AW: [rohrpost] republicart theoriekiste, kurze antwort auf henning ziegler und florian cramer

Henning Ziegler hziegler@zedat.fu-berlin.de
Tue, 17 Sep 2002 16:33:01 +0200


"vielleicht ist das hier nicht der richtige ort f=FCr eine
tiefergehende debatte =FCber theorie-diskurse, aber der ausgangspunkt =
war
ja anderer. deshalb hier nochmal ein nachhaken"

Wieso keine Theoriedebatten? F=FCr meinen Geschmack war's bisher eher zu
lasch...

"Wir kamen zu dem Ergebnis, da=DF man "minorit=E4re Medienpraxen" und
=E4hnliche deleuzianischen Attribute nolens volens auch rechtsradikalen
Subkulturen zuschreiben mu=DF."

Das kann doch endlich als Schluss zur leidigen republicart-Geschichte
stehen. Florian hat meiner Meinung nach hinreichend die Widerspr=FCche =
des
Projekts erkl=E4rt.


::

Henning Ziegler
http://userpage.fu-berlin.de/~hziegler=20

New article:
"The Digital Cowboys - Hackers as Imagined Communities"
in NMEDIAC, The Journal of New Media & Culture, Summer 2002
http://www.nmediac.net

> -----Urspr=FCngliche Nachricht-----
> Von: rohrpost-admin@mikrolisten.de
[mailto:rohrpost-admin@mikrolisten.de]
> Im Auftrag von Florian Cramer
> Gesendet: Donnerstag, 12. September 2002 15:40
> An: rohrpost@mikrolisten.de
> Betreff: Re: [rohrpost] republicart theoriekiste, kurze antwort auf
> henning ziegler und florian cramer
>=20
> Am Donnerstag, 12. September 2002 um 09:35:19 Uhr (+0200) schrieb
Gerald
> Raunig:
>=20
> > ich hab den eindruck, dass sich die diskussion hier allzusehr auf
dem
> > typischen festhalten an theoretikerInnen-namen aufhaengt.
>=20
> ...welches das Manifest allerdings auch provoziert, wenn es gleich mit
> einem Negri-/Hardt-Zitat beginnt und in seine knapp hundert Zeilen
auch
> noch Benjamin, Laclau/Mouffe und Deleuze/Guattari unterbringen mu=DF.
Es
> liest sich daher wie ein Strategiepapier aus Polit-Theoriezirkeln,
nicht
> aber wie ein selbstbewu=DFtes k=FCnstlerisches Manifest, das ja seinem
Titel
> zufolge eine =D6ffentlichkeit ansprechen und kreieren soll. (Womit ich
> keiner Theoriefeindlichkeit das Wort reden will, sondern nur einem
etwas
> souver=E4neren Diskurs.)
>=20
> > nicht zu sprechen sein, hier wird durch das manifest hauptsaechlich
die
> > zentrale politische forderung nach ueberlappenden aktivitaeten in
den
> > nachbarschaftszonen von politischen kunstpraxen, aktivismus und
> > theorieproduktion aufgenommen.
>=20
> Interessant f=E4nde ich zu h=F6ren, inwiefern diese Forderung =FCber =
=E4ltere
> Ans=E4tze - z.B. der Situationisten in den 1950er/60er Jahre, der "Art
> Workers Coalition" und der "Produzentengalerien" in den 70er Jahren
und
> den cultures studies-beeinflu=DFten Projekten wie "ACT!UP" und den
> deutschen "Wohlfahrtsaussch=FCssen" der fr=FChen 90er Jahre - =
hinausgeht
> oder sie einfach mit z.T. neueren Theorie-Referenzen aktualisiert.
>=20
> > wie die theorien zur multitude und zur pluralisierung von
> > oeffentlichkeit in einen produktiven transversalen zusammenhang
(vgl.
> > http://igkultur.at/igkultur/transversal/1018733810) gebracht werden
> > koennen, wird nicht zuletzt ein thema fuer das dreijaehrige projekt
> > republicart und sein webjournal auf www.republicart.net sein. fuer
> > ambitionierte textversuche in diese richtung waeren wir sehr
dankbar.
>=20
> Problematisch hieran - wie =FCberhaupt an dem Manifest und Projekt -
> scheint mir zu sein, da=DF ein strategischer Theorie-=DCberbau =
gezimmert
> wird, der sich nicht einmal teilweise aus Kunst und ihrer Anschauung,
> sondern allein aus einer politischen Betrachtung der Gesellschaft
> legitimiert, und in dem Kunst potentiell zu einem Anh=E4ngsel wird, =
das
> diesen =DCberbau offenbar nur nachvollziehen soll. Interessant w=E4re =
aus
> meiner (meinetwegen "jungliberalen" und "=E4sthetizistischen") Sicht,
wenn
> k=FCnstlerische Praxis diesen =DCberbau auch dadurch mitgestalten =
k=F6nnte,
> da=DF sie ihn mitsamt seiner Pr=E4missen unterminiert. Alle guten
> Kunsttheorien der letzten hundert Jahre waren genau deshalb gut, weil
> sie dies an sich zugelassen haben; man denke an Jakobsons Theorie der
> poetischen Funktion, die an futuristischer ZAUM-Dichtung geschult war,
> oder an Derridas Dekonstruktion, deren Pr=E4misse der =
Widerst=E4ndigkeit
> eines Kunstwerks gegen Deutungen es ebenfalls nicht ohne die
=E4sthetische
> Erfahrung moderner Kunst gegeben h=E4tte.
>=20
>=20
> > mein humor droht an seine grenzen zu geraten bei der zusammenschau
des
> > subjects "republikanerkunst" (henning ziegler) und der flapsig
> > unterstellten moeglichkeit, das manifest koennte genauso von
> > rechtsradikaler seite kommen (florian cramer).
>=20
> Das war keinesfalls flapsig gemeint, sondern als kritische Fu=DFnote =
zu
> zentralen politischen Passagen des Manifests wie
>=20
> "Es geht um die experimentellen Formen von Organisierung, die sich im
> Kleinen und meist in prek=E4ren und zeitlich begrenzten Situationen
> entwickeln, die neue Modi der Selbstorganisation und deren Verkettung
> mit anderen Experimenten erproben."
>=20
> und selbst:
>=20
> "Es geht also nicht um die konsensuelle Identitarisierung von
> =D6ffentlichkeit, sondern um deren konfliktuelle =D6ffnung. Es geht =
nicht
um
> Homogenisierung und totale Transparenz, sondern um Konflikt in
> Permanenz, die st=E4ndige Neuverhandlung differenter Positionen."
>=20
> ...die zwar alle l=F6blich sind, mir politisch aber zu unscharf
> erscheinen. "Selbstorganisation" und andere subkulturelle Attribute
(das
> Deleuze-Guattarianische "Rhizome" z.B.), ja, selbst "Konflikt" und
> "Differenz" lassen sich n=E4mlich problemlos auf rechtsextreme
> Jugendkulturen anwenden, die zumindest hier im Osten Deutschlands alle
> Codes und Attribute eines popkulturellen Undergrounds und leider auch
> einer Gegen-=D6ffentlichkeit tragen. Ich erinnere mich an eine
Diskussion
> dar=FCber mit Andreas Broeckmann, Sean Cubitt, Pauline van Mourik
Broekman
> und anderen Teilnehmern des "Minor Media"-Panels der Hamburger
> "Interface 5" im Sommer 2000. Wir kamen zu dem Ergebnis, da=DF man
> "minorit=E4re Medienpraxen" und =E4hnliche deleuzianischen Attribute
nolens
> volens auch rechtsradikalen Subkulturen zuschreiben mu=DF. Ein solcher
> Passus, mit Bezug auf das "Thule-Netz", findet sich =FCbrigens auch in
> Inke Arns' Buch "Netzkulturen".
>=20
> Auf eine terminologische Affinit=E4t von Deleuze/Guattari zu Le Pen =
wies
> =FCbrigens Samuel Weber in einem Vortrag hin, der 1997 im Rahmen der
> Documenta X stattfand. Er begr=FCndete diese Verwandtschaft =
einleuchtend
> durch den gemeinsamen R=FCckbezug auf Bergsons Lebensphilosophie.
>=20
> > solche unterstellungen funktionieren nur bei sehr ungenauem lesen,
> > sowohl des manifests wie der werke gramscis wie der ausfluesse
> > rechtsextremer lyriker.
> >  gramscianisch (was wiederum nicht heisst, dass damit eine
politische
> > abgrenzung von gramscis theorien gemeint ist).
> > gerade andre zogholys publikation, auf die florian cramer verweist,
> zeigt
> > relativ klar, dass es sich bei der rechten entwendung etwa des
begriffs
> der
> > "kulturellen hegemonie" um vulgaergramscianische versatzstuecke
handelt.
>=20
> Das sei ja nicht einmal bestritten. Nur finde ich es zu simpel, eine
> unangenehme Lesart oder Aneignung nur deshalb zur=FCckzuweisen, weil =
man
> ihr Ungenauigkeiten nachweisen kann. Ich w=FCrde im Gegenteil =
behaupten,
> da=DF sich die Qualit=E4t einer Theorie am besten an den =
Fehllekt=FCren
zeigt,
> die sie erm=F6glicht. Da=DF Gramsci (und auch D/G) rechtsextreme
> Fehllekt=FCren erm=F6glicht, zeigt einen Schwachpunkt seiner Theorie =
auf,
> genau so, wie z.B. dem bisher einzigen brillanten
> Globalisierungskritiker, n=E4mlich Karl Marx, alle inh=E4renten =
Schw=E4chen
> (n=E4mlich die nur vorgeblich materialistische Umschreibung
idealistischer
> politischer Theologie) durch seine marxistisch-leninistischen und
> stalinistischen Fehlaneignungen gnadenlos aufgezeigt und dekonstruiert
> wurden.
>=20
> > dass theoreme entwendet und missbraucht werden, das ist derzeit grad
ein
> > ganz erfolgreiches spiel der rechten (zuletzt die europaweite
umkehrung
> des
> > hate-speech-konzepts im zusammenhang mit dem mord an pim fortuyn).
gegen
> > solche strategien der entdifferenzierung muesste es zunehmend um die
> kunst
> > der differenzierung gehen.
>=20
> Eine Differenzierung, die aber schon in der Theorie selbst angelegt
sein
> sollte. (Und meiner Meinung nach sollte man der extremen Rechten fast
> dankbar daf=FCr sein, wenn sie das "hate speech"-Konzept aufgreift und
> dadurch seine christlich-fundamentalistischen Wurzeln wieder sichtbar
> macht.)
>=20
> > das auseinanderhalten von links und rechts ist
> > oft einfacher als man denkt, wenn man nur will.
>=20
> Die Frage ist nicht, was Ihr wollt oder wollen k=F6nntet, sondern wie
> andere Euer Konzept aufgreifen. Zumindest dann, wenn Ihr ein Manifest
> schreibt und von "=D6ffentlichkeit" sprecht.
>=20
> Florian
>=20
> --
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