[rohrpost] intermedium2 / medienkunst
Florian Cramer
cantsin@zedat.fu-berlin.de
Tue, 26 Mar 2002 14:41:03 +0100
Am Tue, 26.Mar.2002 um 12:34:33 +0100x schrieb oliver@firstfloor.org:
> zum ende des festivals intermedium2 hat der bayerische rundfunk
> einiges material auf seiner website gesammelt
> http://www.br-online.de/kultur-szene/thema/intermedium2/
> unter anderem ein kurzes dossier "vom video zur net.art"
> http://www.br-online.de/kultur-szene/thema/medienkunst/
Zitate daraus:
br> Die Kunst erobert den Cyberspace
...und indem Net.art diese final frontier überwindet, folgt sie den
Visionen ihrer Vordenker und Pioniere wie William Gibson, Stephen King
("Der Rasenmähermann") und, last not least, Ossi Urchs.
br> Wir leben längst in einer globalen Medienkultur. Das Fernsehen
br> hat die intensivste Bildwahrnehmung aller Zeiten ausgelöst. Und
br> das Internet ist der größte Bild-Speicher aller Zeiten. Sind wir
Wie jede Google-Suche beweist; weshalb wir auch nur noch per jpeg
kommunizieren und sogar in jpeg programmieren.
br> zu Opfern der Bildermaschinen geworden? Bleibt uns nichts anderes
Bildermaschinen wie zum Beispiel Echelon und Carnivore, der Root Server
A, Microsoft Passport/.NET und der Sir.Cam-Virus.
br> übrig, als bedingungslose Zustimmung? Das sind nur einige der
br> brennenden Fragen, die Medienkünstler in ihren Werken aufwerfen.
br> Eines ist klar: Das elektronische Bild ist zum wichtigsten
br> Kommunikationsmittel geworden.
Wie z.B. auf dieser Mailingliste...
br> Folglich wurde es auch zu einem zentralen Thema der Künste.
...wie z.B. in der Netzkunst von Heath Bunting, Vuc Cosic,
0100101110111001.org, Alexei Shulgin, Amy Alexander, Cornelia Sollfrank,
Electronic Disturbance Theater, Rachel Baker, etoy, Alan Sondheim,
I/O/D, Lisa Jevbratt, mez, Mongrel, Olia Lialina, antiorp/Netochka
Nezvanova, Paul Garrin und rtmark.
br> Computerkunst / net.art
br>
br> Die jüngsten Tendenzen der Medienkunst versuchen einer Welt
br> gerecht zu werden, in der sich die Grenzen zwischen Realität und
br> Fiktion aufgrund der schnellen technischen Entwicklung immer mehr
br> auflösen.
Wie von Gibson, King und Urchs vorgedacht. Als ein wichtiger
zeitgenössischer net.art-Theoretiker wäre auch noch Norbert Bolz zu
nennen.
br> Gleichzeitig mit den Bestrebungen der Medien- und
br> Unterhaltungsindustrie und ihren kommerziellen Interessen
br> vollzieht sich derzeit der rasante Wandel weg von der Illusion
br> des "bewegten" hin zur Illusion des "belebten" Bildes.
br> Interaktivität ist zum Schlagwort geworden.
Besonders in der net.art.
br> Real Video Einmal ein großes Orchester dirigieren Die Musiker auf
br> der Großleinwand befolgen die Anweisungen des Dirigenten am Pult,
br> als säßen sie tatsächlich dort.
War das die auf der transmediale preisgekrönte Arbeit von jodi, oder
nicht vielmehr ein rtmark-Fake?
br> Bisher war es selbst bei den Videoinstallationen so, dass
br> sich der Rezipient eines Kunstwerks mit der passiven Rolle
br> des Betrachtens und des Sich-Versenkens in ein - wie auch
br> immer geartetes - Kunstobjekt begnügen musste. Die technischen
br> Möglichkeiten heute erlauben es, den Betrachter an dem Kunstwerk
br> teilhaben zu lassen - sie sind interaktiv geworden. Das heißt,
br> sie reagieren auf äußere Einflüsse wie Bewegungen, akustische
br> Signale oder - wie bei der Kunst im Internet, der net.art - auf
br> das Betätigen der Computertastatur.
Unglaublich! Und bald werden die Interfaces und KI-Algorithmen so gut,
daß wir es sogar mit der Interaktivität des elisabethanischen Theaters
aufnehmen können, ganz zu schweigen von antiken Skulpturen, um die
Betrachter statt bloß Tasten zu drücken sogar herumwandern müssen!
br> Vor allem die net.art scheint das ideale Medium, um den Ansatz
br> des offenen Kunstwerks und damit der Demokratisierung der Kunst
br> zu verwirklichen, die schon von Beuys gefordert wurde.
Deshalb ist die net.art auch die ästhetische Speerspitze von grünen
Parteien, Anthroposophie und direkte Demokratie-Bewegungen geworden.
Dank Interaktivität durch Betätigen der Computertastatur ist
endlich jeder Mensch ein Künstler geworden.
Net.art wird deshalb auch von Firmen wie Data Becker gesponsert und
unterstützt deren Produktphilosophie: "Mit dem goldenen Profi-Paket im
Nu zum gefeierten Künstler. Erstellen Sie farbige Visitenkarten, Videos,
Musik-Remixe und Flash-Animationen, um die Sie Ihr Nachbar beneiden
wird, und reizen Sie ihren CD-Rohling mit geheimen Tricks voll aus".
br> Für ihre Präsentation benötigt die net.art allein den Computer,
br> ihr Ort ist der virtuelle Raum des Internet, der Cyberspace.
Lästig ist nur, daß man zum net.art-Gucken immer diese schwitzigen
Datenhelme und -handschuhe überziehen muß.
br> net.art überschreitet die Grenzen zwischen Kunst, Wissenschaft,
br> Technik und Politik. In ihr wird die Utopie des Gesamtkunstwerks
br> wieder lebendig.
Deshalb hat man die Crème de la Crème der net.art jetzt für die
Bayreuther Festspiele engagiert. Die Regie haben 0100101110111001.org
übernommen, jodi das Bühnenbild, und es singt Alexei Shulgins 386DX.
br> net.art steckt noch in den Kinderschuhen - ihre immensen
br> Entwicklungsmöglichkeiten sind wohl noch gar nicht abzusehen.
br> Eines ist jedoch klar: Das neue interaktive und belebte Bild
br> verkörpert die radikalste Transformation des traditionellen
br> Bildbegriffs in der abendländischen Kunst.
Die Transformation ist so radikal, daß die Bilder u.a. die Gestalt
von ASCII und HTML angenommen haben. Neuerdings gibt es sie sogar als
Programmcode.
br> Künstlergruppe etoy
br>
br> Die preisgekrönten Künstler wurden durch Happenings im Internet
br> bekannt. Zum Beispiel, indem sie Internet-Benutzer mit
br> Programmiertricks auf ihre eigene Webseite entführten.
br>
br> Berühmt-berüchtigt wurden sie im Jahr 2000 als die
br> Internet-Künstler den amerikanischen Großkonzern eToys besiegten.
br> Der mächtige Spielzeughersteller wollte die ähnlich lautende
br> Internetadesse der etoy-Künstler verbieten lassen. Die Künstler
br> wehrten sich und blockierten den Internetverkehr des Gegners
br> mit einer gigantischen Flut von E-Mail-Protestbriefen. Für den
br> Großkonzern, dessen Börsenkurse in der Folge rapide sanken, wurde
br> daraus das teuerste Happening der Kulturgeschichte. Die Künstler
br> siegten. Der Konzern gab auf.
Weshalb im Teutoburger Wald jetzt ein toywar-Denkmal für die
net.art-Cherusker aufgestellt wird, das der Einfachheit zuliebe die
ex-Dotcom zum "Großkonzern" mythologisiert, die DoS-Attacken zur
"gigantischen Flut" und den toywar zum Hermann-Dolchstoß, der das
römische Imperium ruckzuck im Staub versinken ließ.
br> Jodi www.jodi.org (englischsprachig)
br>
br> Dieses bekannte Projekt des Künstlerduos Jodi verwandelt Texte in
br> Graphiken und Graphiken in Texte.
www.bayerischer-rundfunk.de (bayerischsprachig). Dieses bekannte Projekt
des Bayerischen Rundfunks verwandelt Teilchen in Schwingungen (oder wie
war das noch einmal?).
Florian
--
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