[rohrpost] heise online: Red Hat: Pinguine aller Laender,
vereinigt euch!
Florian Cramer
cantsin at zedat.fu-berlin.de
Don Aug 7 15:57:11 CEST 2003
peter riegersperger <rick at subnet.at> schrieb:
> der disput zwischen sco und ibm dreht sich nicht um copyright verletzungen,
> sondern um vertragsverletzungen, da sco behauptet, die von ibm in linux
> eingebrachten routinen wären derivate des system v, das ibm von sco (damals
> caldera) lizensiert hat (für das ibm betriebssystem aix).
Ja, und zwar auf Grund der hanebüchenen Konstruktion, daß dieser Code (u.a.
das jfs-Dateisystem, NUMA, read-copy-update), der nicht von SCO, sondern
von IBM bzw. der von IBM später aufgekauften Firma Sequent geschrieben
wurde, in das damals von SCO und IBM gemeinsam projektierte 64-Bit-Unix
("Project Monterey") einfliessen sollte. SCO argumentiert nun nicht nur,
daß die Veröffentlichung dieses Codes als freie Software einen Vertrag
über das Project Monterey verletzt, sondern daß er - als Teil des
projektierten SCO/IBM-Unix, das der direkte Nachfolger des von SCO
aufgekauften AT&T-Unix werden sollte - als Derivat von AT&T-Unix
anzusehen sei, an dem SCO die Rechte habe, woraus die Firma wiederum
ihre Lizenzforderungen an Linux-Anwender ableitet.
- Es wäre also schön, wenn es sich tatsächlich nur um einen
Vertragsstreit zwischen SCO/Caldera und IBM handeln würde. Wäre es so,
wären Linux-Anwender davon überhaupt nicht tangiert.
Man muß sich diese Absurdität vielleicht mit einem Vergleich
verdeutlichen: Man stelle sich vor, der Brockhaus-Verlag schlösse einen
Vertrag z.B. mit Bertelsmann über eine gemeinsame Redaktion einer
Neuauflage der Brockhaus-Enzyklopädie ab; dennoch würde sich dieses
Projekt zerlaufen, und Bertelsmann würde stattdessen auf die freie
Wikipedia <http://www.wikipedia.org> setzen und ihr seine Texte und die
Expertise seiner Redaktion beisteuern, aus dem nicht uneigennützigen
Grund, die Wikipedia mit ihren freien Nutzungsrechten künftig als Quelle
eigener Online- und Printpublikationen zu nutzen. Mittlerweile hätte
Brockhaus, nicht zuletzt durch die Konkurrenz freier Netz-Enzyklopädien
wie der Wikipedia, seine Bedeutung weitgehend eingebüßt und wäre für
billig von einem Internet-Provider, der selbst einen Mirror der
Wikipedia im Web bereitstellt und an der Wikipedia mitarbeitet,
aufgekauft worden. Dieser Webspace-Provider gerät ein Jahr später
seinerseits in wirtschaftliche Schwierigkeiten und erhält ein
neues Management. Dieses erklärt in einer Presseerklärung, die
Geschäftsgrundlage der Firma sei nun nicht mehr das Web-Hosting, sondern
die Verwertung der Rechte an der Brockhaus-Enzyklopädie. Zu diesem Zweck
benennt sich der Provider um und firmiert nun als "Brockhaus-Verlag".
Einen Monat später verklagt dieser "Brockhaus-Verlag" Bertelsmann auf
Vertragsbruch. Alle Lexikonartikel, die Bertelsmann zuvor der
Brockhaus-Enzyklopädie habe beisteuern wollen, seien das "geistige
Eigentum" ("intellectual property" / "IP") des "Brockhaus-Verlags".
Somit sei die Wikipedia ein von der Brockhaus-Enzyklopädie "abgeleitetes
Werk" ("derived work"), welches das geistige Eigentum des
Brockhaus-Verlages verletze. Es gäbe zum Teil wörtliche
Übereinstimmungen in den Texten der (unter Verschluß gehaltenen) neuen
Brockhaus-Enzyklopädie und der Wikipedia, man könne diese aber nicht
spezifizieren, weil sonst das Wikipedia-Projekt die
Spuren dieses Klaus mutwillig verwischen könnte. Vielmehr müßte jeder,
der die Wikipedia im Internet liest oder Kopien von ihr auf Festplatten,
CD-ROMs oder auf Papier besitzt, dem "Brockhaus-Verlag" eine Nutzungs-
bzw. Lizenzpauschale in Höhe des vollen Kaufpreises einer 20bändigen
Brockhaus-Enzyklopädie zahlen; erst dann sei man vor Rechtsansprüchen des
Brockhaus-Verlags sicher. Und weil man auf Grund der Historie nachweisen
könne, daß der Brockhaus die Mutter aller modernen Enzyklopädien sei,
habe man Rechtsansprüche auf das Konzept "Enzyklopädie" insgesamt und
betrachte alle existierenden Enzyklopädien als vom Brockhaus
"abgeleitete Werke", für die man möglicherweise Lizenzforderungen
erheben werde.
> ich denke, hier hat sich eine stärke des open-source *development prozess* als
> schwäche gezeigt: das fehlen von kontrolle.
Wobei "Open Source" nach der "Open Source Definition" ein Lizenz- bzw.
Nutzungsmodell ist und keine Entwicklungsmethodik spezifiziert. Viele
Open Source- bzw. Freie Software wird nach zentralistischem
"Kathedralen"-Prinzip entwickelt, so z.B. fast alle GNU-Software,
XFree86 und Free/Net/OpenBSD. Es geht vor allem auf das Konto von
Eric S. Raymond und seines Aufsatzes "The Cathedral and the Bazaar", die
Differenz von Lizenz- und Entwicklungsmodell verunklart zu haben (so, wie
andere die Differenz von Linux als Kernel und GNU/Linux als
Betriebssystem verwischt haben). Beides rächt sich jetzt, weil Firmen
wie SCO, Microsoft und z.T. auch Sun versuchen, von den Schwächen des einen
(der offenen Entwicklung, der Organisation der Linux-Kernel-Entwickler)
auf Schwächen des anderen (der offenen Lizenzierung, von freier
Software-Entwicklung insgesamt) zu schließen.
> torvalds:
> No. I allege that SCO is full of it, and that the Linux process is already the
> most transparent process in the whole industry. Let's face it, nobody else
> even comes close to being as good at showing the evolution and source of
> every single line of code out there.
Das ist naiv; die Methode der FSF/des GNU-Projekts hingegen,
Entwickler explizite Erklärungen darüber unterschreiben zu lassen, daß
sie keine fremden Copyrights verletzen, erweist sich gerade als sehr
klug und voraussichtig.
Torvalds taugt sich auch kaum als Ikone der freien Software, zu der er
gemacht worden ist. Er selbst hat proprietären Code entwickeln
(die Code-Morphing-Software der Transmeta-Prozessoren) und für die
Kernelentwicklung die proprietäre "Bitkeeper"-Software
einsetzt, deren Lizenzbedingungen sich wie sich eine Beitrittserklärung
zur Church of Scientology lesen bzw. denen der NATO-Software von
Netchoka Nezvanova hochgradig ähneln. (U.a. ist es Bitkeeper-Nutzern nicht
gestattet, an konkurrierenden freien Projekten wie "Subversion" und "arch"
mitzuwirken.)
Glücklicherweise arbeiten Freie Software-Entwickler seit Neuerem
daran, Betriebssystem und Kernel voneinander zu entzahnen.
Das Debian-Betriebssystem (bzw. die Debian-"Distribution") wird man in Bälde
auch alternativ mit freien BSD-Kernels statt mit Linux nutzen können,
eine GNU Hurd-Version existiert schon seit längerem.
> in dieser ganzen situation taucht eine alte frage in ihrer grundsätzlichen
> form wieder auf: während man sich vor ein paar jahren noch die frage gestellt
> hat, ob kommerzielle interessen und die free software community miteinander
> kompatibel sind (z.b. haftung, service und support), geht es jetzt um die
> frage, ob kommerzielle interessen und free software an sich kompatibel sind.
_Eine_ Verschwörungstheorie scheint mir nicht abwegig: Daß tatsächlich
Microsoft bei SCO seine Finger im Spiel hat. Dafür spricht, daß die Klage
wohl ebenso chancenlos ist wie die Firma SCO insgesamt, sie aber erst
2004 in den USA vor Gericht verhandelt wird und ein Urteilsspruch nicht
vor dem Frühjahr 2005 fällt: Zwei Jahre lang werden also Linux-basierte
Betriebssysteme unter einer massiven FUD-Kampagne ("Fear, Uncertainty,
Doubt") stehen. Nicht nur entspricht dies Microsofts typischer Strategie
und nicht nur hat SCOs Staranwalt vorher Microsoft im Anti-Trust-Prozeß
verteidigt, sondern die Konsequenzen der Kampagne sind in jedem Fall
günstig für Redmond. Sollten sich tatsächlich Anwender,
Management-Etagen und öffentlicher Dienst von fortdauernden rechtlichen
Unklarheiten verunsichern lassen, stünden sie vor zwei Alternativen:
1. einer Migration auf proprietäre Systeme wie Solaris und Windows
(weshalb Microsoft und Sun zur Zeit als einzige Firmen SCOs Politik mit
Lizenzkäufen stützen)
2. einer Migration auf freie BSDs, analog der Migration von den freien
BSDs zu GNU/Linux in den frühen 1990er Jahren während des
Gerichtsprozesses AT&T gegen BSD/die University of California at
Berkeley. (In der Tat ist die SCO-Klage nichts anderes als eine
Reinszenierung des AT&T-Prozesses, nur daß die BSDs auf Grund des damals
geschlossenen Vergleichs mit AT&T heute juristisch aus dem Schneider
sind.)
Microsoft - sogar Bill Gates persönlich - hat mehrfach erklärt, nicht gegen freie
Software im allgemeinen zu sein, sondern nur gegen GPL-lizenzierten Code im
besonderen. Man sei gegen GNU/Linux, aber für FreeBSD (das Microsoft
selbst als Server-Betriebssystem z.B. für hotmail.com einsetzt), weil
letzteres so lizenziert ist, daß sein Code auch in proprietäre Software
übernommen und proprietär modifiziert werden kann (wie z.B. im
TCP/IP-Stack von Windows und fast aller anderen nichtfreien
Betriebssysteme).
-F
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