[rohrpost] install.exe
Thomas Skowronek
tom10119@hotmail.com
Sun, 20 Oct 2002 12:20:12 +0200
19. Oktober 2002, 02:14, Neue Zürcher Zeitung
Cargo Cult im Cyberspace
Jodi - Laborieren am Quellcode
Seit 1995 gehört Jodi.org zu den bekanntesten Kunst-Adressen im Netz. Ihre
Arbeit mit den selbstreferenziellen Mitteln der Browser-Ästhetik hat in der
Net-Community weltweit Schule gemacht. In der scheinbar starren
Befehlssprache kommerzieller Software spüren sie produktive Fehlfunktionen
auf und erzielen dabei Effekte, die andere auch mal als Defekte
missverstehen. So wurde ihnen 1999 wegen ihrer Netzarbeit «oss» vom Host
ihrer Website der Service gekündigt: «Wie Sie wissen, enthält eine ihrer
WWW- Seiten bösartiges Javascript, das den Browser abstürzen lässt . . .»
Doch das Bösartige an «oss» ist vor allem komisch, ein Wuchereffekt der
Browserfenster, der an ein Virus denken lässt. Jodis subversives Spiel im
Abc der Netz-Bildsprache lässt sich als angewandte Kritik an den neusten
Medien verstehen, vergleichbar mit Nam June Paiks techno-ästhetischen
Untersuchungen von Fernsehen und Video. Jodi vergleichen ihre Arbeit mit
einem «Cargo Cult». Mit Lowtech- Mitteln thematisieren sie die Welt der
Hightech- Erscheinungen. Die inflationäre Allgegenwart von Web-Adressen mit
ihren vor allem im Englischen lächerlich ausgesprochenen drei W überhöhen
Jodi zu einer magischen Beschwörung: Ihre Hauptadresse wird nicht nur mit
drei, sondern mit neun W, wwwwwwwww.jodi.org, geschrieben.
RUDIMENTÄRES
Zu den neusten Arbeiten des holländischen Künstlerpaars Jodi (Joan Heemskerk
and Dirk Paesmans) gehören die «Untitled Games». Sie basieren auf dem
Quellcode kommerzieller Ego- Shooter-Spiele, der von manchen Spielefirmen im
Internet kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Jodi dekonstruieren diesen
Code, das heisst, sie putzen alle Details weg und lassen nur die rudimentäre
Raum- und Navigationssteuerung der Spiele übrig. Der Aufwand ist gross, denn
aus Zigtausenden von Programmierzeilen müssen sie die entscheidenden Befehle
erkennen, und jeder kleinste Fehler, ein falsch gesetztes Komma oder eine
vergessene Silbe, macht die Programmierung unwirksam. Immer wieder müssen
sie von der Programmierebene in die Bildebene umschalten, um die Effekte zu
überprüfen.
Von welcher ästhetischen Strategie die «Deprogrammier»-Arbeit in den
«Untitled Games» geleitet wird, erkennt man beim Vergleich mit einem
Vorläufer dieser Reduktionsversuche, Jodis «Wolfenstein»-Version. Bereits
hier kommen sie mit wenigen Bildelementen aus, doch vereinzelt gibt es noch
runde Formen und die grafische Andeutung von Gesichtern. In den «Untitled
Games» dagegen sind alle visuellen Daten auf Flächen und Linien, rechte
Winkel und wenige Farben reduziert. Diagonalen kommen vor, weil sie für die
Illusion der Raumbewegung nötig sind und, wie in der Spiel-Version
«Ctrl-Space», zu bizarren Op-Art-Effekten führen können. Auch die Töne
wirken reduziert und wie gepixelt. In Stereo bestärken sie das Gefühl einer
räumlichen Bewegung, mal nähern wir uns einer Tonquelle, dann entfernt sie
sich wieder. So lassen sich die «Untitled Games» als ästhetische
Untersuchungen virtueller Räume verstehen, abgeleitet und abstrahiert von
den hoch elaborierten «Salonmalereien» kommerzieller Computergames.
BALLERN GEGEN DAS NUMINOSE
Auf der Tonebene ist die Vorlage der Kampfspiele noch erkennbar. Man hört
verhaltene Männer/Monster-Schreie, ein Keuchen, das technoide Knurren von
Hunden und schliesslich Schussgeräusche, die man selbst per Tasten und
Mausklick auslösen kann. Tatsächlich bleibt in den «Untitled Games» auf der
Tonebene das Ego ein Shooter, man ballert gegen das Numinose des abstrakten
Datenraums. Gelegentlich fahren Tabellen ins Bild, welche über die Anzahl
erledigter und noch drohender «monsters» und «secrets» informieren. Im
Untitled Game «Arena» wirkt das besonders irritierend, denn bei allem
Schiessen, Knacken und Stöhnen bleibt die Bildfläche strahlend weiss. (Was
mache ich bloss falsch, denkt man, und tastet und klickt an gegen das
erhabene Monitorlicht.) In «Slipgate» dagegen kommt das Knurren erkennbar
von einem angriffigen blauen Würfel, der winselt, wenn man auf ihn schiesst,
und ein schlechtes Gewissen erzeugt.
Wer ist das Publikum für Jodis Bild- und Spiel- Studien? Die oberen
zehntausend Kunstfreunde oder die Millionen Gamefreaks? Allmählich beginnt
sich ein Publikum herauszubilden, das Anschluss hat an beide Sphären, das
erkennt, wie sich im digitalen Spielbereich eine alte Welt von Bildern und
Geschichten durch neue Raumerfahrungen und Rezeptionsweisen erweitert.
Reinhard Storz
Bis zum 27. Oktober 2002 präsentiert das plug in Basel die erste umfassende
Einzelausstellung zur neuen Arbeit von Jodi. Dazu erscheint eine
Printpublikation.
Netzadressen: http://www.jodi.org (Download der «Untitled Games»).
http://wwwwwwwww.jodi.org (offizielle Jodi-Site).
http://www. 0100101110101101.org/home/jodi.org (Raubkopien früher
Jodi-Arbeiten).
http://myboyfriendcamebackfromth.ewar.ru/ (Download von «Wolfenstein»).
http://oss.jodi.org (Seite mit «bösartigem Javascript»).
http://www.youplugin.org
Diesen Artikel finden Sie auf NZZ Online unter:
http://www.nzz.ch/2002/10/19/li/page-article8GOVV.html
Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG
_________________________________________________________________
MSN - More useful every day http://www.msn.de