[rohrpost] "B-52"/Bitomsky-Interview

Krystian Woznicki krystian@snafu.de
Sun, 03 Nov 2002 11:08:18 +0100


  "Destruktion als Ziel der Produktion"
   Ein Interview mit Hartmut Bitomsky =FCber seinen neuen Film "B-52"

  Krystian Woznicki, Telepolis, 03.11.2002

  Nach dem zweiten Weltkrieg hat die USA die B-52 entwickelt, ein von
D=FCsenmotoren betriebenes Langstreckenflugzeug, das bis heute ein
m=E4chtiger Milit=E4rapparat geblieben ist um den sich viele Mythen ranken.
Das die Mythenproduktion noch immer in vollem Gange begriffen ist,
r=FChrt daher, dass das Symbol globaler Hegemonie zwar als Waffe f=FCr den
Kalten Krieg entwickelt wurde, jedoch noch immer im Gebrauch ist und es
dank technologischer Potenz auch noch lange Zeit bleiben wird. Hartmut
Bitomsky hat sich in seinem 109-min=FCtigen Dokumentarfilm mit der
Geschichte und insbesondere den symbolischen Dimensionen dieser
Milit=E4rmaschine auseinandergesetzt und einen bildgewaltigen Doku-Epos
geschaffen, der aus Archivmaterial, zahlreichen Interviews mit
ehemaligen Piloten, Luftwaffen-Funktion=E4ren und Kriegsopfern, sowie
Aufnahmen an Milit=E4rst=FCtzpunkten zusammengesetzt ist. Damit kn=FCpft der
mittlerweile als Cal-Arts-Professor in Kalifornien lebende Filmemacher
an sein Interesse an nationale Technikmythen - "Reichsautobahn" (1986)
und "VW-Komplex"(1989) - zu erforschen. In diesem Gespr=E4ch spricht er
=FCber den Prozess der Recherche, die Dreharbeiten, sowie die
US-Rezeption von "B-52".

KW: Was war der Ausgangspunkt f=FCr "B-52"?

       Hartmut Bitomsky: Die Idee zum Film verdankt sich der Vorf=FChrung
eines Films von mir in Chicago 1995. Ben Nicholson kam hinterher auf
mich zu und erz=E4hlte von den Flugzeugschrottpl=E4tzen um die Mathis Davis
Airforce Base in Tucson. Eine Woche darauf bin ich nach Arizona
geflogen, mit einer High8 Video Kamera in der Hand. Was ich dort
vorfand, hatte den Charakter eines handfesten Beweises: der Beweis war
evident, nur was er beweisen wollte, war doch durchaus noch undeutlich.

  Eine Idee f=FCr einen Film braucht diese Art misslicher Verstimmung: da
liegt etwas vor, man schaut es sich an und ist beeindruckt, aber einen
Reim kann man sich darauf nicht machen. Und dann braucht eine Idee, f=FCr
einen Dokumentarfilm zumal, eine starke und vielf=E4ltige Realit=E4t, an
der sie hochwachsen kann. Genau dies offenbarte sich in den
zerschundenen Wrackteilen der B-52, ein reichhaltiger, umfassender
Ausschnitt der Realit=E4t.

  Zu dieser Zeit lebte und arbeitete ich schon seit einigen Jahren in
den USA, und wie es nicht anders sein kann, in Anspannung und Unruhe
und in einer gewissen Bedr=FCckung. Genau dorthinein stie=DF die B-52 als
ein Projekt. Es gab mir die notwendige Gelegenheit, den Ort zu
definieren, an dem ich lebe, und die Zeit zu definieren, in der ich
lebe.

KW: Wie ist aus dieser Idee ein Drehbuch geworden?

       Hartmut Bitomsky: Aus einer Idee f=FCr einen Dokumentarfilm wird
nie ein Drehbuch: das geh=F6rt zur Definition, und das ist es auch, was
mich am Dokumentarfilm interessiert: einer starken Realit=E4t
konfrontiert zu sein und ihr mit der k=FCnstlerischen Intelligenz des
Filmemachens begegnen, und zwar ohne jene systematischen
Absicherungsmechanismen, die das Machen von Spielfilmen definieren. Das
ist das Vitale am Dokumentarfilm, es geht an die Wurzel des
Filmemachens. "Die Sch=F6nheit des Kinos beginnt da, wo das Schauspielen
aufh=F6rt," hat Godard einmal gesagt, und dies ist der springende Punkt
f=FCr mich.

  Die filmemacherische Intelligenz muss sich jedoch fundieren, sonst
verdummt sie. Wer die Fakten der B-52 nicht auf den Begriff zu bringen
versucht, kann keinen Film dar=FCber machen wer einen Film =FCber die B-52
machen will, aber nichts vom Filmemachen versteht, wird die Fakten
nicht auf den Begriff bringen k=F6nnen. Man mu=DF also ziemlich viel =FCber
den Gegenstand in Erfahrung bringen und eine Menge Wissen akkumulieren.
Mit jedem Film kann man zu einem Experten einer neuen Sache werden.

  Dabei sind heute nat=FCrlich die Search Engines im Internet eine
unglaubliche Hilfe auch wenn sie einem noch sehr oft obskure Dinge
vorlegen. Man st=F6=DFt meistens nicht auf die Sache, sondern nur auf das
Versprechen, dass sie irgend woanders wirklich existiert. =C4hnlich wie
ein Eintrag im Telefonbuch nicht den Anruf ersetzt. Aber dazu gibt es
vor allem noch das wahre Internet der Menschen: wenn ich einem Film
zuarbeite, erz=E4hle ich jedem, der es h=F6ren will oder nicht, von meinem
Projekt. Das Resultat ist erstaunlich von =FCberall her werden einem
Daten und Fakten zugespielt, als ob man eine Quelle anzapfte, die nur
darauf gewartet hat, sprudeln zu k=F6nnen. Man befindet sich pl=F6tzlich
mitten in einer Diskussion, die bereits unterwegs ist, in die man
seinen eigenen Beitrag einspeisen kann .

KW: F=FCr gew=F6hnlich werden alle Filmprojekte, die US-amerikanische
Milit=E4rhardware verwenden oder auf milit=E4rischem Gel=E4nde gedreht
werden, von Phil Strub (Special Assistant for Entertainment Media at
the US Department of Defence) gepr=FCft und abgesegnet. Mussten auch Sie
sich mit ihm bzw. mit vergleichbaren Stellen auseinandersetzen?

       Hartmut Bitomsky: Phil Strub? Vielleicht weil von Anfang an klar
war, dass es sich nicht um Entertainment handelt, war der Mann nicht
von der Partie. Nat=FCrlich brauchten wir f=FCr jeden Drehort die
Genehmigung des Pentagon. Anfangs war das kein Problem nachdem es
glaubhaft war, dass es sich nicht um das Projekt eines Flugzeugbuffs
handelt, der sich eine Drehgenehmigung erschleichen will, um einmal nah
ans Objekt seiner dilettierenden Leidenschaft zu gelangen. Mit anderen
Worten, wir mussten nachweisen, dass der Film ein vertrautes
wirtschaftliches Format hat und =FCber eine verl=E4ssliche thematische
Grundlage verf=FCgt.

  Das war noch zur Zeit der Clinton Administration. Das US Milit=E4r stand
noch unter dem Schock des Ende vom Kalten Krieg und suchte krampfhaft
nach einem neuen raison d'etre. Also geb=E4rdete die Airforce sich
PR-freundlich.

  Aber inzwischen war dank u.a. Josef Fischer der Kosovo Krieg im Gange,
und die B-52s hatten ein paar Bombardierungseins=E4tze geflogen. An dem
Tag, an dem wir zu den Dreharbeiten aufbrachen, gab das Pentagon rotes
Licht, und alle Drehgenehmigungen f=FCr die verschiedenen Airforce Bases
wurden uns entzogen. Die Begr=FCndung war, dass der Kosovo Krieg die
Airforce zu sehr besch=E4ftige. Wir hatten Autos gemietet, Ger=E4te
gemietet, Mitarbeiter unter Vertrag, die Dollars rollten =FCbers Konto
wie beim Taxameter.

  Der Grund f=FCr den Stop war meines Erachtens, dass das Milit=E4r nicht
als so m=FC=DFig erscheinen sollte, als dass es sich f=FCr Filmaufnahmen zur
Verf=FCgung stellen konnte. Im Krieg kriegt alles die Maske des bitteren
Ernstes =FCbergezogen. Ich stellte mich darauf ein, den Film ohne seinen
Gegenstand im Zentrum zu drehen, und ich bereitete mich auf viele
Interviews vor, was ja bei einem 35mm Film eher ein Unding ist. Die
Filmrollen sind h=F6chstens 10 Minuten lang, nicht viel Zeit, um ein
Gespr=E4ch ohne Unterbrechung aufzuzeichnen. Wir fingen zu drehen an,
aber ich hatte das Gef=FChl, um die Sache herumzudrehen. Die Kamera
kriegte die B-52 nicht zu Gesicht. Halbwegs in der Mitte der
Dreharbeiten aber schaltete das Pentagon auf Gr=FCn. Der Kosovo Krieg
stand kurz vor dem Ende, die Airforce konnte nicht mehr als m=FC=DFig
erscheinen.

KW: Im Film hei=DFt es immer wieder, die B-52 sei eine Metapher, eine
Parabel, ein Palimpsest. An der Oberfl=E4che der Milit=E4rmaschine werden
zahlreiche Bedeutungsebenen abgelesen: Hatten Sie den Eindruck, dass
sich ihre Interview-Partner (abgesehen von den K=FCnstlern) dessen
bewusst sind?

       Hartmut Bitomsky: Die B-52 war von Anfang an f=FCr die USA eine
gro=DF angelegte politische, soziale und =F6konomische Unternehmung. Der
Bau der gesamten Flotte von mehr als 750 Bombern hat auf zehn Jahre die
gesamte Kapazit=E4t der Aluminiumverarbeitung der USA ausgesch=F6pft. Der
Kalte Krieg fand in den Produktionsst=E4tten statt, in der Form einer
unermesslichen Prosperit=E4t. Aber das ging nat=FCrlich nicht einfach so,
gewisserma=DFen auf Knopfdruck. Es musste begr=FCndet, abgeleitet, erkl=E4rt
und dann durchgesetzt werden, und deshalb hat sich um das Flugzeug eine
eigene Mythologie gebildet: eine Oberfl=E4che, auf der alle m=F6glichen
mythologischen Schnittstellen situiert sind. Jeder, der =FCber die B-52
spricht, arbeitet an der Mythologie mit. Er w=E4hlt eine Weise, =FCber die
B-52 zu sprechen, und aktiviert die dazugeh=F6rigen
Bedeutungsm=F6glichkeiten, die anderen Bedeutungen widersprechen m=F6gen,
aber sie nicht ausschlie=DFen.

  Das haben, glaube ich, alle verstanden, mit denen wir gesprochen
haben. Sie wu=DFten immer =FCber die Widerspr=FCche, aber sie wu=DFten auch,
dass das Objekt letztendlich von einer gr=F6=DFeren Kapazit=E4t ist, als=
 sich
definieren l=E4=DFt. F=FCnfzig Jahre einer Volkswirtschaft, die auf den
Kalten Krieg basiert, lassen sich nicht einfach begr=FCnden, aber auch
nicht wegargumentieren. Das ist ein bi=DFchen wie bei meinen Filmen =FCber
die Autobahn und den Volkswagen. Wie immer man dar=FCber denken und reden
mag: irgendwann hat jeder einen Volkswagen gefahren und irgendwann die
Autobahn benutzt. Man mag das verdammen oder preisen beides greift
immer zu kurz. Die Praxis ist m=E4chtiger.

KW: Wie gehen Sie bei Ihren Interviews konkret vor?

       Hartmut Bitomsky: Wenn ich Interviews f=FChre, stelle ich mir das
so vor: Ich gebe jemandem die Gelegenheit, 3 Minuten oder 10 Minuten zu
sprechen, und ich gebe einem Publikum die Gelegenheit, jemandem 3 oder
10 Minuten zuzuh=F6ren und dabei dieser Person zuzuschauen. Ich nehme auf
keine Sensibilit=E4ten R=FCcksicht, insbesondere nicht auf meine. Die
Kontroverse soll nicht vor der Kamera stattfinden, sondern im Kino.

  Ich stelle Fragen, sie geben mir Antworten. Ich verantworte die
Fragen, sie verantworten, was sie erwidern. Dazwischen ist kaum Platz
f=FCr Tricks oder schlaue Man=F6ver. Das f=E4llt manchmal schwer. Aber beim
Dokumentarfilm spielt der Autor eine recht subtile Rolle. Man darf dem
Gegenstand und der Kamera nicht zu sehr dazwischenkommen. Sp=E4ter beim
Schneiden habe ich die Wahl, ein Interview in den Film zu integrieren
oder nicht. Aber im Augenblick der Aufnahme muss ich die alle
ideologischen Sentimentalit=E4ten hinnehmen, denn auch sie sind Fakten.


KW: Neben den zahlreichen sehr interessanten Details des Films, bleibt
jenes Archivmaterial im Ged=E4chtnis h=E4ngen, das den von SAC nicht
fertiggestellten Propaganda-Film "The Power of Decision" (1955)
dokumentiert. Wie sind Sie darauf gesto=DFen?

       Hartmut Bitomsky: Ich bin im National Archive darauf gesto=DFen.
"Power of Decision" ist eine endlos lange Reihe von ungeschnittenen
Aufnahmen, ungeschnitten bis auf den nuklearen Schlagabtausch zwischen
den USA und der UdSSR das Material muss einen Cutter gereizt haben,
weil es Action ist, und so hat er sich drangesetzt, den finalen
Schlagabtausch zwischen der Sowjetunion und Amerika zu schneiden, wie
er in Wirklichkeit nicht geschehen ist.

  Das ganze ist offensichtlich eine Hollywood Produktion, besetzt mit
Schauspielern, in Auftrag gegeben und finanziert vom Strategic Air
Command. SAC hatte damals viel Geld, sogar soviel Geld, einen Film zu
produzieren und niemals zu beenden. Interessant daran ist , dass man es
als notwendig befunden hatte, einen Film drehen zu m=FCssen, um sich zu
erkl=E4ren. Da ist ein Zwang vorgelegen, aber er war dann wiederum doch
nicht so stark, dass der Film herausgebracht werden musste.

  Dieser Film steht nicht allein, wir haben im National Archive
mindestens mehr als zehn von dieser Art Filme gefunden alles 35mm
Produktionen, die niemals geschnitten oder beendet wurden, von der
Airforce produziert und finanziert und dann schlichtweg versteckt: aber
dann in den Weg von Filmemachern wie mich gelegt, damit sie den
ungesponnen Faden wieder aufnehmen und in einen neuen Kontext
integrieren.

KW: Der B-52-Film wurde auf der Berlinale 2001 pr=E4miert und lief dann
zuerst in den USA an. Die US-Rezeption wurde stark von den Ereignissen
am 11.09. gef=E4rbt. Die Village Voice merkte kritisch an, "ordinary
personnel can no longer be entirely dismissed as pawns in a capitalist
campaign. [...] it's difficult to arouse amused disapproval for the
mechanics of traditional warfare after quotidian objects like passenger
jets have left us with much more devastating per-episode body counts."
("Time Bomb" by Michael Atkinson, Village Voice, December 5 - 11, 2001)

       Hartmut Bitomsky: Ja, die Besprechung im Village Voice war
erstaunlich. Atkinson hat sogar geschrieben, dass es ein schlecht
gemachter Film sei. Es muss ihn am Punkt erwischt haben, wo die Wut
sitzt, dass der 9-11 ihn zum 100%igen, allesbejahenden Rechtsamerikaner
gemacht hat. Es hat aus New York ein paar solcher Kritiken gegeben. Sie
haben sich mit dem World Trade Center als Symbol des essentiell
Amerikanischen absolut identifiziert und keine Unterscheidungen mehr
treffen wollen. Es hat mich sehr an die Intellektuellen erinnert, die
in der Nazizeit Deutschland nicht verlassen wollten oder konnten und
pl=F6tzlich in einen extremen Zwang zur Rechtfertigung verfallen mussten.

  Aber es gibt ja nicht nur ein Amerika. Viele haben doch einen klaren
Blick auf den Film werfen k=F6nnen. Sie haben entdeckt, dass in Fakten
Poesie wohnen kann und dass Dinge Ideen und Erkenntnisse beherbergen,
die sich nicht so schnell auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen.

  Nach einer Vorf=FChrung kam ein verbl=FCffter Student auf mich zu, der
nicht fassen konnte, dass es mit einem solchen Sujet einen richtigen
Film geben k=F6nnte, der nicht ein Spielfilm aus Hollywood w=E4re. Ich
wollte einen Film =FCber einen Gegenstand machen, der einen Raum mit
dreihundert, vierhundert Menschen f=FCr zwei Stunden erf=FCllt mit einer
vielschichtigen, angespannten, visuell komplexen Kommunikation. Zwei
Stunden konzentrierter, ges=E4ttigter Aufmerksamkeit. In Calarts und an
vielen anderen Orten ist das geschehen. Es passiert eher nicht, wenn
man den Film als VHS Video auf dem Fernsehschirm durchzieht, was
Filmkritiker heute machen, um ihre Arbeit hinter sich zu bringen.

  Nat=FCrlich sind die Menschen nicht blo=DF Spielmarken im kapitalistischen
Man=F6ver. Wenn man das Gegenteil glaubt, sollte man gleich ganz
aufgeben. Aber man darf schon auch noch feststellen, dass der
Kapitalismus solche degradierenden Man=F6ver in Gang setzt. In den Wochen
nach dem 11. September wurde jeder Tote im World Trade Center, jede
Witwe ohne Lebensversicherung, jeder Feuerwehrmann, der in den Tr=FCmmern
w=FChlte, medial funktionalisiert, um einen neuen Krieg zu rechtfertigen.
und man muss erw=E4hnen, dass Passagierflugzeuge offensichtlich keine
unschuldigen allt=E4glichen Vehikel sind, wenn man wei=DF, dass die B-52
(und, parallel, die B-47) der Prototyp der Entwicklung jeglicher
modernen D=FCsenmaschinen der zivilen Luftfahrt gewesen sind. Sie sind
ein Spin-off der modernen Milit=E4rtechnologie, die wir unbedenklich
benutzen, um von M=FCnchen nach Florida in den Urlaub zu fliegen. Am 11.
September wurde die Umkehrung wieder sichtbar gemacht, die schon im
Volkswagenwitz aus der Nazizeit begriffen worden war, wenn gesagt
wurde, das aus jedem VW, wenn man ihn nur richtig zusammenbaut, ein
Panzer wird.

  Vielleicht klingt es jetzt noch etwas zu zynisch, wenn man sagt, dass
der 11. September, auf den Atkinson anspielt, m=F6glicherweise nur der
Auftakt eines terror-touristischen Angriffs auf die USA gewesen ist,
der im Moment noch von einem milit=E4rischen zu unterscheiden ist, wenn
auch nicht in seinem zerst=F6rerischen Potential.

KW: Sie haben mal gesagt "ein Dokumentarfilm sollte nicht die Realit=E4t
enth=FCllen, er muss sie artikulieren und gliedern." Es komme darauf an,
die Realit=E4t einer immer komplexer werdenden Welt visuell noch einmal
entstehen zu lassen und damit grunds=E4tzliche Konstruktionsprinzipien
von "Wirklichkeit" sichtbar zu machen. Nun haben wir es mit zwei
Zeitachsen zu tun, entlang derer die Realit=E4t sich entfaltet.
Einerseits jene 80 Jahre, die die Lebensdauer des Bombers beschreiben,
andererseits die zwei Jahre, in denen der Film seine Wirkung zu
entfalten beginnt. Wie w=FCrden Sie die Kommentarm=F6glichkeit des Films
angesichts solcher Verschiebungen und =DCberschneidungen beschreiben?
W=E4hrend der Film in Deutschland anl=E4uft, steht der dritte Golfkrieg vor
der T=FCr.

   W=E4hrend der Film in Deutschland anl=E4uft, steht der 3. Golfkrieg vor
der T=FCr... Oder wenn nicht gerade der dritte Golfkrieg, dann ein Krieg
andernorts. Die USA sind ein bellezistischer Staat. Seit mehr als 100
Jahren sind die USA mindestens alle 3 bis 5 Jahre in einen
milit=E4rischen Konflikt involviert, und das hei=DFt, Kriegsf=FChrung ist=
 ein
immanenter Bestandteil des amerikanischen Systems, mit der
Besonderheit, dass die Kriegsf=FChrung immer exterritorial lokalisiert
gewesen ist territorial werden die Kriege in Amerika nur im Kino, und
jetzt in den Medien, gef=FChrt.

  Als wir den Film drehten, habe ich noch an die Idee des
START-Abkommens geglaubt, Strategic Arms Reduction Treaty - das
Abkommen zur Verringerung der strategischen Waffen, sprich:
Nuklearwaffen, das Reagan mit der Sowjetunion geschlossen hatte, um das
atomare Wettr=FCsten zu stoppen und eine nukleare Abr=FCstung in Gang zu
setzen. Deshalb ist auch Film die Szene der Zerst=F6rung der B-52 so
extensiv geworden. Ich hatte mich gefragt, was sollen wir mit dem
Schrott des Kalten Kriegs anfangen, wie l=E4=DFt es sich drehen und wenden,
damit daraus etwas anderes entstehen kann als neue Waffen. Hoffnung
macht einen stets naiv. Denn diese Frage stand gar nicht auf der
Tagesordnung. Das START-Abkommen war in Kraft, die Vernichtung aller
strategischer Waffen, d.h. der nuklearen Systeme, schien auf der
Tagesordnung zu stehen. Aber ein ehemaliger B-52 Pilot erz=E4hlte mir
sp=E4ter, er sei in den 80er Jahren, als Reagan das Abkommen mit der
Sowjetunion abschlo=DF, entt=E4uscht aus der Airforce ausgeschieden, weil
zur gleichen Zeit die Best=FCckung der B-52 mit Nuklearwaffen wieder
verst=E4rkt aufgenommen wurde und alles wieder verst=E4rkt von vorn
anzufangen schien.

  Im Zentrum der Arbeit steht heute Waffenproduktion, eine Perversion in
sich selbst. Destruktion als Ziel der Produktion. Das sehe ich auch als
den Mittelpunkt des Films. Das ist die Auseinandersetzung. Der
Dokumentarfilm, wie ich es sehe, ist der =E4sthetische Widerstand, den
ein Filmemacher der Realit=E4t entgegensetzt. Marx hat gesagt: Wenn der
historische Augenblick verpasst wird, f=E4ngt die ganze Schei=DFe wieder
von vorne an. Ich sehe das nicht so, und dies ist meine Kritik. Wenn
der Augenblick verpasst ist, geht es wirklich nach unten in einem
gnadenlosen Strudel. Aber was hei=DFt Augenblick? Ein Moment
unterscheidet sich kaum vom andern, und keiner kann sagen, welches der
Zeitpunkt ist.

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