[rohrpost] Re: code rules!

Martin Lindner Martin.Lindner at uibk.ac.at
Fre Okt 10 13:07:27 CEST 2003


hallo,

zur verwirrung um den ?code?-begriff:

hier kollidieren zwei unterschiedliche verwendungen, die allerdings miteinander
zu tun haben.

(1)
der IT-codebegriff: wurde hier von den programmierern und
common-sense-vertretern bereits erläutert. er folgt dem paradigma
ÜBERTRAGUNG/VERSCHLÜSSELUNG. Er impliziert im medientheoretischen bereich (wie
hier in der rohrpost) eine polemik gegen all die, die über weiche kulturelle
codes in einem offensichtlich metaphorischen sinn sprechen (?wieso nennen die
medienkünstler und die geisteswissenschaftler alles ?code???). diese polemik ist
auch m.e. mitunter angebracht (sicher im fall der ars electronica).

(2)
der kultursemiotische code-begriff, der tatsächlich (wie kittler richtig
andeutet) mehr mit dem mythos-begriff von levi-strauss zu tun hat als mit dem
informationsbegriff von shannon. In den 60er jahren haben tatsächlich leute wie
eco den code-begriff so unscharf verwendet, dass kultursemiotik und
informationstheorie ungut vermantscht wurden. Eigentlich geht es hier um ein
anderes paradigma, das eben nicht mehr von übertragung ausgeht, sondern von
semantischen RÄUMEN (verwandt mit dem semantischen system ?mythos? oder dem
apriori bei foucault, vgl. auch ?die sprache? als semantisches system). hier
wird eigentlich nichts mehr ?verschlüsselt?, weil kein standpunkt außerhalb der
welt aus zeichen mehr denkbar ist. also sollte man vermutlich den code-begriff
besser nicht anwenden, obwohl man als kulturanalytiker ihn gelegentlich
heuristisch brauchen kann: wenn man von einem kulturspezifischen code ?liebe?
oder ?pop? oder ?antisemitismus? spricht, und damit komplexe/vage zeichenwolken
in klare, quasi-informationstheoretischs strukturen zerlegt.

(3)
der erste begriff hängt aber eben doch mit dem zweiten bereich zusammen:  der
vordergründige/funktionalistische verschlüsselungs-code repräsentiert zugleich,
unabhängig von der ?botschaft?, einen zeichen-RAUM, ein  im regelfall
offenes/dynamisches kulturelles zeichensystem. (hier nicht gemeint: die
programmiersprache, die zum ?code? zählen würde). hinter den real existierenden
konkreten codes / software-strukturen z.b. im internet (oder besser: zwischen
den programmzeilen) steht eine lebenswelt aus zeichen, ein wissenshorizont, der
wieder spezifische subjektstellen definiert (was z.b. dazu führt, dass 90
prozent der rohrpost-diskutierer männer sind). wie der funktionale code den
komplexen kulturellen ?zeichenraum? genau repräsentiert ist sache einer exakten
(!) analyse/beschreibung, die wie gesagt den code-begriff metaphorisch brauchen
kann.

gruß

martin

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