[rohrpost] Public Feuilleton? 19.15 Uhr, heute

Krystian Woznicki krystian@snafu.de
Wed, 06 Feb 2002 10:25:57 +0100


[ ] Public Feuilleton?

Mittwoch, 06. Februar 2002
Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee (Cafe Global)
19.15 bis 19.45 Uhr

Der bevorstehende Relaunch der Berliner Gazette wird zum Anlass genommen, 
um die kurze, aber spannende Geschichte des digitalen Mini-Feuilletons im 
Rahmen der transmediale.02 Revue passieren zu lassen. Das Redaktionsteam 
stellt sich vor und diskutiert zusammen mit Gerrit Gohlke, dem Leiter des 
Media Arts Lab im Kuenstlerhaus Bethanien, Strategien der 
Oeffentlichkeitsbildung im elektronischen Briefformat.

[ ] Intro: Gerrit Gohlke [1], Medienaktivist [2]

Die Geschichte der Alternativpublikationen ist fuer den Kulturbetrieb nicht 
neu. Im Laufe der 90er Jahre hat sich beispielsweise der Markt fuer 
Kunstpublikationen radikal veraendert. Aufwendige Publikationen, die sich 
Hoffnung auf eine Refinanzierung durch die Anzeigen der Kulturindustrie 
machen koennen, muessen mehr und mehr einen englischsprachigen Markt 
bedienen. Publikationen mit ideologischer Identitaet darben. 
Theoriezeitschriften geht es schlecht in der neuen Uneinheitlichkeit.

Im gleichen Zeitraum aber hat sich ein Feld alternativer Publikationen 
entwickelt, die eine Zeit lang vor allem unter dem Begriff >Fanzine< 
besprochen wurden. >Fanzine< soll eine Amateurisierung andeuten, mit der 
die Kulturproduzenten und kritischen Endverbraucher, die Szene in engerem 
Sinne, ihren Eigenbedarf an kritischer Reflexion decken will. Die 
Entwicklung hat gute und schlechte Seiten, weil die mangelnde Alimentation 
derart privatimer Postillen zu einer Deprofessionalisierung der 
Arbeitsbedingungen fuehrt, sich mit minimaler Auflage aber auch 
Widerspruch, Gegenpositionen und Debatten minimalisieren.

Es geht also nicht um eine Attacke auf den etablierten Markt allein, wenn 
man eine Online-Kulturpublikation bespricht, sondern auch um Alternativen 
zur Alternative. Die 1999 gegruendete Berliner Gazette [3], die in den 
merkwuerdigen Schattenmarkt der Mailinglisten eingedrungen ist, kann als 
eine solche erfolgreiche Alternative zur Alternative gelten, vielleicht 
deshalb ist sie auch laengst nicht mehr alternativ.

Das Impressum der Berliner Gazette [4] gleicht einem Rundgang durch den 
Berliner Kulturbetrieb. Die Berliner Galeristin findet sich in der Liste 
der woechentlichen Gastautoren ebenso wie Kuratoren, 
Kommunikationsdesigner, Medienwissenschaftler, Architekten oder 
Deutschlands prominentester Hacker-Diplomat. Dass einer der Autoren mit dem 
Titel Clan-Leader kokettiert, ist nicht das Programm der Berliner Gazette: 
Sie ist kein Clan-Magazin, sondern >kuratiert< Positionen des (meist 
berlinischen) Kultur- und Kunstbetriebs in wechselnder Besetzung.

Die Selbstaussage der Herausgeber [5] spricht deshalb 
vom >territorial-mentalen Einzugsbereich< der Region Berlin. Sie beruft 
such auf einen gemeinschaftsstiftenden Regionalismus ebenso wie auf 
Prinzipien der Reduktion. Das altertuemelnde Logo ist seit 1999 mit dem 
Umriss der Stadt unterlegt. Die Gastkolumnisten sind aufgefordert aus ihrer 
regional-subjektiven Perspektive zu sprechen. Die Selbstaussage der Autoren 
wird zum Arbeitsprinzip und wird zur Selbstaussage der Publikation.

Die Frage an das informelle Mini-Panel ist deshalb, wie entschieden diese 
Selbsterklaerung einer Kulturproduktionsszene als Gemeinschaftsbildung und 
als Gegenposition zu einer etablierten Kritik verstanden wird. Die Methode 
der Berliner Gazette zitiert die Selbsterklaerungen des Fanzine-Prinzips 
und bricht sie durch lenkende Kuratel auf. Sie administriert Positionen, 
die von Interesse sind, ohne sich auf eine Position der Kritik festzulegen. 
Ist dies Fatalismus in einem Pluralismus der Positionen? Ist es ein Prinzip 
publizistischer Kritik gegenueber der Debatteninszenierung in den Haupt- 
und Staatsfeuilletons? Wird eine kulturelle Community so simuliert oder 
erst gebildet?

1. mailto:txt@gerritgohlke.de
2. http://www.bethanien.de/mal
3. http://www.berlinergazette.de
4. http://www.berlinergazette.de/impressum.html
5. http://www.berlinergazette.de/information.html