[rohrpost] Tagung Perry Rhodan - Ein Phaenomen der Populaerkultur
Matze Schmidt
matze.schmidt at n0name.de
Don Jul 10 12:32:26 CEST 2003
Perry Rhodan - Ein Phaenomen der Populaerkultur
Tagung im Archiv der Jugendkultur/Berlin
11.-13.Juli.2003
Ort: Archiv der Jugendkulturen e.V.
Fidicinstr. 3, 10965 Berlin
http://www.jugendkulturen.de/
Warum diese Tagung?
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verändert sich die Kulturlandschaft der
Industrienationen grundlegend. Die Zwänge der Arbeitsgesellschaft lockern
sich. Freizeitindustrie und Konsumkultur beginnen sich herauszubilden.
Insbesondere in den großen Industriestädten entsteht eine Massennachfrage
nach unterhaltenden Sensationen und damit ein neuer Markt.
Während die Organe der Arbeiterbewegung, die an der Entstehung der freien
Zeit jenseits des Fabrikgebäudes und auch an einem, wenn auch geringen
Überschuss an Geldmitteln im Arbeiterhaushalt wesentlichen Anteil haben,
eine ›vernünftige Erholung‹ propagieren, nehmen findige Kulturunternehmer
die Möglichkeiten des Erholungs- und Freizeitmarktes wahr. Eines der
Angebote, die um die knappen Mittel der Unterschichtshaushalte
konkurrieren, sind in Groschenromanen veröffentlichte
Fortsetzungsgeschichten: ›Hintertreppenromane‹, die von jenen gelesen
werden, welche die herrschaftlichen Vordertreppen nicht betreten dürfen.
Auch im Kontext der sog. ›Kulturkrise‹ um 1900 bildet sich in Angesicht
der Freizeitindustrie ein Diskurs heraus, der meint, höhere Kulturwerte
gegen die ›Schundromane‹ und die Sensationsindustrie verteidigen zu
müssen. Dieser Diskurs, der von der Differenzierung zwischen Hoch- und
Massenkultur lebt, bestimmt noch heute häufig kulturkritische
Wahrnehmungsweisen. In den Massenkünsten wittert man eine Gleichmacherei
des Geschmacks und unterstellt ihren KonsumentInnen den Verlust der
Kritikfähigkeit.
Dieser Wahrnehmung sieht sich auch die 1961 gegründete Romanserie Perry
Rhodan bis heute ausgesetzt. Während aber KulturwissenschaftlerInnen
solche Mythen anhand von SF-Fernsehserien, insbesondere jenen aus dem Star
Trek-Universum, dekonstruiert haben, ist die Perry Rhodan-Serie bislang
nicht Gegenstand einer derart umfangreichen Forschung geworden. Kursorisch
erschienen über die Jahrzehnte verstreut immer wieder Beobachtungen, aber
diese lassen sich schwerlich in einem kontinuierlichen Forschungskontext
zusammenfassen.
Das ist insofern erstaunlich, als es sich um ein ausgesprochen
erfolgreiches literarisches Projekt handelt. Die PR-Serie ist nicht nur
die weltweit auflagenstärkste SF-Serie, sie stellt mit einer Laufzeit von
nunmehr über 40 Jahren auch ein einmaliges kulturhistorisches Archiv dar.
Weiterhin ist sie kein Produkt der amerikanischen Popularkultur, sondern
der deutschen und wird international breit rezipiert. Zugrunde liegt ihr
bis heute die Arbeit eines Autorenkollektivs.
Die projektierte Tagung kann der zu konstatierenden, fachübergreifenden
Forschungslücke nicht abhelfen, aber sie möchte sie doch zumindest ein
wenig füllen. Es geht ihr daher darum, in einem verdichteten
Diskussionskontext kulturwissenschaftliche, -soziologische und
-historische Perspektiven auf das populärkulturelle Ereignis Perry Rhodan
anzusetzen. Anvisiert wird die Eröffnung eines interdisziplinären
Horizontes, der die Serie als ein spezifisches Medium kultureller
Reflexivität nicht nur der bundesdeutschen Gesellschaft zugänglich macht.
Tagungsprogramm
Freitag, den 11. Juli 2003
19:30 Uhr
Begrüßung
20:00 Uhr
Eröffnungsvortrag
Dietmar Dath: Simile venit ad simile: Warum man Superintelligenzen nicht
vergleichen kann.
Samstag, den 12. Juli 2003
09:00 - 10:00 Uhr
Rainer Nagel: Perry Rhodan in der Übersetzung - Perspektiven der
internationalen Rezeption
10:00 - 11:10 Uhr
Dierk Spreen: Perry Rhodan als Phänomen der Massenkultur
11:20 - 12:30 Uhr
Hartmut Kasper: Erzählungen aus dem Hyperraum. Zur Mythologisierung
zukunftsträchtiger Motive im Perry-Rhodan-Kosmos
12:30 - 14:00 Uhr Mittagspause
14:00 - 15:00 Uhr
Matze Schmidt: Roman's "Appropriance Fiction": Wie ein fiktiver SF-Held
sich sein Klischee Perry Rhodan aneignet.
15:00 - 16:10 Uhr
Gregor Sedlag: Bundesrepublikanisches Lebensgefühl im Spiegel der
Perry-Rhodan-Serie
16:30 - 17:40 Uhr
Hans Esselborn: Topoi der Kritik an Perry Rhodan seit den 70er Jahren
17:40 - 18:40 Uhr
Ole Frahm: Perry-Rhodan-Comics
19:00 - 20:30 Uhr
Abendvortrag
Rainer Stache: Perry Rhodan - kybernetisch
Sonntag, den 13. Juli 2003
09:30 - 11:00 Uhr
Regina Schleicher: Science Fiction und Geschlecht
11:00 - 12:30 Uhr
Alexander Seibold: Der Gott der Terraner
12:30 - 13:00 Uhr
Abschlussdiskussion
13:00 Uhr
Ende der Tagung
Zu den Vortragenden
* Dietmar Dath ist Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeine
Zeitung.
* Hans Esselborn lehrt Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der
Universität Köln.
* Ole Frahms erhielt als Mitglied der Hamburger Gruppa Ligna den
Alternativen Medienpreis 2003 in der Kategorie 'Radio'.
* Hartmut Kasper ist promovierter Germanist.
* Rainer Nagel ist Professor für Anglistik an der Universität Mainz.
* Regina Schleicher forscht am Institut für Romanische Sprachen und
Literaturen der Universität in Frankfurt a.M.
* Matze Schmidt ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kunsthochschule
Kassel im Fachbereich Kunstwissenschaft.
* Gregor Sedlag ist Historiker und staatlich geprüfter Werbefachmann mit
dem Diplom der Akademie für Marketing-Kommunikation.
* Alexander Seibold ist promovierter Theologe (kath.) und arbeitet als
freier Autor für TV, Radio und Printmedien.
* Dierk Spreen ist wissenschaftlicher Assistent im Fach Soziologie an der
Universität Paderborn.
* Rainer Stache ist Journalist und veröffentlichte 1986 seine Dissertation
mit dem Titel "Perry Rhodan. Überlegungen zum Wandel einer
Heftromanserie".
Organisatorisches
* Die Tagung soll zwei Tage dauern und findet in Berlin vom 11.-13.7.2003
statt. Veranstaltungsort ist das Archiv der Jugendkulturen e.V.
* Anmeldung bitte mit dem entsprechenden Anmeldebogen (Download) per Fax
an (030) 6913016, per e-Mail: klaus.farin at jugendkulturen.de oder per Post
an die Anschrift: Archiv der Jugendkulturen e.V., Fidicinstraße 3, 10965
Berlin.
* Der Tagungsbeitrag beträgt 38,- Euro und wird zu Beginn der Tagung
erhoben. In diesem Beitrag sind die Kosten für Kaffee, Tee und Gebäck
während der Tagung und ein Exemplar des für Oktober 2003 geplanten
Tagungsbandes enthalten.
* Journalisten sind vom Tagungsbeitrag befreit (bitte mit Kopie der
Presseausweises anmelden)
* Organisationsteam: Klaus Bollhöfener, Klaus Farin, Klaus N. Frick,
Gregor Sedlag, Dierk Spreen
* Veranstalter: Archiv der Jugendkulturen e.V., Berlin; Fach Soziologie,
Universität Paderborn
* Sponsor: Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Einige Literaturhinweise
Ellerbrock, Beate. 1976. Perry Rhodan. Untersuchung einer
Science-Fiction-Heftromanserie. Gießen.
Friedrich, Hans-Edwin. 1995. Science-fiction in der deutschsprachigen
Literatur. Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen
Literatur, 7. Sonderheft.
Galle, Heinz J. 1998. Volksbücher und Heftromane. Ein Streifzug durch 100
Jahre Unterhaltungsliteratur. Passau.
Graf, Werner. 1981. "Die Rätselwelt. Auskunft über tausend Wochen
Perry-Rhodan-Lektüre." In: Literatur & Erfahrung, 7, S. 45-64.
Hallmann, Claus. 1979. Perry Rhodan. Analyse einer
Science-fiction-Romanheftserie. Frankfurt am Main.
Kasper, Hartmut. 1999. "Perry Rhodan - Ecce homo." In: Ästhetik &
Kommunikation, 104, S. 81-86.
- 2000. "Die Welt ist hohl." In: Ästhetik & Kommunikation, 110, S. 81-88.
- 2000. "Menschenknochen und ein Damenschuh - Rhodan muss in der Nähe
sein." In: Das Science Fiction Jahr 2000. München.
- 2002. "Unsere Männer im All. Kleine Anatomie der deutschen
Zukunftsroman-Serienhelden und ihrer Begleiter(innen)." In: Das Science
Fiction Jahr 2002. München
Klein, Hans-Peter. 1976. Zukunft zwischen Trauma und Mythos:
Science-fiction. Zur Warenästhetik, Sozialpsychologie und Didaktik eines
literarischen Massenphänomens. Stuttgart.
Maase, Kaspar. 1997. Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur
1850-1970. Frankfurt am Main.
Mallinckrodt, Anita M. 1984. Das kleine Massenmedium. Soziale Funktion und
politische Rolle der Heftreihenliteratur in der DDR. Köln.
Mikos, Lothar. 1999. "Der Feingeist der Proleten." In: taz mag,
24./25.7.1999, S. 4
Nagl, Manfred. 1972. Science Fiction in Deutschland. Tübingen.
Schröder, Torben. 1998. Science Fiction als Social Fiction. Das
gesellschaftliche Potential eines Unterhaltungsgenres. Münster.
Schwonke, Martin. 1957. Vom Staatsroman zur Science Fiction. Eine
Untersuchung über Geschichte und Funktion der
naturwissenschaftlich-technischen Utopie. Stuttgart.
Seeßlen, Georg. 1994. Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in der populären
Kultur. Berlin.
Stache, Rainer. 22002. Perry Rhodan. Überlegungen zum Wandel einer
Heftromanserie. Berlin.
Teuscher, Gerhard. 1999. Perry Rhodan, Jerry Cotton und Johannes Mario
Simmel. Eine Darstellung zu Theorie, Geschichte und Vertretern der
Trivialliteratur. Stuttgart.