AW: [rohrpost] Soundwüsten und Hörsinnl ichkeiten

Florian Sprenger fsprengerfs at gmx.de
Fre Apr 29 13:39:37 CEST 2005


Mille Plateaux? Kleiner und Szepanski? Sind das nicht die Ideologen der elektronischen Musik, die nichts anderes zulassen als sich selbst, und denen der Suhrkamp-Verlag auch noch eine Heimstätte geboten hat? Was bitteschön haben diese Leute an einer deutschen Hochschule zu suchen?


Bei elektronischer Musik ist es häufig zu beobachten, dass ihre Stilrichtungen nach ihrer Materialität benannt werden (Techno, Drum & Bass, oder ganz simpel Electronica), während andere Arten von Musik fast ausschließlich durch Metaphern gekennzeichnet sind (Pop, Rock, Klassik, Schlager, Heavy Metal). Kann man also schon an den Namen elektronischer Musiken ihre Selbstbezüglichkeit ablesen?

Der 2003 erschienene Band Soundcultures – Über elektronische und digitale Musik (inklusive einer zwanzigminütigen CD mit angespielten Hörbeispielen) beschäftigt sich mit vielfältigen Fragestellungen in Bezug auf elektronische Musik. Herausgegeben ist der Band von Marcus S. Kleiner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen, sowie Achim Szepanski, dem Chef der Plattenlabels Mille Plateaux, Force Inc, Ritornell und Position Chrome. Diese Labels haben in den letzten Jahren durch Releases von Elektronischer Musik jeder Spielart auf sich aufmerksam gemacht und beanspruchen vor allem mit den drei Samplern Clicks & Cuts eine Vorreiterstellung auf diesem Gebiet. Bezüglich der Konzeption von vor allem Mille Plateaux sei noch zu sagen, dass Gilles Deleuze als rhizomatischer Ideengeber immer im Hintergrund steht.

Die eingangs des Buches gestellte Frage, ob Musik sich erzählen ließe, muss nach der Lektüre dieses Bandes mit einem überzeugten NEIN beantwortet werden. Musik „verweigert [...] sich gerade ihrer Verschriftlichung und deren diskursiven Ordnungsversuchen.“ (Klappentext) Nach dieser eindeutigen Antwort kann man über das schriftliche Reflektieren über Musik reflektieren.

Vielleicht lässt sich eben ganz grundsätzlich nichts Sinnvolles über Musik als Musik schreiben. Musik ist eine sinnliche Erfahrung, die sich der Beschreibbarkeit durch Sprache entzieht. Beschreibbar ist nur die in Worte gefasste und somit immer schon reduzierte Reflexion über Musik, nie aber die Musik selbst (vgl. den Text von Dirk Baecker). Töne können zwar in das Medium der Notenschrift übertragen werden, sie lassen sich aber sinnvoll auch nur wieder als Musik entschlüsselt rezipieren. Es bringt außerhalb der Musikwissenschaft – in dieser Tradition sieht sich Soundcultures nicht – nicht viel, über Noten zu sprechen. Warum dennoch der Versuch, sich Musik diskursiv zu nähern? Läuft man dann nicht Gefahr, einen Teil als Ganzes zu nehmen und diesen Teil zu sprechen, als wäre er das Ganze?

Nun arbeitet die elektronische Musik bekanntermaßen ohne Noten. Sie manifestiert sich im Klang und ist digital gespeichert, und das Digitale lässt sich nur wieder analog darstellen. Über das Digitale zu schreiben, mit der Intention, sein „Wesen“ zu erfassen, ist schier unmöglich, weil wir nicht drankommen an dieses Digitale. Es ist anästhetisch und als Medium unsichtbar: Information ist immateriell und virtuell. Es gibt keine digitale Musik. Der Untertitel des Buches ist schlicht falsch. Hier eröffnet sich dann auch in aller Deutlichkeit die methodische Schwäche des Ansatzes des ganzen Bandes: Man behauptet zwar, sich gerade auch auf medientheoretische Ansätze zu konzentrieren, unterliegt aber in eklatantem Maße einem blinden Fleck. Auf CD gespeicherte Musik ist immer schon digital gespeichert. Also ist auch nicht-elektronische Musik digital gespeichert. Das Medium als Medium spielt keine Rolle. Solche Überlegungen, so oberflächlich sie in dieser Ausführung auch sein mögen, kommen in der Konzeption von Soundcultures nicht vor, werden allerdings in einigen Texten, auf die ich noch kommen werde, erwähnt.

„Nicht Texte und Aussagen zu analysieren, sondern den reinen Sound sprechen zu lassen, erfordert eine neue Sprache, welche die Kategorien abendländischen Denkens (wie Vernunft, Wahrheit oder Identität) hinter sich lässt.“ (S. 225), so Marcus S. Kleiner und Marvin Chlada in ihrem Text Tanzen Androiden zu elektronischer Musik? Eine Reise durch das Universum der Sonic Fiction. Das hört sich alles wunderschön an. Aber warum? Was soll das? Nicht nur hier bleibt letztlich ein großes Fragezeichen stehen.

Tim Hecker, der kürzlich mit Radio Amor eine hochinteressante Mille Plateaux-CD veröffentlicht hat, schreibt in seinem Aufsatz mit dem Titel Klang und die Siegreiche Sphäre der Musik: „Das Phänomen der Mensch-Maschine lässt sich historisch nur schwer analysieren. Kurz gesagt, lässt sich der Gedanke mindestens bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen.“ (S. 95) Das ist falsch: Die Metapher der Menschen-Maschine geht mindestens bis auf Descartes zurück, und selbst wenn man sie nur auf die Klangerzeugung beschränkt, was aufgrund des Gebiets sinnvoll erscheint (was Hecker aber nicht tut), bleibt sie faktisch falsch. Das hat Daniel Gethmann in einem sehr lesenswerten Aufsatz kürzlich festgestellt, und damit den ersten Satz gleich auch noch widerlegt.

Frank Hartmann ist mit einem Text vertreten, der nur die Schlussfolgerung auf eine wilde Schießerei zulässt: so sehr wimmelt es hier von (Wort-)Hülsen. Hier mal ein wenig McLuhan, da ein wenig Flusser (zugegebenermaßen kompetent dargestellt), mit Kant und Luhmann respektive Spencer-Brown gewürzt – viele Köche verderben den Brei. „Sound ist die Signatur des neuen Medienzeitalters“ (S. 35), wird da verkündet, und alle Kulturkritik am Beispiel Günther Anders von vornherein als konservativ abgestempelt. Es kann aber keinen konservativen Kulturkritiker geben, sondern nur Kulturkritiker und (mit umgekehrten Vorzeichen) Kulturkonservative. Kulturkritik ist immer auch selbstreflexive Kritik der Kulturkritik (denn diese ist Teil der Kultur.) Ein konservativer Kulturkritiker würde paradoxerweise das Kritisierte erhalten wollen. Anders selbst zum Vorwurf des Konservierens: „Es gibt nichts Prekäreres heute, nichts, was einen Mann so prompt unmöglich machte, wie der Verdacht, er sei ein Maschinenkritiker.“ (Anders, S. 3) Und weiter in Bezug auf den Nationalsozialismus: „Durch die Identifizierung [von Kritik und Reaktion] ehrte die ‚Bewegung’ sich selbst, nämlich als Fortschrittsbewegung: denn wenn sie Kritik als eo ipso reaktionär hinstellte, ergab sich ja notwendigerweise, dass deren Gegenstand, also das Regime selbst, fortschrittlich sein musste.“ (Anders, S. 5) Es mag zwar durchaus zutreffen, dass Anders die „Ko-Evolution von Kultur und Technik“ (S. 37) übersieht, ihn deshalb aber mit wenigen Worten zugunsten allgemeiner positiver Medientheorien zu übergehen, ist nicht gerechtfertigt.

Michael Harenberg versucht, „das Digitale sowie den Computer selbst als qualitativ neues Medium für Produktion, Konsumtion und letztlich auch die Distribution von Musik zu begreifen“ (S. 69), und in diesem Sinn die elektronische Musik auf ihre technischen Voraussetzungen und Produktionsbedingungen zurückzuführen. Hier steht dann übrigens auch explizit, dass sich das Digitale nur analog darstellen lässt und ganz wörtlich: „Deshalb existiert keine digitale Musik, kein digitaler Klang an sich.“ (S. 78) Aufgefallen ist dieser offensichtliche Widerspruch zum Buchtitel aber niemandem, und gerade das ist erschreckend. Erwähnenswert ist weiterhin Harenbergs Verständnis des Sampling: durch das Übertragen analoger Klänge in digitale Information werde der für Kreativität notwendige Spielraum für „beliebige programmgesteuerte Operationalisierungen von Audiodaten im Digitalen“ (S. 81) eröffnet. Dieser Text bleibt ein Lichtblick.

Abgesehen von dem vorgebrachten Einwand über das Digitale ist die Darstellung des Labels Mille Plateaux und der dazugehörigen Musik in Soundcultures zu euphorisch, um realistisch zu sein. Die Darstellung bewegt sich auf Ebenen, die dem Suhrkamp-Verlag nicht würdig sind. Die ideologische Darstellung des Milles Plataux-Labels ist peinlich für Verlag, Autoren und Label. Gibt es denn beim ansonsten meist positiv in Erinnerung gebliebenen Suhrkamp-Verlag gar keine Lektoren mehr? Die auf Mille Plateaux veröffentlichte Musik „hat keine eindeutige Geschichte, der (wurzel- bzw. bodenlose) Musiker (wie der Autor) lauscht eher der Geographie, schmiedet Pläne, legt Spuren, die weit über das Hörbare hinaus gehen, welche die Musiken (Klangmaterialien) gerade nicht zum Werk werden lassen oder es darauf reduzieren.“ (S. 16) und so weiter und so fort. Es ist traurig, dass in jedem Text Mille Plateaux erwähnt wird, andere Labels wie Warp Records (um nur ein etabliertes und künstlerisch anerkanntes Label zu nennen) aber gar nicht. Autechre kommen gerade mal in einer Fußnote vor (sinnigerweise im Text von Harenberg), Aphex Twin und die Chemical Brothers werden je einmal erwähnt, aber ansonsten erzeugt der Band das Bild, es gäbe außer Mille Plateaux und vielleicht noch Stockhausen, Boulez und Kraftwerk keine ernstzunehmende elektronische Musik, und vor allem keine anderen theoretischen Hintergründe als die Dargestellten. Andere Künstlernamen werden allenfalls in Nebensätzen fallen und liegen gelassen. Es ist natürlich legitim, sich auf Varèse und Cage als Vordenker zu konzentrieren, aber deswegen alle Alternativen totzuschweigen kann nicht akzeptabel sein. Dies erklärt sich entweder daraus, dass diese Herangehensweise von den Herausgebern vorgegeben wurde, oder aber dadurch, dass die Autoren nicht die nötigen Kenntnisse besitzen, um über elektronische Musik zu schreiben. (Dirk Baecker gibt von vornherein zu, von elektronischer Musik nichts zu wissen und enthebt sich so selbst des Verdachtes). Da aber vor allem in den Texten der Herausgeber praktisch nur Mille Plateaux-Artists genannt werden, und da ich diesen Personen unterstelle, dass sie sich in der elektronischen Musik auskennen, überführen sie sich hier selbst der Manipulation. Besonders eklatant ist dies im Text Waves, Flows, Streams. Die Illusion vom reinen Sound von Rudolf Maresch: „Die Elektroniker, die im Namen von Mastermind Achim Szepanski an ihren Medienmaschinen herumfuhrwerken, beschränken sich in der Mehrheit nie allein auf die Ebene der Programme und Betriebssysteme, sondern versuchen immer auch asignifikante Elemente und Ausdrucksformen in das Sounddesign einfließen zu lassen.“ (Hervorhebungen im Original, S. 214) Was bezeichnet überhaupt der Begriff „Medienmusiker“ (S. 215)? Ist Robbie Williams mit seinen Versuchen, mit Massenmedien zu spielen, kein Medienmusiker? Klar wird allerdings bei Maresch, dass die begrifflich-musikalischen Dekonstruktions- bzw. Demaskierungsversuche mittels Technik letztlich gescheitert sind: „Wie jede andere Text- oder Songzeile trägt der Maschinensound immer auch die Handschrift und den Stil jener, die den Sound scratchen, sampeln oder abmischen.“ (S. 216) Aber warum nicht Bob Dylan oder David Bowie? „Den Tod oder das Tote auszuhalten, die ‚Intention auf die Intensität der Kräfte’ umzuleiten – das ist es, was nach Deleuze und Guattari einen nomadischen Klangkünstler von einem sesshaften Arbeitssoldaten unterscheidet.“ (S. 203) Wieso muss Deleuze von der elektronischen Musik vereinnahmt werden? Es wird allgemein elektronischer Musik nicht gerecht, sie auf Deleuze und Clicks & Cuts zu beschränken. Was ist mit den Werken von Ulrich Schnauss, der elektronische Musik mit Songwriting fabriziert oder 100th Window von Massive Attack? Steckt hinter Techno und House nicht viel eher die Suche nach tranceartigen Zuständen als der Versuch, Strukturen aufzubrechen? Rhizomatische Musik sind die genannten Beispiele jedenfalls definitiv nicht. Und worin besteht überhaupt der Unterschied zwischen der auf Mille Plateaux veröffentlichten Musik und „dem Rest“? Leider wird nirgendwo die Unterscheidung in mittels PC-Software erzeugter und anderweitig elektronisch hergestellter Musik eingeführt. Gerade diese für den Herstellungsprozess vielleicht entscheidende Beobachtung könnte an der Stelle weiterhelfen, an der Soundcultures stecken bleibt.

Hier scheint ein Blick auf Rolf Großmanns Text Spiegelbild, Spiegel, leerer Spiegel. Zur Mediensituation der Clicks & Cuts erwägenswert, da dort die entscheidenden Unterscheidungen eingeführt werden. Es wird nicht nur bestätigt, dass der Futurismus aufgrund seiner ideologischen Hintergründe nicht „plateaugeeignet“ (S. 53) sei, sondern auch Clicks & Cuts wie folgt beschrieben: „Es sind hybride bis rein technische Klanglandschaften, deren Ästhetisierung des Technischen ambivalent bleibt, aber immer die Technik selbst klingen lässt.“ (S. 57) Daraus folgt die Charakterisierung dieser Spielart elektronischer Musik als einer „Musik des Medienübergangs“, die „mit der Etablierung digitaler Medien nach einer Phase der Medienkonkurrenz zwischen analog und digital“ (S. 58) verbunden sei. Es spiegele sich hier weniger eine innovative, neuartige Herangehensweise an den Klang, wie von den Herausgebern postuliert, sondern ein für einen Medienwechsel typisches „Bewusstwerden der Schleife von medialer Formung der Wahrnehmungsangebote und der Adaption der Wahrnehmung an das Medium.“ (S. 56) Es kann also doch gelingen, Mille Plateaux in einen medientheoretischen Hintergrund einzuordnen.

Und überhaupt: was ist mit Akustischer Kunst? Deren Ausgrenzung ist mir unverständlich. Sicher, es gibt einen Text über John Cage, Stockhausen wird erwähnt, und auch die Namen Mauricio Kagel und Pierre Schaeffer fallen, aber es scheint ein Diskursverbot zu geben, über unpopuläre(re) elektronische Musik zu sprechen. So betont Frank Ilschner in seiner ansonsten gelungenen historischen Darstellung, die Künstler der Labels Mille Plateaux und Force Inc würden ihre Musik regelrecht innovativ auf die Ebene des Geräusches zurückführen. Dass Murray Shaffer schon in den 70er Jahren das Ohr auf natürlichen (Natur-)Klang geleitet hat, wird nicht erwähnt, ebenso wenig die durch das Studio Akustische Kunst des WDR initiierten Tonverschaltungen zwischen Vancouver, Tokio und Köln Ende der 80er. Wieso wird hier zwanghaft versucht, eine neue „Tradition“ zu eröffnen, anstatt auf bereits vorhandenes zurückzugreifen? Oder steht das alles auch nur im Schatten der Selbstpromotion? So ist dann auch der oben erwähnte Text des Herausgebers Marcus S. Kleiners und Marvin Chladas eine unterschwellige Jubelarie auf Mille Plateaux.

Glücklicherweise gelingt es Christoph Cox letztlich doch, zu verdeutlichen, was Deleuze mit elektronischer Musik zu tun hat (wobei der Einwand der Reduktion bestehen bleibt): „Durch eine Auseinandersetzung mit Deleuze kann man begreifen, wie Musik zu einem organlosen Körper wird.“ (S. 162) Die „Deterritorialisierung“ von musikalischen Formen und Substanzen (S. 162) hat ihre theoretische Vorarbeit in Deleuzes Denken gefunden. „Statt sie [die Musik] als eine Reihe gegebener Entitäten (Töne, Tonhöhen) zu verstehen, die in Tonleitern, Melodien, Formen und Erzählungen gegliedert sind, können wir Musik physischer bzw. materieller als heterogene fluide Substanz (das Klangphylum) vorstellen, die vorübergehend in verschiedene Geschwindigkeiten, Intensitäten und Affekte gegliedert ist.“ (S. 163) Die anderen Autoren, allen voran Herausgeber Kleiner, scheitern an dem Versuch, zu diesem Punkt zugelangen.

Außerdem bietet Cox eine gelungene Darstellung der Charakteristika von elektronischer Musik. Allerdings stellt sich die Frage, ob die elektronische Musik (Einwand: Cox spricht auch nur von wenigen Künstlern, ohne diese Einschränkung explizit zu nennen) wirklich so innovativ ist oder ob nicht vieles von dem, was Cox ihr völlig zurecht zuspricht, schon vorher möglich war. Zum einen betont Harenberg, dass die Klänge, die heute in der elektronischen Musik verwendet werden, rein technisch schon vor 50 Jahren möglich gewesen wären, und zum anderen scheint mir vieles in der elektronischen Musik nicht neu zu sein, wenn man sie beispielsweise mit indischer Musik vergleicht. In meditativen Ragas (beispielsweise von Al Gromer Khan oder Shivkurma Sharma) finden sich all die Eigenschaften, die Cox lediglich der elektronischen Musik zuschreibt, sei es, dass die Organisationsebene durch eine Konstistenzebene ersetzt würde, dass die Klänge nicht länger zeitgebunden seien und der Klang reine Möglichkeit und funktionslos werde. In der indischen Musik spielen Prozess und Dauer die Rolle, die in der klassischen europäischen Komposition Struktur und Genese spielen.

Die Herausgeber würden nun wohl entgegnen, der Band sei ja rhizomatisch gedacht, man könne sich nehmen, was man wolle. „Alles ist erlaubt“ heißt aber nun mal nicht, dass alles erlaubt ist. Und manche Wucherungen möchte man gar nicht kennen. In diesem Kontext ist auch ein Zitat aus einer anderen Rezension interessant: „Nur wer sich für genau diese Form von Musik interessiert und überdies das spezifische philosophisch-theoretische Rüstzeug mitbringt, sollte sich an das Buch heranwagen. Das dürften allerdings maximal 100 Bundesbürger sein.“ (http://www.liga6000.de/, 29.11.2003)

Es sind also im wesentlichen drei Argumente, die ich gegen die Konzeption dieses Buches vorzubringen habe: zum einen die im Untertitel gegebene falsche Bezeichung „digitale Musik“, zum zweiten die Darstellung von Mille Plateaux und zum dritten die einseitige Inanspruchnahme von Theoriekonstrukten für elektronische Musik aus dem Hause Mille Plateaux. Ein weiteres Urteil sei dem mutigen Leser überlassen.

Aber die Musik ist schön.

Literatur:

ANDERS, Günther (²2002): Die Antiquiertheit des Menschen 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. Beck, München.

GETHMANN, Daniel (2003): Das Zittern der Luft. Die Erfindung der mechanischen Stimme. In: EPPING-JÄGER, Cornelia/LINZ, Erika (Hg., 2003): Medien/Stimmen. DuMont, Köln.

KLEINER, Marcus S./SZEPANSKI, Achim (Hrsg., 2003): Soundcultures. Über elektronische und digitale Musik. Suhrkamp, Frankfurt/Main.


> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von: rohrpost-bounces at mikrolisten.de 
> [mailto:rohrpost-bounces at mikrolisten.de] Im Auftrag von 
> Matthias Weiss (by way of Tilman Baumgärtel 
> <mail at tilmanbaumgaertel.net>)
> Gesendet: Samstag, 30. April 2005 04:04
> An: rohrpost at mikrolisten.de
> Betreff: Re: [rohrpost] Soundwüsten und Hörsinnl ichkeiten 
> 
> 
> 
> arschgeiger
> 
> 
> 
> Am 29.04.2005 um 07:44 schrieb Tilman Baumgärtel:
> 
> 
> 
> >>         â­ª     28.04.2005, 18.00 Uhr
> >>Marcus S. Kleiner: Soundwüsten und Hörsinnlichkeiten
> >>Eine Reise durch das Universum des Frankfurter
> >>Elektronik Labels Mille Plateaux. Eine Theorie Performance im 
> >>Medientheater.
> >>
> >>1994 wurde das Label Mille Plateaux in Frankfurt am Main gegründet,
> >>benannt nach der
> >>gleichnamigen philosophischen Abhandlung von Gilles Deleuze 
> und Félix 
> >>Guattari. Mille
> >>Plateaux produzierte Musik jenseits der Party-Szene. Als 
> stilistische 
> >>Alternative zur
> >>langsam aufkommenden Trance- und Chillout-Szene sowie zur 
> intelligent 
> >>dance music
> >>community, die sich in England um das Label Warp Records und ihre 
> >>Artificial Intelligence
> >>series bildete, etablierte sich Mille Plateaux als innovatives 
> >>Ambient-Label, das
> >>elektronischen Projekten und Musikern eine Plattform für 
> experimentelle 
> >>Kompositionen
> >>bot.
> >>Mille Plateaux steht in der Traditionslinie der elektronischen 
> >>Avantgarde-Musik, die sich
> >>seit dem 2. Weltkrieg ausdifferenziert hat. Besonders die 
> französische 
> >>Schule der
> >>Elektrik-Akustiker um Pierre Schaeffer und Pierre Henry 
> sowie die Szene 
> >>rund um das
> >>Kölner WDR Studio, die Stockhausen und Eimert 
> begründeten, erweisen 
> >>sich als
> >>einflussreich. Mille Plateaux setzt deren Ästhetik einer von der 
> >>Tonalität und
> >>Harmonielehre gelösten elektronischen Geräuschmusik fort, 
> die bewusst 
> >>mit Zufällen und
> >>Fehlern arbeitet. Eine musikalische Erweiterung findet durch die 
> >>Auseinandersetzung mit
> >>den Möglichkeiten digitaler Klangerzeugung statt.
> >>Die Ästhetik von Mille Plateaux ist auf der anderen Seite 
> geprägt von 
> >>der elektronischen
> >>Tanzmusik, die in den 1970er Jahren mit Kraftwerk Gestalt 
> annimmt und ab 
> >>den späten
> >>1980er/frühen 1990er Jahren mit dem Aufkommen von House 
> und Techno den 
> >>Popdiskurs zu
> >>dominieren beginnt. Aspekte wie die Funktionalität von 
> Musik und die 
> >>Infragestellung der
> >>Autorschaft rücken in den Vordergrund und werden zu entscheidenden 
> >>Distinktionskriterien
> >>eines neuen Verständnisses von Popkultur.
> >>Mille Plateaux arbeitet in dem Projekt der elektronischen 
> Avantgardemusik 
> >>weiter, aber
> >>unter den Vorzeichen des Popdiskurses. Durch die Bezugnahme auf 
> >>postmoderne Theoreme wird
> >>der Musik/dem Label unter anderem nicht zuletzt ein Image 
> gegeben, das 
> >>diese für das
> >>Feuilleton attraktiv macht. Zugespitzt könnte man sagen, 
> dass der Rekurs 
> >>auf die Theorie
> >>als Mehrwert einen nicht unbeträchtlichen Glamourfaktor abwirft.
> >>10 Jahre lang sollte Mille Plateaux aber vor allem die Entwicklung 
> >>experimenteller
> >>elektronischer und digitaler Musik international nachhaltig 
> beeinflussen, 
> >>bis im Jahr
> >>2004, auf Grund des Bankrotts seines Vertriebs EFA, 
> Insolvenz angemeldet 
> >>werden musste.
> >>Nach dem Ende von Mille Plateaux hat dessen Gründer Achim 
> Szepanski 
> >>jüngst drei neue
> >>Label gegründet, disco.inc., Molecular Funk Guerilla und Mille 
> >>Résistance, mit denen er
> >>das von Projekt von Mille Plateaux unter den diskursiven, 
> politischen und 
> >>musikalischen
> >>Bedingungen des 21. Jahrhunderts fortschreiben will.
> >>Soundwüsten und Hörsinnlichkeiten sind Text- und 
> Soundfahrzeuge, die 
> >>Ihre Zuhörer auf
> >>eine Reise durch das Universum des Frankfurter 
> Elektronik-Label Mille 
> >>Plateaux sowie
> >>seiner Nachfolger mitnehmen. Hierbei wird die spezifische 
> Medialität der 
> >>Medienmusiken
> >>von Mille Plateaux in Form eines Radio-Features inszeniert, 
> das zugleich 
> >>als 60-minütiges
> >>Live-Konzert präsentiert wird, um es seiner medial 
> konservierten Form zu 
> >>entfremden.
> >>Soundwüsten und Hörsinnlichkeiten zeichnen hierbei 
> gleichwohl das Bild 
> >>einer spezifischen
> >>Ausprägung der Popkultur der letzten zehn Jahre nach, 
> dessen Produkt sie 
> >>zugleich sind.
> >>Untermalt wird diese Theorie- und Sound-Performance durch 
> die Videoserie 
> >>NUUK (Mille
> >>Plateaux Media, 2004) von Thomas Köner, dem letztjährigen ars 
> >>electronica Gewinner.
> >>
> >>Ort: Medientheater des Seminars für Medienwissenschaft,
> >>Humboldt-Universiutät, Sophienstr. 22a, 2. Hinterhof
> >>Zeit: 18 Uhr
> >>
> >>
> >>
> >>Prof. Dr. Wolfgang Ernst
> >>Lehrstuhl Medientheorien
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