[rohrpost] Re:republicart kunst/aktivismus/netzkultur?

Gerald Raunig raunig@eipcp.net
Sat, 7 Sep 2002 14:47:46 +0200


um noch mehr rauschen in die etwas verwirrte debatte um kunst, aktivismus,
etc. zu bringen, hier der deutsche manifest-text zu republicart, der u.a.
auch hinweise gibt auf die politischen funktionen von
netz/kunst/kulturinitiativen. ansonsten empfiehlt sich zu den
angeschnittenen differenzierungen auch ein blick in die texte unter
hybrid?resistance http://www.republicart.net/disc/hybridresistance/index.htm
gruss,
g.
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rePUBLICart Manifesto


REPUBLICart

"Ein wirkungsvoller Begriff des postmodernen Republikanismus wird nur au
milieu zu bestimmen sein, auf der Grundlage der gelebten Erfahrung der
globalen Multitude." (Michael Hardt/Antonio Negri)

Republik zielt nicht auf die Reform einer Staatsform, auf Überlegungen zu
einer Rettung des in die Krise geratenen Nationalstaates oder zu dessen
Transformation in einen oder mehrere Superstaaten. Im Blickpunkt unserer
Untersuchungen stehen die konkreten Erfahrungen von
nicht-repräsentationistischen Praxen, die konstituierenden Aktivitäten vor
allem in den Bewegungen gegen die ökonomische Globalisierung. Die Kunst der
res publica soll dabei nicht implizieren, mit revolutionär-romantischem
Pathos die Gründung einer neuen globalen Gemeinschaft zu bejubeln. Es geht
um die experimentellen Formen von Organisierung, die sich im Kleinen und
meist in prekären und zeitlich begrenzten Situationen entwickeln, die neue
Modi der Selbstorganisation und deren Verkettung mit anderen Experimenten
erproben. Die "organisierende Funktion" der Kunst (Walter Benjamin) schafft
sich neue Räume in den überlappenden Nachbarschaftszonen zu politischem
Aktivismus und Theorieproduktion.


rePUBLICart

"Wir erleben eine Politisierung, die viel radikaler als jede uns bisher
bekannte ist, weil sie dazu tendiert, die Unterscheidung zwischen dem
Öffentlichen und dem Privaten aufzulösen - nicht im Sinne des Eingriffs in
das Private durch einen einheitlichen öffentlichen Raum, sondern im Sinne
einer Vermehrung radikal neuer und verschiedener politischer Räume."
(Ernesto Laclau/Chantal Mouffe)

Öffentlichkeit ist weder vorgängige Substanz noch unveränderliches Terrain.
Was zählt, ist nicht das Einklagen oder auch nur die Vorstellung einer
einzigen Öffentlichkeit (sei sie nun eine exklusive für privilegierte
Schichten, sei sie eine allumfassende Metaöffentlichkeit), sondern die
permanente Konstituierung von pluralen Öffentlichkeiten, die den vielen
Facetten der Multitude entsprechen: eine Vielheit von Öffentlichkeiten,
nicht statisch gedacht, sondern als bewegliche Produkte artikulatorischer
und emanzipatorischer Praxen.

In solchen raumzeitlichen Situationen wird das Differente in Bezug zum
Differenten gebracht, wird die Voraussetzung geschaffen, dass differente
Positionen zum Austausch kommen. Die Grenzen solcher Räume sind durchlässig,
sie selbst dadurch weder exklusiv-ausschließend noch
inklusiv-vereinheitlichend.

Es geht also nicht um die konsensuelle Identitarisierung von Öffentlichkeit,
sondern um deren konfliktuelle Öffnung. Es geht nicht um Homogenisierung und
totale Transparenz, sondern um Konflikt in Permanenz, die ständige
Neuverhandlung differenter Positionen. Ein Publicum als
konsumierend-voyeuristische Figur ist hier undenkbar, gegen die Rezeption
des Spektakels setzt sich die Produktion singulärer Ereignisse, gegen die
"Person der Öffentlichkeit" eine Pluralisierung der Subjektivierungsweisen.


rePUBLICART

Public Art boomte schon zu Beginn der 90er Jahre in vielfältigen Spielarten:
partizipatorische Praxen, Community Arts, New Genre Public Art,
Kommunikationsguerilla, konkrete Intervention, Aktivismus etc. brachten eine
Verschiebung der künstlerischen Interessen von Erkenntnisfragen auf soziale
und politische Aktivitäten. Statt Objekten traten temporäre Projekte in den
Vordergrund, statt EinzelkünstlerInnen Communities, statt Kunstkonsum
Partizipation.

Ab der Mitte der 90er häuften sich kritische Stimmen, die diesen politischen
Kunstpraxen vorwarfen, depolitisierend zu wirken oder reformistisch an der
Durchsetzung neuer Formen der neoliberalen Expansion mitzuwirken. Als
Argumente angeführt wurden u.a.: die zweifelhafte Funktion der Projekte in
Prozessen der Gentrification oder im Verschleiern des Rückbaus
sozialstaatlicher Strukturen, die Vereinnahmung als Mittel der
Tourismuswerbung zugunsten der Aufwertung von Städte-Image, die
Instrumentalisierung der Differenz von marginalen Themen und Gruppen, die
Rückkehr des "Künstler-Vaters" durch die Hintertür. Als Teilaspekt und
Effekt dieser kritizistischen Welle kam es auch im Kunst-Mainstream zu einem
merklichen Backlash, einem Rückzug in die alten Räume, einer Rückkehr zu den
Fragen von Erkenntnis und Erfahrung in der Rezeption.

Nun lassen sich Anzeichen eines neuerlichen Umschwungs bemerken. Was den
Praxen der 90er gefehlt hat, scheint in einer neuen Situation gegeben: die
Einbettung in einen größeren Kontext, die Anknüpfung an soziale Bewegungen.
In Zusammenhang mit den heterogenen Formen der Kritik an der ökonomischen
Globalisierung scheint sich eine Transformation der alten Formen von
Interventionskunst und die Entstehung neuer Praxen anzukündigen. Das
Wieder-Öffentlich-Werden von Kunst im Kontext politischer Bewegungen
zeichnet sich ab. Um die Themenbereiche und aktivistischen Stränge von
Globalisierung, Grenzregimes und Migration entstehen die Bedingungen dafür,
dass "revolutionäre Maschine, Kunst-Maschine und analytische Maschine
wechselseitig Bestandteile und Räder voneinander werden" (Gilles
Deleuze/Félix Guattari).


 http://www.republicart.net/manifesto.htm [derzeit deutsch, englisch,
französisch, kroatisch, slowenisch, spanisch]