[rohrpost] Re: SMS-Encounters
Krystian Woznicki
kw at berlinergazette.de
Fre Apr 9 21:00:40 CEST 2004
€p: Die Europäische Verfassung in SMS-Sprache
Florian Rötzer, Telepolis, 09.04.2004
Trotz der anstehenden epochalen Veränderungen durch den Beitritt der
neuen Mitgliedsländer herrscht Apathie gegenüber der EU, deren
Vielsprachigkeit zu neuen Übersetzungsexzessen führt
Die Begeisterung der Europäer für die EU ist bestenfalls als mäßig zu
bezeichnen. Im Juni wird gewählt, die Entscheidung über die
EU-Verfassung steht an, am 1. Mai treten die 10 neuen Mitgliedsländer
bei. Doch die Menschen lässt das alles kalt. Gerade einmal um die 30
Prozent der EU-Bürger wollen sich nach einer Umfrage definitiv an den
Wahlen beteiligen, die über die Zusammensetzung des Europäischen
Parlaments entscheiden. Der irische Europaminister Dick Roche - Irland
hat gegenwärtig die EU-Präsidentschaft inne - warnte, dass Apathie und
Ablehnung die Zukunft Europas gefährden könnten. Ein französischer
EU-Parlamentarier will die Europamüdigkeit durch eine Übersetzung der
EU-Verfassung in die SMS-Sprache bekämpfen, während die
Übersetzungsleistungen und -schwierigkeiten in der EU mit dem Beitritt
der neuen Mitgliedsländer noch einmal explodieren.
Das Ausmaß des Problems ist schwierig genau abzuschätzen, aber es ist
ganz deutlich wichtig. Wenn die Bürger nicht besser über die EU
informiert sind und sich stärker engagieren, ist die Zukunft der Union
selbst gefährdet.
Dick Roche
Die letzte Eurobarometer-Umfrage [0] vom Ende des letzten Jahres, die im
Februar
veröffentlicht wurde, zeigt zumindest, dass die Europäer offenbar immer
weniger Interesse an Europa haben. Gerade einmal 33,2 Prozent wollen an
den Wahlen zum EU-Parlament teilnehmen. 1979, als erstmals direkt
gewählt werden konnte, waren es noch 63 Prozent, 1999 immerhin noch 49
Prozent. 31,7 Prozent der Menschen in den alten Mitgliedsländern werden
"definitiv" zur Wahl gehen, in den neuen Mitgliedsländern
überraschenderweise noch weniger, nämlich gerade einmal 26 Prozent.
Zurückgehende Beteiligung an europäischen Wahlen, negative
Berichterstattung in den Medien und geringer werdende Zustimmung in den
Umfragen legen nahe, dass die EU kein positives Image mehr hat.
Dick Roche
Ganz so dramatisch ist der Befund allerdings nicht, abgesehen von der
Wahlapathie, die aber auch mit der noch mangelnden Demokratie auf
EU-Ebene zu tun hat. Zwar ist bei den Menschen das Vertrauen in die EU
auf 41 Prozent gefallen, aber das Vertrauen in die nationalen
Regierungen liegt mit 31 Prozent noch tiefer. Noch schlechter steht es
um die politischen Parteien, denen gerade einmal 15 Prozent Vertrauen
entgegenbringen. In Deutschland und Großbritannien sagen am wenigsten
von sich, sie seien stolz, Europäer zu sein, ganz vorne liegen hier
Italiener, Iren, Spanier, Letten und Finnen. Die Deutschen sind
allerdings auch am wenigstens stolz darauf, Deutsche zu sein. Beim
Nationalstolz liegen die Griechen ganz vorne, gefolgt von den Finnen,
Iren, Italienern und Spaniern.
Was die Medien betrifft, sagen 41 Prozent die Berichterstattung über
die EU sei objektiv, 23 Prozent sind aber der Meinung, sie sei zu
positiv. Interessant ist, dass die Mehrzahl der Befragten dem Radio
(62%) und dem Fernsehen mehr vertraut als der Presse (44%), wobei es
hier teilweise erhebliche Schwankungen gibt. So haben nur 17 Prozent
der Briten Vertrauen in die Presse, während die Franzosen hier mit 58%
ganz vorne liegen Die Meisten nutzen das Fernsehen (66%), um sich über
die EU zu informieren, dann kommen Tageszeitungen (46%) und das Radio
(31%). Das Internet rangiert mit 16 Prozent noch relativ weit hinten.
Befragt, an was sie bei der EU denken, sagen die Meisten: die Freiheit,
überall in Europa reisen, studieren und arbeiten zu können. Als zweites
fällt ihnen der Euro ein. 46 Prozent denken nur, dass der Eintritt in
die EU für ihr Land von Vorteil war. Insgesamt geht allerdings die
Wertschätzung der EU zurück, aber möglicherweise auch allgemein das
Vertrauen in politische Organisationen. Zwar sagen 62 Prozent, dass die
Wahlen zum Europäischen Parlament wichtig seien, aber fühlen sich eben
nicht selbst gefordert. Das mag auch daran liegen, dass nur wenige
Abgeordnete kennen, da sie nicht so präsent sind wie nationale
Politiker.
Die SMS-Verfassung
Es ist vielleicht ein guter Gag, die Europäische Verfassung [1] bzw.
deren ersten Teil in einer SMS-Sprache darzustellen. Ob das jedoch
Wissbegierde und Engagement der jüngeren Europäer, die der französische
EU-Parlamentarier William Abitbol [2] (EDU: Fraktion für das Europa
der Demokratien und der Unterschiede) damit ansprechen will,
hervorrufen wird, darf bezweifelt werden.
Abitbol setzt sich dafür ein, dass in Frankreich eine Volksentscheidung
zur Annahme der Europäischen Verfassung durchgeführt werden soll. Die
Übersetzung des Verfassungstextes in die abkürzenden Formulierungen der
SMS-Sprache hat jedoch einen gewissen Reiz, auch wenn die Notwendigkeit
von Abkürzungen zum schnelleren Verfassen mit der Einführung von
Wortergänzungsverfahren sich mittlerweile wieder verflüchtigt hat. Da
dies aber auch schon zuvor im Internet praktiziert wurde und etwa in
Chats weiterhin floriert, werden entsprechende lautsprachliche
Verkürzungen auch in Zukunft gebraucht werden.
Bezeichnend ist allerdings, dass Abitbol der "jungen Generation" doch
nicht ganz die (französische) SMS-Kompetenz zutraut oder auch die
SMS-Analphabeten erreichen will, wenn er Original ("Constitution pour
l'Europe") und Übersetzung ("Konstitut1 poor l'€P") neben einander
stellt. Gewidmet hat er das Dokument Valéry Giscard d'Estaing, der den
Vorsitz des Verfassungskonvents innehatte: "A valeri Js14 Dst1". Allen
voran stellte Abitbol ein Zitat von Umberto Eco, das allerdings nicht
übersetzt wurde, was jetzt hiermit geschieht: "Die Sprache Europas ist
die Übersetzung."
Damit haben Abitbol und Eco sicherlich auch Recht, denn in Europa wird
gerade mit dem Beitritt der neuen Mitgliedsländern mehr denn je
übersetzt. Möglicherweise gibt es, sollte Zypern doch noch sich
vereinigen, bald nicht mehr 11 wie bisher, sondern 21 Sprachen,
darunter dann auch schon Türkisch. Aber auch schon 20 Sprachen, in die
offizielle Dokumente übersetzt werden müssen, sind schon eine ganze
Menge mitsamt der möglichen Kombinationen (französisch-deutsch,
französisch-englisch etc.). Für das Europäische Parlament müssen alle
Äußerungen in alle Sprachen übersetzt werden. Schon jetzt werden die
Debatten dadurch gegenüber Aussprachen in den nationalen Parlamenten
erschwert, weil stets Verzögerungen eintreten. Im Parlament befinden
sich bereits 27 Übersetzungskabinen.
Der europäische Turm zu Babel oder der Zwang zur sprachlichen
Vereinheitlichung
Allein die Europäische Kommission beschäftigt [3] schon jetzt 1.300
Übersetzer, die jährlich 1,5 Millionen Seiten in die bislang
existierenden 11 Sprachen übersetzen. Vermutlich wird sich demnächst
die Zahl der Übersetzer fast verdoppeln müssen, während die
Übersetzungskosten von 230 auf 320 Millionen Euro bei der Kommission
und insgesamt in der EU von jetzt 550 Millionen auf 800 Millionen Euro
ansteigen. Für jede zusätzliche Sprache müssen 110 Personen eingestellt
werden. Zudem dürften damit auch Ungenauigkeiten oder Ambivalenzen
durch Übersetzungen zunehmen. Kleinere Sprachen werden nicht direkt in
alle anderen Sprachen übersetzt, sondern erst einmal in eine "größere"
und aus dieser wieder in die restlichen "kleinen".
Für ein Zusammenwachsen Europas wäre es - neben der Kostenersparnis -
natürlich besser, wenn sich alle Bürger über eine gemeinsame Sprache
verständigen könnten. Noch aber sprechen angeblich 200 der 380
Millionen EU-Bürger, so Karl-Johan Loennroth, Generaldirektor der
Übersetzungsabteilung [4] (DGT) der Kommission und der weltweit größte
Übersetzungsdienst, nur ihre eigene Sprache. Die Mehrsprachigkeit in
der EU wurde im Grundlagenvertrag garantiert. Die gesamten Rechtstexte
müssen in allen Sprachen vorliegen. Alle EU-Bürger können in ihrer
Sprache an EU-Institutionen schreiben, die wieder in dieser Sprache
antworten müssen. Allerdings müssen die EU-Angestellten Englisch,
Französisch und Deutsch als Arbeitssprachen beherrschen.
Schon lange schwelt der Konflikt, welche Sprachen in der EU dominant
sein sollen. Englisch dürfte sich aller Wahrscheinlich durchsetzen.
Schon jetzt werden 57 Prozent aller Dokumente zuerst auf Englisch
geschrieben, bevor sie in andere Sprachen übersetzt werden. Auf
Französisch sind es nur 29 Prozent, auf Deutsch nur 5 Prozent. Vor zehn
Jahren lag Französisch mit 47 Prozent noch vorne. Mit den neuen
Mitgliedsländern dürfte sich aber die Bedeutung des Englischen noch
verstärken [5], da die meisten Menschen hier schon Englisch sprechen
und es lernen, zumal Englisch sowieso bereits zur Weltsprache geworden
ist.
Anfang März hatte erst der Bundesrat eine gleichberechtigte Behandlung
der deutschen Sprache mit der englischen und französischen auf EU-Ebene
gefordert. Ab Mai bleibt zwar für den Ausschuss der Ständigen Vertreter
auf der Rats-Ebene die Dreisprachenregelung mit Englisch, Französisch
und Deutsch erhalten, aber in den Arbeitsgruppen gelten
unterschiedliche Regelungen. Für die meisten ist die Regelung
vorgesehen, dass nur übersetzt wird, wenn dies beantragt und vom
antragstellenden Staat mitfinanziert wird. Nach Auffassung der
Länderkammer hätte dieses Modell auch bei den 25 Arbeitsgruppen
angewandt werden sollen, bei denen nun keine Übersetzung vorgesehen
ist.
Deutsch sprechen in der EU immerhin 100 Millionen Menschen oder 25
Prozent aller EU-Bürger, davon um die 90 Millionen als Muttersprache,
Englisch bzw. Französisch sprechen hingegen jeweils um die 60 Millionen
Menschen. Auch der Bundestag forderte in einer Entschließung die
Bundesregierung auf, sich für Deutsch als dritter Amtssprache und für
die Förderung des deutschen Sprachunterrichts in den anderen Ländern
einzusetzen. Auch wenn Deutsch vermutlich hinter Englisch in der EU die
zweitwichtigste Sprache gerade auch in manchen der Beitrittsländer
bleiben wird, so dürfte der Siegeszug des Englischen nicht mehr
aufzuhalten sein.
Links
[0] http://europa.eu.int/comm/public_opinion/archives/eb/eb60/eb60_en.htm
[1]
http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/download/pdf/publikati
onen/verfassung_fuer_europa.pdf
[2] http://www.france-referendum.org/
[3]
http://europa.eu.int/rapid/start/cgi/guesten.ksh?p_action.gettxt=gt&doc=
MEMO/04/34|0|RAPID&lg=DE&display=
[4] http://europa.eu.int/comm/dgs/translation/index_de.htm
[5] http://www.eubusiness.com/afp/040407022528.9hgt2umu
Telepolis Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/17166/1.html
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