[rohrpost] dem «besten deutschen Tonstudio der neunziger Jahre»
holger schulze
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Mon, 26 Aug 2002 13:32:42 +0100
http://www.nzz.ch/2002/08/26/fe/page-article8CI41.html
26. August 2002, 02:06, Neue Zürcher Zeitung
Musikcomputer in der Warteschleife
von Elisabeth Schwind
Das Institut für Musik und Akustik am ZKM Karlsruhe
Teil des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe,
hat das Institut für Musik und Akustik mit seiner luxuriösen
Infrastruktur und dem «besten deutschen Tonstudio der neunziger
Jahre» Komponisten elektronischer Musik bisher erstklassige
Produktionsmöglichkeiten geboten. Nun steht ein personeller
Wechsel in der Leitung bevor und damit auch der Aufbruch in eine
noch ungewisse Zukunft.
Auch die Kunst ist von den Utopien, welche die
Computer-Technologie gezeugt hat, nicht unberührt geblieben.
So kann nicht verwundern, dass hier, in der Nische der hoch
spezialisierten, nämlich computergenerierten oder
computergestützten Kunstproduktion, über so elementare Dinge wie
die Zusammenführung von Kunst und Wissenschaft im Allgemeinen und
jene von visueller und klingender Kunst im Besonderen nachgedacht
wird. Genau das, die «Zusammenführung der Künste und der Neuen
Medien in Theorie und Praxis», war ein wichtiger Impuls für die
Gründung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in
Karlsruhe Ende der achtziger Jahre. Doch auch Utopien wollen
diskutiert und befragt, erarbeitet und sogar geplant sein.
Schliesslich liefern die neuen Technologien nicht automatisch auch eine
neue Ästhetik mit, werfen sie doch eher neue ästhetische Fragen
auf, als dass sie die alten beantworten würden. Und so darf das
ZKM als eine Kulturinstitution im Sinne einer kritischen Utopie
gesehen werden, die mit Produktion und Forschung, mit Ausstellungen
und Veranstaltungen der Begegnung von Wissenschaft und Kunst ein
Forum bietet.
Hohe Erwartungen
Konkret bedeutet dies, dass Museen (das Museum für Neue Kunst und
das Medienmuseum), das Institut für Bildmedien und jenes für
Musik und Akustik (die allerdings keine Lehrinstitute sind) sowie
Aufführungsorte und neuerdings auch Abteilungen für
Grundlagenforschung und Netzentwicklung unter einem einzigen
Dach vereint sind: unter jenem des denkmalgeschützten Gebäudes
einer ehemaligen Waffen- und Munitionsfabrik. Mehr als zehn Jahre
sind seit der Gründung des ZKM ins Land gegangen und fünf Jahre
seit dem Einzug in das gemeinsame Gebäude. Leitende Positionen
sind besetzt und wiederbesetzt worden, 1999 ist Peter Weibel dem
Gründungsvater Heinrich Klotz als Leiter des ZKM gefolgt, und in
diesem Sommer ist auch der Arbeitsvertrag mit Johannes Goebel,
dem Leiter des Instituts für Musik und Akustik, ausgelaufen.
Goebel, der die Musikabteilung in Karlsruhe aufgebaut hat, geht
nun in die USA, um dort, in einer Provinz des Staates New York,
mit der Einrichtung eines «Experimental Media and Performing
Arts Center» erneut Gründungs- und Aufbauarbeit zu leisten.
Auf die Jahre im ZKM blickt er mit gemischten Gefühlen zurück.
Denn gerade der Umzug in das gemeinsame Gebäude - zuvor waren die
verschiedenen Abteilungen des ZKM über die ganze Stadt verteilt -
setzte Erwartungen frei, die sich etwa im Hinblick auf das
Zusammenwachsen der Künste nicht so einfach erfüllten und die
Kommunikation in manchen Punkten eher erschwerten denn
verbesserten. Insofern funktioniert das ZKM wie eine
Wohngemeinschaft, deren Mitglieder sich innerhalb dieses sozialen
Zusammenschlusses irgendwie placieren und miteinander arrangieren müssen
. Ernüchterung inbegriffen. So jedenfalls klingt das Résumé
Goebels nach etlichen Jahren ZKM-Arbeit: «Alle reden von
Medienkunst und davon, dass alles zusammenwächst, aber die
Erfahrungen sind doch minimal.» So lasse beispielsweise der
gegenseitige Respekt für die «verschiedenen kulturellen
Entwicklungen von Auge und Ohr» zu wünschen übrig. «Wir als
Künstler sind immer naiv auf den anderen Gebieten. Das heisst
aber auch, dass wir glauben, alles andere ebenfalls zu wissen.»
Ungewisse Zukunft
Dass das Institut für Musik und Akustik ausserdem zweimal von
einer Schliessung bedroht war, mag die interne Zusammenarbeit
nicht unbedingt vereinfacht haben. Und auch jetzt liegt die
Zukunft des Instituts noch im Ungewissen. Bereits seit drei
Jahren war klar, dass Goebels Vertrag in diesem Sommer auslaufen
würde, und doch hat man sich um einen Nachfolger lange Zeit
nicht gekümmert. Erst jetzt konnten die Bewerbungsgespräche
abgeschlossen werden - was bedeutet, dass die Stelle frühestens
Anfang nächsten Jahres besetzt werden wird. Möglicherweise aber
auch erst im Sommer, was, so befürchtet Goebel, dazu führen
könnte, dass das Institut austrocknet beziehungsweise zum
Servicebereich - hier eine Verstärkung machen, dort die
Lautsprecherboxen stellen - verkommen könnte und keine
selbständige künstlerische Produktion mehr stattfindet.
«Es ist eine wahnsinnige Arbeit, alles in Gang zu halten, und
zwar sowohl spirituell als auch künstlerisch.» Das betrifft die
Veranstaltungen, die Forschungsarbeit mit ihrer projektbezogenen
Entwicklung und - als dritten der Hauptbereiche des Instituts -
das Gastkünstlerprogramm.
Rund 90 Gastkünstler waren es in all den Jahren, 180 Produktionen
mit den hochmodernen Mitteln des «besten deutschen Tonstudios
der neunziger Jahre» stellen die hörbare Frucht ihrer Arbeit
dar: Hörspiele, Musikstücke mit Live- Elektronik,
Klanginstallationen, CD-Produktionen, Musikfilme und vieles mehr.
Die Gastkünstler und ihre Arbeiten sind es letztlich auch, die
das Profil des Instituts nach aussen hin prägen. Weniger im Sinne einer «
Schule» - Goebel vermied es bewusst, sich und die Künstler auf
einen bestimmten ästhetischen Ansatz festzulegen, auch wenn die
meisten der Arbeiten im Bereich der sogenannten «Neuen Musik»
wurzeln - als vielmehr durch die Tatsache, dass den Künstlern
optimale Arbeitsbedingungen zur Verfügung gestellt werden, unter
denen etwas entsteht, das sie schliesslich in die Öffentlichkeit
tragen. Es geht, so umreisst Goebel das Konzept, darum, «unser
Potenzial zur Verfügung zu stellen, damit andere ihr Potenzial
erschliessen können und aus beiden Potenzialen etwas Neues
entsteht.»
Und das Potenzial, das das ZKM zur Verfügung stellt, kann sich
nach wie vor sehen lassen. Gerade an der langlebigen Infrastruktur ist
nicht gespart worden. Jeder Gastkünstler erhält als Arbeitsplatz ein
eigenes, je nach Bedarf ausgerüstetes Studio, zu dem er rund um
die Uhr Zugang hat und das er mit niemandem teilen muss. Die
Räume sind für die Ohren konzipiert, ein vierkanaliges
Lautsprechersystem ist die Regel - und damit eine Ausstattung,
die man sich, trotz der inzwischen relativ preiswerten
Computertechnologie, privat kaum leisten kann. Das betrifft
beispielsweise auch den Raum, der mit einer ganzen Sammlung
verschiedener Lautsprecher ausgestattet ist. Sie geben den Künstlern
die Möglichkeit, das Ohr dafür zu sensibilisieren, welchen
enormen Einfluss die Lautsprecher auf die rein elektronische
beziehungsweise computergenerierte Musik ausüben.
Kommunizierende Systeme
Besonderen Wert hat Goebel darauf gelegt, im Institut die
Verbindung zu schaffen zwischen «offenen Computersystemen», also
solchen, deren Funktionsweise nicht von vornherein festgelegt ist
und die sich daher für die Lösung spezifischer Problemstellungen
eignen, und «geschlossenen Computersystemen» wie beispielsweise
der Tonstudiotechnik. So ermöglicht das Musikinstitut am ZKM
grundsätzlich verschiedene Arbeitsweisen, die dennoch auch
miteinander kombiniert werden können. Künstler, die darauf erpicht
wären, hier zu arbeiten und zu experimentieren, dürfte es nach wie
vor zur Genüge geben. Was es jetzt braucht, ist eine neue,
engagierte Leitung, die dieses Potenzial auch weiterhin
zugänglich macht.
dr.holger schulze
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