA wie in Europa verschiebt sich die Balance zwischen Urhebern und
Nutzern eines Werkes jedoch zunehmend zugunsten eines Dritten: der
Rechteverwertungsindustrie, also Schallplattenlabel, Verlage, Filmstudios.
Schließlich sind in der postindustriellen Gesellschaft urheberrechtlich
geschützte Werke nicht nur ein Kulturgut, sondern auch kulturelles Kapital –
und in den USA der größte Exportschlager überhaupt. Besonders deutlich
ablesen lässt sich das an der schrittweisen Verlängerung der Schutzfristen.
Betrug diese zu Beginn noch maximal 28 Jahre, so gilt heute, dass
copyrightgeschützte Werke in den USA, die als Lohnarbeit durch "corporate
authors" entstanden sind, bis 95 Jahre nach Veröffentlichung geschützt sind,
"individuell" entstandene Werke dürfen bis 70 Jahre nach Tod ihres Urhebers
nicht angefasst werden. Die letzte Fristverlängerung wurde erst 1998
durchgeführt; maßgebliche Kraft dahinter war niemand geringeres als der
weltgößte Entertainer Disney, der befürchten musste, dass die Urheberrechte
an Micky Maus 2004 an die Allgemeinheit fallen würden (jetzt: 2024). Wie
mächtig der Einfluss der Unterhaltungsindustrie wirklich ist, muss sich aber
noch herausstellen. Im Februar diesen Jahres hat das amerikanische
Verfassungsgericht überraschend eine Klage gegen den "Copyright Term
Extension Act" von 1998 zugelassen, über die im Herbst entschieden wird [4].
Die Kläger unter Federführung von Stanford-Jurist Lessig machen geltend,
dass der verfassungsmäßige Auftrag zur "Förderung der Wissenschaften und
nützlichen Künste" solch exzessive Verlängerung der Copyrightfristen
effektiv unterbindet.
Auch in Europa wurden die Schutzfristen regelmäßig verlängert, in
Deutschland erlischt das Recht eines Autors an seinem Werk erst 70 Jahre
nach seinem Tod. Für die angemessenen Vergütung der Kreativen hat sich ein
System der Pauschalabgaben etabliert: Privatkopien sind erlaubt, aber nicht
kostenfrei (§54ff UrhG). So muss in Deutschland etwa für jeden Videorekorder
eine Abgabe von Euro 9,21, für jeden Kassettenrekorder von Euro 1,28 pro
Gerät gezahlt werden, auch auf Leermedien wie Kassetten oder VHS-Bändern
liegen solche Gebühren. Für die Erhebung und Verteilung der Gelder sind die
Verwertungsgesellschaften zuständig, wie etwa die VG WORT für Autoren und
Verlage, die GEMA für Musikurheber und die VG Bild-Kunst für
Bildrechtsinhaber und Filmurheber.
Was sich in der Welt analoger Medien bewährt hat, scheint sich im Zeitalter
von Breitbandmodems und CD-Brennern in jedem Aldi-PC endgültig zu
verabschieden. Kein Problem, für Freunde massenhaft Kopien eigener CDs
anzufertigen, oder sich im Internet die neuesten Alben herunterzuladen. Der
Branchenverband der deutschen Musikindustrie (IFPI) meldet für 2001 einen
Umsatzrückgang um zehn Prozent. Der Absatz der Tonträger sei von 266 Mio.
auf Mio. zurückgegangen, erstmals seien mehr CD-Rohlinge mit Musik bespielt,
als CD-Alben verkauft worden [5]. Als Folge sieht die Branche ihre
Investitionskraft und die "kulturelle Vielfalt des deutschen Musikmarkts"
bedroht. Auch der Kopierschutz, den die Tonträgerhersteller seit einiger
Zeit einsetzten, scheint nicht zu helfen, vor allem nicht, wenn jede
stinknormale Computerzeitschrift Anleitungen zur Umgehung des Kopierschutzes
abdruckt. Ein Unrechtsbewußtsein scheint es nicht zu geben, Initiativen wie
"Copy Kills Music", die durch Anzeigen und Aufklärungskampagnen der
Kopiererei Einhalt gebieten wollen, bleiben fruchtlos. Wobei die
Musikindustrie sich obendrein ein Eigentor geleistet hat: vielfach werden
die modifizierten Audio-CDs, die auf PCs nicht mehr abspielbar sind, auch
von normalen CD-Spielern nicht mehr erkannt. Massenweise bringen verärgerte
Kunden die CDs in den Handel zum Umtausch zurück, manche Händler weigern
sich gar, kopiergeschützte CDs ins Sortiment aufzunehmen.
Aber nicht nur Kopien regulär gekaufter Alben, auch Downloads über
Peer-to-Peer-Netze sollen für die Umsatzeinbußen verantwortlich sein. Die
berühmteste Netztauschbörse, Napster, ist vor Gericht der Musikindustrie
unterlegen – und wurde daraufhin von Bertelsmann aufgekauft. Denn trotz
allem Gerede von anarchischem Wildwuchs und postmodernem Piratentum hat auch
die Unterhaltungsindustrie entdeckt: eigentlich könnte sich im Internet ja
Geld verdienen lassen, viel bequemer sogar als im bisherigen System. Wenn
die "Contentanbieter" ihre Produkte zum Herunterladen anbieten, haben sie
nicht nur das beste aller denkbaren Verteilernetze und die Zwischenhändler
ausgeschaltet, sie haben vor allem den direkten Zugriff auf den Kunden, für
den sie je nach persönlichen Vorlieben und Kreditwürdigkeit das volle
Programm anbieten können: Filme, Spiele, Musik, Bilder, Texte, jederzeit, an
jedem Ort. Der Nachteil: wie kann man eine "Napsterisierung" der Inhalte
verhindern, die Gewinne am Laufen halten?
Abhilfe schaffen sollen die so genannten "Digital Rights Management" Systeme
(DRM). Experten und Industriekonsortien entwickeln bereits seit Jahren
umfassende Rechtekontrollsysteme, die es erlauben, punktgenau jeden Zugriff
auf geschützten Inhalt sowohl zu steuern als auch abzurechnen. "Trusted
Systems" nennt sie ihr Vordenker, Mark Stefik, Angestellter ausgerechnet
beim weltgrößten Hersteller von Kopiergeräten XEROX. Dieser Euphemismus
verdeckt nur schwach, dass es eigentlich um ein tiefsitzendes Mißtrauen
gegen den Kunden geht. DRM bedeutet das lückenlose Ineinandergreifen
verschiedener Hardware- und Softwarekomponenten. Jedes digitalisierte und
urheberrechtsgeschützte Werk trägt dann seine eigene "Erlaubnispolitik" in
verschlüsselter Form mit sich herum, und jeder PC oder Brenner wäre so
konstruiert, dass er nur solche Zugriffe auf die Daten zulässt, die mit
dessen Lizenzpolitik vereinbar sind. Individuelle Vereinbarungen zwischen
Unterhaltungsindustrie und ihren Kunden wären dann denkbar: der Kunde kauft
z.B. das Recht, einen bestimmten Film genau einmal anzuschauen, danach wird
er unbrauchbar. Oder er erwirbt das Recht, ihn für eine bestimmte Zeit
beliebig oft anzusehen. Will er ihn an Freunde weitergeben, dann nimmt das
Kopiergerät automatisch Kontakt auf mit dem Rechteinhaber, der dann gegen
eine Gebühr die Erlaubnis erteilen kann – oder auch nicht. Ein individuelles
Abrechnungssystem soll so die pauschale Vergütung ersetzen. Befürworter
argumentieren, dass es für den Kunden billiger wird: der könnte dann ein
Album für eine geringe Gebühr zur Probe hören, und sich dann erst für einen
Kauf entscheiden.
Volle Verfügungsfreiheit der Rechteinhaber über die Inhalte, individuelle
Lizenzierungs- und Abrechnungsmöglichkeiten, ständige Kundenbindung –
Rechtekontrollsysteme versprechen der Unterhaltungsindustrie bisher
ungeahnte Verwertungs- und Vertriebsmöglichkeiten. Einer der Eckpfeiler des
Systems besteht darin, totalen Zugriff auf Kundenwünsche zu haben – das
Wissen darüber, was jemand wann, wo, unter welchen Umständen liest, hört,
oder ansieht. Was Datenschützern die Angstperlen auf die Stirn treibt, dank
DRM würde es endlich Wirklichkeit werden: die Ankunft des idealen "gläsernen
Kunden", über dessen Vorlieben, Gewohnheiten, Kaufkraft die
Unterhaltungsindustrie bestens Bescheid weiß. Ganz offen spricht etwa die
Werbebroschüre der DRM-Firma SealedMedia nicht nur von "neuen
Einkommensstömen" sondern auch "totaler Kontrolle" dank DRM. Auch dass
DRM-Systeme die Möglichkeit bieten, Konsumentenrechte jederzeit nach Bedarf
zu ändern oder wieder zu entziehen, gehört zu den offen ausgesprochenen
Werbebotschaften der Kontrollindustrie [6].
Noch zögert die Industrie damit, mit DRM geschützten Content masssenhaft ins
Netz zu stellen. Ein Hauptgrund liegt im PC selbst: da dieser ausgelegt ist
als eine universale Maschine zur Datenverarbeitung, kann er auch alle Daten
beliebig verarbeiten – und ein Crack findet sich prinzipiell immer. Das hat
zuletzte die Secure Digital Music Initiative (SDMI) erfahren, die einen
Wettbewerb ausrief, ihr System zu knacken. Edward Felten von der Universität
Princeton hat es geschafft und die Ergebnisse in einem Vortrag vorgestellt –
die Recording Industry Association of America drohte daraufhin mit einer
Klage. Härter gingen die Gerichte gegen Dimitri Sklyanov vor: der entwickelt
für eine russische Firma Programme, die es erlauben, Adobes E-Book Format
auch auf anderen Geräten als Adobes E-Book-Reader zu lesen. Auf einer
Vortragsreise in die USA wurde er wegen Verstoßes gegen den "Digital
Millenium Copyright Act" (DMCA) verhaftet, der das Umgehen von
Schutzmechanismen unter Strafe stellt.
Warum nur einfach sichern, wenns doppelt besser hält: die techischen
Schutzmechanismen schützen die Inhalte, die Gesetze schützen die
Schutzmechanismen. Eine entsprechende Richlinie "zur Harmonisierung
bestimmter Aspekte des Urheberrechts" ist vergangenes Jahr auch von
Parlament und Rat der EU verabschiedet worden und muss in Deutschland bis
Ende diesen Jahres in Gesetzesform gegossen werden. Das
Bundesjustizministerium hat im März einen Referentenentwurf vorgestellt, der
sich für ein schwammiges Sowohl-als-Auch ausspricht: ja zur Privatkopie und
ja zu Anti-Privatkopie-Schutzmassnahmen. Einerseits wird das Recht auf
"einzelne Vervielfältigungen eines Werkes zum privaten Gebrauch" auf
"beliebige Träger" ausgedehnt, also auf analoge wie auf digitale Medien.
Andererseits wird verfügt, dass technische Maßnahmen, die "im normalen
Betrieb dazu bestimmt sind", Werke oder andere Schutzgegenstände vor nicht
von den Urhebern genehmigten Handlungen zu schützen, "ohne Zustimmung des
Rechtsinhabers nicht umgangen werden" dürfen. Kritiker monieren: sollte der
Ministeriums-Entwurf in dieser Form als Gesetz verabschiedet werden, wäre
die Privatkopie zwar erlaubt, aber nicht länger möglich. Die Initiative
"Rettet die Privatkopie" fordert deshalb eine Änderung des Entwurfes im
Sinne eines Urheberrechts, "das die Teilhabe aller am kulturellen Leben ...
garantiert" [7].
Hinter der Auseinandersetzung um die "Privatkopie" steht mehr als nur ein
spezialisierter Rechtsstreit um Fragen des Eigentums. Neben
Datenschutzbedenken und der Orwell-Vision des "gläsernen Kunden" geht es im
Dauerstreit um die Kommerzialisierung von Kultur auch um das
Selbstverständnis der Nutzer geistgen Eigentums: für die Kulturindustrie
sind sie "Konsumenten", die für eine Ware einen angemessenen Preis zahlen
müssen. Falsch, denn sie "verbrauchen" die Produkte ja nicht, argumentieren
die Gegner. Sie sehen sich vielmehr selbst als Produzenten, schließlich kann
jeder an seinem PC kreativ tätig werden, und Filme, Bilder, Kunstwerke
produzieren. Wenn private Verträge zusehends öffentliches Recht ersetzen,
wie wird sich der freie Austausch von Ideen in der "public domain"
entwickeln? Noch scheint sich keine Alternative jenseits von "totaler
Anarchie" und "totaler Kontrolle" abzuzeichnen. Vielleicht sollten beide
Seiten weniger der Technik, sondern sich mehr gegenseitig vertrauen.
Dietmar Kammerer
Quellen:
[1] Lawrence Lessig, Adobe in Wonderland:
http://cyberlaw.stanford.edu/lessig/content/standard/0,1902,22914,00.html
[2] Volker Grassmuck, Freie Software zwischen Privat- und Gemeineigentum:
http://freie-software.bpb.de/
[3] Urheberrechtsgesetz:
http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/materialien/urheberrechtsgesetz.h
tml
[4] Peter Mühlbauer, Aus für Micky Maus?:
www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/11887/1.html
[5] http://www.ifpi.de
[6] Peter Mühlbauer: Content is King! oder die Diktatur des Kleingedruckten,
unter: http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/11844/1.html
[7] http://privatkopie.net