[rohrpost] Nachtgedanken zur Medientheorie-Debatte
sascha brossmann
brsma at gmx.net
Mit Jan 26 04:48:54 CET 2005
Am 25.01.2005 um 23:56 schrieb Till Nikolaus von Heiseler:
> Das Signifikat kann nur für scholastische Realisten, Platoniker und
> „Idealisten“ im Ideenhimmel AN UND FÜR SICH existieren.
setze "signifikat" gleich "systemzustand" und du kannst den ideenhimmel
streichen.
> Technisch im weitesten Sinne sind die Produktionsbedingungen des
> Signifikanten, also der Mechanismus des In-Formierens des Mediums.
wo beginnt das? bei der ausschüttung von neurotransmittern? bei der
übermittlung von aktionspotenzialen? beim zusammenziehen und entspannen
der muskulatur? bei den tippenden fingern, den zappelnden füssen, dem
grimassierenden gesicht, den rollenden augen, dem schweiss auf der haut
und der änderung der strömungsdichte des atemluftstroms in kehle und
mund?
und wie viele übergänge zwischen "medien" finden so nun im
kommunikationsprozess statt?
> - Das Signifikat hat überhaupt nichts mit Botschaft zu tun, sondern
> ist das Vorstellungslautbild,
was ist eine "vorstellung"?
> das, was eben nicht transportiert werden kann, sondern der Konvention
> bedarf, um IM BEWUSSTSEIN
was ist "bewusstsein"?
> „Verstehen“ meint damit nicht mehr die Gleichheit der Vorstellung,
> sondern bezeichnet einen rekursiven Prozess.
das würde ich als vage arbeitshypothese durchaus erstmal gelten lassen
(auch wenn mir streng genommen der begriff "rekursion" hier sehr
fragwürdig erscheint, "rückkoppelung" dürfte erheblich zutreffender
sein). und nun?
> Das Problem der Erkenntnis, also das Verhältnis zwischen Begriff und
> Ding, wird bei Saussure ausgeklammert.
was auch durchaus sinnvoll ist, solange man darüber keine aussagen
treffen kann und sich auch in dieser hinsicht m.e. auch als fruchtbar
erwiesen hat.
nur: das problem besteht nach wie vor. und wir hantieren hier mit
begriffen wie "verstehen", "bewusstsein", "vorstellung" etc. die man
bestenfalls als praktische krücken für den hausgebrauch betrachten
kann. eine basis für aussagen die so etwas wie "wissenschaftlichen
kriterien" genügen kann ich darin allerdings leider nach wie vor nicht
erkennen. insofern wäre es vermutlich auch sinnvoller, sie so weit es
geht weiterhin erstmal aussen vor zu lassen. und mit dem begriff
"medium" verhält es sich vermutlich ebenso.
warum kann man nicht endlich einmal schluss machen mit den kuscheligen
metafysischen wölkchen und über konkretes sprechen? was genau passiert
wo? wie entstehen strukturen von signalen und zuständen? und lassen
sich diese mit dem was "ich" "erfahre" irgendwie zusammen bringen?
"ich" halte es z.b. durchaus nicht für abwegig, dass "denken",
"bewusstsein", "verstehen", "kommunikation" usw. emergente
erscheinungen meiner biomasse, ihrer umgebung und der in/mit ihr
ablaufenden prozesse sind (stark verkürzt gesagt). unter diesen
bedingungen wird ein begriff wie "medien" allerdings schlicht
überflüssig, ein relikt atavistischer folklore.
> - Verhältnis zwischen Signal und Medium („Medienwissenschaft“)
eine medienwissenschaft, die auf dieser ebene nur signale und medien
betrachtete kommt mir vor wie eine syntaxlehre, die nur substantive
aber keine prädikate kennt.
> Kittler, mit dem wir gerade in der Akademie der Künste sprachen (stell
> ich bald online, ist nur ganz kurz), sagt: Medienwissenschaft ist nur
> historisch möglich, alles andere ist Bla-bla.
nun, das wäre nicht sein erster irrtum. mir ist kittler zwar immer noch
erheblich lieber als die heerscharen uninspirierter archivratten die
den betrieb, nun ja, "beleben", - unterhaltsamer und intellektuell
anregender als viele andere ist er allemal. das heisst aber noch lange
nicht, dass man alles ernst nehmen muss, was der mann von sich gibt.
(darüber nachdenken kann sich dennoch durchaus lohnen - und sei es nur,
um zu einer anderen auffassung zu gelangen.)
> - Wenn wir mit Innis/McLuhan davon ausgehen, dass das neue Medium
> zunächst das alte kopiert, dann ist aller unser Umgang mit dem
> Computer immer noch an den Simulationen der klassischen Medien der
> Neuzeit ausgerichtet, bzw. trägt Spuren des historischen
> Mediengebrauchs. Wenn wir also die Logik
ich halte es wider mcluhan für ausgemachten unfug, "medien" (welchens
medium nebenbei bemerkt, kopiert z.b. eine handfeuerwaffe, die ja iirc
nach mcluhan auch ein medium ist?) als etwas gemachtem solche
quasi-autonomen eigenschaften zuzuschreiben. wenn überhaupt, dann ist
es letztlich der _gebrauch_ der sich am vertrauten orientiert - was wie
mir scheint allerdings weniger mit medien zu tun hat als mit ganz
"banalen" lernprozessen, sprich bildung von gebrauchshypothesen und dem
dafür notwendigen aufwand (*). das bedingt im übrigen aber auch hier
einen perspektivwechsel weg von den sub-/objekten und hin zu den
prädikaten. dazu geben man löffelweise kontexte und eine gute prise
kognitionswissenschaft!
(*) dazu noch als erweiterung: "(...) ich habe immer wieder verkürzend
und, glaube ich, sehr allgemeinverständlich gesagt, daß intelligenz ein
trick ist, um den mangel an kapazität auszugleichen. hätten wir
genügend kapazität, so würden wir es nicht nötig haben, begriffe zu
bilden. die tatsache, dass wir von einer welle sprechen, ist einerseits
ein hinweis darauf, daß wir über ein mächtiges instrument verfügen in
unsere fähigkeit zu kategorisieren; auf der anderen seite ist es aber
das zeichen eines mangels, daß wir gezwungen sind es zu tun." (oswald
wiener, zitiert nach
http://class.georgiasouthern.edu/~hkurz/wiener/bonik-1.htm)
> Diese Dimension wird zunehmend wichtiger, je mehr wir in eine Kultur
> der Übertragung geraten und je mehr die Tradition an Kraft verliert.
tut sie das wirklich? ich habe eher den eindruck, dass mit zunehmender
breitenwirkung - z.b. auch des computers - die wiederholung einmal
gelernter verhaltensmuster verstärkt wird und tendenziell eher zu
systemischer trägheit führt.
> kann der Computer nicht nur alle diese analogen Medien simulieren,
> sondern auch Daten umrechnen;
das kannst du aber auch mit z.b. bleistift und papier - bloss
langsamer, aber der mechanismus ist der gleiche (cf. turing).
> eines Kanals, der analog nicht mehr unbedingt möglich wäre
formal betrachet sehr wohl. technisch/praktisch erscheint mir die
rechen-/schaltgeschwindigkeit das hauptproblem, das kann (wie u.a.
unser zns zeigt) aber durch komplexität ausgeglichen werden.
nebenbei: die unterscheidung analog/digital ist physikalisch betrachtet
humbug und reduziert sich im prinzip auf die frage der messgenauigkeit.
wir könnten selbstverständlich über diskrete, abzählbare zeichenmengen
sprechen auf denen bestimmte operationen definiert sind, landen damit
aber nicht notwendigerweise beim derzeit gängigen modell des computers.
> weiterzuentwickeln (und zwar insbesondere in geschützten Bereichen,
"geschützte bereiche"?!? vor was, durch wen und zu welchemn zweck?
> (...) (Shannon) begriffen werden kann, ist Vernetzung deshalb trotzdem
> mit diesem Modell nicht fassbar, weil sich empfangene Daten umrechnen
> lassen.
das ist mit shannon kein problem ("umrechnen" ist äquivalent zu
"(de-)codierung"). was sich allerdings mit dem modell *nicht* fassen
lässt, sind die vorgänge innerhalb der black boxes "sender" und
"empfänger" (yippie, behaviourismus!). shannons kunstgriff war ja -
gewissermassen analog zu saussure - die fragen von "inhalt" und
"bedeutung" bewusst zu ignorieren, damit er ein formal beschreibbares
und nicht zuletzt auch anwendbares modell bilden konnte. das andere
problem bei der vernetzung besteht in der extrem wachsenden
(rechnerischen) komplexität des gesamtsystems.
> Wenn ich also eine e-mail bekomme und diese in ein Wiki tue oder den
> Code als Deko für meine HTML-Seite benutze oder die e-mail von einer
> Computerstimme sprechen lasse und über ein Netzradio schicke, ist dies
> jenseits dessen, was analoge Medien konnten.
das ist *ein* aspekt (manovich nennt es "transcoding"), zwar (nochmal
manovich) notwendig aber nicht hinreichend. im übrigen ist das mit
"analogen" medien prinzipiell durchaus ebenfalls möglich - wenn auch
mit grösserem aufwand.
> Die bisher weitgehend ungenutzte Möglichkeit besteht darin, diese
> Umrechnung zu automatisieren.
ungenutzt?!? z.b. die meisten mir bekannten computerbasierten
visualisierungen/sonifikationen/... basieren genau auf den
möglichkeiten dieser umrechnung und ihrer automatisierung ("mapping"
ist ja ebenfalls nicht umsonst in den letzen jahren recht populär
geworden). das dürfte sogar einer der wenigen gemeinsamen nenner dessen
sein, was seit jahr und tag mit dem grausigen begriff "medienkunst"
beworfen wird.
> Unsere These ist, dass nicht nur alle technischen Medien im Computer
> „implodieren“ (Kittler),
weil? (leuchtet mir nicht auf anhieb ein)
> sondern etwas „Soziales“ sich in den Bereich der Technik verlagert.
> Wie aber lässt sich diese Sozialdimension erfassen oder beschreiben?
ich gehe mal nach meiner lesart davon aus, dass das was du "sozial"
nennst, sich auf kommunikationsprozesse zurückführen lässt. weiterhin
dass diese kommunikationsprozesse so etwas wie verhaltensregulierende
feedbackmechanismen sind. bricht man das weiter auf, landet man
letztendlich vermutlich bei einer mehrfachen verschachtelung
hochkomplexer, emergenter systeme. "sozial" wäre insofern ein begriff
für eine daraus sehr weit "oben" entstehende makrostruktur, genauso wie
möglicherweise auf einer anderen detailstufe "denken" oder
"bewusstsein". letztendlich - unser kognitiver apparat ist ja
anscheinend recht gut im bilden *unscharfer* aber *praktischer*
hypothesen über sachverhalte (nicht zuletzt auch "sozialer"
sachverhalte) - könnte es ausreichen, für eine beschreibung des
"sozialen" auf der "kommunikations"ebene anzusetzen.
das problem dabei ist, dass es m.e. nicht ausreicht, einfach die
datenströme zu betrachten, sondern dass genau das was bei shannon
aussen vor bleibt (bzw. in der black box verschwindet) eine
entscheidende rolle spielt. letztendlich landet man wenn man die frage
stellt, was durch "kommunikation" in welcher weise beeinflusst wird
dann doch wieder bei der frage nach "denken" und "bewusstsein" etc.
ggf. lässt sich das aber in angriff nehmen, in dem man unscharfe,
pragmatische hypothesen auf den makroebenen versucht mit möglichst
genauen modellen auf den feineren detailstufen so lange abzustimmen und
gegenseitig anzunähern, bis sich eine beschreibungsmöglichkeit findet,
die sich übergreifend anwenden lässt. (späte nacht, schluss jetzt, zu
viel für hier und heute...)
> Wäre es dafür nicht zunächst nötig, Sinn- und Signalprozesse zu
> unterscheiden, um dann in einem zweiten Schritt ihr Ineinanderwirken
> zu untersuchen?
wäre es nicht möglich, dass sinn- und signalprozesse nur zwei seiten
ein und derselben medaille sind? anders formuliert: wo endet das
"äussere", signalübermittelnde und wo beginnt das "innere",
"verstehende" system? was ist die betrachtungsebene und nach welchen
kriterien erfolgt die grenzziehung? (siehe oben)
herzliche grüsse
sascha