[rohrpost] Documenta11; Das BETACITY-Testteam berichtet

Karin Hinterleitner khl@onlinehome.de
Tue, 11 Jun 2002 13:46:36 +0200


//sorry for crossposting

Documenta11; Das BETACITY-Testteam berichtet
Von BETACITY.DE  11. Jun. 2002


Wie benutzerfreundlich ist die Documenta11? BETACITY.DE hat sich in
Kassel zum Eröffnungswochenende eingeloggt, das umfangreiche Angebot
an Diskurs- und Reflektionsvorlagen gesichtet und stichprobenartig
getestet.

Unsere Kriterien waren:
1) Benutzerfreundlichkeit
2) Aufbereitung des Contents
4) thematische Relevanz des Contents
5) Bewältigung von Medienbrüchen
6) Zugänglichkeit von Kontextinformationen (Plattformen1 – 4)
7) Verhältnismäßigkeit von Anspruch und realisiertem Angebot

Nachdem Madame Davids Team letztes Mal den großen Kehraus in Sachen
naive Universalismen geleistet hat, dafür eine schlüssige und
ansprechende Umsetzung gefunden hat, waren wir gespannt, wie Mr.
Enwesors Team uns die komplexen Zusammenhänge und Sichtweisen auf die
globale Multitude erschließen würde.

Unser Ergebnis vorweg: die Documenta11 ist beim Start noch in der
Beta-Phase. Die ersten Documenta11-BesucherInnen sind offensichtlich
auch die ersten Tester und müssen sich mit so manchen
Unzulänglichkeiten herumschlagen, die durch die Inkompatibilität von
Soft- und Hardware-Elementen verursacht werden. Aber wenn nicht
BETACITY.DE, wer sonst sollte Verständnis dafür haben, dass es auch
mal die Betaversion tut, dass inhaltliche Linien nicht unbedingt
intuitiv spürbar gemacht werden müssen. Hauptsache die zentralen
Features funktionieren – und das tun sie. Tröstlich ist der
freundliche Support, auskunftfreudige und kompetente Guides und
Guards, die schon auf einen hilfesuchenden Blick reagieren.

Zeit. Zeit ist nicht zuletzt wegen der vielen Videoarbeiten, bzw. der
zeitlich-räumlichen Dramaturgie vieler Beiträge ein Problem. Zwischen
2 und 320 Minuten dauern die Beiträge. Nach der zehnten stickig
dunklen Videobox gleitet der Blick gleich vorab auf den Waschzettel
(anders kann die improvisierte Beschriftung der Beiträge nicht
genannt werden). Leider wird die Auskunft über die Dauer einer
Aufführung oftmals versäumt. Video-Beiträge, die einen angenehmen
Zuschauerraum anbieten, haben entsprechend gute Chancen, den
Publikumsstrom zum Verweilen zu bringen (Isaac Julien und Craigie
Horsfield in der Binding Brauerei).

Widererwarten müssen keine Textwüsten durchquert werden. Trocken wird
es lediglich in der Documenta-Halle bei Fareed Armalys Beitrag über
das Palästina der Palästinenser: From/To. Immerhin warnen am Eingang
bereits Kakteen vor dem sperrigen Inhalt. Mal ehrlich, wer folgt
schon der letzten Verästelung einer Doku-Show innerhalb einer
Megashow wie der Documenta? Wer soll sich das alles durchlesen, wenn
nebenan schon der nächste Mikrokosmos wartet? Eine Ausstellung in der
Ausstellung produziert Aufmerksamkeits-Konflikte.

GeschichtenerzählerInnen sind diesesmal sehr präsent. Aber Sie
brauchen geneigte ZuhörerInnen. Nicht immer findet sich für ein
Anliegen eine 'good story'. Den Zuschauer bei der Stange halten ohne
zu spektakeln? Einige dokumentarische Beiträge schaffen diesen
Spagat. Am eindrucksvollsten das Archiv der Atlas Group,
http://www.theatlasgroup.org  . Auszüge daraus beleuchten
exemplarisch die Bürgerkriegszeit im Libanon. Zum Beispiel
veranschaulichen Notizblätter eines libanesischen Historikers den
unsichtbaren Druck der Repression, subjektive Methoden der
Geschichtsschreibung werden zum SChlüssel für das Verständnis einer
offiziell totgeschwiegenen Epoche (Kulturbahnhof). Ebenso konnte die
Tonbildschau "one genocide later" über den Genozid in Ruanda von Eyal
Sivan (Fridericianum) und "Solid Sea, 2002" von Multiplicity
überzeugen (Kulturbahnhof).

Statt für jedes Video eine dunkle Gruft zu bauen, wäre für viele
Videos auch eine andere Präsentationslösung zuträglich gewesen, wie
sie auf der Manifesta realisiert wurde: In einer Halle werden mehrere
Videos parallel gescreent, alle Screens in einer Richtung, ohne Ton.
Dieser wird gezielt per Funk an die kopfhörertragenden BesucherInnen
übertragen, so kann entspannt zwischen den Storys hin- und hergezappt
werden. Niemand muß sich von zähen Erzählungen gegängelt fühlen,
sondern kann sperrigen Inhalt an der langen Leine mitverfolgen.

Widerspruchslose Begeisterung innerhalb des BETACITY.DE-Testteams
löste der Beitrag von Thomas Hirschhorn aus. Er realisierte
das "Bataille Monument" in der Kasseler Nordstadt, inmitten einer
Wohnsiedlung mit hohen Migrantenanteil. Wer sich darunter eine jener
ephemeren bastelligen Hirschhorn-Skulpturen vorstellt, liegt nicht
falsch. Aber sein Projekt umfaßt weit mehr, eine komplette
Infrastruktur: Bibliothek, Ausstellungsraum, Imbiss, TV-Studio,
Haltestellen, Fahrdienst samt Fahrzeuge und Webcams fürs translokale
Publikum. Wer glaubt, dass es sich dabei um ein potemkinsches Dorf
handelt, irrt sich; Thomas Hirschhorn hat sich freigestellt, um über
die gesamte 100tägige Ausstellungsdauer sein Projekt mit vielen
HelferInnen aus dem Viertel zu betreuen. Darüber mehr im BETACITY.DE-
Interview mit Thomas Hirschorn, das am 15. Juni folgen wird.

Zum Abschluß noch ein paar Bemerkungen zur Zugänglichkeit von
Hintergrundinformationen. Das ist nicht gelungen. Nur wenige Beiträge
geben den BesucherInnen die Möglichkeit das Thema zu vertiefen. Warum
werden sowenig Kopien zum Mitnehmen angeboten? Der Kurzführer bezieht
sich nicht durchgehend auf die gezeigte Arbeiten.

Darüber hinaus: Warum werden die Ergebnisse der Plattformen1 - 4 in
der Ausstellung (= Plattform5) nicht resümiert? Das ist schade. Auch
online wird zu den Platformen1-4 wenig Aufbereitetes angeboten, nur
Abstracts und Videomitschnitte, und die leider auch nur in einem
Format (RealPlayer). Die Publikationen werden als Printversion
verkauft, und nicht in digitaler Form bereitgestellt, schon gar nicht
online und kostenlos. Sehr schade!

Die Website der Documenta11 (http://www.documenta.de ) läßt für
versierte AnwenderInnen einiges zu wünschen übrig.
Nicht einmal eine Volltextsuche wurde eingerichtet.
Im PDF-Ausstellungsplan klickt frau vergebens auf die
Künster-Namen, um zur Detail-Information zu gelangen. Dies ist
symptomatisch für eine Fehlstelle im Programm der Documenta11:
Beiträge zu Netzwerkstrukturen, zur Medienpolitik, zur Softwarekultur
und zu medienkulturellen Aspekten der Globalisierung sind die
Ausnahme. Links ebenso, nicht einmal interne Links zur archivierten
Version der documentaX-Website werden gesetzt. Ein Labor wie der
Hybrid Workspace der documentaX sucht frau ebenfalls vergeblich. Dort
wäre denn auch der bessere Ort für Projekte wie
http://www.distributive-justice.com  von Andreja Kuluncic und das
Projekt "Webwalker version 1.3, 2001" von http://www.tsunamii.net  .
Darin liegt die Chance für inoffizielle Treffpunkte wie das Haus
Köberling, nur 7 Minuten zu Fuß vom Kulturbahhof entfert
http://www.haus-koebberling.de - und Projekte wie "3dos"
http://www.n0name.de/3dos , das "Open Spaces" für workshops und
Präsentationen öffnet.

Die Documenta11-Favoriten der BETACITY.DE Redaktion :

1) Thomas Hirschhorn http://www.hirschhorn.documenta.de
2) The Atlas Group Archiv http://www.theatlasgroup.org  - super
Website!
3) Shirin Neshat


Bildergalerie // BETACITY at Documenta11:
http://www.betacity.de/content/106.read

---dieser Text ist online:
http://www.betacity.de/content/107.read