[rohrpost] Freie Texte in freien Netzen
Florian Cramer
cantsin@zedat.fu-berlin.de
Mon, 11 Nov 2002 15:13:38 +0100
Am Montag, 11. November 2002 um 09:03:27 Uhr (+0100) schrieb Thorsten
von Plotho-Kettner:
> Es geht um die Idee, Texte der Netzliteratur / Texte im Netz aus dem
> Bereich der Literatur gemäß einer "License for copylefted
> publications netwide".
Diese Lizenz müßt ihr nicht neu erfinden, es gibt sie bereits in Gestalt
der GNU Free Documentation License <http://www.gnu.org>, die es erlaubt,
Teile eines Dokument als nicht-modifizierbar zu kennzeichnen, und der
Open Publication License <http://www.opencontent.org>, die es erlaubt,
die freie Verbreitung eines Dokuments auf das Internet zu beschränken.
Leider neigen vielen Open Content-Projekte dazu, das Rad neu zu erfinden
und eigene Lizenzen zu schreiben. Dies ist aus mehreren Gründen eine
schlechte Idee:
1. Sollten Lizenzen nicht von juristischen Laien verfaßt werden, wenn
sie rechtsgültig sein sollen (d.h. man Verletzungen ihrer Spielregeln
notfalls vor Gericht ahnden kann). Für die GNU Free Documentation
License und die Open Publication License sprechen, daß sie von Juristen
im Auftrag von Organisationen wie der Free Software Foundation und
Firmen wie dem O'Reilly-Verlag formuliert wurden und einem
internationalen juristischen peer review unterliegen, in Deutschland
z.B. durch das Münchener Institut für Rechtsfragen von Freier und Open
Source Software.
2. Verwirrt eine Balkanisierung der Lizenzen sowohl potentielle
Anbieter, als auch potentielle Nutzer von freier Information, mit dem
Ergebnis, daß aus Unsicherheit die Lizenzen von Texten und anderen
Daten, die eigentlich frei im Netz zirkulieren sollen, gar nicht
deklariert werden.
- Was bedeutet, daß automatisch das normale Urheberrecht greift und z.B.
nach dem Tod eines Urhebers siebzig Jahre lang (seinen Intentionen
u.U. zuwider) verhindert, daß z.B. seine Website gespiegelt und
weitergepflegt wird.
3. Führen inkompatible Spielregeln verschiedener Lizenzen dazu, daß
Werke, die zwar als "Open Content" zirkulieren, nicht miteinander
kombiniert oder gemeinsam distribuiert werden können.
Um die Probleme 1-3 zu verhindern, haben sich in der freien Software die
GNU General Public License und BSD-artige Lizenzen als Standardcopylefts
durchgesetzt und decken zusammen ca. 90% allen freien Codes ab. Sie sind
juristisch international durchleuchtet worden und zueinander zumindest
so kompatibel, daß BSD-lizenzierter Code (nach der neueren BSD-Lizenz
ohne "advertising clause") in GPL-Projekte übernommen werden kann. Daß
ihre jeweiligen Philosophien sowie Vor- und Nachteile seit fast 20
Jahren durchdiskutiert sind, hat den Vorteil, daß Entwickler ihre
Entscheidung einfacher treffen können.
> Geld verlangt, dann nur für Rohlinge, etc.). Texte dürfen nicht
> verändert werden, da sie immer noch einem Urheberrecht, aber keinem
> Kopierrecht mehr unterliegen.
Diese Unterscheidung gibt es im europäischen (aber auch im
amerikanischen) Rechtsraum nicht, wohl aber eine Unterscheidung von
Urheber- und Nutzungsrechten. In Europa gibt es ein Urheberrecht und ein
Nutzungsrecht, in England und Nordamerika ein Copyright und eine
Regelung des "fair use". Da ich kein Jurist bin, empfehle ich
> Einige Gedanken sind schon im Topic "OpenSource -
> Textsammlungen" online
> (http://aussatz.antville.org/topics/OpenSource-Textsammlungen),
> wobei auch dieser "Arbeitstitel" seine Tücken birgt und wohl nur ein
> Arbeitstitel bleiben kann und revidiert werden muss/wird.
Ja, weil die Nutzungsregeln, die Dir vorschweben, nicht kompatibel zur
Open Source Definition <http://www.opensource.org> sind.
Gruß,
Florian
--
http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/homepage/
http://www.complit.fu-berlin.de/institut/lehrpersonal/cramer.html
GnuPG/PGP public key ID 3200C7BA, finger cantsin@mail.zedat.fu-berlin.de