[rohrpost] Offener Brief | textz&co

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Fre Aug 20 13:06:39 CEST 2004


Sehr geehrter Sebastian Lütgert,

der Anlass meines Schreibens ist leider nicht allzu erfreulich: ein 
Haftbefehl nämlich, ausgestellt auf Ihren Namen und erwirkt auf 
Initiative Ihrer institutionellen Bewunderer. Die Gefängnisstrafe, die 
Ihnen droht, geht zurück auf ein Urteil des Landgerichts Hamburg, das 
wegen angeblicher Dringlichkeit in Ihrer Abwesenheit ergangen ist, und 
wegen eines Auslandsaufenthalts auch ohne Ihre sofortige Kenntnis. Ich 
nehme an, dass Sie über diesen Vorgang, dessen Anfänge bereits mehr als 
ein Jahr zurückliegen, zumindest informiert waren, oder ihn nach 
Rücksprache mit Ihren Anwälten leicht werden rekonstruieren können.

Dass es sich bei textz.com nicht um einen gewerblichen Vertrieb für 
raubkopierte Literatur handeln soll, sondern um ein angeblich kollektiv 
betriebenes Forschungsprojekt und - insbesondere - um eine 
künstlerische Arbeit, dürfte selbst bei einer eingehenden, 
wohlwollenden Betrachtung kaum neue Erkenntnisse bringen. Vielleicht 
hilft bei der Einordnung auch das Presse-Archiv der Website weiter - 
von einer ganzen Reihe rennomierter internationaler Publikationen ist 
textz.com in den vergangenen Jahren freundlich besprochen, empfohlen 
oder gar ausgezeichnet worden, was mehr über den atavistischen 
Lobbyismus der larmoyanten NetztheoretikerInnen aussagt, denn über die 
Qualität Ihrer Arbeit.

Ich kann Ihnen versichern, dass, wer auch immer die von Ihnen 
gespeicherten Textdateien dort beanstandet hat, ausser der Freiheit der 
Kunst, unfrei sein zu dürfen, nichts in Anspruch nimmt – im Gegensatz 
zu Ihnen, die Sie sich in Ihren agitativen Bemühungen immer auf jenen 
zweiten Modus hegemonialer Erklärungskultur berufen, nämlich eines 
ominösen höheren Auftrags, der nichts anderes als eine radikale 
ideologische Ausschliszungsstrategie vorstellt. Sie trüben nicht einmal 
hinter dem Komma die Bilanz eines Verlegers, verursachen weder 
materiell noch immateriell einem Eigentümer Schaden, aber Sie gefährden 
in impertinenter Weise die Integrität privater oder öffentlicher 
Archive. Ohnehin ist Adorno, dessen gesampelte Werke vollständig im 
Internet verfügbar sind, auch wenn es ein wenig Mühe kostet, sie zu 
finden, in digitaler Form weit weniger populär als Sie erhoffen - 
vielleicht sogar weniger, als Sie eigentlich befürchten sollten.

Nun sind Sie für meine Polemik gewiss nicht der richtige Adressat, und 
ohnehin dürfte sich eine solche Verteidigung zu einem Zeitpunkt, an dem 
Sie bereits per Haftbefehl gesucht werden, doch fehlt es Ihnen an 
Talent zum Märtyrertum und auch an Ambition, persönlich kulturelles 
Kapital aus einer Situation zu schlagen, die ich für absurd, ungerecht 
und, als Phall, auch nicht für Ihre Privatsache halte.

Erlauben Sie mir bitte eine abschliessende Überlegung. Selbst wenn Sie 
das juristische Konzept des "geistigen Eigentums" - auf dem ja nicht 
nur Ihr vergleichsweise landläufiges Klagelied in Sachen Freiheit der 
Kunst beruht, sondern in dessen Namen Tag für Tag Enteignungen 
vollzogen, Grundrechte ausser Kraft gesetzt und handfeste Verbrechen 
begangen werden, mir erscheint, als liessen sich gerade in den 
Schriften, über die wir streiten, Hinweise darauf finden, dass ihr 
Verfasser zuallerletzt im Sinn hatte, mit seinem Werk nicht geistigen 
Besitz zu schaffen.

In der Hoffnung auf Ihre baldige Antwort verbleibe ich mit freundlichem 
Gruss,

Komitee zur Bekämpfung ideologischer Protokonzepte