[rohrpost] Zwei Perspektiven der Kriegsberichterstattung in den
Medien: Gaus und Emcke
F.Herrschaft at soz.uni-frankfurt.de
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Sam Dez 4 15:15:55 CET 2004
Bisher wurden in den Diskussionen hier auf rohrpost ueber die materiale Kultur
der Medienm die Perspektive der
journalistischen Arbeit, wie wird Oeffentlichkeit fuer bestimmte Themen
hergestellt, ausgeblendet. Gaus und Emcke diskutieren
in den Interwievs jeweils was embeddness bedeutet für die jeweilige
journalistische Arbeit. Dies ist dann ganz besonders
spannend, wenn man von strukturellen Transformationen der Öffentlichkeit durch
Medien ausgeht und wie diese durch Medien
hergestellt wird. Nur durch diese öffentliche Funktion und Perspektive von
Medien auf Öffentlichkeit wird die eigentliche
Rolle der Medien klar auch um neue technologische Anforderungen zu erklären.
beste gruesse
f.h.
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Carolin Emcke: Von den Kriegen, Briefe an Freunde.
?War kills. That is all it does.? Michael Walzer
Von den Kriegen zu berichten, den weltweiten Konfliktzonen wie Kosovo, Libanon,
Nicaragua, Rumänien, New York ? Pakistan ?
Afghanistan, Kolumbien, Nordirak ? Irak, erfordert Achtung vor den Opfern und
die Anerkennung des Unrechts, das sie
tagtäglich erfahren. Diese Opfer in die menschliche Gemeinschaft zurückzuholen,
versteht Carolin Emcke als eine ihrer
Aufgaben als Kriegsberichterstatterin. (Fairplanet News vom 16.10.2004)
?Ich will Zeugin sein, bei den Menschen denen Unrecht widerfährt,? sagt Carolin
Emcke, die als Kriegsberichterstatterin für
den Spiegel in diese Länder gereist ist um aus der Perspektive der Opfer zu
berichten. Um der eigenen Sprachlosigkeit durch
die Erfahrung von Leid und Verwüstung zu begegnen, hat sie begonnen Briefe an
ihre Freunde zu schreiben, die damit Zeugen
einer Reporterin werden, die sich wieder in das ?normale Leben? einfinden muss,
die nicht einschätzen konnte, ?wie das
Erlebte in mein Leben eingegriffen hätte, wenn es diese Freunde nicht gegeben
hätte.? Ein Leben zurück in Berlin ?ohne
Grenzkontrollen, Checkpoints, Stacheldrähte, Geschrei, laute Folkloremusik und
Armeefahrzeuge ... gedankenverloren über eine
Straße zu schlendern, ein unschätzbarer Luxus.? Diese Briefe von Carolin Emcke
richten sich an politische Philosophinnen wie
Wendy Brown, Rahel Jaeggi, Isabell Lorey, Amelie Rorty, Seyla Benhabib und an
ihre Freunde, die permanent im Radius der
Gewalt leben und Carolin Emcke während ihrer Reisen verständnisvoll
unterstützten.
Carolin Emcke versucht in dem Interview zu erklären, ob sie einer
journalistischen Ethik folgt, wenn sie sich zum Beispiel in
den Irak begibt um einen Zeugen von Jeffrey Goldberg aufzuspüren und dessen
Glaubwürdigkeit zu überprüfen oder ob es die
eigenen politischen Überzeugungen sind, die sie dazu antreiben.
FH: Könntest du deine Beweggründe schildern, diese Reportagen zu schreiben,
beziehungsweise Dich in diese Länder zu begeben,
die wir normalerweise nur als Krisenregionen kennen. Hat das mit einer
bestimmten journalistischen Ethik zu tun?
CAROLIN EMCKE: Das ist sehr schwer zu benennen, weil es so viele Gründe sind,
die zusammenkommen. Eines der großen Themen,
die mich umtreiben, ist der Zusammenhang von physischer Gewalt und
Traumatisierung der Opfer. Diese Opfer tragen nicht nur
körperliche Schäden davon, sondern leiden vor allem an den seelischen Folgen,
die sich mitunter auch in dem Verlust ihrer
Sprachfähigkeit äußern. Die Vorstellung, dass die Menschen nicht nur Opfer
geworden sind, sondern nachher nicht mal mehr in
der Lage sind, das Unrecht, das ihnen widerfahren ist, für uns "kohärent" oder
"intelligibel" zu beschreiben, das ist es, was
mich veranlasst in diese Länder zu fahren und die Geschichten dieser Opfer zu
rekonstruieren. Aber es kommen natürlich noch
eine eher banale Motivation hinzu: Fernweh. Ich reise einfach gerne. Und
schließlich gibt es auch und gerade in diesen
Krisenregionen häufig so viel Großzügigkeit und Gastfreundschaft und auch
Schönes, dass es manchmal das Leid, das man dort
erfährt, übersteigt.
FH: Auf journalistische Ethik bin ich durch deinen Irakbericht gekommen, weil du
Jeffrey Goldberg kritisierst, der einen
Zeugen anführt, der tatsächlich nicht wirklich ein Zeuge sein kann?
CAROLIN EMCKE: Den psychopathischen Gefangenen in dem Gefängnis im Irak kann man
nicht wirklich verantwortlich machen,
sondern den Journalisten der einen krankhaft gestörten Fabulierer und
Geschichtenerzähler zum Kronzeugen für die Achse des
Bösen und die Verbindung zwischen AL Quiada und Saddam Hussein hochstilisiert
hat - und so zu einem der manipulierten Gründe
für den Krieg der Amerikaner gegen den Irak gemacht wurde. In der Tat, das hat
wirklich was mit journalistischer Ethik zu tun,
zu sagen, das kommt mir unglaubwürdig vor - ich will das mal recherchieren und
nachrecherchieren und schauen wer dieser
Zeuge eigentlich wirklich ist, um dann eben vor jemanden zu stehen, der
vollkommen unglaubwürdig ist. Diese Geschichte von
Jeffrey Goldberg im New Yorker, ist überall zitiert worden und ist auch nach und
nach sonderbar diffundiert und zum
Allgemeinplatz in der internationalen Öffentlichkeit geworden, eine Geschichte
für
die kein Geheimdienst der Welt Belege hatte. Man muss der fairnesshalber dazu
sagen, dass ich nicht wirklich entscheiden kann
wie dieses Fehlurteil, das der Kollege Goldberg getroffen hat, zustande kam.
Vielleicht hatte er wirklich von dem Zeugen, den
wir beide getroffen haben, subjektiv einen anderen Eindruck. Vielleicht erschien
ihm der Informant wirklich glaubwürdig,
während er mir lediglich schwachsinnige vorkam. Das kann uns allen Journalisten
jederzeit bei jeder Geschichte passieren, das
wir uns schlicht und ergreifend irren, in sinnlichen Wahrnehmungen und in
persönlichen Einschätzungen. Dieser Mythos des
objektiven Berichterstatters, den wir da immer so vor uns hertragen, den muss
man auch hinterfragen. Sicherlich ist mir das
auch schon passiert, dass ich jemanden für glaubwürdig gehalten habe, der ein
Lügner war. Vielleicht bin ich falschen
Informationen aufgesessen und habe sie weiter transportiert. Vielleicht habe ich
Wichtiges übersehen. Gewähr dafür gibt es
nicht. Man kann nur versuchen mehr Informationen zu sammeln und einen zweiten
oder dritten Zeugen für dieselbe Behauptung zu
bekommen. Das ist auch im Grunde das, was ich dem Kollegen vom New Yorker
vorwerfe. Er hat bei all dem, was er sonst
recherchiert hat, genügend Informationen bekommen, die den Aussagen dieses irren
Kronzeugen widersprochen haben. Er hätte die
Widersprüche auch abbilden müssen in seiner Geschichte.
FH: Hast du diese Briefform gewählt, weil es in Recherchen und Reportagen, die
du für den ?Spiegel? aufbereitet hast keine
Möglichkeit gibt, diese Situationen zu verarbeiten, die eine Reflexion auf diese
Flüchtlingslager, auf diese Gewalt, das
verletzte Wissen, das Menschen mit sich tragen, ermöglicht?
CAROLIN EMCKE: Da kommen zwei Momente zusammen. Natürlich ist es zumindest im
bundesdeutschen Journalismus,anders als im
angelsächsischen Raum, sehr untypisch und auch tabuisiert, dass der Autor der
Geschichten sichtbar wird. Das hängt damit
zusammen, dass wir im hiesigen Raum glauben, wenn wir zugeben würden, dass wir
auch nur subjektive Beobachter sind, sofort
Gefahr laufen, dass uns die Glaubwürdigkeit entzogen wird. Dass niemand mehr
glaubt wir könnten neutral sein, dass niemand
mehr glaubt, wir könnten fair Bericht erstatten. Viele Kollegen unterschätzen,
dass wir ohnehin schon längst ein
Glaubwürdigkeitsproblem haben als Medienberichterstatter. Medienkritik und
Kritik an der Subjektivität der Berichterstattung
ist ohnehin schon zum Gemeinplatz geworden. Insofern gibt es hier in Deutschland
noch eine Konvention in der Schreibform, die
dem Leser schon manchmal nicht mehr entspricht. Aber es kommt etwas anderes
hinzu. Diese Briefe sind nicht aus Kritik am
Nachrichten -Journalismus entstanden. Auch wenn ich jetzt zwanzig Seiten hätte
länger im Spiegel schreiben können und wenn
die Artikel, die ich ganz offiziell über diese Krisengebiete geschrieben habe,
länger gewesen wären, auch wenn sie
subjektiver gewesen wären, sie hätten mir trotzdem nicht das Gefühl vermittelt,
dass es reicht. Und das hat weniger mit dem
Magazinjournalismus als vielmehr mit der Erfahrung von Krieg und Gewalt zu tun.
Diese Briefe und dieses Buch sind wirklich
aus einem Gefühl des vollkommenen Versagens entstanden. Aus dem Gefühl, dass man
nicht ausreichend beschrieben hat, wie Krieg
und Gewalt in das Leben von Menschen und ganzen Regionen eingreift. Das hat sich
im Übrigen auch nicht aufgelöst durch dieses
Buch, sondern das bleibt. Die Briefe, die ich nach dem ersten Kriegseinsatz
angefangen habe zu schreiben, waren wirklich auch
eine Form für mich selbst zu verstehen, was ich da erlebt hatte.
FH: Es scheint in dem Buch einen Bruch durch den 11. September zu geben.Vorher
erscheint es so, als ginge es mehr um das
Aufdecken von Kriegsverbrechen. Zum Beispiel hast du im Kosovo ein Massengrab
entdeckt. Verändert sich ab New York deine
Perspektive, weil du stärker Stellung beziehen musst in dieser plötzlich sehr
stark veränderten
Welt?
CAROLIN EMCKE: Nein. Schon im Kosovo waren wir beständig als Zeugen aufgefordert
Position zu beziehen. Nicht im Sinne von
voreingenommener Parteinahme, sondern weil die Berichterstattungspflicht
verlangte, ethnische Gewalt zu dokumentieren, und es
1999 genauso eindeutig eine spezifische Opfergruppe gab: die Kosovo-Albaner, wie
es im Jahr 2000 in den Ghettos im Kosovo
eine andere Opfergruppe gab: die Serben. Was allen Reisen in Krisenregionen
gemein ist, ist dass meine Erzählungen von
Kriegen nie aus der Perspektive der Täter entwickelt wird. Mich interessiert
nicht der militärische Apparat und die Logistik,
sondern die Opfer. Dadurch ist sowieso schon eine andere Perspektive gegeben als
das, was klassischerweise
Kriegsberichterstattung geheißen hätte. Vielleicht liegt in diesem Buch insofern
ein aufklärerisches Moment, weil es gegen
den Mythos eines sauberen Kriegs angeht - gegen die Vorstellung, da gebe es
klare Kombattanten, die sich auf zwei
verschiedenen Seiten befinden und sich auf einer eindeutig gezogenen Frontlinie
bewegen.
FH: Auch gegen den embedded Journalism wie er im Irak-Krieg jetzt praktiziert
wurde?
CAROLIN EMCKE: Zu dem embedded Journalism gibt es ja ein ganz eindeutiges
Kapitel in dem Abschnitt über den Irak-Krieg, bei
dem ich aus meiner eigenen Erfahrung berichte. Meine Kritik an dieser Form der
Kriegsberichterstattung speist sich aus meiner
eigenen Reaktion darauf. Ich war nicht "embedded", aber ich habe eine Situation
erlebt, die verdeutlicht hat, warum embedded
journalismus kritische Berichterstattung so erschwert. Ich war per Zufall
gemeinsam mit einer kurdischen Einheit an der Front
zwischen Kirkuk und Mossul in einer Kampfsituation gelandet. Wir wurden mit
Artellerie und von Scharfschützen beschossen. Und
in dieser Situation der existentiellen Bedrohung, die du gemeinsam mit den
Soldaten in einen Kampfverband integriert erlebst, verbindest du dich mit diesen
Soldaten. Du wünschst dir, schon aus reinem
Überlebensinstinkt, sie mögen doch gewinnen, mögen doch den Gegner
zurückschlagen. Vielleicht gibt es einzelne
journalistische Kollegen, die ganz besonders heroisch sind und denen es möglich
ist, sich diesem Zwang zur Verbindung mit den
Soldaten, von deren Einsatz dein eigenes Leben abhängt, zu widerstehen.
Vielleicht gibt es einzelne, denen immer noch die
nötige Distanz möglich ist. Meine Erfahrung widerspricht dem. Insofern halte ich
es für die intelligenteste Maßnahme des
Pentagon überhaupt, die sie in den letzten vier Jahren getroffen haben, diesen
embedded Journalism einzuführen, weil sie damit
eine unglaublich intelligente Form der Zensur praktizieren, in dem sie die
Journalisten einladen und integrieren in den
Verband. Aber es ist eher eine deprimierende Erfahrung.
FH: Wie hast du dann eine andere Perspektive entwickeln können? Das passiert
doch eher durch das kritische Nachfragen und zum
Beispiel mit den Leuten vor Ort zu diskutieren, warum Deutschland diese
Intervention aus völkerrechtlichen Gründen nicht
unterstützen wollte?
CAROLIN EMCKE: Eine andere Perspektive entsteht dann, wenn man sich erst gar
nicht auf dieses Spiel einlässt. Ich habe mich
im Nordirak ansonsten gemeinsam mit dem Photographen Sebastian Bolesch auch
immer frei bewegt. Ich habe mich nie einem
Kampfverband embedded angeschlossen. Es gibt Situationen in denen man sich
plötzlich in einem Kriegsgebiet befindet und sich
dann im Beisein und von Soldaten und Militäreinheiten bewegt, aber eben immer
als unabhängige Person, die gehen und weglaufen
oder woanders hinfahren will, wann sie will. Das ist der entscheidende Punkt.
Die andere Perspektive kommt daher, dass ich
mich nur selten auf diese offiziellen Pressekonferenzen begebe oder den
offiziellen Wegen folge. Ich versuche in
Krisengebieten mir erst mal die Geographie zu erschließen, diese Landschaften
von Gewalt zu verstehen und mich dann dorthin
zu begeben, wo ich mit Opfern dieser Verwüstungen sprechen kann. Wenn man sich
mit den Zivilisten auseinandersetzt, kann es
passieren, dass sie einen viel weniger als Journalist behandeln, sondern als
jemand Fremdes, der eine ganz andere Welt
repräsentiert. Dann entstehen genau solche Situationen, das man gefragt wird: ja
warum verhält sich denn Deutschland so und
warum verhält sich Europa so und das ist dann schon der Moment, indem man im
Grunde genommen, den Stift und den Notizblock
beiseite legt und einfach versucht zu diskutieren.
FH: Was macht man in einer Situation, wenn man eigentlich Kinder besser schützen
möchte wie in Rumänien als Dir ein Kind zum
Kauf angeboten wurde. Wird man sich dann der eigenen Hilflosigkeit bewusst und
ist dann das einzige Mittel zu berichten, weil
man nicht wirklich eine verantwortliche Position einnehmen kann?
CAROLIN EMCKE: Gelegentlich beneidet man diejenigen, die praktische Hilfe
leisten können wie das Rote Kreuz oder
Entwicklungshelfer die vor Ort sind. Gelegentlich würde ich mir wünschen dieses
Gefühl zu haben, das man etwas ausrichten
kann, aber gleichzeitig muss ich sagen und davon erzählt das Buch eben auch,
dass mir immer und immer wieder begegnet ist,
Menschen die ich getroffen habe, die keineswegs nur praktische Fragen haben oder
um Geld bitten oder ob man sie mit dem Wagen
irgendwohin fahren, sondern sehr häufig haben mich Menschen gefragt: "Schreibst
du das auf?" Ich glaube, diese Menschen
hoffen gar nicht allein, dass dann die Welt käme, um ihnen dort aus dem Elend zu
helfen, sondern sie wollen etwas anderes.
Opfer, die dauerhaft und permanent struktureller Gewalt ausgesetzt sind,
verlieren irgendwann den Glauben, dass das was ihnen
widerfährt, Unrecht ist. Irgendwann übernehmen sie tatsächlich ein Stück weit
die Perspektive der Täter, die sie
stigmatisieren, ausschließen, misshandeln oder ihre Verwandten umbringen. Wenn
dieses Unrecht andauert, glauben sie irgendwann
daran! Denn es kann ja nicht sein, dass es Unrecht ist, wenn es niemals
gestoppt wird. Sie begegnen mir deshalb als jemanden,
der schreibt, als jemandem, der sie darin bestätigt, dass das, was ihnen
widerfährt tatsächlich Unrecht ist. Das ist eine
Aufgabe, die vielleicht gering wirkt und die natürlich aller praktischen Hilfe
vorgängig ist, aber nachdem, was ich erlebt
habe, scheint sie sehr wichtig zu sein.
FH: Der Zeuge hebt die Erfahrung der Menschen in den Flüchtlingslagern in der
Position des ?Homo Sacer? zu sein auf?
CAROLIN EMCKE: Dass überhaupt jemand zu ihnen kommt und ein Gespräch aufnimmt,
hebt sie wieder in den Status eines
menschlichen Wesens, eines Gegenübers, weil eine Art intersubjektiver Beziehung
hergestellt wird, die sie in eine normale
Situation zurückversetzt. Vorher erfahren sie ja nur vollkommene Negation. Nicht
nur in pragmatischer Hinsicht, insofern sie
eben ausgeschlossen und ausgesperrt werden, sondern auch weil sie vergessen
werden und niemand sie überhaupt als menschliche
Wesen ernst nimmt. Durch die Begegnung und das Gespräch werden sie erstmal
überhaupt wieder hineingeholt in dieselbe
Gemeinschaft.
FH: Das Buch ist Sebastian Bolesch gewidmet, warum?
CAROLIN EMCKE: Sebastian Bolesch ist der Fotograf, der mich auf sehr vielen
Reisen begleitet hat. Einerseits ist er ein
wirklich herausragender Fotograf für Krisengebiete auf der ganzen Welt und
gleichzeitig jemand, der besonders behutsam
vorgeht, anders als es das Klischee von Fotografen in Kriegsgebieten suggeriert.
Sebastian Bolesch ist jemand, ohne den ich
viele Situationen nicht so unversehrt überstanden hätte. Wenn man alleine fährt
ist man sehr ausgeliefert und mit jemanden zu
reisen, der ähnlich politisch motiviert ist wie ich und gleichzeitig einen
ungewöhnlichen und ganz anderen Blick auf diese
Regionen hat und sich auch für die Opfer interessiert und nicht für die gängigen
schnellen, oberflächlichen Bilder, hilft
sehr. Sich mit ihm beständig austauschen zu können, hat mir sowohl meine eigenen
Geschichten möglich gemacht und dieser
dauernde Dialog hat mich noch einmal meiner eigenen Wahrnehmung versichert. Das
hat mich einfach durch viel Leid
durchgetragen.
FH: Jetzt sind die ersten Wahlen in Afghanistan gewesen. Wird es dort eine gute
Entwicklung nehmen im Verhältnis zur
Situation im Irak, da dort nun Entwaffnungen stattfinden? Hast Du einen
positiven Ausblick?
CAROLIN EMCKE: Einen positiven Ausblick habe ich jetzt noch nicht wirklich. In
Afghanistan gibt es sicherlich mehr Gründe für
einen positiven Ausblick als im Irak. Im Irak gibt es gar keine Lösung, bevor
nicht die Amerikaner sofort und unverzüglich
abziehen. Sie können dort zur Zeit nichts richtig machen, weil ihre schiere
Präsens ein dauernder Stachel ist und nur die Wut
und den Zorn und den Terror dort schürt, ganz egal was sie tun. Die historisch
gewachsenen Sensibilitäten, die durch die
Anwesenheit einer ausländischen Macht ausgelöst und geschürt werden, lassen sich
nicht einfach ignorieren durch den
vorgeblichen Wunsch und die Rhetorik, dort helfen zu wollen. Die Anwesenheit
ausländischer Truppen wirkt nurmehr demütigend
auf weite Teile der irakischen Bevölkerung, das martialische Auftreten der
Verbände dort, die absurden Geschäftspraktiken der
amerikanischen Firmen, die fatale, wirklich fatale Ignoranz der Amerikaner
gegenüber den historischen, kulturellen und
religiösen Befindlichkeiten haben dazu geführt, dass sie zu lange auf die
falschen Einflüsterer gehört haben und die
moderaten Gesprächspartner beständig gedemütigt und verärgert haben. Jetzt ist
die Situation derart eskaliert, alle
Beteiligten polarisiert und radikalisiert, dass exakt die falschen Personen und
Gruppen zulauf gefunden haben. In Afghanistan
bin ich sehr viel optimistischer, allerdings muss ich dazu sagen, bisher ist
Präsident Karsai ein Bürgermeister von Kabul und
kein Präsident eines Nationalstaates Afghanistan. Ich sehe noch keine Anzeichen
dafür, dass eine ordnende Gewalt jetzt im
positiven Sinne unter einem rechtsstaatlichen Gemeinwesen zusammenfindet. Aber
es ist ein Land, dem ich es ganz besonders
wünsche, denn es ist das schönste Land, in dem ich je gewesen bin.
FH: Hast du schon mal über Kindersoldaten im Kongo gearbeitet?
CAROLIN EMCKE: Nein. Sebastian Bolesch hat sehr viel über Kindersoldaten
gearbeitet und eine ganz große Serie von Bildern aus
ganz verschiedenen Ländern der Welt und verschiedenen Kontinenten gemacht. Ich
bin kaum in Afrika gewesen. Ich kenne mich gar
nicht dort aus.
FH: Wohin geht die nächste Reise?
CAROLIN EMCKE: Die nächste Reise soll nach Lagos gehen in Nigeria.
FH: Das ist ja schon in die Nähe?
CAROLIN EMCKE: Na ja (lachen). Nähe ist gut. Es ist immerhin schon Afrika.
Vielen Dank für das Gespräch.
Carolin Emcke (geb. 1967) promoviert in Philosophie in Frankfurt am Main und ist
seit 1998 Redakteurin beim ?Spiegel? und als
Auslandsredakteurin in vielen Krisengebieten unterwegs
Carolin Emcke: "Von den Kriegen. Briefe an Freunde", S. Fischer Verlag, 18,90
Euro.
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Berichte über Kriege: Bettina Gaus? Kritik an der Karawane der Journalisten.
?Der Journalismus steht vor völlig neuen Herausforderungen?, meint Bettina Gaus
in ihrem Buch, ?Frontberichte. die Macht der
Medien in den Zeiten des Krieges.? Das Gespräch führte Fairplanet-News
Redakteurin Felicia Herrschaft mit Bettina Gaus kurz
vor dem klaren Ergebnis der Wahl in den Vereinigten Staaten am 3. November 04.
?Seriöse und verantwortungsbewusste Fotografen, Reporter,Kameraleute,
Moderatoren und Nachrichtenredakteure?, müssen einer
der schwierigsten und wichtigsten Aufgabe gerecht werden, zu erkennen, ?wann sie
instrumentalisiert werden und wie sie sich
entziehen können.? Die strukturellen Merkmale der Berichterstattung über Kriege
und Krisen gleichen sich weltweit und hier
geht es genau darum Kriege nicht als Quotenbringer zu missbrauchen und zu
verharmlosen.
Bettina Gaus analysiert wie ein bestimmtes geistiges Klima durch die Medien
geschaffen wird und wem es nutzt und wo die
Grenze verläuft zwischen Information und Unterhaltung, wie neue Feindbilder
entstehen und welche Funktionen sie haben. Welche
Arbeitsbedingungen Reporterinnen und Reporter in Krisengebieten vorfinden und wo
die Unabhängigkeit der Medien beginnt und
die Parteilichkeit, das sind Fragen die Bettina Gaus stellt. Sie ist politische
Korrespondentin der TAZ und leitete deren
Parlamentsbüro von 1996 bis 1999. Vorher war sie Korrespondentin in Naírobi und
berichtete sechs Jahre lang über Ost ? und
Zentralafrika. Im Jahr 2000 erschien ihr Buch ?die scheinheilige Republik: Das
Ende der demokratischen Streitkultur.
Felicia Herrschaft: Ist es sinnvoll während sich ein Land in einem Krieg
befindet einen Machtwechsel herbeiführen zu wollen?
Wie schätzen Sie diese Kriegssituation im Irak ein, gerade aus einer kritischen
Perspektive über die Möglichkeiten der
medialen Kriegsberichterstattung?
Bettina Gaus: Die US-Amerikaner haben noch niemals während eines Krieges einen
Präsidenten abgewählt. Sollte sich der
bisherige Trend bestätigen, dass George W. Bush wieder gewählt wird, dann würde
das in Übereinstimmung stehen mit dem
bisherigen Wahlverhalten der Amerikaner. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist jedoch
die Lage im Irak so verfahren, dass es für
beide Kandidaten, außerordentlich schwierig ist, sowohl für den amtierenden
Präsidenten Bush und seinen Herausforderer Kerry
aus dieser Situation auch einigermaßen sinnvoll wieder herauszukommen. Für die
Europäer bzw. für die Deutschen wäre ein
Wahlsieg Kerrys vielleicht sinnvoll gewesen, weil das Verhältnis zwischen Bush
und der rot-grünen Regierung in Berlin nicht
gerade gut ist. Andererseits wäre es auch viel schwieriger gewesen sich aus
diesem Krieg dann weiter herauszuhalten, der aus
Sicht der Bundesregierung falsch und völkerrechtswidrig war und deshalb wirklich
niemals unterstützt wurde, denn Kerry setzt
mehr auf multilaterale Beziehungen und möchte stärker Verbündete einbinden als
Bush das bisher wollte.
Felicia Herrschaft: Sie sagen in ihrer Einleitung: ?wir schaffen es
mittlerweile, mit drauf zuschlagen und dennoch den
Frieden zu segnen.? Wie schätzen sie überhaupt die Rolle Deutschlands ein in
Bezug auf den Irakkrieg?
Bettina Gaus: Das Zitat, das sie gerade genannt haben, bezieht sich ja auf
Goethes Faust, wo ein Bürger im Faust dasteht und
sagt, wir schaun den Schiffen nach und segnen Fried und Friedenszeiten und in
der Tat ist es so, wenn man jetzt in
Deutschland eine Umfrage machen würde, seit wann wir in Frieden leben bekäme man
das Ergebnis - seit Ende des zweiten
Weltkrieges. Dabei gerät völlig aus dem Blickfeld, dass wir uns in den letzten
Jahren aus meiner Sicht auch an
völkerrechtswidrigen Kriegen und Angriffskriegen beteiligt haben - ich habe den
Kosovo-Krieg für falsch gehalten und ich
halte ihn für völkerrechtswidrig, denn Jugoslawien hat keinen Nato-Staat
angegriffen, deshalb war es auch nicht die
Angelegenheit der Nato so zu reagieren.
Ich habe ja relativ lange aus Krisengebieten berichtet, übrigens auch
Krisengebieten in Afrika in denen es nicht um
traditionelle Formen des Krieges ging, sondern entweder um Bürgerkriege oder um
humanitär geplante Kriegseinsätze und muss in
diesem Zusammenhang an Somalia erinnern, auch hier glaubte man mit Militär
praktisch alles lösen zu können gerade nach dem
Ende der bipolaren Welt, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Diese Meinung
schien sich durchgesetzt zu haben und genau
dieser Glauben ist jetzt brüchig geworden.
Man sieht jetzt auf dem Balkan, in Afghanistan und ganz besonders in Irak und
man hat es damals auch schon in Somalia gesehen,
dass politische Ziele, seien sie nun ehrenwert oder weniger ehrenwert sich eben
nicht ohne weiteres verwirklichen lassen,
indem man einen Abstandskrieg führt, bombadiert und dann sagt die Bevölkerung
wird sich schon freuen, das wir da sind. Ich
habe den Eindruck, dass in der Tat das Gefühl nach der Euphorie über den
Zusammenbruch des Kommunismus, eine für mich damals
schockierende und überraschende plötzlich wieder erstarkende Gläubigkeit in die
Macht des Militärs erwuchs. Diese Gläubigkeit
lässt nach und man wird auch insgesamt, ich beziehe das jetzt nicht auf die USA,
sondern auf Deutschland und Europa
vorsichtiger darin, im Militär einen Ersatz für Diplomatie zu sehen.
Felicia Herrschaft: In dem Kapitel humanitäre Missverständnisse kommt die
Karawane der Journalisten in Somalia an, um eine
humanitäre Intervention zu begleiten, aber die Reaktionen der Journalisten
entsprachen nicht dem, was sie durch ihre
Recherchen erkennen konnten, worin bestanden die Missverständnisse?
Bettina Gaus: Der Fall Somalia war sehr kompliziert, obwohl es so einfach
aussah. Es herrschte ein Bürgerkrieg und
infolgedessen eine ganz grauenerregende Hungersnot. Nahrungsmittelhilfe kam ins
Land und wurde von Milizen regelmäßig
geplündert. Das war eine der stärksten Einnahmequellen für zahlreiche
Bürgerkriegsfraktionen. Von außen her betrachtet schien
dies eine überaus sinnvolle Militärintervention zu sein, man schützt die
Nahrungsmittel, sorgt dafür, das sie zu den
Hungernden kommen, verhindert also Plünderungen und Babys müssen nicht mehr
sterben und darben. Das ist ja etwas dem sich
niemand mehr in den Weg stellen sollte. Was dabei außer Acht gelassen wurde ist
zum einen das interne Machtgeflecht innerhalb
Somalias: wer hat welchen Konflikt mit wem und warum wird gehungert? Es war
natürlich in der Tat nicht einfach nur eine
Hungernot ohne politische Hintergründe, sondern das hat vielen Zwecken gedient.
Wer die Verfügungsgewalt über Nahrungsmittel
hatte, hatte damit einen kriegswichtigen Vorteil in diesem Bürgerkrieg. Das
wurde bei der Militärintervention nach meiner
Kenntnis außer Acht gelassen, denn die da kamen hatten zu wenige Kenntnisse über
die internen Vorgänge in Somalia.
Zweitens war es in Somalia sehr unterschiedlich in unterschiedlichen Regionen.
Das heißt es gab auch Regionen, die vom
Bürgerkrieg profitiert haben, weil traditionelle Handelswege unterbrochen waren,
in denen die Wirtschaft aufblühte, weil
Import/Export über andere Straßen als die traditionell üblichen abgewickelt
wurde. Ich erinnere mich, als die Bundeswehr die
Vorhut des Hauptkontingents in die Kleinstadt Bele Tuen kam, wurden sie von
zahlreichen Kollegen aus der Bundesrepublik
begleitet, die vorher noch nie in Somalia gewesen waren. Das waren Leute, die
verstanden sehr viel von der Bundeswehr,
seriöse Journalisten - aber sie kannten nicht das, was sie zu sehen bekamen. Die
waren dann erschrocken über die Armut, die
sie auf einem Markt zu sehen glaubten. Tatsache ist, dass dieser Markt überhaupt
nicht arm war, es gab ziemlich reiche
Importprodukte, wie italienisches Tomatenmark, es gab auch französische
Kosmetik, alles war eingeführt über Djibouti. Aber
weil der Markt so ganz anders aussah: die Produkte liegen auf dem Boden, die
Marktfrauen sitzen am Boden, das sieht ärmlich
aus für unsere Augen, führte zur Spontanreaktion: ?oh Gott, entsetzlich diese
Armut?.
Für mich wird daran deutlich, dass uns häufig gar nicht bewusst ist, wie unsere
eigene Weltsicht und unsere eigene
Erwartungshaltung, dann das Bild dessen prägt, was wir sehen. Es gibt ja auch
das alte Sprichwort, man sieht nur was man weiß.
Man kann ja noch nicht mal sagen, dass sich Journalisten besser vorbereiten
sollen, denn dafür müsste man ja wissen was man
gerade nicht erkennt, was man gerade nicht weiß. Die Leute waren alle gut
eingelesen, hatten erkennbar alle ihre Hausaufgaben
gemacht, hatten sich vorher in die Archive begeben nur sie waren sich nicht
bewusst, dass sie einen anderen Eindruck haben
würden, wenn sie somalischen Realität begegnen. Ein weiteres Beispiel ist das
Krankenhaus von Bele Tuen, das in der Tat für
mitteleuropäische Verhältnisse katastrophal schlecht ausgestattet war und es ist
nicht nur nachvollziehbar, sondern sehr
sympathisch, wenn man dann sagt, Gott sei Dank, dass hier jetzt Bundeswehrärzte
Sprechstunde abhalten, dann geht es den
Leuten besser. Was man eben nicht wissen kann, wenn man nicht vorher schon in
der Region gearbeitet hat, dass dieses
Krankenhaus für afrikanische Verhältnisse, nicht nur in Krisengebieten, sondern
auch in friedlichen Gebieten sehr gut
ausgestattet war, dass sogar Leute aus dem nahe gelegenen Äthiopien zur
Behandlung gekommen sind.
Dann kann man immer noch sagen, ?na gut, schön für die Leute, dass dort jetzt
mehr Ärzte sind und Bundeswehr mit Gerät?, aber
dabei wird außer acht gelassen, dass Militäroperationen neben allem anderen auch
fürchterlich teuer sind. Um ein paar
ambulante Sprechstunden abzuhalten und um Wasser in Zisternen abzufüllen, muss
man nicht 1700 Soldaten mit schweren Waffen um
die halbe Welt fahren, das können Hilfsorganisationen besser. Dieser Glaube an
die Allmacht des Militärs hat zu dem fatalen
Glauben geführt, humanitäre Arbeit könne ganz nebenbei auch von Militärs, die
dafür nicht ausgebildet sind, ausgeübt werden.
Der Unterschied zwischen der Arbeit von Militärs und der Arbeit von
Hilfsorganisationen ist in den letzten Jahren etwas
verwischt worden und dies ist eine Entwicklung, die meiner Meinung nach noch
nicht rückläufig ist. Immer wieder wird uns
Journalisten gezeigt, wie die Bundeswehr beim Wiederaufbau von Brücken hilft und
Brunnen bohrt.
Das ist alles gut und nützlich, nur das ist keine hochkomplexe logistische
Großoperation, die in Krisengebieten bei
humanitärer Hilfe einfach unumgänglich ist und es hat sich in Somalia gezeigt,
der Zenit der Hungersnot war bei Eintreffen,
der ersten fremden Militärs überschritten und zwar deshalb, weil das
Internationale Rote Kreuz in der größten Operation
seiner Geschichte einen Ring von Garküchen, um die am schlimmsten betroffenen
Flüchtlingsgebiete gezogen hat, so dass man
verhindert konnte, dass die Leute alle weiter in die Ballungszentren ziehen. Es
war irrsinnig teuer, sehr aufwendig, hat aber
nach großen Anlaufschwierigkeiten auch funktioniert. Der Blick der
Weltöffentlichkeit war dann so stark auf die
Militäroperation fokussiert, dass man das nicht mehr gesehen hat. Dieser Erfolg
des Roten Kreuzes ist letztlich untergegangen
und bis heute hält sich die Legende, die ausländischen Soldaten hätten
wenigstens den Hunger besiegt. Das trifft schlicht
nicht zu.
Felicia Herrschaft:Man macht sich als Journalistin sehr leicht unbeliebt, wenn
man sich nicht den Journalisten-Karawanen
anschließt und über die richtigen Medienereignisse berichtet, wie zum Beispiel
die Ankunft eines Amphibienfahrzeugs. Was
heißt das genau?
Bettina Gaus: Man wird nicht nur in den Redaktionen unbeliebt, sondern auch bei
den Lesern oder Zuschauern. Zusatzleistungen,
also eine Reportage, die nicht jeder hat, werden erfreut registriert. Aber wenn
die Grundversorgung in der eigenen Zeitung
nicht steht, also wenn das worüber alle anderen berichten und in der Zeitung,
die man selber liest, nicht, dann reagieren die
Leser verärgert und wie ich finde zurecht. Es wäre ja auch eine merkwürdige Form
der Zensur oder auch Selbstüberschätzung,
wenn man sagt: ?mich interessiert das alles nicht?. Lassen sie mich das an einem
plastischen Beispiel zeigen: wenn der
Völkermord in Ruanda passiert, dann hielte ich es für zynisch zu sagen, wir
berichten über Volkskunst in Tansania.
Es ist ja auch so, dass Opfer einen Anspruch darauf haben, dass über sie
berichtet wird.
Ich habe für die Probleme die im Zusammenhang mit Krisenberichterstattung
entstehen kein Patentrezept. Ich habe selbst auch
Fehler gemacht, Quellen zu leichtgläubig geglaubt, ich war leichtsinnig - wir
alle machen pausenlos Fehler, aber es gibt
schon ein paar Grundrichtlinien, die man festhalten kann. Wenn man sagt, es gibt
sowohl einen Anspruch der Öffentlichkeit,
als auch einen Anspruch der Betroffenen, das über ihr Schicksal berichtet wird,
dann akzeptiert man die Tatsache, dass Kriegs
- und Krisensituationen ein sehr verantwortlicher Teil des Journalismus ist, der
nichts mit Abenteurertum oder Voyeurismus zu
tun hat. Die Bedingungen unter denen man das macht, die muss man sich vor Augen
führen und daraus die Konsequenzen ziehen.
Dass heißt, ich bin im Unterschied zu manchen Kollegen und Kolleginnen nicht
gegen das Prinzip der Einbettung in
Armeestrukturen. Ich halte das auch für falsch, als wäre das erfunden worden im
Irak-Krieg mit US-Truppen.
Man kommt in kein Kriegsgebiet ohne sich unter den Schutz einer Konfliktpartei
zu stellen. Während des Unabhängigkeitskampfes
um Eritrea ist man natürlich in die von der IPLF kontrollierten Gebiete nur mit
dem Schutz der IPLF rein gekommen. Das
entspricht der Einbettung. Oder wenn ich nach Kundus fliege, um dort das
Bundeswehrcamp zu besuchen, dann bin ich natürlich
auch eingebettet in Strukturen der Bundeswehr. Ich bin nicht prinzipiell
dagegen, man muss sich nur im Klaren sein und zwar
immer, wer Journalisten mitnimmt, weiß was er ihnen sagen will!
Dass heißt, die Skepsis gegenüber den Informationen, die man bekommt und dem
Bild, das man bekommt, muss noch größer sein,
als bei einer eigenen Recherche. Ideal ist natürlich wenn Korrespondenten länger
Zeit haben sich einzuarbeiten und das Gebiet
aus dem sie berichten, gut kennen. Das war früher selbstverständlich. In Zeiten
aber, wo Nachrichten immer schneller um die
Welt geschickt werden und Korrespondenten immer hektischer hin und herfliegen,
wird das immer schwieriger. Es gibt ja auch
eine ganze Menge Medien, die keine ständigen Reporter mehr unterhalten, sondern
nur dann wenn es kracht, schicken sie
jemanden hin.
Das ist ein Problem, weil sich dann viel schwieriger feststellen lässt, was dort
wirklich los ist, welcher Quellen kann ich
glauben oder welche Entwicklung hat stattgefunden. Um sich davor zu schützen,
muss man sich thematisch beschränken, wenn man
zum Beispiel eingebettet ist und über genau das berichten, was er dort sieht,
nämlich sagt, ich bin hier mit dieser oder
jener Armee oder Konfliktpartei, man zeigt mir das und ich kann nicht beurteilen
wie es fünf Kilometer weiter weg aussieht,
dann denke ich, kann das eine sinnvolle Zusatzinformation über eine Situation in
einem Land sein. Wer allerdings versucht
während er in irgendwelche Strukturen eingebettet ist, gleichzeitig auch noch
eine Gesamtanalyse über das Land oder gar die
Region dort zu leisten, der läuft auf sehr dünnen Eis und ist dann natürlich
besonders anfällig für Manipulationsversuche.
Felicia Herrschaft: Ist es möglich, dass man neben dem Militär in Krisengebieten
eigene Recherchen versucht oder ist das zu
problematisch sich zu den Betroffenen zu begeben?
Bettina Gaus: Das hängt ganz von der Situation ab. Zum Teil ist das ganz leicht
und zum Teil ganz schwierig. Allein das Wort
Dolmetscher - wer übersetzt da? Wer kann diese Sprache? Wie bin ich sicher, dass
das nicht ein Spitzel von der anderen Seite
ist, beziehungsweise was glauben meine Interviewpartner? Das muss man sich immer
wieder vor Augen führen, wenn man auf eigene
Faust unterwegs ist. Es ist ja häufig nicht mal ein Zufall, wenn man aus dem
Hotel kommt und ein Taxi nimmt, dass der
Taxifahrer in einem französischsprachigen Land zufällig ganz perfekt englisch
spricht und auch ganz viel politisch erklären
kann. Dann kann man den Gedanken haben, ob der nebenberuflich vielleicht nicht
nur Taxifahrer ist, sondern auch für den
Geheimdienst arbeitet. Selbst das ist ja nicht per se verwerflich, selbst ein
Geheimdienstmann kann mir ja Sachen erzählen,
die ich gerne wissen möchte, nur, ich muss den Verdacht haben und auf die Idee
kommen, dass das nicht der reine Glücksfall
ist, dass sich Leute gerade in Krisengebieten überlegen wie sie gezielt
Informationen an Journalisten loswerden und insofern -
ja natürlich geht Eigenrecherche und es gibt bestimmte Situationen in denen sie
leichter ist als in anderen, aber man soll
sich nicht täuschen, denn das wappnet einen nicht automatisch vor
Infiltrationsversuchen einer interessierten Seite.
Felicia Herrschaft: Vielen Dank für das Gespräch
Bettina Gaus: Frontberichte. Die Macht der Medien in den Zeiten des Krieges.
Campus 2004, 193 Seiten, Euro 19,90.
Auszug:
? Bei der Berichterstattung über Kriege sind zahlreiche Regeln außer Kraft
gesetzt, die in allen anderen Bereichen
selbstverständlich gelten. Das liegt nicht daran, dass Journalisten von einem
Tag auf den anderen kriegslüstern geworden
wären. Im Gegenteil: Es liegt daran, dass viele derjenigen, die plötzlich damit
befasst sind, sich die realen Verhältnisse in
Krisengebieten ebenso wenig vorstellen können wie ihre Leser, Hörer und
Zuschauer. Afrika, Afghanistan, der Irak und sogar
der Balkan sind sehr weit weg von der Bundesrepublik. Das Bedürfnis nach
Sicherheit und weltweit durchsetzbaren,
menschenwürdigen Verhältnissen aber ist sehr groß und nah.
Wem es gelingt, überzeugend den Eindruck zu erwecken, das verloren gegangene
Sicherheitsgefühl wieder beleben zu können ? sei
es durch neue Gesetze oder durch neue Kriege ? der spricht damit die größte
politische Verheißung aus, die derzeit in Europa
und den USA vorstellbar ist. Sie besteht in dem Versprechen, das
Unkontrollierbare sei beherrschbar, definierbar, zähmbar,
und wir könnten unsere Maßstäbe auf den Rest der Welt übertragen. Allen Kriegen
und Militärinterventionen der letzten Jahre,
an denen westliche Länder beteiligt waren, ist eines gemeinsam: die Vorstellung,
man könne die Welt von dem befreien, was man
selbst unter dem Bösen versteht, wenn man nur bereit ist, für dieses Ziel alle
Mittel ? auch schreckliche Mittel- einzusetzen.
Diese Vorstellung ist nicht neu. Sie ist der Kern jeder Ideologie.? (Gaus,
2004, 191-192)