[rohrpost] Sammelrezension Computerspiele

Tilman Baumgaertel tilman_baumgaertel@csi.com
Mon, 17 Jun 2002 15:04:08 +0200


Geschrieben f=FCr MedienRezensionen 3/2002, Sch=FCren Verlag


Sammelrezension Computerspiele,=20

"I fell in love with videogames because I believed in the future..."
Van Burnham

Mathias Mertens; Tobias O. Mei=DFner: Wir waren Space Invaders  - Geschichte=
n
von Computerspielen,=20
Frankfurt/Main 2002: Eichborn, ISBN 3-8218-3920-1, 192 S., 17 Euro 90

Konrad Lischka: Spielplatz Computer - Kultur, Geschichte und =C4sthetik des
Computerspiels,=20
Hannover 2002: Verlag Heinz Heise, ISBN 3-88229-193-1, 180 S., 15 Euro

Steven Poole: Trigger Happy - Videogames and the Entertainment Revolution,=
=20
New York 2000: Arcade Publishing, ISBN 1-55970-539-6, 242 S.,=20

Van Burnham: Supercade - A Visual History of the Videogame Age 1971 - 1984,
Cambridge, Mass.: MIT Press, ISBN 0-262-02492-6, 450 S., 49 Dollar 49
www.supercade.de

Jaro Gielens & Robert Klanten (Hrsg.): Electronic Plastic, Berlin 2000: Die
Gestalten, ISBN 3-931126-44-7, 69 Mark
www.handhelden.de

=C4ssthetik & Kommunikation, Heft 115, 32. Jahrgang, Winter 2001/2,
Schwerpunkt Computerspiele


Diese schon Anfang 2002 vereinbarte Sammelrezension von B=FCchern =FCber
Computerspiele hat einen aktuellen Anlass erhalten. Nachdem der Erfurter
Sch=FCler Robert Steinh=E4user in seiner ehemaligen Schule Amok lief und 17
Menschen umbrachte, wird in Deutschland wieder =FCber den Zusammenhang von
Jugendgewalt und Computerspielen diskutiert.=20

Die B=FCcher, die im folgenden vorgestellt werden, geh=F6ren nicht zu den
zahlreichen deutschsprachigen Publikationen und Studien, die versuchen,
einen Zusammenhang zwischen dem Daddeln am Computern und einer angeblich
zunehmenden Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen herzustellen. Alle f=FCnf
B=FCcher stammen von bekennenden Games-Fans, die mit Computerspielen
aufgewachsen sind und aus der Liebhaber-Perspektive =FCber sie berichten. Di=
e
Ausgabe zum Thema "Computerspiele" von =C4sthetik und Kommunikation l=E4sst
ebenfalls Fans zu Wort kommen, ist aber ansonsten eine der raren
Ver=F6ffentlichung, in der Medienwissenschaftler und andere Akademiker zu
Wort kommen, die Computerspiele nicht in erster Linie als soziales Problem
betrachten, sondern sich aufgeschlossen und kenntnisreich mit ihrer
=C4sthetik und der Entwicklung auseinandersetzen. Dabei wird die Gewalt-Frag=
e
zwar nicht unbedingt ausgespart, sie steht aber auch nicht im Mittelpunkt
dieser Publikationen. Gerade darum t=E4te jeder "Jugend-" und
"Medien-Experte" gut daran, einen Blick in eins dieser B=FCcher zu tun, um
sich sachkundig zu machen, bevor er oder sie sich das n=E4chste Mal in
Diskussionsrunden und Zeitungsinterviews zum Thema Computerspiele =E4u=DFert=
.

"Wir besa=DFen richtige Computer und gingen ganz selbstverst=E4ndlich mit ih=
nen
um. Der Unterschied zwischen RAM und ROM war uns klar, wir konnten mit den
Grammatiken von Disk-Operating-Systems umgehen, hantierten mit
Disketten-Monitoren und sprachen ganz gezielt einzelne Speicherbereiche mit
Maschinensprache-Befehlen an. Dass das alles nur dazu diente, um das
neueste Spiel zum Laufen zu bringen, spielte strukturell keine Rolle. Dem
Computer ist es v=F6llig egal, ob er nun Spiele darstellt oder
Mandelbrot-Mengen", schreibt Tobias Meissner im Vorwort zu "Wir waren
Space-Invaders" (S. 12). Dass Computerspiele f=FCr vieler ihrer User die
"Einstiegsdroge" zur ernsthaften Arbeit am Computer, ja, sogar zum eigenen
Programmieren waren, ist ein Argument f=FCr die Games, das alle Autoren ins
Feld f=FChren. Auch die M=F6glichkeit, als Kind oder Jugendlicher selbst
Einfluss auf eine komplexe (und f=FCr die eigenen Eltern oft
unverst=E4ndlichen) Maschine zu nehmen und das Gef=FChl, der Zukunft n=E4her=
 zu
kommen, werden in allen B=FCchern hervorgehoben. Doch in keinem der B=FCcher
geht es nur um den erzieherischen Wert der Games. Sie alle feiern auch die
bunte, zum Teil fast surrealistisch anmutende Pop-Kultur, die sich um die
Games herum entwickelt hat.=20

"Wir sind die Space Invaders" und Konrad Lischkas fast gleichzeitig
erschienendes "Spielplatz Computer" sind wohl die ersten deutschsprachigen
B=FCcher seit "Pac Man & Co" von Georg Seesslen und Christian Rost aus dem
Jahr 1982, die versuchen, die =C4sthetik und Kultur von Games dingfest zu
machen statt in erster Linie die "Gewaltfrage" zu diskutieren. Nachdem in
den USA bereits seit Anfang der 90er Jahren erste B=FCcher =FCber die
Geschichte des Computerspiels erschienen sind, zeigen diese B=FCcher, dass
nun auch in Deutschland die erste Generation, die mit Games sozialisiert
wurde, in das Alter gekommen ist, in dem man die Erlebnisse der eigene
Jugend zu kanonisiert und geschichtlich aufarbeitet. Sie sind - =E4hnlich wi=
e
die unz=E4hligen Websites, die es inzwischen im Internet zu historischen
Computerspielen gibt - erste Anzeichen einer Art
Do-It-Yourself-Medienwissenschaft, die sich aus Fan-Perspektive mit einem
genuinen Computerph=E4nomen besch=E4ftigt.=20

 "Wir waren Space Invaders" ist ein witzig und flott geschriebenes Buch
voller pointierter Einsichten. Immer wieder verfallen die Autoren dabei in
die "Wir-Perspektive". Aus der Sicht echter Fans singen sie in einem Stil,
der auch Laien einleuchten d=FCrfte, ein Loblied auf die Computerspiele, und
ihr Enthusiasmus ist ansteckend. Erz=E4hlt wird die Geschichte des
Videospiels mit den aus einer Reihe von englischsprachigen Publikationen
inzwischen bekannten Stationen: Die ersten Spiele wie "Tennis for Two" und
"Spacewar!", die erste Spielkonsole "Odysee", die Gr=FCndung von Atari.
Danach h=E4lt sich das Buch nicht weiter mit technischen Details und
Konsolentypen auf, sondern widmen sich einer Reihe bekannter Spiele, die
zur Entwicklung und Erweiterung des Genres beigetragen haben: "Breakout",
"Space Invaders", "Pac-Man", "Donkey Kong" ("das erste literarische
Computerspiel", S. 86), "Tetris" ("eine Verschw=F6rung des leeren Raums gege=
n
den Drang des Menschen, sich mit seinen Bauten gegen das Nichts zu
stemmen", S. 145), "Sim City", "Doom", "Myst", "Tomb Raider".=20

Immer wieder weist Mertens dabei auf Parallelen zwischen den in einem
Lebensabschnitt gespielten Games und dem jeweiligen Stand der
Computertechnologie und der biographischen Phase hin: "Die Lemminge (in dem
Spiel "Lemmings" - T.B.) waren eine Metapher f=FCr den Datenstrom, der durch
unsre 386er flo=DF und sinnlos versickerte. Erst unsere gezielten Handgriffe
in Form von DOS-Befehlen, lie=DFen Einsen und Nullen dort ankommen, wo sie
sich zu sinnvollen Textdateien oder Anwendungsprogrammen formieren konnten
und zur Ruhe kamen. Und so wie wir mit einem l=E4ssigen =82/p' den =82dir'-B=
efehl
dazu bringen konnten, uns den Inhalt eines Ordners in gut lesbaren
Seitenh=E4ppchen zu pr=E4sentieren, so konnten wir mit einem Mausklick die
Lemminge umprogrammieren und zu Dienern unserer Sache machen." (S. 158)
Unterbrochen werden diese kurzen Kapitel von einigen
medienwissenschaftlichen Betrachtungen =FCber grunds=E4tzliche Aspekte des
Gamings. W=E4hrend die Analysen der Spiele in leichten Ton oft bemerkenswert=
e
Einsichten vermitteln, sind diese Texte zum Teil leider entt=E4uschend flach=
.
Hier h=E4tten sich die Autoren an der Art, wie der englische Autor Steve Poo=
l
in seinem Buch "Trigger Happy" Spiele erkl=E4rt, ein Beispiel nehmen k=F6nne=
n.=20

Konrad Lischka erz=E4hlt die Geschichte von Computerspielen entlang derselbe=
n
Linien. Allerdings legt er in seinem Buch gr=F6=DFeren Wert auf
Klassifizierungen von Spielen und auf die gesch=E4ftlichen, sozialen und
kulturellen Hintergr=FCnde der Games-Industrie. Er beleuchtet verschiedene
Genres wie Advertures, MUDs, Online- oder Strategiespiele, und liefert auch
Material etwa zu den Geschlechterrollen in Games oder den theoretischen
Ans=E4tzen, die versuchen, den Reiz von Videospielen zu erkl=E4ren.=20

Mertens/Mei=DFner wie auch Lischka verlassen sich dabei allerdings inhaltlic=
h
stark auf die Recherchen der US-amerikanischen Autoren und nehmen dabei oft
den Blickwinkel der Amerikaner ein. Es w=E4re zu begr=FC=DFen, wenn in
zuk=FCnftigen Publikationen zum Thema verst=E4rkt auf die europ=E4ische
Entwicklungen (z.B. den die Commodore-64-Szene) eingegangen w=FCrde; den
Verdiensten einer kleinen Gruppen von europ=E4ischen Programmierer, die
hitverd=E4chtige Musik f=FCr C64-Rechner geschrieben haben, ist zum Beispiel
bisher nur ein CD-Sampler mit einem kleinen Booklet gewidmet worden. Eine
interessante Vorgeschichte des Computerspiels, die =FCber die bekannten
Stationen hinausgeht liefert dagegen zum Beispiel der Weimarer
Medienwissenschaftler Claus Pias in seinem Beitrag f=FCr "=C4sthetik &
Kommunikation": die ersten Computerspiele waren f=FCr ihn strategische
Krisensimulationen im Pentagon w=E4hrend des Kalten Krieges, in denen die
US-Army den Ernstfall erprobte. Nebenbei s=E4gt er auch gleich an dem Mythos=
,
dass "Tennis for two" das erste Computerspiel war. ("Welt im Raster", S. 39
- 50)

Sowohl Lischka wie Mertens/Mei=DFner geben dagegen viele der Mythen und
Anekdoten wieder, die sich um bestimmte Games gerankt haben und die seit
Jahren von Fan-Mund zu Fan-Ohr weitergefl=FCstert werden: die Pizza, die
angeblich die Form von Pac Man beeinflusst haben soll, die 100-Yen-St=FCcke,
die in Japan nachgepr=E4gt werden mussten, weil sie so schnell in den "Space
Invaders"-Automaten verschwanden, die bekifften Hippies, die - wie es die
Legende will - bei Atari Konsolen zusammengel=F6tet haben sollen - je =F6fte=
r
man diese Geschichten h=F6rt, desto st=E4rkere Zweifel kommen einem daran, o=
b
das alles so wirklich stimmt. Immerhin melden Mertens/Mei=DFner selbst an
einigen dieser Hist=F6rchen Zweifel an, oder wiederlegen einige der Klassike=
r
sogar - zum Beispiel die ber=FChmte Geschichte vom ersten Pong-Automaten, de=
r
in seiner Debut-Nacht in einer kalifornischen Kneipe so oft gespielt wurde,
dass die M=FCnzen nach wenigen Stunden die Maschine verstopften. Die
Geschichte erz=E4hlt Pong-Erfinder Nolan Bushnell inzwischen sogar selbst,
obwohl sie in der Literatur l=E4ngst widerlegt worden ist.=20

Ein grunds=E4tzliches Manko plagt leider beide B=FCcher: wie soll man die
Faszination der knallbunten Spiele verstehen, wenn man sie =FCberhaupt nicht
sehen kann? "Wir waren Space Invaders" enth=E4lt bedauerlicherweise =FCberha=
upt
keine Illustrationen, "Spielplatz Computer" nur kleine Schwarz-Wei=DF-Bilder=
.
Die zweitbeste Alternative, hier Abhilfe zu schaffen - nach dem Spielen
selbst, nat=FCrlich - sind die B=FCcher "Supercade" von Van Burnham und
"Electronic Plastic" von Jaro Gielens und Robert Klanten.=20

"Supercade" d=FCrfte das erste "Coffeetable-Book" sein, dass je einem
Computerthema gewidmet worden ist. F=FCr den W=E4lzer im LP-Gro=DFformat und=
 mit
450 knallbunten Seiten hat Van Burnham, die das Buch auch selbst layoutet
hat, eine dem Thema vollkommen entsprechende Buchgestaltung entwickelt.
Alle wichtigen Konsolen und eine Auswahl der popul=E4rsten Spiele aus den
70er und 80er Jahren sind in sorgsam am Rechner nachgebauten Illustrationen
zu sehen und werden kurz besprochen - in einigen F=E4llen sogar von den
Programmierern selbst. Da die meisten Spiele inzwischen kaum noch zu
spielen sind, weil die notwendige Hardware auf dem Schrott gelandet ist,
helfen die Illustrationen von "Supercade", zu verstehen, wieso die Arbeit
der Softwarefirma Activision in den fr=FChen 80er Jahren mit dem
italienischen "Memphis Design" verglichen werden, auch wenn man keine
Atari-2600-Konsole von damals besitzt.

Das Buch "Electronic Plastic" pr=E4sentiert die Sammlung von
"Handheld"-Computerspielen von Jaro Gielens. Auch die kleinen Computer,
eine Art Vorl=E4ufer des Gameboys, bestechen heute - wie die Spiele von
damals - durch ihr gleichzeitig simples, fantasievolles und futuristisches
Design im Stil der sp=E4ten 70er und fr=FChen 80er Jahren. Wer die ebenfalls
(von der Grafikdesign-Agentur B=FCro Destruct) hervorragend gestaltete
Publikation durchbl=E4ttert, versteht, warum f=FCr die aufwendig gestalteten
Mini-Konsolen beim Internet-Versandhaus Ebay inzwischen H=F6chstpreise
geboten werden.=20

Bleibt "Trigger Happy" von Steven Poole: der englische Journalist hat das
bisher reifste und durchdachteste Buch =FCber Computerspiele geschrieben. We=
r
eine fundierte Auseinandersetzung mit der Kultur von Computerspielen haben
will, ist hier richtig. Poole versucht in "Trigger Happy" nicht weniger als
eine erste =C4sthetik des Videospiels zu schreiben. Er hat daf=FCr nicht nur
Video-Spielmagazine und Fan-Websites gelesen, sondern auch Heidegger,
Pierce, Gombrich und Huizinga. Seine Analysen gewinnen dadurch, dass er
immer wieder traditionelle theoretische Ans=E4tzen einbezieht. "Pac-Man" ist
f=FCr ihn eine "Parabel des Sp=E4t-Kapitalismus" (S. 178), "Battlezone"
"leuchtender Neoplatonismus" (S. 208), die "Extra-Lifes" in Spielen wie
"Defender" oder "Space Invaders" eine "ethisch umgekehrte Form des
Buddhismus" (S. 55). Steve Poole ist kein Kracauer und kein Bazin, doch
seine Analysen geh=F6ren zu dem reflektiertesten und originellsten, was
bisher =FCber Computerspiele geschrieben worden ist. Zusammen mit der
"Computerspiele"-Ausgabe von "=C4sthetik & Kommunikation" liefert "Trigger
Happy" erste Handreichungen zu einer Poetik des Computerspiels.=20

Tilman Baumg=E4rtel, Berlin