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criss
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Thu, 14 Feb 2002 14:29:35 +0100 (CET)
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Titel:
BerlinOnline: Von oben und von unten / Jan Hendrik Becker berichtet mit
einer...
Beschreibung:
Die Kamera hat das Format einer kleinen Taschenbibel. Das Mikrofon, das
oben aufgeschraubt ist, wirkt größer als das eigentliche Gerät. Mit so
einem Kistchen soll man Fernsehen machen können? Jan Hendrik Becker tut
genau das. Seit gut einem...
Eine Mitteilung von criss (criss@vereinsheim.net) an Sie:
Von oben und von unten Jan Hendrik Becker berichtet mit einer
Mini-Digitalkamera für den Musiksender Viva Plus aus Berlin Die Kamera
hat das Format einer kleinen Taschenbibel. Das Mikrofon, das oben
aufgeschraubt ist, wirkt größer als das eigentliche Gerät. Mit so einem
Kistchen soll man Fernsehen machen können? Jan Hendrik Becker tut genau
das. Seit gut einem Monat berichtet er für den neuen Musiksender Viva
Plus aus Berlin - allein mit einer winzigen Digital-Videokamera, die in
seine Jackentasche passt. Er interviewt die Punkband Die Toten Hosen oder
den englischen Designer Peter Saville, berichtet aus der Redaktion der
Berliner Stadtzeitung "Tip" oder von dem Medienkunstfestival
Transmediale, spricht mit Gregor Gysi oder einem obdachlosen
Straßenzeitungsverkäufer. Andere Sender rücken zu solchen Terminen mit
einem ganzen Team an. Seinen Zeitplan stellt eine vierköpfige Redaktion
in Köln zusammen. "Aber oft ruft mich auch einfach ein Freund an, und
macht mich auf eine interessante Veranstaltung aufmerksam", erzählte der
25-Jährige. Bis zu drei Termine hakt er so an einem Tag ab. Am Abend
werden die Videokassetten, die kaum größer als Streichholzschachteln
sind, mit einer Schnittliste per Overnight-Kurier zu Viva Plus in Köln
gebracht. Dort sichtet ein Cutter am nächsten Tag die Aufnahmen, und
schneidet Beiträge zusammen. Die laufen oft noch am selben Nachmittag ab
16 Uhr zwischen den Popclips. Wenn der Arm erlahmt Die Bilder, die dann
zwischen den aufgeputzten Musikvideos zu sehen sind, erinnern an
Heimvideos. Die Kamera wackelt, schlackert und macht 360-Grad-Drehungen.
Die Perspektiven sind extrem, mal blickt man von oben auf die
Interviewten herab, mal sieht man aus der Froschperspektive zu ihnen
hoch. Obwohl die Aufnahmen am Schneidetisch nachbearbeitet werden, sind
die Farben verwaschen und der Ton ist so schlecht, dass man sich bei
manchen Interviews Untertitel wünscht. Wenn er ein Interview führt, hält
Becker die Mini-Kamera mit weit ausgestrecktem Arm hoch, um sich zusammen
mit seinem Gesprächspartner aufzunehmen. Wenn die kleine Kiste ihn stört
oder der Arm vom langen Halten lahm wird, stellt er sie einfach aufs
Fensterbrett und lässt sie dort weiterlaufen. Dann steht sie minutenlang
still - ein ungewohnter Anblick auf einem Musiksender, in dem es sonst
vor allem um Tempo und schnelle Schnitte geht. Jan Becker ist der einzige
Reporter bei Viva Plus, den man sich auch bei einem anderen Sender
vorstellen kann. Während sich seine Kollegen durch ihre Moderationen
haspeln oder spontan dummes Zeug reden, berichtet er sachlich, cool und
kann sogar fließend Englisch; seine Geschichten will er "journalistisch
erzählen". Wenn man ihn mit Jeans, aus der Hose hängendem Secondhand-hemd
und Turnschuhen auf der Straße in Mitte sieht, könnte man ihn für einen
Studenten auf dem Weg zum Seminar halten. Erst wenn er seine Kamera
hervorholt, wird er zum Reporter, auch wenn viele Interviewpartner das
Ein-Mann-TV-Team namens "der Jan" zuerst nicht richtig einordnen können.
"Passt auf, liebe Politiker, wenn da so eine kleine Kamera vor euch
steht", warnt Becker. "Auch das kann man senden." Dass ihn seine
Gesprächspartner nicht ernst nehmen, glaubt er nicht: "Respektabel wird
man dadurch, dass man respektable Fragen stellt, auf die sendefähige
Antworten kommen." Natürlich spart diese Arbeitsweise Viva Plus eine
ganze Menge Geld. Nicht nur aus Berlin, sondern auch aus Los Angeles,
London, Hamburg und Köln berichten Do-it-yourself-Reporter, deren gesamte
Ausstattung aus einer Digitalkamera besteht. Statt Büros, Sendestudio,
einen Gerätepark und Standleitungen zu unterhalten, muss Viva Plus bloß
das Gehalt der Reporter und 2 500 Euro pro Kamera aufbringen. Jan Becker
operiert aus seiner Privatwohnung statt aus einem Büro; die Termine nimmt
keine Sekretärin entgegen, sondern er selbst per Handy. Dass seine
Sendung Low-Budget-Fernsehen sei, hört er jedoch nicht gern. Stattdessen
betont er lieber die neuen Möglichkeiten, die ihm seine Digitalkamera als
Journalist bietet: "Die Technik beeinflusst die Geschichten, die ich
erzähle. Man ist wirklich näher an den Leuten dran. Durch die kleine
Kamera fühlen sich die Leute viel weniger eingeschüchtert als durch ein
großes Fernsehteam", sagt er. Bei den Dreharbeiten mit Obdachlosen seien
zum Beispiel viel direktere Aufnahmen möglich. Auch ein Gespräch mit
Jasmin Tabatabai sei so wesentlich privater verlaufen als in einem
Fernsehstudio. Schon bald, glaubt er, werde er seine Beiträge auf seinem
Laptop schneiden und über Breitband-Internet an den Sender schicken: "Wir
werden alle noch viel digitaler als wir es jetzt schon sind."
Witzigerweise gehorchen Beckers Reportagen genau den Regeln, die der
dänische Regisseur Lars von Trier unter dem Namen "Dogma 95" für seine
Filme aufgestellt hat: Laut diesem "Keuschheitsgelübde" dürfen Drehorte
nicht verändert oder ausgeleuchtet werden, das Bild wird mit der
Handkamera, der Ton live aufgenommen, das Material darf nicht
nachbearbeitet werden. Die meisten der "Dogma-Filme" sind ebenfalls mit
Digital-Videokameras gedreht und enthalten mindestens ebenso viele wilde
Schwenks wie eine von Jans Sendungen. Wie bei den Dogma-Filmen kann sich
der Neuigkeitswert des Digital-Video-Looks allerdings auch bald
erschöpfen: schnell hat man sich an das Kamera-Gewackel, die Grimassen
schneidenden und in die Kamera winkenden Gesprächspartner gewöhnt. Und
was passiert, wenn er krank wird und für seine tägliche Sendung nicht
mehr zu Terminen gehen kann? "Das habe ich mir auch schon überlegt", sagt
Jan Becker und grinst. "Dann filme ich mich einfach, wie ich im Bett
liege, und lade meine Gesprächspartner zu mir nach Hause ein." Ohne
Studium // Jan Hendrik Becker, Jahrgang 1976, wuchs in Buxtehude auf, wo
er in den Independent-Bands The Slame und Jugendstil spielte. Nach dem
Abitur schrieb er Konzertberichte für die Buxtehuder Lokalzeitung, wurde
freier Mitarbeiter des NDR, später beim Hauptstadtstudio der ARD. Ein
Studium oder Volontariat hat er nicht absolviert. Seit dem 7. Januar
moderiert er auf Viva Plus die Sendung "Berlin", die wochentags um 16 Uhr
läuft. BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER Gelegentlich filmt sich Reporter
Becker auch selbst. [Neue Suchanfrage] [Weitere Artikel vom 13.02.2002]
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