[rohrpost] n0name newsletter Spezial #3
Nick
nick at n0name.de
Die Feb 3 02:23:07 CET 2004
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n0name newsletter Spezial #3 Berlin Mo., 02.02.2004 13:55 CET
Amen
In der Kirche
So sicher wie mehrere hundert Festivalbesucher bis Mitte 30 ihre zu
heisz gebadeten Technokoepfe unter der kalten Sonne der Lampen ihres
Groszraumabteils auf der Heimfahrt abkuehlen, stehen irgendwo da
drauszen Leute mit gefaelschten Pressekarten (um das coole
Akkreditierungsticket zu bekommen) in der sehr langen Schlange vorm
Presseschalter und hoeren ihre Diktaphons nochmal auf die Worte des
Philosophen ab.
Seine Worte, die durch das technische Medium perlen wie Oliven, kommen
zu einem Mutmachvortrag 1. Guete. Alle Zweifel sind bereits dialektisch
im Utopiebgeriff ohne Utopie aufgebhoben und, ohne irgendetwas konkret
benennen zu muessen, wird auch sein Applaus live uebertragen. Die
Kette des international Mottos "Fly Utopia!" Buy Utopia! Die Utopia!
Cry U Topos! Uarrrgh! Don't Panic! Fly Utopia! bricht nicht ab, endet
nie, und wenn doch, dann bei der Aussage des auratischen Sprechers,
der auf unserer Seite ist, dasz er auf unserer Seite ist.
Das war eine kommunistische Predigt. Die Schoenheit der Begriffe und
der Metaphern kam durch die Ohren in die Muender der Eintrittzahler und
ueber den Sender. All die anderen hunderten nicht vorhandenen Mikrophone
zur Realisierung der real existierenden Vielheit im Saal waren
stummgeschaltet. Es war ein Gottesdienst fuer den saekularisierten
"Gottesstaat", jetzt hier auf Erden. Ein messianischer Livestream
aus der Kathedrale der Kulturen, die, trotz Denkmalschutz, irgendwann
wieder einstuerzend sein wird.
Die Frequenz lag nahe bei einem dieser Dudelsender. Hier dudelte die
Botschaft, dort das Dudeln Dudeln. Der Effekt, der sich einstellte, war
einer beim Laufen durch die Zonen elektromagnetischer Radiofelder
der Wohnung des Multitutionaers. Ein Schritt nach hinten zum Herd und
die Rede wird von froehlichem Europop ueberlagert, ein Schritt zum
Muelleimer und ein angenehmes Rauschen begeleitet den Klang der Worte.
Den Sound. Der Philosoph spricht: durch Neue Technologien wird
informatorisch ein neuer Hoehepunkt der gesellschaftlichen
Produktivitaet erreicht, Mehrwert wird geschaffen, der aber enteignet
wird, dagegen sind utopische Gegenentwuerfe zu setzen, Inseln der
Befriedigung, globaler Widerstand, der bereits in der real
existierenden Utopie der multitude vor unseren Augen ohne U-Topos,
ohne Nichtort, real existiert, der Schwarm (nicht die Masse !) aus
Einzelheiten, die jede fuer sich schon multitude ist, dessen
immaterielle Arbeit aus menschlicher Energie, Zeit und Gefuehl in
einer Vielheit organisiert zusammengefaszt wird, Schwaerme, die
riesig grosz sind, maechtige hegemoniale Giganten, die sich aus sich
selbst heraus autopoietisch schaffen und sich ueber die Beschraenkungen
der Krise der Proprietaet hinwegsetzen und fliegen. Ueberflieger.
Aber wo faengt der Schwarm an? Wo endet er? Und hat das Wired nicht
schoneinmal in den 1990ern versprochen? Die klassenlose Gesellschaft ist
ohne Auszen, aber mit einer inneren Biomacht, fuer die der fromme Wunsch
ausreichen muss, dasz es uns (wer ist "wir"?) besser gehe.
Die Rede wurde also von einem anderen Sender ueberlagerbar durch
Veraenderung der Lage des Koerpers des Hoerers. Die Welle der
neuen Botschaften, verpackt in Codes und Scripts, die Code-Poesie
zeitigt diese Lust an Syntaxen, die maschinentechnisch operationabel
werden. Zum Kultus des universellen Apparats mit sozialmaschineller
Handlungsoptionsoptik die passende Aesthetik. Wir tragen bald wieder
Arbeitermuetzen mit Palaestinenserschals zu unseren Transponderjacken.
Und nach dem anstrengenden Tag beim jetzigen und zukuenftigen
Arbeitkaeufer, wenn es ihn noch gibt, verlassen wir, bis zum naechsten,
wenn ueberhaupt unterbezahlten Schichtantritt, kurz das 450.000 EURO
event, stillen am Computernotebook unsere Kinder und servieren bald
darauf unausgeschlafen aber blondhaarig den Maennern auf dem Podium das
Wasser, waehrend die vom Fleisch der Subjekte reden und sich dabei den
Bauch reiben.
Wir tun so, als wuerden wir uns, wie ein Hure im roten Kleid, auf der
kunstledernen Couch eines Moebelgeschaefts raekeln, weil wir sexy
wirken wollen. Ausschwaermen! Doch diese Giganten, von denen der
Philosoph spricht, sind in Wahrheit Zauberer, die, romantisch diese
Szene betrachtend, die konkurrierenden Antragsteller in Bittsteller
verwandeln. Doch die Tortenwurfpistole ist erfunden und die Bestseller
an Ketten sind geklaut. Money wants to be free!
Nick
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