[rohrpost] Stefan Roemer ueber Deutsche Medientheorie
Stefan Heidenreich
stefan.heidenreich at rz.hu-berlin.de
Mit Jan 19 09:53:02 CET 2005
Mir gelingt es nicht, die spezifische Differenz auszumachen,
die hier "Kunst als Medium" von "Kunst" einfach so unterscheidet.
Bleibt bei deinem Denk-Vorschlag, lieber Stefan, nicht einfach
alles beim alten?
Stefan Heidenreich
geert schrieb:
> From: Stefan Römer <stefanroe at web.de>
>
> Deutsche Medientheorie, ein Wintermärchen?
>
> Dass ein Begriff deutscher Medientheorie befremdlich erscheint, kann nur
> daran liegen, dass sich heute niemand mehr freiwillig auf die
> Entwicklungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts beziehen will, in denen
> sich eine eindeutig deutsche Formation beobachten lässt. Die Quellen
> sind nach einer langen Zeit der Diskursdominanz versiegt.
> Im deutschen Faschismus gab es die Allianz Goebbels/Riefenstahl, die
> immerhin bis heute international in der Werbung Vorbildcharakter
> genießt. Das hat wenig mit Kriegstheorie zu tun. Wenn man die Texte –
> diesen Begriff ziehe ich dem der Theorie vor – von Brecht, Benjamin,
> Cassirer, Panofsky liest, fällt vor allem bei den Ersteren die
> existenzielle Opposition zum Faschismus auf. Linearhistorisch gedacht:
> Brecht (Radiotheorie, V-Effekt), Benjamin (Zeit-Ort-Bild) als Theorie
> gegen die Praxis des Faschismus hat ihre Weiterführung nach dem WK II
> bei Akademikern wie Horckheimer/Adorno (Kulturindustrie) und bei
> leitenden Verwaltungsangestellten der Aufklärung wie Kluge/Negt
> (Bewusstseinsindustrie) schließlich bei Streberfiguren wie H.M.
> Enzensberger (»Baukasten zu einer Theorie der Medien« in der legendären
> Ausgabe von Kursbuch, Bd. 20, 1970; dort auch Siepmanns: »Rotfront
> Faraday. Über Elektronik und Klassenkampf« und Haugs »Kritik der
> Warenästhetik«) gefunden. Diese Haltung ist mit der
> Institutionalisierung der 68er zum deutschen Alltag geworden, ohne dass
> der Kampf darum, ob die Bundesliga im privaten, im öffentlichrechtlichen
> Fernsehen oder im Pay-TV gezeigt wird, an den intellektuellen
> vorbeiziehen kann. Wie Nietzsches »Gefängnis der Sprache« ja schon klar
> stellte, lässt sich jedes kulturelle Phänomen nur mit Sprache verstehen.
> Und in der sind wir gefangen.
>
> Meine Leseweise des Begriffs einer deutschen Medientheorie würde nach
> einem entscheidenden Kriterium differenzieren: die in der
> Brecht/Benjamin-Tradition Stehenden als emanzipatorische oder
> aufklärerische Bewegung von der sog. französischen Theorie (Ausnahme:
> Bourdieu). Die Franzosen kritisierten die Aufklärung und den Humanismus
> berechtigterweise, das kann gesagt werden, ohne ihre
> gesellschaftsverändernden Potentiale denunzieren zu wollen.
>
> Die französischen Theorien sind auch viel eher implizit »medial« zu
> verstehen (Foucaults Panoptikon, Derridas Dekon, Barthes Semiologie
> etc.) und niemals exklusive Medientheorien wie bspw. McLuhan. Das ist
> gerade der bezeichnende Unterschied zu typischen Medientheorien wie sie
> der deutschsprachige Kittler appliziert. Ihm geht es um die
> bellizistische Beweisführung – der Trieb (welcher) zu ungunsten des
> Geistes??? – und das Spiel mit dieser intellektuellen Munitionskiste;
> deshalb verstehe ich ihn auch den französischen Theorien – vielleicht
> mit Ausnahme Virillos – entgegengesetzt als anti-epistemologiekritisch.
> Dies trifft teilweise leider auch auf Luhmann zu.
>
> Ich komme aus dem Kunstfeld, das will ich nicht vertuschen.
> Weshalb nicht die Kunst als Medium begreifen? Ich schlage vor, die Kunst
> wie sie in bestimmten Bereichen seit den frühen 1990er Jahren im
> deutschsprachigen Raum praktiziert wird, als eine mediale Strategie zu
> verstehen, die sich aller erdenklichen Medien bedient und vor allem das
> integriert, womit Öffentlichkeit oder die Sphäre des Öffentlichen
> erzeugt wird, nämlich die Verkettung von diversen
Kommunikationsfunktionen.
> Die Kunst ist die Paradedisziplin, die traditionell nach Medien
> (Malerei, Plastik, Zeichnung, Fotografie, Computergrafik, Coding etc.)
> unterteilt wird. Und: Diese Diskussion findet in einem Feld statt, das
> vor allem durch Diskussionen über Brechts und Benjamins Theorien in den
> 90ern entstanden ist. Viele der hier Beteiligten trafen sich in der
> Botschaft e.V. oder bei b-books in Berlin zum ersten Mal und nicht
nur dort.
> Eine kritische Denkweise, wie sie sich seit den frühen 90ern formuliert,
> geht anders vor. Man nimmt hier medienübergreifend Phänomene oder
> Inhalte/Themen als Rahmen/Rahmung als eine Synthese französischer und
> deutscher Denktraditionen. Damit passieren ganz unvorhersehbare Dinge.
> Allerdings kann man dabei ganz schnell wieder zu Derridas Theorie vom
> Parergon gelangen, aber warum nicht. Immerhin hat der Mann auch ganz
> schlau formuliert, dass jedes Ereignis schon seine eigene Dokumentation
> enthält.
>
> Das Ereignis DTM auch, oder.
>
> Liebe Grüße
> Stefan Römer
>
>