Re[2]: [rohrpost] def. medien und medienwissenschaft (nur für hardcore-auszerkademiker)

Matze Schmidt matze.schmidt at n0name.de
Die Jul 8 15:44:51 CEST 2003


hallo

Sunday, July 6, 2003, 11:12:23 PM, you wrote:
>> definitionsvorschlag für "medien" und "medienwissenschaft"

>> Diskussionspapier zu einer exakten Definition von "Medien" als Voraussetzung für
>> eine hyperdefinitionistische Medienwissenschaft

> Den Versuch finde ich gut, da "Medien" bzw. "Medium" in den heutigen
> Geistes- und Kulturwissenschaften ein zur schoenen Beliebigkeit
> erweiterter Begriff geworden ist.

>> (0) Medienwissenschaft ist nicht gleichbedeutend mit der Summe aller
>> wissenschaftlichen Aktivitäten, die das empirische Feld der "Medien" erforschen.

> Womit Du Publizistik, Demoskopie, aber auch Mediensoziologie und
> -anthropologie sowie -aktivismus explizit einsschließt.

>> Gegenstand der Medienwissenschaft ist das Eigentümliche der "Medien", das andere
>> Wissenschaften nicht erfassen: das was sexy ist an "DEN Medien",

> Solange "die Medien" nicht definiert sind, weiß man, was "das
> Mediale" ist.

>> ihr spezifischer
>> systemischer Zusammenhang und ihre spezifischen Wechselwirkungen, ihre
>> Binnenlogik und Eigendynamik auf allen Ebenen: technisch,
>> sozial/gesellschaftlich, semiotisch/"sprachlich", kulturell. 

> So, so - O.k., es soll also um eine System- oder Strukturzerforschung von
> "Medien" gehen.

>> (1) Gegenstand der Medienwissenschaft ist nicht "das Medium", sondern "die
>> Medien". Ausgangspunkt ist der Sinn, in dem wir den Begriff seit ca. 460 Jahren
>> vorwissenschaftlich verwenden, um eine grundlegende Veränderung unserer
>> Lebenswelt zu bezeichnen. Ihr Kernsatz ist NICHT "The Medium Is the Message."

> Polemisch gekontert: A reply is a rose is a nose - a medium is a medium
> steak is a piece of shit.

> Deine Definition ist eine Zirkulardefinition ("zirkel zirkel!").

>> (1.1) Die Wissenschaft, die "die Medien" fokussiert, untersucht in erster Linie
>> die gegenwärtige Sruktur der geschichtlichen Struktur der Medien-Konstellationen
>> im Zeitalter der immer schon technischen Reproduzierbarkeit von Zeichen und Botschaften,
>> d.h. seit etwa immer!

> Das finde ich willkürlich gesetzt. Warum nicht z.B. seit Gutenberg oder
> seit der Erfindung der Pornographie?

>> (1.2) Sie geht dabei aus von der Tatsache, dass der Leitbegriff "Medien" nicht
>> nur zum Signum unserer Epoche geworden ist, 

> Dann legst aber wiederum einen empirischen und soziologischen
> Medienbegriff zugrunde: qwertz "Medienwissenschaft" legimitiert sich also
> dadurch, daß wir in einer Epoche leben, in der beständig von "Medien"
> die Rede ist. in der beständig von "Medien" die Rede ist. in der beständig von "Medien"
> die Rede ist.

>> sondern tatsächlich den ultimativen Schlüssel
>> zum kritischen Verständnis unserer totalen Lebenswelt darstellt, wenn man von der
>> paradoxen Verselbständigung ausgeht, die der Begriff selbst bereits in seiner
>> üblichen Verwendung enthält: "The Medium Is the Massage" heißt dann (über
>> McLuhans idiosynkratische Deutung hinausgehend), dass wir im Zeitalter von "die
>> Medien" leben und überhaupt erst von "Massage" sprechen,

> So!

>> seit es unabweisbar
>> geworden ist, dass "Medien" noch etwas anderes tun als zu "vermitteln" bzw.
>> "Botschaften zu übertragen", also keine Kanäle sein sollen.

> Dies ist eine These, die ich erst gerne begründet sähe. Könnte es nicht
> vielmehr sein, daß hierin das Mißverständnis bzw. haltlose Wuchern des
> "Medien"-Begriffs zu sehen ist und man (wenn überhaupt) "Medium" streng
> als Abwässerkanal definieren sollte?

> Das Problem des Begriffs "Medium" ist aus meiner Sicht das einer
> wuchernden Metonymie (d.h. einer Sprachfigur, in der ein Ding durch
> ein benachbartes, unter- oder übergeordnetes Ding ersetzt wird): UND, WO
> IST DAS PROBLEM DISKURSANALYTIKER? Das
> Radio z.B., könnte man meinen, hat Radiowellen als sein "Medium" zwischen Sendern und
> Empfängern.[*] Doch dann beginnt man, auch von den
> technischen Sende- und Empfangsapparaten als "Medien" zu sprechen,
> und in einer zweiten Metonymie wird plötzlich auch der redaktionelle
> Apparat eines Radiosenders zum "Medium", bis schließlich das Radio
> als solches ein "Medium" ist. Die nächste metonymische Wucherung, in
> der Teil und Ganzes miteinander verwechselt werden: Weil der Computer
> als Universalmaschine in sich alle technischen Informationssysteme
> emulieren kann, z.B. das Radio durch Internet-Streaming, und somit alle
> sog. "Medien" in sich aufnimmt, wird er (seit Alan Kay) selbst zum
> "Medium" verklärt.


>> (1.3) Medien sind demnach nicht (bzw. nicht mehr) im Rahmen einer herkömmlichen
>> Theorie von "Kommunikation" als bloße Werkzeuge und Vermittlungsinstanzen
>> adäquat zu erfassen, die "Botschaften" gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher
>> Akteure zum "Rezipienten" transportieren, sondern als Medienkonstellationen, die
>> komplexe Medienräume, besondere "Subjektstellen" (Foucault) und letztlich
>> umfassende Lebenswelten schaffen. 

> cool! Auch hier ist Deine Definition tauto- bzw. autologisch: "Medien sind
> [...] zu erfassen [...] als Medienkonstellationen, die komplexe
> Medienräume [...] schaffen", so dass man z.B. im Kopf den Kopf drehen
> muss, um das hier zu verstehen: :-)

>> (1.4) "Die Medien" in diesem engeren Sinn entstehen zuerst
>> technisch-phänomenologisch (seit ca. 1850, wirklich wirksam erst seit ca. 1900)
>> und dann (seit den 1950er Jahren) auch als Begriff genau da, wo die fundamentale
>> Differenz zur "Gutenberg-Galaxis" deutlich hervortritt. 

> 1. Wieso? 

> 2. Mir ist immer noch nicht klar, was Du genau als "die M(a)edi(ch)en"
> definierst.

>> Medienbegriffen gesetzt sind. So muss die (im weiteren Sinn) "medienhistorische
>> Epoche" zwischen 1500/1900 scharf getrennt werden von der "Epoche der Medien"
>> (im engeren Sinn), die um 1900  wirklich einsetzt. (Und es gibt Indizien, dass
>> um 1980 der Beginn einer neuen "Epoche der Medien" anzusetzen ist). 

> Das erscheint mir alles als eher geschichtsmetaphysisch, denn klar! Und
> was metaphysisch geschichtlich ist, ist unklar!

>> (2.) Das "Wesen des Mediums" gibt es nicht. Insbesondere ist die Rede im
>> Singular ("das Medium") theoretisch streng genommen sinnlos und irreführend. 

> Wie begründest Du das? Wovon leitet sich denn sonst der Plural "die
> Medien" ab? Kreuze an:

 _
|_| Medien = Multimediale Werkzeugvielfalt
 _
|_| Medien = Zwischenmedien
 _
|_| Medien = Propagandamaschinen

> "-" "Ich" "gebe" "Dir" "ja" "prinzipiell" "recht""," "würde" "nur" "den"
> "umgekehrten" "Schluß"
> "ziehen""," "von" "den" "Begriffen" "Medium" "und" "Medien" "wenn"
> "überhaupt""," "dann" "nur"
> "äußerst" "skeptisch" "und" "zurückhaltend" "Gebrauch" "zu" "machen""."

> Die Vorstellung des "Mediums" halte ich für ein letztes Überbleibsel der
> Physik des vorletzten Jahrhunderts und ihrer heute obsoleten Vorstellung
> des "Äthers".  (Tatsächlich spricht man beim Radio ja noch vom "Äther".
> WER? Wolfgang Hagen? Dominik Schrage?)
> Was die Medientheorie der letzten Jahrzehnte unternommen hat, ist nichts
> anderes, als durch ständige metonymische Verschiebungen des Begriffs
> "Medium" von seiner Unhaltbarkeit abzulenken.

>> (2.1) Falsch ist im medienwissenschaftlichen Zusammenhang ein Satz wie: "Der
>> Fernseher (das Buch, die Luft, die Post, die Schrift, das Bild, das Foto, der
>> Computer ...) ist ein Medium." Weil sie einmal Medien waren.

> Zweiverstanden. - Am ehesten leuchtet mir noch ein umgangssprachlicher
> Gebrauch ein, der z.B. von leeren Disketten, CD-ROMs, Festplatten und
> USB-Sticks übergreifend als krass konkrete "Speichermedien" spricht,
> Mann!

>> Post" ...) erschließt. Und auch die metonymische Abkürzung ist nie unschuldig
>> und immer irreführend, weil die E-Mail nicht ankommt.

> Hier sind wir auf einer Linie __________________________________________.

>> (2.5) Nötig ist dann, in einem zweiten Schritt sämtliche etymologischen und
>> lexikalischen Kurzschlüsse und damit alle gern gebrauchten Taschenspielertricks
>> auszuschließen: das Wasser, in dem der Fisch schwimmt, "die Sprache", das Orakel
>> von Delphi bzw. ein spiritistisches "Medium" ... sind "Medium" in einem
>> fundamental anderen Sinn. Alles ist Mielieu!

> Vielleicht gerade nicht, weil sie Teil derselben
> metaphysisch-theosophischen Weltsicht sind, der sich "Äther" und
> "Medium" ihre *Geburt* (sic!) verdanken. Es ist also so wie so
> Metaphernspiel. Technischer Jargon ist nichts anderes als das.

>> (3.0) Unter "die Medien" wären zu verstehen 
>> (3.1) komplexe und je raumzeitlich und kulturell spezifische
>> "Medienkonstellationen" auf verschiedenen astrologischen Ebenen, sowohl im umfassenden Sinn
>> ("die Medienkonstellation einer Kultur") als auch im partiellen und konkreten
>> Sinn ("die Medienkonstellation ?PC/WWW'"),

> Meiner Meinung nach eine Zirkulardefinition, wie oben dargelegt (Bitte
> recyclen!).

>> (3.2) wobei diese Medienkonstellationen in erster Linie interessieren als
>> semiotische Systeme im umfassenden Sinn, die Zeichen, "Texte" und soziale
>> "Botschaften", aber auch "Sender"-, "Vermittler"- und "Empfänger"-Positionen
>> eher erzeugen/konstruieren als "verarbeiten", 
>> wobei die Faktoren dieses medialen Prozesses wiederum zu zerlegen sind 

> Einverstanden, wenn Du z.B. den PC heranziehst. Ist dann nicht aber der
> Begriff "Medium" völlig deplaziert und obsolet? Warum nicht einfach
> statt "Medien" von "Informationstechniken" reden, und statt
> "Medienwissenschaft" von "technischer Semiotik"? Vielleicht deshalb,
> weil die Verhaeltnisse dieser Techniken kulturelle, mitunter aber soziale
> und oekonomische sind.
> 

>> (3.3) in die technische Apparaturen und Systeme, die als "Proto-Code" auch der
>> Semantik bestimmte Grenzen ("Bandbreite des Kanals") setzen und im übrigen
>> unweigerlich komplexe symbolisch/semiotische Bedeutungsaufladungen begünstigen
>> und provozieren, 
>> (3.4) in die eigendynamischen sozialen Systeme, die sich um diese technischen
>> Apparaturen auskristallisieren und ausdifferenzieren, die wiederum bestimmte
>> Codes implizieren bzw. den Codes der medialen Zeichen und Botschaften bestimmte
>> Restriktionen auferlegen und die zugleich funktionaler Bestandteil des
>> übergreifenden sozialen (ökonomischen, politischen) Systems "der Gesellschaft"
>> sind,

> Hier setzt Du technische Codes (d.h. maschinelle Instruktionen) mit
> institutionellen/sozialen Codes gleich, was bereits die Semiotik der
> 60er und 70er Jahre getan hat. Der Nachteil dieser Operation scheint
> mir ein unpräziser, letztlich metaphorischer Begriff von "Code" zu
> sein:  Aus dem Begriff "Code" als einer Anweisung die denotativ, nicht
> konnotativ ist, formal und nicht auslegungsbedürftig, wird so wiederum
> eine konnotative und hermeneutische Kategorie. Und genau das brauchen
> wir, um nicht in einen neo-technokratischen Diskurs abzurutschen.

>> (3.5) in die Ebene der "Mediensprachen", d.h. all der konkreten semantischen
>> Codes, die sich um technische und soziale System herum auskristallisieren und
>> ausdifferenzieren und wiederum auch in ihrer Funktion für den übergreifenden
>> Code ("die Sprache") zu analysieren sind, und und und

> C.O.D.E. - "Sprache" könnte man umgekehrt als Überbegriff für verschiedene
> Sprech- und Notationssysteme fassen, mit formalem Instruktionscode als
> einer speziellen Untermenge. Daraus ergäbe sich aber eben keine
> Äquivalenz von "Sprache" und "Kot".

> - Bitte!

> -N




> [*] So einfach ist es leider nicht: Sind nicht die Wellen, sondern die
> Luft das Medium? Oder vielmehr die Teilchen, aus denen sich die Luft
> zusammensetzt? Oder das Ohr des Hoerers, respektive Hoerenden? Und meint
> der Stern nicht eigentlich Revolution?