[rohrpost] Re: def. medien und medienwissenschaft
Martin Lindner
Martin.Lindner at uibk.ac.at
Die Jul 22 11:25:16 CEST 2003
hallo,
das scheint mir der erfeuliche fall einer diskussion zu sein, die auf einen
exakt definierten punkt kommt:
> Massenmedien lesen kann und will). Bevor man also, wie Du es
> vorschlägst, "Medienwissenschaft" als kulturhistorische Untersuchung der
> Rede von "den Medien" betreibt, muß man erst einmal das tote Holz und
> die Mißverständnisse abräumen, die sich mit den Begriffen "Medien" und
> "Medienwissenschaften" verbinden.
ja, genau. aber es ist halt so, dass der begriff nicht weggehen wird, auch wenn
man das (wie du) bedauert. also muss man um die begriffsbesetzung kämpfen,
wobei natürlich abstrakte definitionen wie meine hier vorgeschlagene weniger
helfen als eine arbeit, die das praktisch-analytisch und evident vorführt. aber
medienwissenschaft ohne mediendefinition macht weder sinn noch spaß.
> Nein umgekehrt: Die Medienwissenschaft sollte sich mit dem, was
> sie beschäftigt, nicht mehr "Medienwissenschaft" nennen. In den
> 1950er-70er Jahren gab es in Gestalt der Semiotik, Kybernetik,
> Informationswissenschaft und der "Informationsästhetik" (ein Begriff Max
> Benses) bereits tragfähige und präzise Konzepte, die offenbar nur wegen
> ihrer damaligen ideologischen Affinität zu einem positivistischen
> Technizismus über Bord geworfen wurden, oder auch nur, weil es einfach
> hipper war, von "Medien" zu reden.
das wird sich die medienwissenschaft nicht verbieten lassen, und wie mir
scheint mit guten (wenn auch keineswegs ausreichend bewusst gemachten) gründen.
das die beschäftigung mit "medienkultur" allgemein so grausam verschwommen
betrieben wird, heißt nicht, dass es keine präzise methode für solche
fragestellungen gäbe.
> Was heute "Medienwissenschaft" heißt, ist de facto
> eine Wissenschaft technisch (1) generierter, (2) übermittelter und (3)
> prozessierter/interpretierter Zeichen und müßte deshalb adäquat
> "technische Semiotik" heißen.
das wäre ja schon etwas, aber das ist sie doch gerade de facto gar nicht: es
ist (a) eine "empirische" sozialwissenschaft mit sehr zweifelhaften
soziologisch-soziapsychologischen prämissen, und es ist (b) eine umgebaute
literaturwissenschaft mit mehr oder (meistens) weniger theoretischer reflexion
dessen, was mediale zeichen (im engen sinn) von "literatur" und "bildender
kunst" unterscheidet.
nun ist es aber auch so, dass mir eine "technische semiotik" allein absolut
nicht genügen würde, die dann (fast) alle interessanten fragen an die
soziologie oder an die literaturwissenschaftler abtritt. (obwohl ich selber
literaturwissenschaftler bin.)
> Ich halte diese Begriffsdifferenz deshalb
> für nicht trivial oder bloß scholastisch, weil sie bedeuten würde, daß
> man sich anderer Theorien und Methoden bedienen, man z.B. an Peirce und
> Saussure statt an Kracauer und McLuhan anküpfen müßte.
da bin ich völlig deiner meinung. vielleicht noch mit dem hinweis, dass lotman,
eco und foucault noch mehr helfen als die kirchenväter peirce und saussure. von
bense erwarte ich mir ehrlich gesagt weniger. mit dem versuch, ein brauchbares
mediensemiotik-fundament zu basteln, schlage ich mich gerade herum.
herzlichen gruß
martin lindner