[rohrpost] re: betrifft: deutsche medientheorie

Till Nikolaus von Heiseler Till_N_v_Heiseler at web.de
Mit Nov 3 22:50:42 CET 2004


Während hier auf der Liste diskutiert wird, habe ich immer wieder Ansätze des Antwortens gemacht, aber mich dann doch immer entschieden, den Text nicht zu posten. Womöglich geht es vielen so. Ich empfinde das Format Mailingliste als sehr widersprüchlich und insbesondere schwierig, für alles Denken auf dem Weg. Man neigt zu Positionierungen, Show oder auch zu Belehrungen. Dabei habe ich mich immer wieder gefragt, was passieren würde, wenn wir uns hier in der Liste darüber Gedanken machen würden, wie wir das Medium, das wir benutzen, hier und jetzt benutzen? Würde dann nicht auch ein eher soziologischer Medienbegriff oder vielleicht sogar Psychologie in den Blick kommen? Wozu schreiben wir? Wie formt das Formatmedium „Mailingliste“ das, was wir denken und schreiben? Spielt hier nicht die Imagination des Adressaten eine übergeordnete Rolle? Inwieweit ist es entscheidend, wer etwas schreibt? Hätte den gleichen Diskurs jeder hier auf der Liste lostreten können oder braucht alles Denken eine auf Pragmatik und Nutzenrechnung basierende Grundlage bzw. eine entsprechende Symbolisierung? 
Aber auch bei der Äußerung dieser Gedanken ist mir unwohl, weil ich hineinspreche in etwas, von dem ich mir keine richtige Vorstellung machen kann. Das hat mit Überforderung zu tun. Das, was mich hier überfordert, ist die Imagination der Vielen. Erst EIN Adressat gibt mir eine Maske (Person) und die entsprechende Sprache. Denn leider bin ich gar keine derartig festgefügte Persönlichkeit, dass ich meinen  Standpunkt immer und überall verkünden mag. Ich bin auch immer wieder darüber erstaunt, wie homogen sich andere äußern. Diese Standfestigkeit hat für mich etwas Bewundernswertes. Sie hat die Schönheit von Theater, in dem niemand aus der Rolle fällt. Manchmal schlüpft etwas in eine bestimmte Rolle und dann ist man selbst in einer bestimmten Position. Es ist zwar lächerlich, aber man hält die Position dann in der Kommunikation noch ein wenig durch, guckt sich dabei auf den Kopf und wundert sich. Wenn die Adressaten nicht spezifiziert sind (also die Vorstellung nicht auf konkrete Person zielt), ist die Rolle, die andere Seite eines imaginierten gleichsam anonymen Mans. Oder anders: Die anderen sind nichts anderes als die negative Seite des Narzissmus. Das Du erscheint nur im konkreten Du. Das Ergebnis ist, dass ich weitermachen werden mit „Büchern für eine Person“, „Offenen Briefen“ also Formaten, in denen es einen spezifizierten Adressaten gibt. Dass tatsächliche Rezeption und imaginierter Adressaten auseinander fallen bzw. auseinander fallen können, ist eine Besonderheit aller Speichermedien. 

Pit, du hattest etwas über das Scheitern geschrieben. Wir arbeiten ja an einer Art Glossar, das, wie du ja im Gespräch mit D.B. vorgeschlagen hattest,auch mehrere Definitionen zulässt. Folgende Artikel sind unter dem Begriff „Scheitern“ abgelegt worden. 
 
1) Scheitern
Den Prozess des Scheiterns im künstlerischen Prozess zu betonen, heißt ihn so weit ernst zu nehmen, dass es nicht wünschenswert erscheint, den kunstimmanenten Widerspruch, der seine Ursache im Ganzen hat, durch finanziellen Erfolg zuzukleistern. Das Scheitern jedes Kunstwerkes schafft erst Raum für weitere, so wie jede wissenschaftliche Arbeit aus dem Problem einer vorhergehenden wissenschaftlichen Arbeit hervorgeht. Das Scheitern des Kunstwerkes ist im Grunde genommen nichts anderes, als dass die Welt durch das In-der-Welt-Sein des Kunstwerkes nicht mit der Utopie zusammenfällt, die dem Kunstwerk immanent ist. 

2) Das Prinzip Scheitern.
Wer sind wir? Wo begann unser Weg, wo wird er enden? Erwarten wir, was uns erwartet? 
Verwirrung liegt in der Luft, Unberechenbarkeiten, Chaos. Es ist ein Zustand, der nicht mehr mit großen Worten beschrieben wird, fast sind wir an ihn gewöhnt und doch nährt er die Angst.
Einmal zog einer weit hinaus, um das Hoffen wieder zu lernen. Das gelang vielleicht denen am meisten, die es am wenigsten versuchten, doch nun ist  ein gemäßeres Gefühl fällig.
Es kommt darauf an, das Scheitern zu lernen.



Glück zu allen!
till

 


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