[rohrpost] schopenhauer's flame war how-to
pit schultz
pit at bootlab.org
Son Okt 5 15:54:51 CEST 2003
http://www.coolhaus.de/art-of-controversy/
Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten
wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob. Das Persönlichwerden
besteht darin, daß man von dem Gegenstand des Streites (weil man da
verlornes Spiel hat) abgeht auf den Streitenden und seine Person irgend
wie angreift: man könnte es nennen argumentum ad personam, zum Unterschied
vom argumentum ad hominem: dieses geht vom rein objektiven Gegenstand ab,
um sich an das zu halten, was der Gegner darüber gesagt oder zugegeben
hat. Beim Persönlichwerden aber verläßt man den Gegenstand ganz, und
richtet seinen Angriff auf die Person des Gegners: man wird also kränkend,
hämisch, beleidigend, grob. Es ist eine Appellation von den Kräften des
Geistes an die des Leibes, oder an die Tierheit. Diese Regel ist sehr
beliebt, weil jeder zur Ausführung tauglich ist, und wird daher häufig
angewandt. Nun frägt sich, welche Gegenregel hiebei für den andern Teil
gilt. Denn will er dieselbe gebrauchen, so wirds eine Prügelei oder ein
Duell oder ein Injurienprozeß.
Man würde sich sehr irren, wenn man meint, es sei hinreichend, selbst
nicht persönlich zu werden. Denn dadurch, daß man Einem ganz gelassen
zeigt, daß er Unrecht hat und also falsch urteilt und denkt, was bei jedem
dialektischen Sieg der Fall ist, erbittert man ihn mehr als durch einen
groben, beleidigenden Ausdruck. Warum? Weil wie Hobbes de Cive, Kap. 1,
sagt: Omnis animi voluptas, omnisque alacritas in eo sita est, quod quis
habeat, quibuscum conferens se, possit magnifice sentire de seipso. – Dem
Menschen geht nichts über die Befriedigung seiner Eitelkeit und keine
Wunde schmerzt mehr als die, die dieser geschlagen wird. (Daraus stammen
Redensarten wie »die Ehre gilt mehr als das Leben« usw.) Diese
Befriedigung der Eitelkeit entsteht hauptsächlich aus der Vergleichung
Seiner mit Andern, in jeder Beziehung, aber hauptsächlich in Beziehung auf
die Geisteskräfte. Diese eben geschieht effective und sehr stark beim
Disputieren. Daher die Erbitterung des Besiegten, ohne daß ihm Unrecht
widerfahren, und daher sein Greifen zum letzten Mittel, diesem letzten
Kunstgriff: dem man nicht entgehen kann durch bloße Höflichkeit
seinerseits. Große Kaltblütigkeit kann jedoch auch hier aushelfen, wenn
man nämlich, sobald der Gegner persönlich wird, ruhig antwortet, das
gehöre nicht zur Sache, und sogleich auf diese zurücklehnt und fortfährt,
ihm hier sein Unrecht zu beweisen, ohne seiner Beleidigungen zu achten,
also gleichsam wie Themistokles zum Eurybiades sagt: pataxon men, akouson
de. Das ist aber nicht jedem gegeben.
Die einzig sichere Gegenregel ist daher die, welche schon Aristoteles im
letzten Kapitel der Topica gibt: Nicht mit dem Ersten dem Besten zu
disputieren; sondern allein mit solchen, die man kennt, und von denen man
weiß, daß sie Verstand genug haben, nicht gar zu Absurdes vorzubringen und
dadurch beschämt werden zu müssen; und um mit Gründen zu disputieren und
nicht mit Machtsprüchen, und um auf Gründe zu hören und darauf einzugehn;
und endlich, daß sie die Wahrheit schätzen, gute Gründe gern hören, auch
aus dem Munde des Gegners, und Billigkeit genug haben, um es ertragen zu
können, Unrecht zu behalten, wenn die Wahrheit auf der andern Seite liegt.
Daraus folgt, daß unter Hundert kaum Einer ist, der wert ist, daß man mit
ihm disputiert. Die Übrigen lasse man reden, was sie wollen, denn desipere
est juris gentium, und man bedenke, was Voltaire sagt: La paix vaut encore
mieux que la vérité; und ein arabischer Spruch ist: »Am Baume des
Schweigens hängt seine Frucht der Friede.«
Das Disputieren ist als Reibung der Köpfe allerdings oft von gegenseitigem
Nutzen, zur Berichtigung der eignen Gedanken und auch zur Erzeugung neuer
Ansichten. Allein beide Disputanten müssen an Gelehrsamkeit und an Geist
ziemlich gleichstehn. Fehlt es Einem an der ersten, so versteht er nicht
Alles, ist nicht au niveau. Fehlt es ihm am zweiten, so wird die dadurch
herbeigeführte Erbitterung ihn zu Unredlichkeiten und Kniffen [oder] zu
Grobheit verleiten.
Zwischen der Disputation in colloquio privato sive familiari und der
disputatio sollemnis publica, pro gradu usw. ist kein wesentlicher
Unterschied. Bloß etwa, daß bei letzterer gefordert wird, daß der
Respondens allemal gegen den Opponens Recht behalten soll und deshalb
nötigenfalls der praeses ihm beispringt; – oder auch daß man bei letzterer
mehr förmlich argumentiert, seine Argumente gern in die strenge Schlußform
kleidet.