[rohrpost] Sklave des Logos / Kill me America! - Performance des Kollektivs der NEUEN METHODIKER zum 4. Juli

Sophia Nabokov sophia_nabokov at yahoo.de
Die Jul 6 17:44:55 CEST 2004




„Der Glaube an die Welt ist das, was uns am meisten fehlt; wir haben die Welt völlig verloren, wir sind ihrer beraubt worden. An die Welt glauben, das heißt zum Beispiel, Ereignisse hervorzurufen, die der Kontrolle entgehen, auch wenn sie klein sind, oder neue Zeit-Räume in die Welt zu bringen, selbst mit kleiner Oberfläche oder reduziertem Volumen“. (Deleuze im Gespräch mit Toni Negri, Futur antérieur, Nr.01, 1990)

 

Performance des Kollektivs der NEUEN METHODIKER vor der amerikanischen Botschaft, 

Unter den Linden. Ein Mann (Till Nikolaus von Heiseler) steht an der Straßenabsperrung zur Botschaft

und wirft plötzlich seinen Mantel ab. Er hat um seine Oberarme und Knöchel dünne

Stoffstreifen gebunden, die die Farbe der Gefangenenkleidung auf Guantanamo Bay

haben und ist ansonsten nackt. Er verteilt Flugblätter. Es ist der 4. Juli, der amerikanische

Unabhängigkeitstag. 

Passanten nehmen interessiert das Flugblatt entgegen. Auf ihm ist zu lesen: „Willst du ewig Sklave bleiben? (...) Würde das dominierende operative System in alles eingreifen, griffe es logischerweise auch in unser Denken und unsere Weltbilder ein. Das Ergebnis dieses Prozesses wäre ein Weltbild, in dem das dominierende operative System Gesellschaft differenziert, hierarchisiert und somit Identitäten schafft. Dann wärst du als Person sein Produkt, es gäbe dir deine Identität, produzierte Zeichen, generierte deinen Sinn.“

Nach wenigen Minuten wird dem nackten Mann ein Karbon-Mantel übergeworfen, der an die Kleidung der Matrixfilme gemahnt. Als man versucht, ihn abzuführen, beginnt er wild zu schreien. Einzelne Wortfetzen sind zu verstehen: "Sie bringen mich in die Amerikanische Botschaft. Ich will nicht auf die Insel! Helft mir!" Die Gäste des Einstein Cafes sehen beängstigt oder belustigt zu. Eine Frau lacht. Nach einem 20-minütigen Verhör: Obwohl von den Polizisten anfangs angenommen wurde, dass sie es mit einem Wahnsinnigen zu tun hätten, wird nun klar: es handelt sich um eine Performance des Kollektivs der NEUEN METHODIKER, einer Künstlergruppe, die seit Mitte der 90er Jahre Performances im öffentlichen Raum durchführt. Heiseler geht es um „die Erzeugung von Deutungsvielfalt und einer negativen Dialektik. Das Flugblatt enthielt eben keine konkrete Forderungen, sondern stellt die Frage, von welchem Ort aus Kritik überhaupt noch möglich wäre. Man könnte mit Deleuze formulieren: ‚Vielleicht s
 ind Wort
 und Kommunikation verdorben. Sie sind völlig vom Geld durchdrungen: nicht zufällig sondern ihrem Wesen nach.’ – all unser Denken einschließlich vermeintlicher Kritik ist Funktion und Ausdruck einer gesellschaftlichen Totalität. Vielleicht müssen wir uns abwenden vom Wort, von Erklärungen und Programmatik, um leere Räume der Nicht-Kommunikation zu schaffen, störende Unterbrechungen, um der Kontrolle zu entgehen.“  

 

Die Performance Sklave des Logos / Kill me America! ist der erste Teil der „Trilogie des politischen Zweifels“. Die Performance selbst besteht wiederum aus drei Teilen: 1) Sklave des Logos – dem Tätowieren des Wortes „Wort“ => logoV auf den linken Unterarm. 2) Der-tote-Mann-Performance, in der es darum geht, an Orten der Geschäftigkeit und des Geschäfts sich frontal auf das Gesicht zu legen und 3) der Aktion zum 4. Juli – Kill me America! 

 

In der „Trilogie des politischen Zweifels“ geht es darum, Protestaktionen wie Kleidungsstücke anzuprobieren, um sowohl den Verhältnissen als auch der Kritik an ihnen kritisch zu begegnen. Das kritische Denken muss unter heutigen Umständen, wo jeder Gedanke schon von seiner Profitnützlichkeit geformt wird und als Text sein Verkauft-werden-Wollen in sich trägt, sich gegen sich selbst verkehren und zur Aktion werden. Auch in der Toten-Mann-Performance, die parallel weitergeführt wird, geht es um die Produktion von Leerstellen und von Nicht-Anschlussfähigkeit, die an den Orten der Geschäftigkeit und des Geschäfts für Unterbrechungen sorgen können. 

 

 

Die nächsten Aktionen des Kollektivs der NEUEN MEHTODIKER werden sich mit den Themen Immigration, Privatisierung des öffentlichen Raums und mit dem amerikanischen Rechtssystem beschäftigen. 

 -von Sophia Nabokov

 

 

 


		
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