[rohrpost] Medientheorie - Das Wikiexperiment
Tilman Baumgärtel
mail at tilmanbaumgaertel.net
Fre Nov 19 03:58:31 CET 2004
At 01:00 19.11.2004, you wrote:
>Ganz Deiner Meinung! Ich glaube, aus deutscher/deutschsprachiger
>Perspektive könnte man diese Frage noch fokussieren. Im Kanon der
>Kulturwissenschaften der 1990er Jahre hat Medienwissenschaft, wie sie
>von Friedrich Kittler und seinen Schülern vertreten wird, eine zentrale
>Rolle gespielt. Die Kittler-Schule vertritt dabei die Position, daß
>Medienwissenschaft die Grundlage von Kulturwissenschaft bildet [bzw.
>kulturwissenschaftliche Grundlagenforschung ist], weil sie die
>technisch-materiellen Bedingungen aller Künste und Diskurse untersucht,
>als deren Konfigurationen a priori. Dahinter steckt natürlich die
>Position, die wir hier schon zu Beginn der Medientheorie-Debatte
>diskutiert haben, nämlich die Ersetzung von Geistesgeschichte durch
>Technikgeschichte und die (von Nietzsche, Heidegger und Lacan
>inspirierte) Idee, daß Philosophien, Künste, Wissenssysteme aus
>technischen Bedingungen enstehen und nicht umgekehrt.
So lange diese Idee noch nicht in der Tagesschau verkündet worden ist,
würde ich daran auch immer festhalten. Der Grund, warum sich Kittler auf
diese Vorstellung so eingeschossen hat, war ja genau, um von dem "gesunden
Menschenverstand" (sei er in der Uni soziologisch oder wie auch immer
fundiert) wegzukommen, wenn man über Medien redet. Sonst kommt man nie über
"Gewalttätige Computerspiele verderben unsere Jugend" hinaus. Ob
Medienwissenschaften Kulturwissenschaft fundieren oder umgekehrt, ist genau
eins der akademischen Glasperlenspiele, bei denen noch nie ein
interessanter Gedanke herausgekommen ist - höchstens ein Lehrstuhl für oder
gegen die Fundierung von Bla auf Bla. Dass das der öden
Technikgeschichtsschreibung in die Hände spielt, glaube ich allerdings
nicht. (Obwohl mir ein gut recherchiertes Buch über die Geschichte des
Chats natürlich immer lieber ist als eine Lacan-geschwängerte
Interpretation der postmodernen Chat-Subjektivität.)
Egal. Danke dass Du uns daran erinnert hast, aber die Medientechnologie zum
Ausgangspunkt für seine Überlegungn zu machen, ist immer noch eine
interessante Provokation. Bis zum Beweis des Gegenteils. (Von mir aus auch
die Tagesthemen...).
>Auch wenn das Medientheorie-Wiki hier als zu wenig pointiert und
>unrepräsentativ kritisiert wurde,
Das waren Einzelpositionen. Ich bin überrascht darüber, was für eine
präzise Formulierung von Ideen möglich war durch Leute, die sich vorher
z.T. noch nie begegnet sind. Wird dieser Prozess eigentlich irgendwann
abgeschlossen? Sonst feilen wir noch bis zum St- Nimmerleins-Tag an
irgendwelchen Formulierungen herum.
(Obwohl ich inzwischen finde, dass ein krachender Einstieg fehlt...)
Gruesse,
Tilman