[rohrpost] Discordia concors: www.jodi.org (Katalogaufsatz)
Florian Cramer
cantsin@zedat.fu-berlin.de
Thu, 31 Oct 2002 17:10:43 +0100
[Der nun folgende Text wurde für den Katalog der Ausstellung
"install.exe/Jodi" geschrieben, der jetzt im Christoph Merian Verlag
Basel erschienen ist (siehe
<http://www.christoph-merian-verlag.ch/m2_buecher/D04_BuecherDetail.cfm?BUCH_id=185>),
und meines Wissens die erste Buchpublikation nur über Jodi ist. Dieses
posting geschieht im freundlichen Einvernehmen mit den Herausgebern. -F]
$Id: jodi_anti_net_art_-_deutsch.tex,v 1.5 2002/07/09 00:41:04
paragram Exp $
Discordia concors: www.jodi.org
Florian Cramer
10.7.2002
jodi net
Wäre der heutige Kunstbetrieb nicht auf Zurschaustellungen fixiert - ob
von Bildopulenz oder politischer Korrektheit - und vor allem nicht auf
ausstell- und verkaufbare Objekte, wären jodi vermutlich anerkannt als
die wichtigsten zeitgenössischen Künstler. Gewiß liefe solch eine
Kanonisierung der ästhetischen Subversion von www.jodi.org zuwider; auch
spricht gegen sie der Aufwand, mit dem jodi ihre Arbeit als Teil eines
größeren Netzwerks präsentieren und schneller Konsumierbarkeit
entziehen. Dies ist die eine Seite der Medaille; auf der anderen steht
jodis Sorgfalt, ihrer Kunst vorab einen selbstgesteckten Kontext zu
verpassen. Deutet man sie als Kontrollstrategie, so verkomplizieren sich
die Gegensätze von Subversion und Kanonisierung.
Es ist, wie der Sinologe und Computer-Dichter John Cayley schreibt,
,,schwierig, im Sinne einer mehr oder weniger konventionellen
Kunstkritik etwas Schnelles und Gewisses über eine Website zu schreiben,
die selten dieselbe geblieben ist, wenn man sie erneut besucht.`` {1}
Als dieser Text geschrieben wurde, leitete http://www.jodi.org
automatisch auf die Download-Seite von ,,Untitled Game`` um. Der Rest
der Website ließ sich nur über Suchmaschinen finden, die auf
Kritiker-Texte über jodi.org verwiesen, welche wiederum die versteckten
Sektionen von jodi.org referenzierten - oder man wich gleich auf die
netzkünstlerische Raubkopie von www.jodi.org auf http://
www.0100101110101101.org/home/jodi.org aus. So unterminieren jodi die
corporate identity ihrer eingängigen Netzadresse und verlangen Lesern
Netz-Arbeit ab; eine Entzugsstrategie, die auch an die Schriften
spätantiker Gnostiker erinnert, die jahrhundertelang nur als Zitate aus
den Widerlegungs-Traktaten christlicher Theologen überlebten.
Seit dem 16. Jahrhundert sind Gedichte, die nach
kombinatorisch-algorithmischen Regeln ihre Wörter vertauschen, als
,,Proteusverse`` bekannt, denn wie der griechisches Meeresgott wechseln
sie ständig ihre Erscheinung. www.jodi.org verlagert das proteische
Prinzip von den internen Daten des Kunstwerks auf die Metadaten seiner
Adressierung und Vernetzung. Diese proteische Logik regelt jedoch nicht
nur den Zugang zur Website, sondern auch die Durch- und Ausgänge. Zum
Beispiel weigert sich www.jodi.org, sich auf sich selbst zu begrenzen,
indem es topographische Verbindungen zu diversen anderen
Netzkunst-Servern zeichnet (,,map``, http://map.jodi.org),
Web-Querverweise auflistet (,,CC``,
http://wwwwwwwww.jodi.org/100cc/baklava/index.html) und verborgene
Sprunganweisungen auf interne Seiten mit verborgenen Sprunganweisungen
auf fremde Seiten vermischt.
Zugleich konterkarieren diese Kartographierungen und Festschreibungen
des Kontexts jodis proteisches Entgleiten einer festen Identität; eine
Identität, die sich unweigerlich auch im durchschlagenden Einfluß ihrer
Arbeit auf andere Netzkünstler festschreibt. Da jodi für die
code-experimentelle Netzkunst, wie sie sich seit 1997 im E-Mail-Forum
,,7-11``http://www.7-11.org{2} herausbildete, so wichtig waren wie
Cézanne für den Kubismus oder Malewitsch für den Konstruktivisismus,
führt an ihrer Kanonisierung kein Weg vorbei.
jodi art
Bei der Abfassung dieses Textes beförderte eine ,,Google``-Suche nach
der Stichwortkombination ,,jodi.org`` und ,,noise`` 228 Web-Seiten
zutage. Worin jedoch unterscheidet sich das Rauschen von www.jodi.org
vom Rauschen und Zufall in den Avantgarde-Künsten der vorigen hundert
Jahre, vom Pointillismus und Dada bis zu John Cage und Fluxus?{3} - Der
Unterschied ist sowohl ein medialer, als auch ein rhetorischer. In
Dada-Dichtung, Hans Arps Zufallsbildern und John Cages Zufallsmusik
strukturiert der Zufall das Werk immanent, nicht aber seine mediale
Übertragung. www.jodi.org hingegen chaotisiert seine Datenübertragung
nicht nur durch instabile Adressierungen, sondern liest und verhält sich
auch, als bestünde es aus eigentlich intakten, nur durch
Übertragungsfehler oder Computerabstürze beeinträchtigen Daten.
Tatsächlich sind diese Übertragungsstörungen in den Daten selbst
simuliert. Im Gegensatz zu Nam June Paiks störmanipulierten Fernsehern
aus den 1960er Jahren spielen Jodis Störungen nicht in der Hardware und
mit oft unvorhersehbaren Resultaten ab, sondern sind clevere
Vortäuschungen von Unvorhersehbarkeit auf Software-Ebene.
Denn das scheinbar chaotischer Verhalten der jodi-Website ist eine
trompe-l'oeil-Simulation auf der Grundlage absolut linearer und
deterministischer Codes: Texte in der Formatierungssprache HTML,
einfache Bildanimationen im GIF-Format und sparsam eingestreute Zeilen
in der Programmiersprache Javascript.{4}. Und während die
indeterministischen Poetiken von Cage und Fluxus Zufall und Chaos für
Mittel radikaler Freiheit hielten, ist ihre Implikation in jodis Kunst
weitaus ambivalenter. Zwar inspirieren und befreien die scheinbaren
Störungen die Imagination des Betrachters, zugleich aber locken sie ihn
in Täuschungen, Irrwege und Sackgassen hinein. An die Stelle der naiven
cagianischen Zufallsontologie tritt eine trickreiche Rhetorik simultaner
Anarchie und Gefangennahme, ein neobarockes Concetto und eine discordia
concors eines disziplinierten Schein-Chaos und einer chaotischen
Schein-Disziplin.
jodi net art
Jodi sind bekannt für ihre Kunst der Disruptionen und Fehlcodierungen
und dafür, jenseits aller technonaiven ,,Multimedia``-Kunst einen
ästhetischen Blick auf Computer als mit sich selbst beschäftigte
Generatoren kontingenter Datenströme geöffnet zu haben. Dennoch handelt
ihre Kunst nicht simpel von einer (imaginären) Wahrheit unterhalb
trughafter Software-Oberflächen. Was in Jodis Arbeiten als Code
erscheint - zum Beispiel die kontingenten Nummerntabellen im
Unterverzeichnis ,,Automatic Rain System`` von ,,betalab``
http://wwwwwwwww.jodi.org/betalab/rain/ - ist Code, der auf anderen Code
verweist, aber auch: Code, der nicht ist, was er zu sein scheint. Jodis
Codes dienen typischerweise der Simulation von anderen Codes,
Simulationen von Algorithmen durch Graphikanimationen etwa oder
Simulationen von Bildschirmgraphik durch blinkenden Text. Am 22. Oktober
2001 schickten jodi einen umfangreichen Text auf die internationale
E-Mail-Liste ,,Nettime``, der ein Kommentar auf damalige Krisenkriege
und ihre Diskussion in netzkulturellen Foren zu sein schien:
$cd ug/models/soldier3
$origin 0 -6 24
$base base
$skin skin
$frame soldierc
$frame soldierd
/*
*/
void() army_fire;
void() army_stand1 =[ $soldierc, army_stand2 ]
{ai_stand();};
void() army_stand2 =[ $soldierc, army_stand3 ]
{ai_stand();};
void() army_stand3 =[ $soldierc, army_stand4 ]
{ai_stand();};
[...]
Der Text (der hier nicht vollständig reproduziert, aber in seiner
Originalfassung unter http://amsterdam.nettime.org/Lists-Archives/
nettime-l-0110/msg00120.html gelesen werden kann) war zuallererst ein
beeindruckendes Stück konkrete Poesie. Die militärische Ordnung, die
sich ihm linguistisch und typographisch eingeschrieben hatte, ließ ihn
wie eine obsessiv codierte Inventarliste oder strategische Planskizze
erscheinen. Leser, die neben Englisch auch Programmiersprachen
beherrschten, konnten außerdem bemerken, daß das Gedicht ein
funktionaler Quellcode in der Programmiersprache ,,C`` ist. Tatsächlich
handelte es sich um einen Teil des Quellcodes von jodis ,,Untitled
Game``, der wiederum auf dem Quellcode des kommerziellen Computerspiels
,,Quake`` basiert. Indem jodis E-Mail seine Herkunft und Funktion
unterschlug, machte sie zugleich die ästhetischen und politischen
Subtexte scheinbar neutraler technischer Befehlsabfolgen sichtbar.
Im Jahr 1924 wies Tristan Tzara seine Leser an, ,,ein dadaistisches
Gedicht zu machen``, indem sie die Wörter eines Zeitungsartikel
ausschneiden, in einer Tüte mischen und ,,dann einen Schnipsel nach dem
anderen [...] in der Reihenfolge, in der sie aus der Tüte gekommen
sind``, herausnehmen sollten.{5} Das so erzeugte Gedicht ist zwar ein
Zufallsprodukt, nicht aber Tzaras Instruktion. Sie generiert
dadaistische Sprache, ohne daß ihr eigener Sprachcode dadaistisch wäre.
Noch konstruktivistischer wirkt das Gedicht ,,3 variationen zu `kein
fehler im system``' des deutsch-bolivianischen Mitbegründers der
konkreten Poesie, Eugen Gomringer, das den Satz ,,kein fehler im
system`` permutiert:
kein fehler im system
kein efhler im system
kein ehfler im system
kein ehlfer im system
kein ehlefr im system
kein ehlerf im system
kein ehleri fm system
kein ehleri mf system
kein ehleri ms fystem
kein ehleri ms yfstem
kein ehleri ms ysftem
kein ehleri ms ystfem
kein ehleri ms ystefm
kein nehler ms ystemf
fkei nehler im system
kfei nehler im system
kefi nehler im system
keif nehler im system
kein fehler im system
Der Fehler in Gestalt des ,,f`` wandert in jeder Zeile um einen Schritt
nach rechts, bis die ursprüngliche Ordnung wiederhergestellt ist. Da der
Fehler dem Gedicht nach einem systematischen Prinzip eingeschrieben
wird, gibt es zwar einen ,,fehler im system``, aber keinen Fehler im
Gedicht.
Jodis Quellcode ist typographisch, linguistisch und semantisch viel
reicher als Gomringers Verse. Von Tzaras Gedicht unterscheidt es sich
zudem dadurch, daß es es seine poetische Collage nicht durch einen
konträr gebauten Algorithmus erkauft, sondern die Instruktionen selbst
collagiert. Programmcode ist bei jodi nicht mehr Laborkonstrukt, sondern
Pastiche und Ready-made. Im Gegensatz zur permutativen Proteuslyrik und
zur generativen Kunst von Optatianus Porfyrius über die Lullisten bis in
die zeitgenössische Kunst synthetisieren jodi ihre Instruktionscodes
nicht mehr, sondern verwenden sie intertextuell, als vorgefundenes
Zeichenmaterial.
net anti net
Andere Arbeiten auf www.jodi.org subvertieren die ästhetische Erwartung
von opaken Quellcodes und verständlichen Outputs noch entschiedener als
das oben zitierte Gedicht. ,,Location`` http://wwwwwwwww.jodi.org und
,,faq`` http:// wwwwwwwww.jodi.org/100cc/faq/index.html erscheinen in
der Standardanzeige des Web-Browsers als Buchstabenchaos, das erst in
der Quellcode-Anzeige lesbar wird; dort entpuppen sich die blinkenden
Codes als Typogramm der Zeichentrickfigur Stimpy (aus ,,Ren and
Stimpy``). So, wie die Website mit ihrer Zugänglichkeit und
Unzugänglichkeit auf der Metadaten-Ebene ihrer Adressierung spielt,
spielt sie auch mit sichtbaren und verborgenen Codes auf der Ebene des
Dateiinhalts, macht das Undurchsichtige durchsichtig und umgekehrt. {6}.
,,Location`` und ,,faq`` beziehen sich intertextuell auf als
,,ASCII-Art`` bekannte Computer-Typogramme. ASCII, der ,,American
Standard Code for Information Interchange``, der kleine gemeinsame
Nenner aller Computerzeichensätze,{7} wurde seit den 1970er Jahren
benutzt, um in textbasierten Computernetzwerken Bildschirmgraphik zu
emulieren, so daß die ASCII Art aus der Not technischer Beschränkung die
klassische Figurendichtung neuerfand, wie aus der orphischen Lyrik des
dritten vorchristlichen Jahrhunderts überliefert ist.{8} Mit der
Netzkunst von jodi und später den Teilnehmern der Mailingliste ,,7-11``
wurde ASCII Art von einer naiv-figurativen zu einer experimentellen und
ironischen Kunstform umgeschrieben, die mit Fehlercodes, vorgetäuschten
Systemabstürzen und Werbemüll-artigem Massenversand spielte.
,,Location`` und ,,faq`` kartographieren den Übergang von den
figurativen zu den selbstreflexiven ASCII-Codes, in dem in ihnen die
alte naive ASCII-Art buchstäblich zum Quellcode der neuen reflexiven
ASCII-Netzkunst wird.
code anti code
Jodis Fertigkeit, Daten eines Typs wie Daten eines anderen
Typs aussehen zu lassen, manifestiert sich besonders in einer Kunstform,
die eine echte jodi-Erfindung zu sein scheint: falsche Software, die in
Wahrheit nur aus animierten Graphiken und blinkendem Browser-Text
besteht. ,,Surgery/havoc`` http://wwwwwwwww.jodi.org/100cc/havoc/ sieht
aus wie ein Jump-and-Run-Computerspiel im Stil der ,,Mario Brothers``
und bietet verschiedene Zoom-Funktionen, ist tatsächlich aber nur ein
geschicktes Arrangement kleiner zappelnder Graphikdateien. Mit denselben
Mitteln simuliert ,,BinHeX``
http://wwwwwwwww.jodi.org/100cc/hqx/i900.html Systemabstürze und
Computervirenbefall. In ständigem Bezug auf die alltagskulturelle
Semiotik von Software-Interfaces gelingt es jodi, Softwarekunst - und
somit auch generative Kunst - selbst dort zu schaffen, wo sie gar nicht
algorithmisch programmieren; eine rhetorische Pointe, die das ganze
definitorische Fundament beider Kunstformen hinterfragt.
Die prädigitale Netzkunst, die seit 1960er Jahren unter dem Namen ,,Mail
Art`` bekannt wurde, förderte ihre offenen Strukturen durch konsequentes
Mittelmaß. Jodi.org und die durch diese Website möglich gewordene
Netzkunst zeigen, wie aus solchen Netzwerken auch herausragende Kunst
entstehen kann. Was jodis Kunst zum ultimativen Beispiel
zeitgenössischer ,,argutezza`` macht - also jener kunstvollen
Gewitztheit und Urbanität, wie sie in Rhetoriken des 17. Jahrhunderts
definiert wurde - ist die simultane Affirmation und Negation ihres Orts
im Netzwerk. Denn sie selbst ragt viel zu sehr heraus im Geflecht ihrer
selbstgeknüpften Beziehungen, deren Disseminationen ihnen zudem als
Präventivwaffe dienen gegen unbotmäßige Lektüren und
Kontextualisierungen wie diese hier.
Literatur
[AE87] Jeremy Adler and Ulrich Ernst. Text als Figur. Visuelle Posie von
der Antike bis zur Moderne. VCH, Weinheim, 3 edition, 1990 (1987).
[Arn01] Inke Arns. Texte, die (sich) bewegen: zur Performativität von
Programmiercodes in der Netzkunst, 2001. http://www.v2.nl/~arns/Lecture/
performativ-code.html.
[Cay01] John Cayley. The Code is Not the Text, 2001.
http://www.p0es1s.net/poetics/ symposion2001/a_cayley.html.
[Tza75] Tristan Tzara. Pour fair une poème dadaïste. In Oeuvres
complètes. Gallimard, Paris, 1975.
[Zim97] Dieter E. Zimmer. Schone Gruse aus dem Netz. In Deutsch und
anders, pages 272-292. Rowohlt, Reinbek, 1997.
Fußnoten
{1} [Cay01]
{2} siehe Frederic Madres Beitrag zu diesem Katalog
{3} Thomas Skowronek, der an der Humboldt Universität Berlin zur Zeit
eine Magisterarbeit über Rauschen in der Netzkunst schreibt, brachte
diese Frage auf.
{4} Das Phänomen statischer ,,Genotexte`` versus mobiler ,,Phänotexte``
in digitaler Kunst hat, mit ausdrücklichem Bezug auf Jodi, zuerst und
ausführlicher als hier Inke Arns in ihrem Aufsatz [Arn01] beschrieben
{5} [Tza75]
{6} Diese Methode übernimmt und radikalisiert Ivan Khimins Projekt
"http:// imageless.net". Die Website besteht aus extrem kleinen
HTML-Dateien, die nur im Quellcode Information enthalten. (Zugang über
"http://imageless.net/ASCII32/")
{7} Die Geschichte des ASCII-Text rekonstruiert Dieter E. Zimmers
Aufsatz [ Zim97]
{8} [AE87]
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