[rohrpost] „Perlentaucher” expandiert: englische Ausgabe
cornelia sollfrank
cornelia at snafu.de
Mon Feb 28 11:07:35 CET 2005
F.A.Z., 28.02.2005, Nr. 49 / Seite 40
Anschubfinanzierung
Von Heinrich Wefing
27. Februar 2005 Morgen will das Online-Magazin „Perlentaucher” seine
schon länger angekündigte englische Ausgabe unter der Adresse
www.signandsight.com freischalten. Das neue Internet-Angebot soll
ähnlich wie die elektronische Kultur-Rundschau funktionieren, die seit
fünf Jahren jeden Morgen in Stichworten über die Themen und Thesen der
deutschsprachigen Feuilletons berichtet, nur eben auf Englisch.
Drei Journalisten hat das Berliner Unternehmen eingestellt, die täglich
zusammentragen und auf ein paar Zeilen eindampfen sollen, was in den
Kulturteilen der Zeitungen rezensiert und diskutiert wird. Die
Übersicht wird auf der Presseschau des deutschen „Perlentauchers”
basieren, soll aber kürzer und wählerischer ausfallen sowie
gelegentlich um Hintergründe und Hinweise ergänzt werden, die dem
ausländischen Publikum die deutschen Debatten erst erschließen.
Fünfhunderttausend Besucher im Monat
An drei, vier Artikeln, die den Perlentauchern besonders bemerkenswert
erscheinen, wird „signandsight” zudem jede Woche die Rechte erwerben,
um sie komplett ins Englische zu übertragen und ungekürzt ins Netz zu
stellen. Diese immerwährende Übersetzungsarbeit, so
„Perlentaucher”-Gründer Thierry Chervel, solle nicht weniger als die
Sprachgrenzen überwinden und die kulturelle Öffentlichkeit
internationalisieren helfen. Das Netz und die englische Sprache seien
die idealen Transmissionsriemen dafür.
Betriebswirtschaftlich setzt der „Perlentaucher” mit der englischen
Ausgabe seine Expansionsstrategie der vergangenen Jahre fort.
Schrittweise hat der Online-Dienst sein anfangs sehr schmales Angebot
erweitert; mittlerweile werden neben der Feuilletonrundschau auch
Hinweise auf Zeitschriftenartikel, Literatur-Rezensionen und
Kultursendungen im Fernsehen sowie mehrere eigene Kolumnen publiziert.
Nach Angaben von Chervel nutzen den Service knapp fünfhunderttausend
Besucher im Monat, von denen nicht wenige den Weg zu den
Internet-Feuilletonisten über die Seiten von „Spiegel online” finden
dürften, mit dem die „Perlentaucher Medien GmbH” einen
Kooperationsvertrag unterhält.
Finanzierung über Sponsoring und Werbung
Es wäre allerdings ein Irrtum, den Start von „signandsight” nur für den
gewissermaßen logischen nächsten Wachstumsschritt eines Kleinbetriebs
zu halten. Das Projekt verändert den Charakter des „Perlentaucher”.
Nicht so sehr wegen der hochgespannten Ambitionen des Vorhabens,
sondern wegen dessen Finanzierung. Für „signandsight” erhält die
„Perlentaucher GmbH” nach Chervels Worten bis September 2007 knapp 1,4
Millionen Euro von der Bundeskulturstiftung, die ihren Jahresetat von
gut vierzig Millionen Euro ihrerseits in voller Höhe aus dem
Bundeshaushalt bezieht.
Nach Auslaufen der Anschubfinanzierung soll sich das neue Projekt über
Sponsoring und Werbung selbst tragen. 1,4 Millionen Euro: Das mag,
verglichen mit gängigen Investitionen im Straßenbau oder in der
Forschungspolitik, wie ein minimaler Betrag wirken, ist aber im
permanent klammen Markt der Online-Medien eine riesige Summe, die die
Risiken der Darstellung des deutschen Feuilletons im Ausland ziemlich
komfortabel abpolstert und den journalistischen Service des
„Perlentaucher” wie nebenbei zu einem Kulturprojekt adelt. Was als
typisches Start-up-Projekt in den späten Boomjahren der new economy
begonnen hat, wird ein öffentlich gefördertes Instrument der deutschen
Außendarstellung; aus einer cleveren Geschäftsidee wird ein staatlich
bezuschußter Betrieb - keine ganz untypische Karriere in der
Bundesrepublik.
Keine gute Basis
Mehr noch, zum erstenmal wird mit dem Geld der Bundeskulturstiftung
Realität, was zuletzt auf dem Höhepunkt der Zeitungskrise als finaler
(und reichlich fiktiver) Rettungsanker erwogen wurde: die direkte oder
indirekte Subventionierung der Qualitätspresse aus Steuermitteln
nämlich. Alle Fragen, die damals nach den möglichen Folgen einer
solchen Beihilfe für die Unabhängigkeit der Redaktionen gestellt
wurden, stellen sich auch jetzt, selbst wenn es sich um ein ach so
wunderbar menschenfreundliches Vorhaben zur Förderung des geistigen
Austauschs über Grenzen hinweg handelt, dessen Charme gewiß kein
Kulturpolitiker widerstehen konnte.
Der „Perlentaucher” und sein neuer englischer Dienst jedenfalls werden
gut daran tun, die inhaltliche Distanz zu ihren institutionellen
Förderern strikt einzuhalten. Und es kann gewiß nicht schaden, wenn sie
- ähnlich wie andere öffentlich geförderte Institutionen, die sich seit
jeher um die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland kümmern -
möglichst unabweisbare Kriterien für ihre täglichen
Auswahlentscheidungen entwickeln.
Der zuletzt anschwellende Brummton, die wachsende Schludrigkeit und die
bisweilen durchklingende Gelangweiltheit der Perlentaucher-Redaktion,
der als Kommentar zu manchen Artikeln nur mehr ein schnodderiges
„Gähn!” einfiel, mag nach fünf Jahren professioneller Lektüre eine
halbwegs verständliche Ermüdungserscheinung sein. Angemessen ist diese
Haltung nicht. Und für die hehre Absicht, eine europäische, potentiell
globale Öffentlichkeit für die intellektuellen Debatten der
Bundesrepublik zu interessieren, ist es keine gute Basis.
Text: F.A.Z., 28.02.2005, Nr. 49 / Seite 40