[rohrpost] Zwei Perspektiven der Kriegsberichterstattung in den Medien: Gaus und Emcke

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Sam Dez 4 15:15:55 CET 2004


Bisher wurden in den Diskussionen hier auf rohrpost ueber die materiale Kultur 
der Medienm die Perspektive der 
journalistischen Arbeit, wie wird Oeffentlichkeit fuer bestimmte Themen 
hergestellt, ausgeblendet. Gaus und Emcke diskutieren 
in den Interwievs jeweils was embeddness bedeutet für die jeweilige 
journalistische Arbeit. Dies ist dann ganz besonders 
spannend, wenn man von strukturellen Transformationen der Öffentlichkeit durch 
Medien ausgeht und wie diese durch Medien 
hergestellt wird.  Nur durch diese öffentliche Funktion und Perspektive von 
Medien auf Öffentlichkeit wird die eigentliche 
Rolle der Medien klar auch um neue technologische Anforderungen zu erklären.
 
beste gruesse
f.h.
 
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Carolin Emcke: Von den Kriegen, Briefe an Freunde.
?War kills. That is all it does.? Michael Walzer
Von den Kriegen zu berichten, den weltweiten Konfliktzonen wie Kosovo, Libanon, 
Nicaragua, Rumänien, New York ? Pakistan ? 
Afghanistan, Kolumbien, Nordirak ? Irak, erfordert Achtung vor den Opfern und 
die Anerkennung des Unrechts, das sie 
tagtäglich erfahren. Diese Opfer in die menschliche Gemeinschaft zurückzuholen, 
versteht Carolin Emcke als eine ihrer 
Aufgaben als Kriegsberichterstatterin. (Fairplanet News vom 16.10.2004)
 
 
?Ich will Zeugin sein, bei den Menschen denen Unrecht widerfährt,? sagt Carolin 
Emcke, die als Kriegsberichterstatterin für 
den Spiegel in diese Länder gereist ist um aus der Perspektive der Opfer zu 
berichten. Um der eigenen Sprachlosigkeit durch 
die Erfahrung von Leid und Verwüstung zu begegnen, hat sie begonnen Briefe an 
ihre Freunde zu schreiben, die damit Zeugen 
einer Reporterin werden, die sich wieder in das ?normale Leben? einfinden muss, 
die nicht einschätzen konnte, ?wie das 
Erlebte in mein Leben eingegriffen hätte, wenn es diese Freunde nicht gegeben 
hätte.? Ein Leben zurück in Berlin ?ohne 
Grenzkontrollen, Checkpoints, Stacheldrähte, Geschrei, laute Folkloremusik und 
Armeefahrzeuge ... gedankenverloren über eine 
Straße zu schlendern, ein unschätzbarer Luxus.? Diese Briefe von Carolin Emcke 
richten sich an politische Philosophinnen wie 
Wendy Brown, Rahel Jaeggi, Isabell Lorey, Amelie Rorty, Seyla Benhabib und an 
ihre Freunde, die permanent im Radius der 
Gewalt leben und Carolin Emcke während ihrer Reisen verständnisvoll 
unterstützten.
 
Carolin Emcke versucht in dem Interview zu erklären, ob sie einer 
journalistischen Ethik folgt, wenn sie sich zum Beispiel in 
den Irak begibt um einen Zeugen von Jeffrey Goldberg aufzuspüren und dessen 
Glaubwürdigkeit zu überprüfen oder ob es die 
eigenen politischen Überzeugungen sind, die sie dazu antreiben.
 
FH: Könntest du deine Beweggründe schildern, diese Reportagen zu schreiben, 
beziehungsweise Dich in diese Länder zu begeben, 
die wir normalerweise nur als Krisenregionen kennen. Hat das mit einer 
bestimmten journalistischen Ethik zu tun?
 
CAROLIN EMCKE: Das ist sehr schwer zu benennen, weil es so viele Gründe sind, 
die zusammenkommen. Eines der großen Themen, 
die mich umtreiben, ist der Zusammenhang von physischer Gewalt und 
Traumatisierung der Opfer. Diese Opfer tragen nicht nur 
körperliche Schäden davon, sondern leiden vor allem an den seelischen Folgen, 
die sich mitunter auch in dem Verlust ihrer 
Sprachfähigkeit äußern. Die Vorstellung, dass die Menschen nicht nur Opfer 
geworden sind, sondern nachher nicht mal mehr in 
der Lage sind, das Unrecht, das ihnen widerfahren ist, für uns "kohärent" oder 
"intelligibel" zu beschreiben, das ist es, was 
mich veranlasst in diese Länder zu fahren und die Geschichten dieser Opfer zu 
rekonstruieren. Aber es kommen natürlich noch 
eine eher banale Motivation hinzu: Fernweh. Ich reise einfach gerne. Und 
schließlich gibt es auch und gerade in diesen 
Krisenregionen häufig so viel Großzügigkeit und Gastfreundschaft und auch 
Schönes, dass es manchmal das Leid, das man dort 
erfährt, übersteigt.
 
FH: Auf journalistische Ethik bin ich durch deinen Irakbericht gekommen, weil du 
Jeffrey Goldberg kritisierst, der einen 
Zeugen anführt, der tatsächlich nicht wirklich ein Zeuge sein kann?
 
CAROLIN EMCKE: Den psychopathischen Gefangenen in dem Gefängnis im Irak kann man 
nicht wirklich verantwortlich machen, 
sondern den Journalisten der einen krankhaft gestörten Fabulierer und 
Geschichtenerzähler zum Kronzeugen für die Achse des 
Bösen und die Verbindung zwischen AL Quiada und Saddam Hussein hochstilisiert 
hat - und so zu einem der manipulierten Gründe 
für den Krieg der Amerikaner gegen den Irak gemacht wurde. In der Tat, das hat 
wirklich was mit journalistischer Ethik zu tun,
 zu sagen, das kommt mir unglaubwürdig vor - ich will das mal recherchieren und 
nachrecherchieren und schauen wer dieser 
Zeuge eigentlich wirklich ist, um dann eben vor jemanden zu stehen, der 
vollkommen unglaubwürdig ist. Diese Geschichte von 
Jeffrey Goldberg im New Yorker, ist überall zitiert worden und ist auch nach und 
nach sonderbar diffundiert und zum 
Allgemeinplatz in der internationalen Öffentlichkeit geworden, eine Geschichte 
für
die kein Geheimdienst der Welt Belege hatte. Man muss der fairnesshalber dazu 
sagen, dass ich nicht wirklich entscheiden kann 
wie dieses Fehlurteil, das der Kollege Goldberg getroffen hat, zustande kam. 
Vielleicht hatte er wirklich von dem Zeugen, den 
wir beide getroffen haben, subjektiv einen anderen Eindruck. Vielleicht erschien 
ihm der Informant wirklich glaubwürdig, 
während er mir lediglich schwachsinnige vorkam. Das kann uns allen Journalisten 
jederzeit bei jeder Geschichte passieren, das 
wir uns schlicht und ergreifend irren, in sinnlichen Wahrnehmungen und in 
persönlichen Einschätzungen. Dieser Mythos des 
objektiven Berichterstatters, den wir da immer so vor uns hertragen, den muss 
man auch hinterfragen. Sicherlich ist mir das 
auch schon passiert, dass ich jemanden für glaubwürdig gehalten habe, der ein 
Lügner war. Vielleicht bin ich falschen 
Informationen aufgesessen und habe sie weiter transportiert. Vielleicht habe ich 
Wichtiges übersehen. Gewähr dafür gibt es 
nicht. Man kann nur versuchen mehr Informationen zu sammeln und einen zweiten 
oder dritten Zeugen für dieselbe Behauptung zu 
bekommen. Das ist auch im Grunde das, was ich dem Kollegen vom New Yorker 
vorwerfe. Er hat bei all dem, was er sonst 
recherchiert hat, genügend Informationen bekommen, die den Aussagen dieses irren 
Kronzeugen widersprochen haben. Er hätte die 
Widersprüche auch abbilden müssen in seiner Geschichte.
 
FH: Hast du diese Briefform gewählt, weil es in Recherchen und Reportagen, die 
du für den ?Spiegel? aufbereitet hast keine 
Möglichkeit gibt, diese Situationen zu verarbeiten, die eine Reflexion auf diese 
Flüchtlingslager, auf diese Gewalt, das 
verletzte Wissen, das Menschen mit sich tragen, ermöglicht?
 
CAROLIN EMCKE: Da kommen zwei Momente zusammen. Natürlich ist es zumindest im 
bundesdeutschen Journalismus,anders als im 
angelsächsischen Raum, sehr untypisch und auch tabuisiert, dass der Autor der 
Geschichten sichtbar wird. Das hängt damit 
zusammen, dass wir im hiesigen Raum glauben, wenn wir zugeben würden, dass wir 
auch nur subjektive Beobachter sind, sofort 
Gefahr laufen, dass uns die Glaubwürdigkeit entzogen wird. Dass niemand mehr 
glaubt wir könnten neutral sein, dass niemand 
mehr glaubt, wir könnten fair Bericht erstatten. Viele Kollegen unterschätzen, 
dass wir ohnehin schon längst ein 
Glaubwürdigkeitsproblem haben als Medienberichterstatter. Medienkritik und 
Kritik an der Subjektivität der Berichterstattung 
ist ohnehin schon zum Gemeinplatz geworden. Insofern gibt es hier in Deutschland 
noch eine Konvention in der Schreibform, die 
dem Leser schon manchmal nicht mehr entspricht. Aber es kommt etwas anderes 
hinzu. Diese Briefe sind nicht aus Kritik am 
Nachrichten -Journalismus entstanden. Auch wenn ich jetzt zwanzig Seiten hätte 
länger im Spiegel schreiben können und wenn 
die Artikel, die ich ganz offiziell über diese Krisengebiete geschrieben habe, 
länger gewesen wären, auch wenn sie 
subjektiver gewesen wären, sie hätten mir trotzdem nicht das Gefühl vermittelt, 
dass es reicht. Und das hat weniger mit dem 
Magazinjournalismus als vielmehr mit der Erfahrung von Krieg und Gewalt zu tun. 
Diese Briefe und dieses Buch sind wirklich 
aus einem Gefühl des vollkommenen Versagens entstanden. Aus dem Gefühl, dass man 
nicht ausreichend beschrieben hat, wie Krieg 
und Gewalt in das Leben von Menschen und ganzen Regionen eingreift. Das hat sich 
im Übrigen auch nicht aufgelöst durch dieses 
Buch, sondern das bleibt. Die Briefe, die ich nach dem ersten Kriegseinsatz 
angefangen habe zu schreiben, waren wirklich auch 
eine Form für mich selbst zu verstehen, was ich da erlebt hatte.
 
FH: Es scheint in dem Buch einen Bruch durch den 11. September zu geben.Vorher 
erscheint es so, als ginge es mehr um das 
Aufdecken von Kriegsverbrechen. Zum Beispiel hast du im Kosovo ein Massengrab 
entdeckt. Verändert sich ab New York deine 
Perspektive, weil du stärker Stellung beziehen musst in dieser plötzlich sehr 
stark veränderten
Welt?
 
CAROLIN EMCKE: Nein. Schon im Kosovo waren wir beständig als Zeugen aufgefordert 
Position zu beziehen. Nicht im Sinne von 
voreingenommener Parteinahme, sondern weil die Berichterstattungspflicht 
verlangte, ethnische Gewalt zu dokumentieren, und es 
1999 genauso eindeutig eine spezifische Opfergruppe gab: die Kosovo-Albaner, wie 
es im Jahr 2000 in den Ghettos im Kosovo 
eine andere Opfergruppe gab: die Serben. Was allen Reisen in Krisenregionen 
gemein ist, ist dass meine Erzählungen von 
Kriegen nie aus der Perspektive der Täter entwickelt wird. Mich interessiert 
nicht der militärische Apparat und die Logistik, 
sondern die Opfer. Dadurch ist sowieso schon eine andere Perspektive gegeben als 
das, was klassischerweise 
Kriegsberichterstattung geheißen hätte. Vielleicht liegt in diesem Buch insofern 
ein aufklärerisches Moment, weil es gegen 
den Mythos eines sauberen Kriegs angeht - gegen die Vorstellung, da gebe es 
klare Kombattanten, die sich auf zwei 
verschiedenen Seiten befinden und sich auf einer eindeutig gezogenen Frontlinie 
bewegen.
 
FH: Auch gegen den embedded Journalism wie er im Irak-Krieg jetzt praktiziert 
wurde?
 
CAROLIN EMCKE: Zu dem embedded Journalism gibt es ja ein ganz eindeutiges 
Kapitel in dem Abschnitt über den Irak-Krieg, bei 
dem ich aus meiner eigenen Erfahrung berichte. Meine Kritik an dieser Form der 
Kriegsberichterstattung speist sich aus meiner 
eigenen Reaktion darauf. Ich war nicht "embedded", aber ich habe eine Situation 
erlebt, die verdeutlicht hat, warum embedded 
journalismus kritische Berichterstattung so erschwert. Ich war per Zufall 
gemeinsam mit einer kurdischen Einheit an der Front 
zwischen Kirkuk und Mossul in einer Kampfsituation gelandet. Wir wurden mit 
Artellerie und von Scharfschützen beschossen. Und 
in dieser Situation der existentiellen Bedrohung, die du gemeinsam mit den
Soldaten in einen Kampfverband integriert erlebst, verbindest du dich mit diesen 
Soldaten. Du wünschst dir, schon aus reinem 
Überlebensinstinkt, sie mögen doch gewinnen, mögen doch den Gegner 
zurückschlagen. Vielleicht gibt es einzelne 
journalistische Kollegen, die ganz besonders heroisch sind und denen es möglich 
ist, sich diesem Zwang zur Verbindung mit den 
Soldaten, von deren Einsatz dein eigenes Leben abhängt, zu widerstehen. 
Vielleicht gibt es einzelne, denen immer noch die 
nötige Distanz möglich ist. Meine Erfahrung widerspricht dem. Insofern halte ich 
es für die intelligenteste Maßnahme des 
Pentagon überhaupt, die sie in den letzten vier Jahren getroffen haben, diesen 
embedded Journalism einzuführen, weil sie damit
 eine unglaublich intelligente Form der Zensur praktizieren, in dem sie die 
Journalisten einladen und integrieren in den 
Verband. Aber es ist eher eine deprimierende Erfahrung.
 
FH: Wie hast du dann eine andere Perspektive entwickeln können? Das passiert 
doch eher durch das kritische Nachfragen und zum 
Beispiel mit den Leuten vor Ort zu diskutieren, warum Deutschland diese 
Intervention aus völkerrechtlichen Gründen nicht 
unterstützen wollte?
 
CAROLIN EMCKE: Eine andere Perspektive entsteht dann, wenn man sich erst gar 
nicht auf dieses Spiel einlässt. Ich habe mich 
im Nordirak ansonsten gemeinsam mit dem Photographen Sebastian Bolesch auch 
immer frei bewegt. Ich habe mich nie einem 
Kampfverband embedded angeschlossen. Es gibt Situationen in denen man sich 
plötzlich in einem Kriegsgebiet befindet und sich 
dann im Beisein und von Soldaten und Militäreinheiten bewegt, aber eben immer 
als unabhängige Person, die gehen und weglaufen 
oder woanders hinfahren will, wann sie will. Das ist der entscheidende Punkt. 
Die andere Perspektive kommt daher, dass ich 
mich nur selten auf diese offiziellen Pressekonferenzen begebe oder den 
offiziellen Wegen folge. Ich versuche in 
Krisengebieten mir erst mal die Geographie zu erschließen, diese Landschaften 
von Gewalt zu verstehen und mich dann dorthin 
zu begeben, wo ich mit Opfern dieser Verwüstungen sprechen kann. Wenn man sich 
mit den Zivilisten auseinandersetzt, kann es 
passieren, dass sie einen viel weniger als Journalist behandeln, sondern als 
jemand Fremdes, der eine ganz andere Welt 
repräsentiert. Dann entstehen genau solche Situationen, das man gefragt wird: ja 
warum verhält sich denn Deutschland so und 
warum verhält sich Europa so und das ist dann schon der Moment, indem man im 
Grunde genommen, den Stift und den Notizblock 
beiseite legt und einfach versucht zu diskutieren.
 
 
FH: Was macht man in einer Situation, wenn man eigentlich Kinder besser schützen 
möchte wie in Rumänien als Dir ein Kind zum 
Kauf angeboten wurde. Wird man sich dann der eigenen Hilflosigkeit bewusst und 
ist dann das einzige Mittel zu berichten, weil 
man nicht wirklich eine verantwortliche Position einnehmen kann?
 
 
CAROLIN EMCKE: Gelegentlich beneidet man diejenigen, die praktische Hilfe 
leisten können wie das Rote Kreuz oder 
Entwicklungshelfer die vor Ort sind. Gelegentlich würde ich mir wünschen dieses 
Gefühl zu haben, das man etwas ausrichten 
kann, aber gleichzeitig muss ich sagen und davon erzählt das Buch eben auch, 
dass mir immer und immer wieder begegnet ist, 
Menschen die ich getroffen habe, die keineswegs nur praktische Fragen haben oder 
um Geld bitten oder ob man sie mit dem Wagen 
irgendwohin fahren, sondern sehr häufig haben mich Menschen gefragt: "Schreibst 
du das auf?" Ich glaube, diese Menschen 
hoffen gar nicht allein, dass dann die Welt käme, um ihnen dort aus dem Elend zu 
helfen, sondern sie wollen etwas anderes. 
Opfer, die dauerhaft und permanent struktureller Gewalt ausgesetzt sind, 
verlieren irgendwann den Glauben, dass das was ihnen 
widerfährt, Unrecht ist. Irgendwann übernehmen sie tatsächlich ein Stück weit 
die Perspektive der Täter, die sie 
stigmatisieren, ausschließen, misshandeln oder ihre Verwandten umbringen. Wenn 
dieses Unrecht andauert, glauben sie irgendwann
 daran! Denn es kann ja nicht sein, dass es Unrecht ist, wenn es niemals 
gestoppt wird. Sie begegnen mir deshalb als jemanden,
 der schreibt, als jemandem, der sie darin bestätigt, dass das, was ihnen 
widerfährt tatsächlich Unrecht ist. Das ist eine 
Aufgabe, die vielleicht gering wirkt und die natürlich aller praktischen Hilfe 
vorgängig ist, aber nachdem, was ich erlebt 
habe, scheint sie sehr wichtig zu sein.
 
FH: Der Zeuge hebt die Erfahrung der Menschen in den Flüchtlingslagern in der 
Position des ?Homo Sacer? zu sein auf?
 
CAROLIN EMCKE: Dass überhaupt jemand zu ihnen kommt und ein Gespräch aufnimmt, 
hebt sie wieder in den Status eines 
menschlichen Wesens, eines Gegenübers, weil eine Art intersubjektiver Beziehung 
hergestellt wird, die sie in eine normale 
Situation zurückversetzt. Vorher erfahren sie ja nur vollkommene Negation. Nicht 
nur in pragmatischer Hinsicht, insofern sie 
eben ausgeschlossen und ausgesperrt werden, sondern auch weil sie vergessen 
werden und niemand sie überhaupt als menschliche 
Wesen ernst nimmt. Durch die Begegnung und das Gespräch werden sie erstmal 
überhaupt wieder hineingeholt in dieselbe 
Gemeinschaft.
 
FH: Das Buch ist Sebastian Bolesch gewidmet, warum?
 
CAROLIN EMCKE: Sebastian Bolesch ist der Fotograf, der mich auf sehr vielen 
Reisen begleitet hat. Einerseits ist er ein 
wirklich herausragender Fotograf für Krisengebiete auf der ganzen Welt und 
gleichzeitig jemand, der besonders behutsam 
vorgeht, anders als es das Klischee von Fotografen in Kriegsgebieten suggeriert. 
Sebastian Bolesch ist jemand, ohne den ich 
viele Situationen nicht so unversehrt überstanden hätte. Wenn man alleine fährt 
ist man sehr ausgeliefert und mit jemanden zu 
reisen, der ähnlich politisch motiviert ist wie ich und gleichzeitig einen 
ungewöhnlichen und ganz anderen Blick auf diese 
Regionen hat und sich auch für die Opfer interessiert und nicht für die gängigen 
schnellen, oberflächlichen Bilder, hilft 
sehr. Sich mit ihm beständig austauschen zu können, hat mir sowohl meine eigenen 
Geschichten möglich gemacht und dieser 
dauernde Dialog hat mich noch einmal meiner eigenen Wahrnehmung versichert. Das 
hat mich einfach durch viel Leid 
durchgetragen.
 
FH: Jetzt sind die ersten Wahlen in Afghanistan gewesen. Wird es dort eine gute 
Entwicklung nehmen im Verhältnis zur 
Situation im Irak, da dort nun Entwaffnungen stattfinden? Hast Du einen 
positiven Ausblick?
 
CAROLIN EMCKE: Einen positiven Ausblick habe ich jetzt noch nicht wirklich. In 
Afghanistan gibt es sicherlich mehr Gründe für 
einen positiven Ausblick als im Irak. Im Irak gibt es gar keine Lösung, bevor 
nicht die Amerikaner sofort und unverzüglich 
abziehen. Sie können dort zur Zeit nichts richtig machen, weil ihre schiere 
Präsens ein dauernder Stachel ist und nur die Wut 
und den Zorn und den Terror dort schürt, ganz egal was sie tun. Die historisch 
gewachsenen Sensibilitäten, die durch die 
Anwesenheit einer ausländischen Macht ausgelöst und geschürt werden, lassen sich 
nicht einfach ignorieren durch den 
vorgeblichen Wunsch und die Rhetorik, dort helfen zu wollen. Die Anwesenheit 
ausländischer Truppen wirkt nurmehr demütigend 
auf weite Teile der irakischen Bevölkerung, das martialische Auftreten der 
Verbände dort, die absurden Geschäftspraktiken der 
amerikanischen Firmen, die fatale, wirklich fatale Ignoranz der Amerikaner 
gegenüber den historischen, kulturellen und 
religiösen Befindlichkeiten haben dazu geführt, dass sie zu lange auf die 
falschen Einflüsterer gehört haben und die 
moderaten Gesprächspartner beständig gedemütigt und verärgert haben. Jetzt ist 
die Situation derart eskaliert, alle 
Beteiligten polarisiert und radikalisiert, dass exakt die falschen Personen und 
Gruppen zulauf gefunden haben. In Afghanistan 
bin ich sehr viel optimistischer, allerdings muss ich dazu sagen, bisher ist 
Präsident Karsai ein Bürgermeister von Kabul und 
kein Präsident eines Nationalstaates Afghanistan. Ich sehe noch keine Anzeichen 
dafür, dass eine ordnende Gewalt jetzt im 
positiven Sinne unter einem rechtsstaatlichen Gemeinwesen zusammenfindet. Aber 
es ist ein Land, dem ich es ganz besonders 
wünsche, denn es ist das schönste Land, in dem ich je gewesen bin.
 
FH: Hast du schon mal über Kindersoldaten im Kongo gearbeitet?
 
CAROLIN EMCKE: Nein. Sebastian Bolesch hat sehr viel über Kindersoldaten 
gearbeitet und eine ganz große Serie von Bildern aus 
ganz verschiedenen Ländern der Welt und verschiedenen Kontinenten gemacht. Ich 
bin kaum in Afrika gewesen. Ich kenne mich gar 
nicht dort aus.
 
FH: Wohin geht die nächste Reise?
 
 
CAROLIN EMCKE: Die nächste Reise soll nach Lagos gehen in Nigeria.
 
FH: Das ist ja schon in die Nähe?
 
 
CAROLIN EMCKE: Na ja (lachen). Nähe ist gut. Es ist immerhin schon Afrika.
 
Vielen Dank für das Gespräch.
 
Carolin Emcke (geb. 1967) promoviert in Philosophie in Frankfurt am Main und ist 
seit 1998 Redakteurin beim ?Spiegel? und als 
Auslandsredakteurin in vielen Krisengebieten unterwegs
 
 
Carolin Emcke: "Von den Kriegen. Briefe an Freunde", S. Fischer Verlag, 18,90 
Euro.
 
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Berichte über Kriege: Bettina Gaus? Kritik an der Karawane der Journalisten.
?Der Journalismus steht vor völlig neuen Herausforderungen?, meint Bettina Gaus 
in ihrem Buch, ?Frontberichte. die Macht der 
Medien in den Zeiten des Krieges.? Das Gespräch führte Fairplanet-News 
Redakteurin Felicia Herrschaft mit Bettina Gaus kurz 
vor dem klaren Ergebnis der Wahl in den Vereinigten Staaten am 3. November 04.
 
?Seriöse und verantwortungsbewusste Fotografen, Reporter,Kameraleute, 
Moderatoren und Nachrichtenredakteure?, müssen einer 
der schwierigsten und wichtigsten Aufgabe gerecht werden, zu erkennen, ?wann sie 
instrumentalisiert werden und wie sie sich 
entziehen können.? Die strukturellen Merkmale der Berichterstattung über Kriege 
und Krisen gleichen sich weltweit und hier 
geht es genau darum Kriege nicht als Quotenbringer zu missbrauchen und zu 
verharmlosen.
Bettina Gaus analysiert wie ein bestimmtes geistiges Klima durch die Medien 
geschaffen wird und wem es nutzt und wo die 
Grenze verläuft zwischen Information und Unterhaltung, wie neue Feindbilder 
entstehen und welche Funktionen sie haben. Welche 
Arbeitsbedingungen Reporterinnen und Reporter in Krisengebieten vorfinden und wo 
die Unabhängigkeit der Medien beginnt und 
die Parteilichkeit, das sind Fragen die Bettina Gaus stellt. Sie ist politische 
Korrespondentin der TAZ und leitete deren 
Parlamentsbüro von 1996 bis 1999. Vorher war sie Korrespondentin in Naírobi und 
berichtete sechs Jahre lang über Ost ? und 
Zentralafrika. Im Jahr 2000 erschien ihr Buch ?die scheinheilige Republik: Das 
Ende der demokratischen Streitkultur.
 
Felicia Herrschaft: Ist es sinnvoll während sich ein Land in einem Krieg 
befindet einen Machtwechsel herbeiführen zu wollen? 
Wie schätzen Sie diese Kriegssituation im Irak ein, gerade aus einer kritischen 
Perspektive über die Möglichkeiten der 
medialen Kriegsberichterstattung?
 
Bettina Gaus: Die US-Amerikaner haben noch niemals während eines Krieges einen 
Präsidenten abgewählt. Sollte sich der 
bisherige Trend bestätigen, dass George W. Bush wieder gewählt wird, dann würde 
das in Übereinstimmung stehen mit dem 
bisherigen Wahlverhalten der Amerikaner. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist jedoch 
die Lage im Irak so verfahren, dass es für 
beide Kandidaten, außerordentlich schwierig ist, sowohl für den amtierenden 
Präsidenten Bush und seinen Herausforderer Kerry 
aus dieser Situation auch einigermaßen sinnvoll wieder herauszukommen. Für die 
Europäer bzw. für die Deutschen wäre ein 
Wahlsieg Kerrys vielleicht sinnvoll gewesen, weil das Verhältnis zwischen Bush 
und der rot-grünen Regierung in Berlin nicht 
gerade gut ist. Andererseits wäre es auch viel schwieriger gewesen sich aus 
diesem Krieg dann weiter herauszuhalten, der aus 
Sicht der Bundesregierung falsch und völkerrechtswidrig war und deshalb wirklich 
niemals unterstützt wurde, denn Kerry setzt 
mehr auf multilaterale Beziehungen und möchte stärker Verbündete einbinden als 
Bush das bisher wollte.
 
Felicia Herrschaft: Sie sagen in ihrer Einleitung: ?wir schaffen es 
mittlerweile, mit drauf zuschlagen und dennoch den 
Frieden zu segnen.? Wie schätzen sie überhaupt die Rolle Deutschlands ein in 
Bezug auf den Irakkrieg?
 
Bettina Gaus: Das Zitat, das sie gerade genannt haben, bezieht sich ja auf 
Goethes Faust, wo ein Bürger im Faust dasteht und 
sagt, wir schaun den Schiffen nach und segnen Fried und Friedenszeiten und in 
der Tat ist es so, wenn man jetzt in 
Deutschland eine Umfrage machen würde, seit wann wir in Frieden leben bekäme man 
das Ergebnis - seit Ende des zweiten 
Weltkrieges. Dabei gerät völlig aus dem Blickfeld, dass wir uns in den letzten 
Jahren aus meiner Sicht auch an 
völkerrechtswidrigen Kriegen und Angriffskriegen beteiligt haben - ich habe den 
Kosovo-Krieg für falsch gehalten und ich 
halte ihn für völkerrechtswidrig, denn Jugoslawien hat keinen Nato-Staat 
angegriffen, deshalb war es auch nicht die 
Angelegenheit der Nato so zu reagieren.
Ich habe ja relativ lange aus Krisengebieten berichtet, übrigens auch 
Krisengebieten in Afrika in denen es nicht um 
traditionelle Formen des Krieges ging, sondern entweder um Bürgerkriege oder um 
humanitär geplante Kriegseinsätze und muss in 
diesem Zusammenhang an Somalia erinnern, auch hier glaubte man mit Militär 
praktisch alles lösen zu können gerade nach dem 
Ende der bipolaren Welt, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Diese Meinung 
schien sich durchgesetzt zu haben und genau 
dieser Glauben ist jetzt brüchig geworden.
Man sieht jetzt auf dem Balkan, in Afghanistan und ganz besonders in Irak und 
man hat es damals auch schon in Somalia gesehen,
 dass politische Ziele, seien sie nun ehrenwert oder weniger ehrenwert sich eben 
nicht ohne weiteres verwirklichen lassen, 
indem man einen Abstandskrieg führt, bombadiert und dann sagt die Bevölkerung 
wird sich schon freuen, das wir da sind. Ich 
habe den Eindruck, dass in der Tat das Gefühl nach der Euphorie über den 
Zusammenbruch des Kommunismus, eine für mich damals 
schockierende und überraschende plötzlich wieder erstarkende Gläubigkeit in die 
Macht des Militärs erwuchs. Diese Gläubigkeit 
lässt nach und man wird auch insgesamt, ich beziehe das jetzt nicht auf die USA, 
sondern auf Deutschland und Europa 
vorsichtiger darin, im Militär einen Ersatz für Diplomatie zu sehen.
 
Felicia Herrschaft: In dem Kapitel humanitäre Missverständnisse kommt die 
Karawane der Journalisten in Somalia an, um eine 
humanitäre Intervention zu begleiten, aber die Reaktionen der Journalisten 
entsprachen nicht dem, was sie durch ihre 
Recherchen erkennen konnten, worin bestanden die Missverständnisse?
 
Bettina Gaus: Der Fall Somalia war sehr kompliziert, obwohl es so einfach 
aussah. Es herrschte ein Bürgerkrieg und 
infolgedessen eine ganz grauenerregende Hungersnot. Nahrungsmittelhilfe kam ins 
Land und wurde von Milizen regelmäßig 
geplündert. Das war eine der stärksten Einnahmequellen für zahlreiche 
Bürgerkriegsfraktionen. Von außen her betrachtet schien 
dies eine überaus sinnvolle Militärintervention zu sein, man schützt die 
Nahrungsmittel, sorgt dafür, das sie zu den 
Hungernden kommen, verhindert also Plünderungen und Babys müssen nicht mehr 
sterben und darben. Das ist ja etwas dem sich 
niemand mehr in den Weg stellen sollte. Was dabei außer Acht gelassen wurde ist 
zum einen das interne Machtgeflecht innerhalb 
Somalias: wer hat welchen Konflikt mit wem und warum wird gehungert? Es war 
natürlich in der Tat nicht einfach nur eine 
Hungernot ohne politische Hintergründe, sondern das hat vielen Zwecken gedient. 
Wer die Verfügungsgewalt über Nahrungsmittel 
hatte, hatte damit einen kriegswichtigen Vorteil in diesem Bürgerkrieg. Das 
wurde bei der Militärintervention nach meiner 
Kenntnis außer Acht gelassen, denn die da kamen hatten zu wenige Kenntnisse über 
die internen Vorgänge in Somalia.
Zweitens war es in Somalia sehr unterschiedlich in unterschiedlichen Regionen. 
Das heißt es gab auch Regionen, die vom 
Bürgerkrieg profitiert haben, weil traditionelle Handelswege unterbrochen waren, 
in denen die Wirtschaft aufblühte, weil 
Import/Export über andere Straßen als die traditionell üblichen abgewickelt 
wurde. Ich erinnere mich, als die Bundeswehr die 
Vorhut des Hauptkontingents in die Kleinstadt Bele Tuen kam, wurden sie von 
zahlreichen Kollegen aus der Bundesrepublik 
begleitet, die vorher noch nie in Somalia gewesen waren. Das waren Leute, die 
verstanden sehr viel von der Bundeswehr, 
seriöse Journalisten - aber sie kannten nicht das, was sie zu sehen bekamen. Die 
waren dann erschrocken über die Armut, die 
sie auf einem Markt zu sehen glaubten. Tatsache ist, dass dieser Markt überhaupt 
nicht arm war, es gab ziemlich reiche 
Importprodukte, wie italienisches Tomatenmark, es gab auch französische 
Kosmetik, alles war eingeführt über Djibouti. Aber 
weil der Markt so ganz anders aussah: die Produkte liegen auf dem Boden, die 
Marktfrauen sitzen am Boden, das sieht ärmlich 
aus für unsere Augen, führte zur Spontanreaktion: ?oh Gott, entsetzlich diese 
Armut?.
 
Für mich wird daran deutlich, dass uns häufig gar nicht bewusst ist, wie unsere 
eigene Weltsicht und unsere eigene 
Erwartungshaltung, dann das Bild dessen prägt, was wir sehen. Es gibt ja auch 
das alte Sprichwort, man sieht nur was man weiß.
 Man kann ja noch nicht mal sagen, dass sich Journalisten besser vorbereiten 
sollen, denn dafür müsste man ja wissen was man 
gerade nicht erkennt, was man gerade nicht weiß. Die Leute waren alle gut 
eingelesen, hatten erkennbar alle ihre Hausaufgaben 
gemacht, hatten sich vorher in die Archive begeben nur sie waren sich nicht 
bewusst, dass sie einen anderen Eindruck haben 
würden, wenn sie somalischen Realität begegnen. Ein weiteres Beispiel ist das 
Krankenhaus von Bele Tuen, das in der Tat für 
mitteleuropäische Verhältnisse katastrophal schlecht ausgestattet war und es ist 
nicht nur nachvollziehbar, sondern sehr 
sympathisch, wenn man dann sagt, Gott sei Dank, dass hier jetzt Bundeswehrärzte 
Sprechstunde abhalten, dann geht es den 
Leuten besser. Was man eben nicht wissen kann, wenn man nicht vorher schon in 
der Region gearbeitet hat, dass dieses 
Krankenhaus für afrikanische Verhältnisse, nicht nur in Krisengebieten, sondern 
auch in friedlichen Gebieten sehr gut 
ausgestattet war, dass sogar Leute aus dem nahe gelegenen Äthiopien zur 
Behandlung gekommen sind.
 
Dann kann man immer noch sagen, ?na gut, schön für die Leute, dass dort jetzt 
mehr Ärzte sind und Bundeswehr mit Gerät?, aber 
dabei wird außer acht gelassen, dass Militäroperationen neben allem anderen auch 
fürchterlich teuer sind. Um ein paar 
ambulante Sprechstunden abzuhalten und um Wasser in Zisternen abzufüllen, muss 
man nicht 1700 Soldaten mit schweren Waffen um 
die halbe Welt fahren, das können Hilfsorganisationen besser. Dieser Glaube an 
die Allmacht des Militärs hat zu dem fatalen 
Glauben geführt, humanitäre Arbeit könne ganz nebenbei auch von Militärs, die 
dafür nicht ausgebildet sind, ausgeübt werden. 
Der Unterschied zwischen der Arbeit von Militärs und der Arbeit von 
Hilfsorganisationen ist in den letzten Jahren etwas 
verwischt worden und dies ist eine Entwicklung, die meiner Meinung nach noch 
nicht rückläufig ist. Immer wieder wird uns 
Journalisten gezeigt, wie die Bundeswehr beim Wiederaufbau von Brücken hilft und 
Brunnen bohrt.
 
Das ist alles gut und nützlich, nur das ist keine hochkomplexe logistische 
Großoperation, die in Krisengebieten bei 
humanitärer Hilfe einfach unumgänglich ist und es hat sich in Somalia gezeigt, 
der Zenit der Hungersnot war bei Eintreffen, 
der ersten fremden Militärs überschritten und zwar deshalb, weil das 
Internationale Rote Kreuz in der größten Operation 
seiner Geschichte einen Ring von Garküchen, um die am schlimmsten betroffenen 
Flüchtlingsgebiete gezogen hat, so dass man 
verhindert konnte, dass die Leute alle weiter in die Ballungszentren ziehen. Es 
war irrsinnig teuer, sehr aufwendig, hat aber 
nach großen Anlaufschwierigkeiten auch funktioniert. Der Blick der 
Weltöffentlichkeit war dann so stark auf die 
Militäroperation fokussiert, dass man das nicht mehr gesehen hat. Dieser Erfolg 
des Roten Kreuzes ist letztlich untergegangen 
und bis heute hält sich die Legende, die ausländischen Soldaten hätten 
wenigstens den Hunger besiegt. Das trifft schlicht 
nicht zu.
 
Felicia Herrschaft:Man macht sich als Journalistin sehr leicht unbeliebt, wenn 
man sich nicht den Journalisten-Karawanen 
anschließt und über die richtigen Medienereignisse berichtet, wie zum Beispiel 
die Ankunft eines Amphibienfahrzeugs. Was 
heißt das genau?
 
Bettina Gaus: Man wird nicht nur in den Redaktionen unbeliebt, sondern auch bei 
den Lesern oder Zuschauern. Zusatzleistungen, 
also eine Reportage, die nicht jeder hat, werden erfreut registriert. Aber wenn 
die Grundversorgung in der eigenen Zeitung 
nicht steht, also wenn das worüber alle anderen berichten und in der Zeitung, 
die man selber liest, nicht, dann reagieren die 
Leser verärgert und wie ich finde zurecht. Es wäre ja auch eine merkwürdige Form 
der Zensur oder auch Selbstüberschätzung, 
wenn man sagt: ?mich interessiert das alles nicht?. Lassen sie mich das an einem 
plastischen Beispiel zeigen: wenn der 
Völkermord in Ruanda passiert, dann hielte ich es für zynisch zu sagen, wir 
berichten über Volkskunst in Tansania.
Es ist ja auch so, dass Opfer einen Anspruch darauf haben, dass über sie 
berichtet wird.
 
Ich habe für die Probleme die im Zusammenhang mit Krisenberichterstattung 
entstehen kein Patentrezept. Ich habe selbst auch 
Fehler gemacht, Quellen zu leichtgläubig geglaubt, ich war leichtsinnig - wir 
alle machen pausenlos Fehler, aber es gibt 
schon ein paar Grundrichtlinien, die man festhalten kann. Wenn man sagt, es gibt 
sowohl einen Anspruch der Öffentlichkeit, 
als auch einen Anspruch der Betroffenen, das über ihr Schicksal berichtet wird, 
dann akzeptiert man die Tatsache, dass Kriegs 
- und Krisensituationen ein sehr verantwortlicher Teil des Journalismus ist, der 
nichts mit Abenteurertum oder Voyeurismus zu 
tun hat. Die Bedingungen unter denen man das macht, die muss man sich vor Augen 
führen und daraus die Konsequenzen ziehen. 
Dass heißt, ich bin im Unterschied zu manchen Kollegen und Kolleginnen nicht 
gegen das Prinzip der Einbettung in 
Armeestrukturen. Ich halte das auch für falsch, als wäre das erfunden worden im 
Irak-Krieg mit US-Truppen.
Man kommt in kein Kriegsgebiet ohne sich unter den Schutz einer Konfliktpartei 
zu stellen. Während des Unabhängigkeitskampfes 
um Eritrea ist man natürlich in die von der IPLF kontrollierten Gebiete nur mit 
dem Schutz der IPLF rein gekommen. Das 
entspricht der Einbettung. Oder wenn ich nach Kundus fliege, um dort das 
Bundeswehrcamp zu besuchen, dann bin ich natürlich 
auch eingebettet in Strukturen der Bundeswehr. Ich bin nicht prinzipiell 
dagegen, man muss sich nur im Klaren sein und zwar 
immer, wer Journalisten mitnimmt, weiß was er ihnen sagen will!
Dass heißt, die Skepsis gegenüber den Informationen, die man bekommt und dem 
Bild, das man bekommt, muss noch größer sein, 
als bei einer eigenen Recherche. Ideal ist natürlich wenn Korrespondenten länger 
Zeit haben sich einzuarbeiten und das Gebiet 
aus dem sie berichten, gut kennen. Das war früher selbstverständlich. In Zeiten 
aber, wo Nachrichten immer schneller um die 
Welt geschickt werden und Korrespondenten immer hektischer hin und herfliegen, 
wird das immer schwieriger. Es gibt ja auch 
eine ganze Menge Medien, die keine ständigen Reporter mehr unterhalten, sondern 
nur dann wenn es kracht, schicken sie 
jemanden hin.
Das ist ein Problem, weil sich dann viel schwieriger feststellen lässt, was dort 
wirklich los ist, welcher Quellen kann ich 
glauben oder welche Entwicklung hat stattgefunden. Um sich davor zu schützen, 
muss man sich thematisch beschränken, wenn man 
zum Beispiel eingebettet ist und über genau das berichten, was er dort sieht, 
nämlich sagt, ich bin hier mit dieser oder 
jener Armee oder Konfliktpartei, man zeigt mir das und ich kann nicht beurteilen 
wie es fünf Kilometer weiter weg aussieht, 
dann denke ich, kann das eine sinnvolle Zusatzinformation über eine Situation in 
einem Land sein. Wer allerdings versucht 
während er in irgendwelche Strukturen eingebettet ist, gleichzeitig auch noch 
eine Gesamtanalyse über das Land oder gar die 
Region dort zu leisten, der läuft auf sehr dünnen Eis und ist dann natürlich 
besonders anfällig für Manipulationsversuche.
 
Felicia Herrschaft: Ist es möglich, dass man neben dem Militär in Krisengebieten 
eigene Recherchen versucht oder ist das zu 
problematisch sich zu den Betroffenen zu begeben?
 
Bettina Gaus: Das hängt ganz von der Situation ab. Zum Teil ist das ganz leicht 
und zum Teil ganz schwierig. Allein das Wort 
Dolmetscher - wer übersetzt da? Wer kann diese Sprache? Wie bin ich sicher, dass 
das nicht ein Spitzel von der anderen Seite 
ist, beziehungsweise was glauben meine Interviewpartner? Das muss man sich immer 
wieder vor Augen führen, wenn man auf eigene 
Faust unterwegs ist. Es ist ja häufig nicht mal ein Zufall, wenn man aus dem 
Hotel kommt und ein Taxi nimmt, dass der 
Taxifahrer in einem französischsprachigen Land zufällig ganz perfekt englisch 
spricht und auch ganz viel politisch erklären 
kann. Dann kann man den Gedanken haben, ob der nebenberuflich vielleicht nicht 
nur Taxifahrer ist, sondern auch für den 
Geheimdienst arbeitet. Selbst das ist ja nicht per se verwerflich, selbst ein 
Geheimdienstmann kann mir ja Sachen erzählen, 
die ich gerne wissen möchte, nur, ich muss den Verdacht haben und auf die Idee 
kommen, dass das nicht der reine Glücksfall 
ist, dass sich Leute gerade in Krisengebieten überlegen wie sie gezielt 
Informationen an Journalisten loswerden und insofern -
 ja natürlich geht Eigenrecherche und es gibt bestimmte Situationen in denen sie 
leichter ist als in anderen, aber man soll 
sich nicht täuschen, denn das wappnet einen nicht automatisch vor 
Infiltrationsversuchen einer interessierten Seite.
 
Felicia Herrschaft: Vielen Dank für das Gespräch
 
 
 
Bettina Gaus: Frontberichte. Die Macht der Medien in den Zeiten des Krieges. 
Campus 2004, 193 Seiten, Euro 19,90.
 
Auszug:
? Bei der Berichterstattung über Kriege sind zahlreiche Regeln außer Kraft 
gesetzt, die in allen anderen Bereichen 
selbstverständlich gelten. Das liegt nicht daran, dass Journalisten von einem 
Tag auf den anderen kriegslüstern geworden 
wären. Im Gegenteil: Es liegt daran, dass viele derjenigen, die plötzlich damit 
befasst sind, sich die realen Verhältnisse in 
Krisengebieten ebenso wenig vorstellen können wie ihre Leser, Hörer und 
Zuschauer. Afrika, Afghanistan, der Irak und sogar 
der Balkan sind sehr weit weg von der Bundesrepublik. Das Bedürfnis nach 
Sicherheit und weltweit durchsetzbaren, 
menschenwürdigen Verhältnissen aber ist sehr groß und nah.
Wem es gelingt, überzeugend den Eindruck zu erwecken, das verloren gegangene 
Sicherheitsgefühl wieder beleben zu können ? sei 
es durch neue Gesetze oder durch neue Kriege ? der spricht damit die größte 
politische Verheißung aus, die derzeit in Europa 
und den USA vorstellbar ist. Sie besteht in dem Versprechen, das 
Unkontrollierbare sei beherrschbar, definierbar, zähmbar, 
und wir könnten unsere Maßstäbe auf den Rest der Welt übertragen. Allen Kriegen 
und Militärinterventionen der letzten Jahre, 
an denen westliche Länder beteiligt waren, ist eines gemeinsam: die Vorstellung, 
man könne die Welt von dem befreien, was man 
selbst unter dem Bösen versteht, wenn man nur bereit ist, für dieses Ziel alle 
Mittel ? auch schreckliche Mittel- einzusetzen.
 Diese Vorstellung ist nicht neu. Sie ist der Kern jeder Ideologie.? (Gaus, 
2004, 191-192)