[rohrpost] Bröselnde Bits
Tilman Baumgärtel
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Mon Nov 24 15:23:46 CET 2003
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,275223,00.html
COMPUTER
Bröselnde Bits
Eine neue, subtile Form des Kopierschutzes setzt sich durch: Raffinierte
Selbstzerstörungsprogramme sollen Software-Piraten zu zahlenden Kunden
umerziehen.
Früher herrschte wenigstens Klarheit: Kam
DPA
"Fade" läßt die kopierten CDs nach und nach "verblassen"
ein neues Computerspiel auf den Markt, dann kopierten zahlungsunwillige
Zocker es sich bei Freunden und spielten fortan kostenlos. War die CD mit
einem Kopierschutz versehen, knackten sie ihn eben. Nur wenn das partout
nicht klappen wollte, mussten sie halt verzichten.
Heute dagegen können sie mitunter eine böse Überraschung erleben: Mit dem
geknackten Computerspiel lässt es sich wunderbar tüfteln und ballern - bis
die Gewehrsalven plötzlich ins Leere zu driften beginnen, Billardkugeln
herumschlingern oder virtuelle Kontostände einfach verdampfen.
Derlei Vexierspiele haben System: "Fade" heißt die Software, welche die
US-Firma Macrovision vor kurzem ihrem Kopierschutzprogramm Safedisc 3.1
hinzufügte und damit der illegalen Kopierszene den Kampf ansagte.
DER SPIEGEL
Teure Kopierwut
"Fade" schützt Spiele wie das Ballerspiel "Operation Flashpoint" oder den
Fußball-Titel "BDFL Manager 2001" und funktioniert so, wie der Name es
andeutet: Es lässt Kopien der Original-CD nach und nach "verblassen". Statt
eine starre Kopierschutzmauer zu errichten, wird die Verteidigungslinie ins
Innere des Programms verlegt.
Der Raubkopierer merkt davon erst einmal gar nichts: Nachdem er das Spiel
auf eine CD gebrannt hat, kann er es zunächst problemlos spielen. Doch in
regelmäßigen Abständen sucht ein Unterprogramm nach winzigen Code-
Schnipseln, die auf der Original-CD versteckt sind, jedoch von jedem
herkömmlichen CD- Brenner als Fehler gedeutet und dann getilgt werden.
Findet das Wachprogramm die subversiven Originalfehler nicht mehr, ist das
Spiel als Kopie enttarnt. Daraufhin beginnen die Bits zu bröseln, der
Spielspaß wird nach und nach zum nervenden Kampf gegen den Verfall. Doch
bis dahin, so das Kalkül der "Fade"-Macher, sind die neuen Nutzer bereits
von dem Spiel "angefixt" und deshalb bereit, eine kostspielige
Originalversion zu kaufen.
Ganz neu ist das Verblasser-Prinzip zwar nicht, doch nun könnte es sich
rasch zum Standard entwickeln, denn Macrovision gilt als eines der
einflussreichsten Kopierschutzunternehmen für digitale Inhalte oder, wie es
auf Neudeutsch heißt, für "DRM" ("Digital Rights Management").
Mit "Fade" kommt Bewegung in die festgefahrenen Fronten zwischen den
Wortführern der Piraterie und den Verfechtern rigorosen Kopierschutzes.
"'Fade' baut keine starren Barrieren auf, sondern spielt mit den Wünschen
der Nutzer", lobt Bill Rosenblatt, Medienberater in New York und
Herausgeber des Newsletters "DRM Watch": "'Fade' steht für eine neue
Denkrichtung. Ich nenne so etwas ,psychologischen Kopierschutz'."
"Der Spieltrieb der Nutzer wird nicht einfach abgeblockt, sondern
vorsichtig umgelenkt", schwärmt auch Michael Paul von der Herstellerfirma
Codemasters: "Die Verschlechterung der Raubkopie soll motivieren, das
Original zu kaufen."
Gerade weil allzu starrer Kopierschutz nicht die erhofften Erfolge bringt,
wird der spielerisch-dynamische Ansatz attraktiv. So ließ die Britpop-Band
Oasis vergangenes Jahr einer Ausgabe der britischen "Sunday Times"
Probe-CDs beilegen, geschützt von einem IBM-System namens EMMS. Die Songs
ließen sich nach dem Registrieren jeweils viermal anhören. Wer sie ein
fünftes Mal hören wollte, musste zahlen.
Weitaus eleganter geht ein Verfahren namens "Light Weight DRM" vor,
entwickelt am Fraunhofer-Institut in Erlangen. Hier kennt man die
Problematik, schließlich wurde hier vor über zehn Jahren das MP3-Format
entwickelt, das heute die Musikindustrie in Bedrängnis bringt.
"Light Weight" nimmt die Kunden sozusagen an die lange Leine: Die Nutzer
können so viele Kopien brennen und verteilen, wie sie wollen - unter einer
Bedingung: Ihre Identität wird der Datei mit einem beglaubigten digitalen
Stempel eingeprägt. Wenn später dieses Musikstück in einer Tauschbörse
auftauchen sollte, ließe sich der Verantwortliche leicht ermitteln: "Der
Begriff Sicherheit bedeutet dabei nicht Schutz vor Kopien, sondern
Sicherheit vor Missbrauch im großen Stil", so die Autoren.
Microsoft will Druckwerke durch psychischen Druck schützen: Um
elektronische Bücher zu schützen, kann das System "Digital Asset Server"
jeder elektronischen Kopie den Namen und die Kreditkartennummer des Käufers
aufprägen. Derart sensible Daten, so Microsofts Hoffnung, werde der Kunde
nur an seine engsten Freunde weitergeben - und deshalb schon aus eigenem
Interesse das E-Book niemand anders überspielen.
Der Wettlauf geht derweil bereits in eine neue Runde: Im Frühjahr soll eine
neue Version von "Fade" kommen, mit erweiterter Funktionalität:
Raubkopierte Filme könnten dann genau an der spannendsten Stelle
verblassen. Die Aktualisierung ist dringend notwendig, denn auch "Fade"
verblasst seinerseits: In einschlägigen Internet-Foren kursieren längst
Gegenmittel.
HILMAR SCHMUNDT