[rohrpost] 7 gruende fuer offene kanaele

Thorsten Schilling thorsten.schilling at berlin.de
Don Jun 24 01:05:56 CEST 2004


(verantwortlich fuer den redeentwurf poste ich den text, weil es 
vielleicht die einen oder anderen
interessiert und gebrauchen koennen.  der offizielle link ist oben dran.
das ganze ist eine art festrede zum 20jaehrigen bestehen dere offenen 
kanaele.
bei allem rauschen, ob das fest rauschend war, weiss ich nicht.
in 20 jahren sollten wir den barock der ok aber haben
oder machen koennen.
ohne gothik vorab.
ahoi -th)

http://www.bpb.de/presse/NMVNKT,0,0,20_Jahre_Offene_Kan%E4le.html


"Die wenigen Offenen Kanaele in den Massenmedien Rundfunk und Fernsehen 
muessen sich mit den vielen
Offenen Kanaelen im digitalen Medienraum verbinden. Dadurch entsteht ein 
neuer intensiver lokaler
Medienraum, der potenziell global vernetzt ist. Das ist bzw. wird ein 
Medienverbund, der das gesellschaftliche
Potenzial offener und oeffentlicher Medien auf die Hoehe des 21. 
Jahrhunderts bringt..."


Rede von Thomas Krüger, Präsident der Bundezentrale fuer politische Bildung
Im Rahmen des 11. Jahrestreffens Offener Kanäle in Berlin (19.06.2004)


Sieben gute Gruende fuer Offene Kanaele    

"Meiner Rede habe ich die UEberschrift gegeben: "Sieben gute Gruende 
fuer Offene Kanaele".

Lassen Sie mich diese sieben Gruende kurz ausfuehren: Ich sehe drei 
Gruende, warum wir Offene Kanaele
brauchen.

1. Wir brauchen Offene Kanaele, weil die Gruende fuer ihre Schaffung 
sich nicht erledigt haben bzw. weiter
bestehen.

Wenn ich es recht sehe, hat die Gruendung der Offenen Kanaele etwas mit 
der Errichtung des dualen Systems,
das hesst mit der Etablierung auch einer privatwirtschaftlich 
betriebenen Medienlandschaft in Deutschland zu
tun. Ich in kein Medienhistoriker, ich wage dennoch hier die These:

Die Offenen Kanaele sind nicht nur eine Erfuellung der medienpolitischen 
Forderungen der sogenannten 68er-
Generation, sondern auch eine Falte im glatten Angesicht der hehren 
Versprechungen bei der Installierung des
dualen Systems - das eben fast von Beginn an schon ein triales war. Und 
dieses medienpolitische Zugestaendnis
an die Forderung nach einer direkten Beteiligung der Buerger an den 
Rundfunkmedien ist immer noch geboten.
Allein schon, weil sich die beiden dualen Pole scheinbar immer mehr 
aneinander gewoehnen und sich mimetisch
anzugleichen beginnen. Kurz: als Stachel im Fleisch, als Einflugschneise 
anderen Wirklichkeiten und Stimmen
in die grossen Synchronisations- und Aufmerksamkeitsmaschinerien der 
"klassischen" Massenmedien sind die
Offenen Kanaele eine medienpolitische Errungenschaft - die wir uns nicht 
nehmen lassen duerfen, die wir im
Gegenteil weiterentwickeln koennen muessen.

2. Wir brauchen Offene Kanaele, weil die Erfahrungen mit ihnen und ihren 
Sendungen einen unschaetzbaren
Reichtum erzeugt haben und weiter erzeugen koennen, der fuer das 
Mediengefuege insgesamt unverzichtbar ist.

Seit 1984 haben mehr als 70.000 verschiedene Nutzer und Nutzerinnen mehr 
als 350.000 Beitraege in den
Offenen Kanaelen gesendet. Darin sind eben auch Erfahrungen, 
Bildungserlebnisse, Meinungsbildungsprozesse
geborgen, die einen oeffentlichen Reichtum darstellen. Zum einen fuer 
die Macherinnen und Macher selbst, zum
anderen aber auch fuer das Mediengefuege unserer Gesellschaft insgesamt. 
Es geht dabei gar nicht um so etwas
wie das Verhaeltnis von Avantgarde oder Nachhut, um Original oder Kopie. 
Diese Dualismen lenken bei der
Betrachtung der Medienwirkung der Offenen Kanaele nur den Blick ab von 
dem eigentlichen Gut in ihnen: Sie
sind der kontinuierliche Beweis dafuer, dass es auch anders geht im 
selben Mediensystem von TV und Radio.

Ihre Sendungen sind das lebendige und kontinuierliche Skandalon der 
direkten Rueckmeldung der Zuschauer
und Zuhoerer als Sender, nur einen Kanal weiter - sicher oft genug als 
Rufer in der Wueste oder als wueste
Rufer. Aber mit den Offenen Kanaelen bekommen Menschen, Meinungen, 
Szenen eine mediale Praesenz, die
das Monopol der dualen Pole immer wieder brechen. Und dass diese 
Praesenz zwar prinzipiell massenmedial ist,
im Prinzip aber selten massenmediale Wirkung und Einschaltquoten 
erzielt, ist kein Grund gegen die Offenen
Kanaele. Im Gegenteil. Es sind gerade diese minimalen Irritationen, die 
den massenmedialen Mainstream nicht
gar zu glatt laufen lassen, ihm immer wieder Wirbel bescheren.

Mit der Etablierung des Internet als Massenmedium bzw. als massenhaft 
genutztem Medium wird immer wieder
im medienpolitischen Raum die Frage aufgeworfen, wozu brauchen wir dann 
noch die Offenen Kanaele in TV
und Rundfunk?

Das fuehrt mich zu dem dritten Grund, warum wir Offene Kanaele brauchen:

3. Wir brauchen nicht weniger Offene Kanaele, wir brauchen Offene 
Kanaele in allen Medien.

Die Ersatzdebatte ist scheinheilig. Ihr geht es nicht um die 
Buergerbeteiligung an den Medien, ihr geht es um die
Einsparung von Gebuehrengeldern und um die Begehrlichkeit immer noch 
knapper Sendeplaetze. Gerade mit
dem Entstehen neuer Medien und Mediennutzungen, sei es das Internet oder 
mobile Mediennetzwerke, kann es
nicht darum gehen, Offene Kanaele zu schliessen. Es sollte einer 
verantwortungsvollen Medienpolitik statt dessen
darum gehen, erstens darauf zu achten, dass auch in den sogenannten 
Neuen Medien Offene Kanaele,
oeffentliche und frei zugaengliche Medienangebote, sich frei entfalten 
koennen. Die aktuelle Copyrightdebatte
zeigt, dass hier noch viel zu tun ist. Und es sollte zweitens darum 
gehen, die bestehenden Offenen Kanaele mit
den neuen Medien zu verbinden, ja diese Verbindungen aktiv zu begleiten 
und zu foerdern.
Wir brauchen medienpolitisch eine zweite Gruenderzeit.
Und die Offenen Kanaele sind eine wichtige Baustelle hierfuer.

Das fuehrt mich zu dem zweiten Teil meiner sieben guten Gruende fuer 
Offene Kanaele. Naemlich der Frage:
Was fuer Offene Kanaele brauchen wir?

Offene Kanaele, die in den Inhalten liberal sind.
Offene Kanaele, die in den Formaten universal sind.
Offene Kanaele, die im Netzwerk der (Zivil-)Gesellschaft aktiv lokal sind.
Offene Kanaele, die im Medienverbund maximal transversal sind.

4. Offene Kanaele, die in den Inhalten liberal sind.

Wenn man die Offenen Kanaele als Buergermedium ernst nimmt, sollte man 
sie als nicht-repraesentative,
"direkte" Medien ernst nehmen. Auch eine repraesentative Demokratie 
braucht direkte, nicht-repraesentative
Formen der OEffentlichkeit. Die "Speakers Corner" im Londoner Hyde Park 
gehoert allein schon deshalb zu den
Urszenen unserer demokratischen OEffentlichkeit. Ich verstehe die 
Offenen Kanaele als eine Fortsetzung dieser
Urszene mit massenmedialen Mitteln. Und in den klassischen Massenmedien, 
seien sie oeffentlich-rechtlich oder
privat, findet sich diese Form der OEffentlichkeit eben notwendigerweise 
nur stark gefiltert. Die Offenen
Kanaele sollten deshalb weitestgehend offen sein fuer alles was "von 
aussen" kommt. In den Grenzen des
Grundgesetzes, das sich auch hier als ein attraktiver Garant der 
Buergerrechte medial ausweist. Ich darf an dieser
Stelle den Artikel 5 unseres Grundgesetzes zitieren: "Jeder hat das 
Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und
Bild frei zu aeussern und zu verbreiten und sich aus allgemein 
zugaenglichen Quellen ungehindert zu
unterrichten." Und: "Eine Zensur findet nicht statt." Das liest sich 
fast schon wie die Gruendungsurkunde der
Offenen Kanaele. Und in gewisser Hinsicht es das ja auch.

Und gerade dieser grosse inhaltliche Freiheitsgrad ist fuer die Offenen 
Kanaele ein hohes Gut, weil es die
symbolische Ordnung des medialen Geschehens an dieser Stelle 
einzigartig, unvorhersehbar und "wild" macht
und sehr nah an die realen Szenen des gesellschaftlichen Lebens fuehren 
kann. Das Rauschen der Offenen
Kanaele ist eben asynchron zu dem seiner grossen Brueder. Und diese 
inhaltliche Vielfalt, die oft als
Verschmutzung kritisiert wird, ist doch auch eine permanente 
Herausforderung an die Filtersysteme der
klassischen Massenmedien. Wir sollten sie als ein hohes mediales Gut 
achten und bewahren und auf ihre
Weiterentwicklung draengen.

5. Offene Kanaele, die in den Formaten universal sind.

Die Grenzen der Formate in den Offenen Kanaelen sind wenn es sie 
ueberhaupt gibt, dann finanzieller Art. Eine
interkontinentale TV-Live-Schaltung per Satellit wird wohl kaum 
vorkommen (Im Medienverbund mit dem
Internet ist das aber zum Beispiel kein Problem mehr.). Ansonsten ist es 
gerade das prinzipiell unformatierte,
was das Potenzial der Offenen Kanaele ausmacht. Was uns in diesem 
Massenmedium, das meistens eben keines
ist, begegnet, sollte weit gefaechert sein: von nah am "Original" der 
klassischen Massenmedien, bis an deren
Nullpunkt - die eins-zu-eins Kommunikation, das audiovisuelle 
Zwiegespraech.
Fuer die Macherinnen und Macher und vor allem fuer die Entscheider in 
den Offenen Kanaelen ist diese Formatvielfalt
und die Schaffung ihrer Voraussetzungen ein wichtiges Gut. Wie die 
Sendungen sich anhoeren und wie sie aussehen, definiert sich
von der Vielheit der Macherinnen her, und diese Vielheit hat vielleicht 
auch vieles zu bieten. Es kommt
allerdings darauf an, diese Pluralitaet auch zu wecken und zu entdecken. 
Insofern ist Formatentwicklung in
den Offenen Kanaelen vor allem eine soziale Aufgabe, eine Frage der 
proaktiven lokalen Vernetzung der
Offenen Kanaele in den gesellschaftlichen Raum vor Ort.

Das fuehrt mich zu dem dritten Punkt, was fuer Offene Kanaele wir brauchen:

6. Offene Kanaele, die in den lokalen Netzwerken der (Zivil)Gesellschaft 
aktiv sind.

Die Bandbreite der lokalen gesellschaftlichen Vernetzung ist fuer die 
Offenen Kanaele entscheidend. Nur so
koennen sie im besten Fall auch eine Rolle als katalytische Medienpraxis 
spielen - soziale und mediale
Aktivitaeten multiplizieren, Medienbildungsprozesse anstossen bzw. 
verbreiten. Ich sehe prinzipiell keine
Grenzen dessen, wer und was da mit einbezogen werden sollte, ausser - 
wie gesagt - die Grenzen des
Grundgesetzes. Das reicht von Bildungsinstitutionen, ueber Vereine, 
Buergerinitiativen, NGOs, bis hin zu
Privatinitiativen von Gruppen, Buergerinnen und Einzelgaengern ("das 
ganze, wilde Leben vor Ort"). Die
Gebuehrenfinanzierung der Offenen Kanaele schafft sich so eine 
kontinuierliche politische und im Notfall
aktivierbare Legitimation. Und das ist sicher auch eine medienpolitische 
Evaluationsgrundlage fuer die Arbeit
der Offenen Kanaele: wie aktiv sind deren Macher um die Ausweitung ihrer 
"Redaktionen", Kontributoren
bemueht? Haben sie dafuer die notwendigen Grundlagen und Ressourcen?

Im Wettbewerb der Medien liegt hier idealerweise, potenziell ein nicht 
zu unterschaetzender Vorteil der Offenen
Kanaele - ihre Grundstruktur ermoeglicht ihnen direkte Vernetzungen und 
Rueckkanaele in den lokalen
gesellschaftlichen Raum, wie kein anderes Massenmedium sie aufweisen 
kann. Eben weil sie meistens ein
Medium von Einigen fuer Einige sind, kommt es darauf an, dass moeglichst 
viele "Einige" sich daran aktiv
beteiligen. Und diese sozialen Vielheiten haben sich seit Jahren schon 
eines weiteren Medienfeldes
angenommen, das neben den Offenen Kanaelen existiert, und das fuer die 
Offenen Kanaele existenziell ist.

Das fuehrt mich zu der vierten und abschliessenden Bemerkung darueber, 
was fuer Offene Kanaele wir heute
brauchen:

7. Offene Kanaele, die in den Netzwerken der Medien maximal transversal 
(crossmedial) sind.

Als einzige Massenmedien haben die Offenen Kanaele eine Grundstruktur, 
die sich mit dem Potenzial der
digitalen Medien deckt: sie sind interaktiv skalierbar und auf den 
offenen Austausch und die freie
UEbertragbarkeit von Inhalten hin angelegt. Hier ist ein riesiges 
Potenzial noch ungeborgen. Und es ist sicher
die Forderung des Tages, das heisst der naechsten Jahre, dieses 
Potenzial proaktiv zu verwirklichen. Man kann es
auch so sagen: Wer sich der Moeglichkeiten des Internet und der daran 
angeschlossenen digitalen Mediennetze
nicht bedient und die Netzwerke, Gruppen, Institutionen etc. nicht 
einbezieht, die hier in seinem lokalen
Zusammenhang relevant und aktiv sind, bekommt mehr als ein Problem. Wer 
aber diese Potenziale nutzt, wird
sein "blaues Wunder" erleben. Es geht dabei um wesentlich mehr als um 
das Bereitstellen einer oder mehrerer
Websites. Das ist die Pflicht, mehr nicht. Es geht strategisch gesehen 
darum: den Offenen Kanaelen in einem
Medienverbund der lokal medial aktiven Communities/Gemeinschaften einen 
strategischen Platz zu geben bzw.
diese strategische Positionen gemeinsam mit diesen Communities zu 
erfinden und zu realisieren. Wir brauchen
genau an dieser Stelle eine "zweite" OEffnung der Medienlandschaft - an 
der Grenze zwischen Massenmedien
und interaktiven, digitalen Medien. Ich wage hier eine Prognose: Wenn es 
den Offenen Kanaelen gelingt, sich an
dieser Stelle selbst zu oeffnen, wird ihre Unverzichtbarkeit, wie ich 
Sie oben skizziert habe, auf absehbare Dauer
mehrheitsfaehig.

Die wenigen Offenen Kanaele in den Massenmedien Rundfunk und Fernsehen 
muessen sich mit den vielen
Offenen Kanaelen im digitalen Medienraum verbinden. Dadurch entsteht ein 
neuer intensiver lokaler
Medienraum, der potenziell global vernetzt ist. Das ist bzw. wird ein 
Medienverbund, der das gesellschaftliche
Potenzial offener und oeffentlicher Medien auf die Hoehe des 21. 
Jahrhunderts bringt, ein Medienverbund, der
nicht nur Schritt halten kann mit den technischen Entwicklungen und den 
sie begleitenden medienpolitischen
Auseinandersetzungen (wie z.B. um das Urheber- und Verwertungsrecht), 
sondern sie auch aktiv mit gestaltet
und beeinflussen wird.

Eben weil die soziale, mediale und aesthetische Phantasie "der Vielen"  
nicht den langen Weg massenmedialer
Filtersysteme und Entscheidungskalkuele gehen muss.
Weil sie nicht gebunden bleibt an die Grenzen der damit verbundenen 
Verwertungsketten.
Sondern weil diese soziale und nmediale Phantasie sich in einem 
dynamischen Austausch
lokal einschreiben und verbreiten kann, auch durch diem "klassischen" 
Offenen Kanaele medial verstaerkt.
Dieses gesellschaftliche Wissen "der Vielen vor Ort" bekommt
so eine noch nie dagewesene Moeglichkeit der oeffentlichen Praesenz, es 
bleibt mit diesem sich herausbildenden
Medienverbund in den dafuer aufmerksamen OEffentlichkeiten, es bleibt 
der offenen Diskussion ausgesetzt und
erhalten.

Das massenmedial organisierte Verschwinden lokaler, singulaerer 
Erfahrungen, Meinungsbildungen
und AEsthetiken haette so ein oeffentlich und intelligent gestaltetes 
Gegengewicht auf der Hoehe der Zeit.
Fuer das Beste davon hat dann das "Versenden" ein Ende.

Und fuer die Offenen Kanaele hat damit die Zukunft
vor ihrer Haustuer und an ihren medialen Grenzen gerade erst begonnen."